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Reinhard Marx: Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht

Rezensiert von Prof. Dr. Holger Hoffmann, 23.10.2023

Cover Reinhard Marx: Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht ISBN 978-3-8487-7448-7

Reinhard Marx: Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht. Handbuch. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2023. 8. Auflage. 1357 Seiten. ISBN 978-3-8487-7448-7. 129,00 EUR.

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Thema

Das deutsche Ausländer- und Asylrecht, eingebettet in das EU- Rechtssystem, gehört zu den äußerst schnelllebigen Rechtsmaterien. Vielfältige größere und kleinere Änderungen erfolgen oft innerhalb weniger Monate, weil politische Vorgaben schnell umgesetzt werden sollen. Valide Informationsquellen, die den jeweils aktuellen Stand möglichst zeitnah referieren und die praktischen Auswirkungen der Änderungen erläutern, sind daher dringend erforderlich.

Autor

Dr. Reinhard Marx, seit Jahrzehnten einer der profiliertesten und engagiertesten Autoren im deutschen Ausländer, Asyl- und. Flüchtlingsrecht, hat seit Beginn der 80'er Jahre eine fast unübersehbare Menge an Aufsätzen und Büchern verfasst. Zudem ist er ein außerordentlich erfahrener Rechtspraktiker mit umfangreichster anwaltlicher Erfahrung. All das kommt seinem Handbuch, das aus anwaltlicher Perspektive geschrieben ist, sehr zugute.

Aufbau und Inhalt

Die 8. Aufl. wuchs im Umfang gegenüber den Vorauflagen erneut deutlich auf nun 1357 S. Nach einer kurzen Einführung (§ 1 – S. 35 - 39), in der auch die Bedingungen anwaltlicher Tätigkeit und das Verhältnis zu MandantInnen angesprochen werden, thematisiert Marx in § 2 (S. 40 – 254) detailliert die Voraussetzungen zur Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltstiteln, Schengen- Visum und das EU-Freizügigkeitsrecht. § 3 (S. 255–421) behandelt Arbeitsmigration (Fachkräfteeinwanderung, die besondere Rechtsstellung türkischer Arbeitnehmer, Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeit sowie Verwaltungsverfahren und Rechtsschutz). § 4 (S. 422 – 468) erörtert das Aufenthaltsrecht bei Ausbildung und Studium. Der umfangreiche § 5 (S. 469 – 610) diskutiert die humanitäre Migration und das Flüchtlingsrecht. § 6 (S. 611 – 771) erläutert unter der Überschrift „Ehe und Familie“ ausführlich die Funktion der familienbezogenen Aufenthaltserlaubnis, den Familiennachzug zu Drittstaatsangehörigen sowie zu deutschen und den Elternnachzug zu minderjährigen ledigen Kindern. § 7 (S. 772 – 1040) befasst sich mit der Aufenthaltsbeendigung einschließlich des Verlusts des EU – Freizügigkeitsrechts sowie der Durchsetzung der Ausreisepflicht durch Abschiebung sowie sehr detailgenau mit den verschiedenen Möglichkeiten eines geduldeten Aufenthaltes (S. 996 – 1036). § 8 (S. 1040 – 1112) widmet sich den Voraussetzungen sowie der Durchführung von Abschiebungshaft und möglichen Rechtsschutzverfahren. § 9 (S. 1193 – 1300) stellt Einzelheiten des behördlichen und gerichtlichen Asylverfahrens dar.

Diskussion

Positiv hervorzuheben ist, dass Marx Zusammenhänge zwischen den Vorschriften herstellt, die oft an verschiedenen Stellen in einem Gesetz oder auch in unterschiedlichen Gesetzen sich finden. Bei der Darstellung der einzelnen Bereiche imponiert insgesamt, mit welcher Detailgenauigkeit einzelne praxisrelevante Fragestellungen z.B. beim Kindernachzug unter Einbeziehung der deutschen und europarechtlichen Rechtsprechung abgehandelt werden (S. 730ff).

Zum „didaktischen Aspekt“ des Handbuchs ist positiv hervorzuheben: 34 Musterschriftsätze (Verzeichnis der Muster: S. 15 f) und 19 Schaubilder, die im wesentlichen Prüfungsschemata zu den Voraussetzungen der jeweiligen gesetzlichen Regelung enthalten, (Verzeichnis: S. 17) erleichtern für PraktikerInnen den Umgang mit den oft sehr unübersichtlichen gesetzlichen Regelungen. Hilfreich zur schnellen Orientierung ist ebenfalls das jeweils den einzelnen Abschnitten/​Paragrafen vorangestellte ausführliche Inhaltsverzeichnis sowie das ebenfalls sehr ausführliche Stichwortverzeichnis (Seite 1301–1357), dass zuverlässige Orientierung zu Einzelfragen im Text bietet.

Praktische „Hinweise und Empfehlungen für die Migrationsberatung“ im Umfang von je zwei bis drei Seiten zu Beginn des jeweiligen Paragraphen des Buches sollen (und können!) insbesondere nicht juristisch ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Migrationsberatung ansprechen, Praxisprobleme aufzeigen und erläutern, wann anwaltlicher Rat zwingend erforderlich ist.

Wie in allen Vorauflagen referiert Marx auch in der 8. Aufl. angesichts der erheblichen Einflüsse des Unionsrechts sowie der europäischen Menschenrechtskonvention auf das nationale Aufenthalts- und Flüchtlingsrecht in erheblichem Umfang die aktuelle Rechtsprechung von EuGH und EGMR. Auch das dürfte nicht nur für Beratende, die keine juristische Qualifikation aufweisen oder im Umgang mit der oft schwer zu lesenden Rechtsprechung der europäischen Gerichtshöfe unvertraut sind, eine effektive Hilfestellung sein.

Hilfreich für die Beratungspraxis sind ebenso die umfangreichen Hinweise zur Vorbereitung der persönlichen Anhörung im Asylverfahren (§ 9 des Buches, Rn. 94ff, S. 1170 ff). Zu Recht weist Marx auf die zentrale Bedeutung der Anhörung für das Asylverfahren hin und damit auch und gerade für die Präzision der Darlegungen der Antragstellenden. Auch ein Hinweis auf die Anforderungen an die anhörenden Personen im BAMF zur Fairness im Verfahren fehlt nicht.

Zum neu eingeführten „Chancenaufenthaltsrecht“ (§ 104c AufenthaltsG – § 5 des Buches, Rn. 177a – o, S. 579- 586) kritisiert Marx deutlich, es sei schon wegen der Orientierung an einer Stichtagsregelung verfehlt: “Da das Gesetz auf Drittstaatsangehörige, die nach dem 31.10.2022 eingereist sind nicht anwendbar ist, dürfte ihm eine kurze Lebensdauer beschieden sein. Ganz offensichtlich meinte der Gesetzgeber, das Problem irregulärer Einreise innerhalb der nächsten fünf Jahre in den Griff zu bekommen; eine trügerische Hoffnung, wie die Flüchtlingspolitik seit Mitte der achtziger Jahre, also seit 40 Jahren, erweist“ … (S. 580, Rn. 177 b). „Bedenkt man darüber hinaus, dass nach Ablauf von 18 Monaten ein Rückfall in den früheren Status erfolgt, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 25a,25b,5 Abs. 1 AufenthG nicht nachgewiesen werden können, kann das mit § 104 c AufenthG unterbreitete Angebot des Gesetzgebers kaum als ernst gemeint bewertet werden. Der Gesetzgeber führt mit § 104c Abs. 1 S. 1 AufenthG die früher in § 102 Ausländergesetz geregelte Konzeption fort. Wird dies bedacht, eröffnet § 104c AufenthG keine Chance, sondern offenbart einen so nicht erwarteten Rückfall in eine verfehlte Migrationspolitik. (Rn. 177c, S. 581)“.

Hervorzuheben sind weiter die ausführlichen Erläuterungen zum Neustrukturierung des Duldungssystems (§ 7, S. 996 – 1036) sowie zur Herausnahme der Ausbildungsduldung aus § 60a Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG und die Überführung in eine eigenständige Norm § 60c AufenthG (§ 3 S. 283–308) – die allerdings zum 01.03.2024 bereits wieder geändert werden wird.

Wegen der großen praktischen Bedeutung wurden die Themen Klageerhebung und Eilrechtsschutz, Beweisantrag und Gehörsrüge im Asylverfahren weiter ausgebaut (S. 1191 – 1264 - mit Mustern).

Stets argumentiert Marx nachvollziehbar, nicht selten mit sehr eigenständig erarbeiteten, kritischen Positionen – angesichts von Komplexität und Vielfalt der angesprochenen Themen eine herausragende, vorbildliche Leistung. Sein Buch sollten nicht nur Anwält*innen, Richter*innen und Behördenmitarbeitende, sondern alle Praktiker*innen des Arbeitsbereichs als Orientierungshilfe und Praxisbegleiter zur Hand haben.

Kritische Anmerkungen:

Das Manuskript wurde Anfang 2023 abgeschlossen und konnte daher die neuesten Rechtsänderungen nicht mehr berücksichtigen, z.B. das am 23.06 2023 verabschiedete „Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung“ mit dem zentralen Punkt der Einführung einer Aufenthaltserlaubnis zur Berufsausbildung für ausreisepflichtige Ausländer mit Duldung (§ 16g), die voraussichtlich ab 01.03.24 die bisherige Ausbildungsduldung (§ 60c) ersetzen wird. Die zahlreichen ungelösten, für die Praxis aber sehr wesentlichen Rechtsfragen beim Übergang von § 60 c a.F. in § 16g n.F. AufenthG konnten leider noch nicht erörtert werden.

§ 23a AufenthG, die „Aufenthaltsgewährung in Härtefällen“, wird zwar an verschiedenen Stellen erwähnt (§ 5, Rn.194 – Härtefalldossier; § 9, Rn.64 - Kirchenasyl; § 3,63, § 5,Rn.140,193- Härtefallersuchen; § 7Rn.367 – Härtefallverfahren), aber nicht systematisch dargestellt, so dass Bezugnahmen auf dieses in der Praxis insbesondere bei Fällen von Kirchenasyl nicht unwesentliche Verfahren der „letzten Hoffnung“ nicht immer nachvollziehbar sind.

Zur Frage, ob die Gewährung von Kirchenasyl strafbar sein kann, bricht die Argumentation in § 5 des Buches (Rn. 194 – S. 601) ab. Es folgen in derselben Randziffer mehrere Absätze zum Chancenaufenthaltsrecht in a-typischen Fällen und bei Minderjährigen. Diese Ausführungen haben mit der Strafbarkeit der Gewährung von Kirchenasyl offensichtlich nichts zu tun – ein bedauerlicher Fehler, der offenbar beim Umbruch des Buches leider unkorrigiert blieb.

Sozialrechtliche Leistungsansprüche für (anerkannte) Flüchtlinge u.a. als Voraussetzung für Verfestigungen des Aufenthaltes werden an verschiedenen Stellen erwähnt, sind aber im Hinblick auf die Bedeutung von Sozialleistungen für die aufenthaltsrechtliche Praxis nach Meinung des Rezensenten kaum ausreichend. Letztlich erschließen Hinweise zum Sozialrecht sich eher über das Stichwortverzeichnis, als über Gliederungspunkte im Text. Hier wird man nicht umhinkommen, weitere Publikationen für praktische Frage heranzuziehen, z.B. „Sozialrecht für Zuwanderer“ von Dorothee Frings, Constanze Janda, Stefan Keßler und Eva Steffen, das in 2. Auflage 2018 im selben Verlag erschienen ist.

Die Diskussion zum Trennungsgebot in der Abschiebungshaft (§ 8 des Buches, RN 84; S. 1098f) ist inzwischen überholt, da die kritisierte Fassung des § 62a Abs1, S. 1 AufenthG bis 30. Juni 2022 befristet war und nicht verlängert wurde.

Fazit

Der Rezensent kennt z.Zt. kein Buch, das dem Handbuch von Marx gleichkäme in Ausführlichkeit, detail- und kenntnisreicher Argumentation zu Einzelfragen und Übersichtlichkeit der Darstellung dieser hochkomplexen, stark von wechselnden politischen Vorgaben und Änderungen abhängigen Materie. Es fehlt kaum ein Thema, das z.Zt. in der ausländer- oder flüchtlingsrechtlichen Diskussion erörtert wird. Der Preis sollte Beratungsstellen und Sozialarbeiter*innen nicht von der Anschaffung eines Buches abhalten, welches im Beratungsalltag zuverlässige Orientierung und wichtige Argumentationshilfe leistet.

Rezension von
Prof. Dr. Holger Hoffmann
Pensionierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Hochschule Bielefeld, Fachbereich Sozialwesen
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Es gibt 13 Rezensionen von Holger Hoffmann.

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Zitiervorschlag
Holger Hoffmann. Rezension vom 23.10.2023 zu: Reinhard Marx: Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht. Handbuch. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2023. 8. Auflage. ISBN 978-3-8487-7448-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30942.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.


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