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Andreas Stöffer: Mentalisierung in Supervision und Coaching

Rezensiert von Dipl. Soz.päd. Annette Plobner, 20.11.2024

Cover Andreas Stöffer: Mentalisierung in Supervision und Coaching ISBN 978-3-8288-4804-7

Andreas Stöffer: Mentalisierung in Supervision und Coaching. Ein Leitfaden psychodramatischer Prozesse. Tectum (Baden-Baden) 2023. 194 Seiten. ISBN 978-3-8288-4804-7. D: 39,00 EUR, A: 29,90 EUR.
Reihe: Beratung, Organisation und Coaching - Band 5.

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Thema

Das Buch will einen Beitrag zur Integration des Mentalisierungskonzeptes in die Formate Supervision und Coaching leisten mit dem Anspruch, mehr als nur Lösungsideen für das berufliche Handeln zu entwickeln. Die Mentalisierungsfähigkeit, also die Fähigkeit, die dem eigenen Verhalten zugrundeliegenden Gedanken, Gefühle und Absichten und die des Gegenübers angemessen zu interpretieren, wird als zentrale Fähigkeit zur Konfliktbewältigung und zu einer gelingenden Beziehungsgestaltung gesehen. Epistemisches Vertrauen soll durch positive Bindungserfahrungen gestärkt bzw. aufgebaut werden. Methodisch bezieht sich der Autor auf das Psychodrama und stellt enge Verbindungen zu diesem methodischen Ansatz her.

Autor

Der Autor Andreas Stöffer, der zum Psychodramatiker ausgebildet wurde, leitet das Education Support Center der Hochschule Stuttgart und ist als Supervisor und Coach tätig.

Entstehungshintergrund

Das Buch ist eine veröffentlichte Master Thesis im Rahmen des Studiums im Weiterbildung- master Studiengang Supervision, Organisationsberatung und Coaching der Hochschule Kempten.

Aufbau

Den Kapiteln, die inhaltlich sinnvoll aufeinander aufbauen, werden eine Zusammenfassung, ein Vorwort des Herausgebers, eine Danksagung des Autors, ein Abkürzungsverzeichnis und ein umfassendes Glossar vorangestellt. Kap.1 dient der Einleitung in die Fragestellung und stellt Theoriebezüge her. Das 2. Kap. bietet einen kurzen Überblick über die Beratungsformate, das Kap. 3 umfasst einen historischen Überblick über die Rollentheorie. Kap. 4 enthält bindungstheoretische Grundlagen. Das 5. Kap. stellt das Mentalisierungskonzept vor, Bezüge zum Psychodrama und dessen Grundlagen werden im 6. Kap. erläutert. Kap. 7 stellt die Wirkfaktoren in den Formaten Supervision und Coaching vor, das Fallbeispiel einer Gruppensupervision rundet die vorherigen Theoriebezüge ab. Kap. 9 widmet sich der Prüfung der eingangs formulierten Ausgangshypothese und Fragestellung, Würdigung und Schluss finden im 10. Kap. statt. Das Buch endet mit einem Literatur- und Stichwortverzeichnis.

Inhalt

Der Autor skizziert sein Vorgehen sowie seine Grundaussagen und Annahmen für den vorliegenden Leitfaden im 1. Kapitel. Deutlich wird die zentrale Bedeutung des Menschen in seinem zu gestaltenden Beziehungskontext, hier im Rahmen von Organisationen. Im Fokus steht die ganzheitliche Sichtweise auf Organisationen, deren Mitarbeiter*innen auf allen Ebenen über Beziehungsnetzwerke verbunden sind. Dabei hat die Beziehungsqualität enorme Auswirkungen auf das Miteinander in Organisationen, das häufig von Konflikten belastet ist. Diese Konflikte wirken sich – wenn nicht bearbeitet oder gelöst – schädlich auf die Arbeitszufriedenheit und Produktivität aus. Sichere Bindungserfahrungen sind ein zentrales Element und ein Schlüsselindikator für soziales Lernen und epistemisches Vertrauen in der mentalisierungsbasierten Supervision und Coaching (S. 5).

Theoriebezüge werden von Sigmund Freud über Georg Herbert Mead, Erwing Goffmann, Jacob Levy Moreno, John Bowlby, Peter Fonagy bis hin zu Reinhard Krüger hergestellt.

„Die zentrale Fragestellung, die der Autor für seine Arbeit entwickelt hat lautet: Wie müssen psychodramatische Prozesse begründet und gestaltet sein, damit sie epistemisches Vertrauen aufbauen und die Fähigkeit zu bewusstem Mentalisieren von Klient*innen in mentalisierungsorientierter Supervision und Coaching fördern?“ (S. 9).

Im 2. Kapitel werden in einem Kurzüberblick Beratungsformate vorgestellt und eingeordnet. Der Autor definiert diese hinsichtlich Verfahren, Settings, Methoden und Techniken. Auf die Notwendigkeit einer passgenauen Auswahl vor Beginn eines Beratungsprozesses im Rahmen der Kontraktbildung wird deutlich hingewiesen.

In die Welt der Theoretiker und Wissenschaftler der Rollentheorie führt das 3. Kapitel ein. Komprimiert wird die Theoriebildung und Entwicklung der Rollentheorie in den Sozialwissenschaften vorgestellt, die als Voraussetzung für die folgenden Kapitel dienen.

Im 4. Kapitel werden bindungstheoretische Grundlagen und Entwicklungen von Freud, Bowlby und Ainsworth zusammengefasst und besprochen. Ausgehend von der Möglichkeit, dass Menschen über ihre gesamte Lebensspanne hinweg ihre Bindungsstile über positiv gemachte Bindungserfahrungen weiter entwickeln können, ist die Bindungstheorie anschlussfähig und konzeptionell in die Mentalisierung integriert. Hier bezieht sich der Autor auf bereits entwickelte theoretische Zusammenhänge zwischen der Bindungstheorie und der Mentalisierung, um sie im weiteren Verlauf auf das Psychodrama im Format der Supervision und Coaching gewinnbringend anzuwenden.

Der Begriff der Mentalisierung wird im 5. Kapitel definiert und zentrale Begriffe, Theorien und Konzepte werden ausführlich besprochen. Verknüpfungen zur Entwicklung des Selbst, zu philosophischen Schulen, zu den Neurowissenschaften, der Neuropsychologie und der Verhaltensgenetik nach Fonagy et al, S. 60, werden hergestellt. Der Autor gibt erste Hinweise zur Bedeutung des Mentalisierungskonzeptes sowohl für die Supervision/​Coaching als auch für die Organisationsentwicklung. Weiterhin stellt der Autor mentalisierungsbasierte Therapie und Supervision theoriebasiert vor, Unterschiede zwischen beiden Anlässen (Therapie bzw. Supervision/​Coaching) werden markiert. Merkmale/​Techniken beider Arbeitsweisen lassen sich finden. Ein Fallbeispiel aus der Praxis der Organisationsentwicklung illustriert, wie ein Managementkonzept auf der Basis des Mentalisierungskonzeptes in der Zusammenarbeit beispielhaft aussehen kann. Peter Senge mit seinem Konzept und seiner Vision der lernenden Organisation mit dem Ziel, Mentalisierung zu fördern, dient als Rahmung für die Tätigkeit von Supervisor*innen in Organsationen, die sich zu mentalisierungsbasierten Organisationen entwickeln können.

Das 6. Kapitel stellt allgemeine und spezielle Grundlagen (Monodrama, Soziodrama, Soziometrie, kreativer Zirkel, soziokulturelles Atom, analytisches Psychodrama) des Psychodramas vor. Das „Psychodramatische Gespräch“ wird als Technik der mentalisierungsbasierten Supervision/​Coaching dargestellt. Durch den Als-ob Modus des szenischen Arbeitens wird nach Krüger „das innere Mentalisieren durch äußeres Spielen möglich“ (S. 100). Abbildungen der beispielhaften Gesprächssituation machen das Geschehen für den/die Leser*in gut nachvollziehbar. Eine übersichtliche Tabelle mit allen angewandten Psychodramatechniken und mentalisierungsorientierten Entsprechungen gibt einen klaren Überblick über die Verknüpfungen.

Das Kapitel 7 diskutiert die Bestimmung von Wirkfaktoren in Supervision und Coaching anhand von zwei beispielhaften Wirkfaktorenmodellen. Eine Anpassung der Begrifflichkeiten an psychodramatische Wirkfaktoren in Coaching und Supervision wird vorgestellt.

Das 8. Kapitel stellt im Rahmen einer Gruppensupervision eine psychodramatische Bühnenarbeit vor und analysiert diese rollentheoretisch und mentalisierungsorientiert auf verschiedenen Ebenen.

Im 9. Kapitel findet sich eine komprimierte Prüfung der zentralen Hypothese und Fragestellung aus dem 1. Kapitel, das Buch endet mit einer Würdigung im 10. Kapitel.

Diskussion

Andreas Stöffer widmet sich mit seiner Veröffentlichung der zentralen Frage nach den Zugängen und der Wirksamkeit von handlungsorientierten Interventionen auf der Basis des Mentalisierungskonzeptes im Format Supervision und Coaching. Die Fähigkeit, den eigenen inneren Zustand und den des Gegenübers zu lesen, ist ein ganz und gar nicht einfacher Vorgang. Insbesondere in Stress- und Belastungssituationen, die Konflikte mit sich bringen, ist die Fähigkeit zur Mentalisierung zeitweise oft stark eingeschränkt. Dieser theoriegeleitete sowie praxisorientierte Leitfaden bietet ein Gesamtkonzept, in dem mentalisierungsfördernde Interventionen für die Handlungsfelder Supervision und Coaching dem/der Leser*in gut nachvollziehbar zugänglich gemacht werden. Es bietet eine Fülle an Anregungen für die Theoriebildung aber auch für die Praxis.

Der Autor stellt sein Konzept in den Kontext von Organisationen, in denen die Wirkfaktoren von Supervision und Coaching Bestimmung finden. Der/die Leser*in wird mitgenommen auf einen historischen Rückblick auf Konzepte großer Denker, Theoretiker und Praktiker, auf deren Grundlagen sein Werk basiert, bevor er auf die Mentalisierung im Format Supervision und Coaching kommt. Bekannte Theorien werden mit entwicklungspsychologischen und neurowissenschaftlichen Erkenntnissen verknüpft. Die Verbindung mit dem Psychodrama bietet u.a. durch die Als-ob-Situationen und andere psychodramatischen Techniken erstaunliche Parallelen zum Mentalisierungskonzept. Psychodramatisches Lernen fördert die Fähigkeit des Perspektivwechsels und ermöglicht als handlungsorientiertes und szenisches Verfahren das Mentalisieren der Klient*innen. Das vorgestellte Fallbeispiel einer Gruppensupervision illustriert das Konzept des Mentalisierens und des epistemischen Vertrauens auf eine sehr nachvollziehbare und lebendige Weise. Weitere Darstellungen praxisorientierter Interventionen unterstreichen die praxisnahe Anschaulichkeit der zuvor ausgeführten Theorien.

Mentalisierung wird in diesem Buch nicht als Technik vorgestellt – der Autor lässt den/die Leser*in teilhaben an der Herausbildung einer grundsätzlichen Haltung, basierend auf hilfreichen Theorien und Konzepten für die Gestaltung des Reflexionsraumes der Supervisions- und Coachingarbeit. Mentalisierung ist in den Arbeitsfeldern der Psychotherapie, der Sozialen Arbeit und Pädagogik angekommen – für die Bereiche Supervision und Coaching lassen sich noch kaum Veröffentlichungen dazu finden. Damit schließt diese Arbeit eine fachliche Lücke.

Fazit

Besonders praktizierende Psychodramatiker*innen werden sich über die anregende Lektüre freuen, aber auch Supervisor*innen anderer methodischer Ausrichtungen können sich von dem Werk gewinnbringend inspirieren lassen.

Rezension von
Dipl. Soz.päd. Annette Plobner
Supervisorin DGSv
Psychodramaleiterin DFP
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Es gibt 8 Rezensionen von Annette Plobner.

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Zitiervorschlag
Annette Plobner. Rezension vom 20.11.2024 zu: Andreas Stöffer: Mentalisierung in Supervision und Coaching. Ein Leitfaden psychodramatischer Prozesse. Tectum (Baden-Baden) 2023. ISBN 978-3-8288-4804-7. Reihe: Beratung, Organisation und Coaching - Band 5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30952.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.


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