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Thomas Bliesener (Hrsg.): Lehrbuch Rechtspsychologie

Rezensiert von Wolfgang Schneider, 27.02.2024

Cover Thomas Bliesener (Hrsg.): Lehrbuch Rechtspsychologie ISBN 978-3-456-86116-6

Thomas Bliesener (Hrsg.): Lehrbuch Rechtspsychologie. Hogrefe AG (Bern) 2023. 2., überarbeitete Auflage. 650 Seiten. ISBN 978-3-456-86116-6. D: 69,95 EUR, A: 72,00 EUR, CH: 95,00 sFr.

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Thema

Die Rechtspsychologie ist ein faszinierendes Feld: Sowohl in der forensischen Psychologie als auch in der Kriminalpsychologie geht es darum, psychologische Theorien, Methoden und Erkenntnisse auf die umfangreichen Fragestellungen des Rechtswesens anzuwenden. Die Rechtspsychologie stellt somit ihr psychologisches Fachwissen der Gesellschaft zur Verfügung. Das Fach umfasst empirische Grundlagenforschung ebenso wie Diagnostik und Behandlung (etwa im forensischen Kontext). Es gibt zahlreiche interdisziplinäre Schnittstellen zur Sozialpsychologie, Medizin und natürlich zum Rechtswesen. Dieses Lehrbuch richtet sich an Studierende der Psychologie, Psycholog*innen, die im Feld der Rechtsmedizin arbeiten, sowie Studierende und Fachkräfte angrenzender Fachgebiete wie der Rechtsmedizin, der Rechtswissenschaften, der Kriminalistik oder auch der Sozialen Arbeit.

Autor:in oder Herausgeber:in

Prof. Dr. Thomas Bliesener lehrt und forscht am Institut für Soziologie der Universität Göttingen und arbeitet außerdem für das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen. Prof. Dr. Dr. h.c. Friedrich Lösel wirkt an der Universität Erlangen Nürnberg und am Institut für Psychologie & Institute of Criminology der Universität Cambridge. Prof. Dr. Klaus-Peter Dahle ist am Institut für Psychologie der Universität Hildesheim tätig. Neben den Herausgebern haben 35 Autor*innen Beiträge zu diesem Lehrbuch geliefert.

Entstehungshintergrund

Die Erstauflage ist 2014 erschienen, bei der nun vorliegenden Auflage handelt es sich um eine leicht modifizierte und aktualisierte zweite Version. Neben einer teilweisen neuen Gestaltung haben sich seit dem ersten Erscheinen Veränderungen ergeben in der Rechtspsychologie, denen mit der Neuauflage Rechnung getragen wird. Dabei geht es zum Beispiel um die kulturelle Diversität bei der rechtspsychologischen Diagnostik aber auch die Entwicklung von Radikalisierung in verschiedenen Bereichen.

Aufbau und Inhalt

34 Kapitel umfasst dieses Buch, die in die breite Palette der Rechtspsychologie einführen. Folgende Themenkomplexe wurden bereits in der Erstauflage behandelt und sind nun – überarbeitet und in verschiedenen Kapiteln behandelt – weiterhin Teil des Lehrbuchs:

  • Entwicklung und Gegenstandsbestimmung der Rechtspsychologie
  • Ätiologische Modelle der Devianz und Delinquenz
  • Polizeipsychologie/​Viktimologie
  • Psychologie der Gerichtsverhandlung und außergerichtlichen Konfliktregelung
  • Forensisch-psychologische Begutachtung
  • Kriminalprävention
  • Straftäterbehehandlung und Resozialisierung

Zu den Themenkomplexen sind folgende Kapitel in der zweiten Auflage neu dazugekommen:

  • Entwicklungskriminologische Ansätze
  • Radikalisierung und Extremisums
  • Interkulturelle Aspekte der Rechtspsychologie
  • Einführung in die Gerichtsbarkeit
  • Glaubhaftigkeitsbegutachtung im Asylrecht
  • Vollzugslockerungen und Lockerungsprognosen
  • Übergangsmanagement und postmurales Risikomanagement

Es würde an dieser Stelle dem Lehrbuch nicht gerecht werden, die einzelnen Kapitel nur kurz vorzustellen, um die Platzkapazitäten einer solchen Rezension sprengen. Daher sollen hier zwei Kapitel und ihre Inhalte näher vorgestellt werden. Alle Kapitel sind mit einem eigenen Literaturverzeichnis versehen.

Radikalisierung und Extremismus

Verfasser des Kapitels ist Andreas Beelmann, der eine Professur am Institut für Psychologie der Universität Jena innehat. Zunächst wird hier die statistische Relevanz des Themas dargestellt, bevor die Definition der Begriffe und die bestehenden Definitionsprobleme im Blickfeld stehen. Dabei wird deutlich, dass es bei „Radikalisierungsphänomen und der Beurteilung von Extremismus (…) um die dahinter stehenden Werte und Ziele und nicht um die Verwendung bestimmter Mittel (z.B. Gewalt)“ (S. 125) geht. Im Folgenden stellt Beelmann dann sechs Theorien der Radikalisierung vor: die Desintegrationshypothese, politische Unzufriedenheit und Statusverlustängste, das Stufenmodell zum Terrorismus, das Bedürfnis nach Bedeutung und Anerkennung, das Modell der differenziellen Pfade der Radikalisierung sowie das integrierte, entwicklungsorientierte Radikalisierungsmodell, das Beelmann selbst entwickelt hat. Im nächsten Kapitel geht es dann um Risiko- und Schutzfaktoren in Bezug auf Radikalisierungsprozesse, bevor der Autor zum Ende Überlegungen zur Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung anstellt.

Die strafrechtliche Entwicklungsreife junger Täter

Dieser Beitrag wurde verfasst von Klaus-Peter Dahle und Melanie S. Richter vom Institut für Psychologie der Universität Hildesheim, die zunächst kurz die rechtlichen Grundlagen vorstellen, also das Jugendgerichtsgesetz (JGG) und die Definition des Strafgesetzbuches bezüglich der Altersstufen. Eine kurze Textbox zu den Besonderheiten des Jugend- im Vergleich zum Erwachsenenstrafrecht rundet dieses Kapitel ab. Anschließend steht die bedingte Strafmündigkeit Jugendlicher nach § 3 JGG im Fokus. Ausführlich werden dazu die entsprechenden Kriterien „sittliche und geistige Entwicklungsreife“, „Einsichtsfähigkeit“, „Steuerungsfähigkeit“ erläutert als auch Schritt für Schritt die idiografische Einschätzung der strafrechtlichen Verantwortungsreife sowohl in Textform als auch in einer grafischen Darstellung erläutert. Den Abschluss bildet ein Kapitel zur relativierten Strafmündigkeit von Heranwachsenden nach § 105 JGG. Die Probleme bei der Anwendung dieses Paragrafen – zum Beispiel durch die „heterogene Anwendungshäufigkeit“ (S. 379) werden zunächst kurz beschrieben, bevor die Aspekte „Sittliche und geistige Entwicklungsreife“ und „Jugendverfehlung“, die in diesem Kontext maßgeblich sind, untersucht werden. Den Abschluss bildet sowohl in textlicher, tabellarischer als auch grafischer Form die Einführung spezieller methodischer Hilfsmittel zur Beurteilung des strafrechtlichen Entwicklungsstandes Heranwachsender.

Diskussion

Rund 650 Seiten dicht gefüllt mit profundem Wissen aus verschiedenen Bereichen der Rechtspsychologie – so lässt sich dieses Lehrbuch am einfachsten zusammenfassen. Das Buch lebt von der hohen Fachkompetenz der Autor*innen, denen es trotz des hohen Niveaus gelingt, die komplexen Inhalte in eine lesbare Sprache zu verdichten. Dass das gelingt, ist nicht selbstverständlich, sorgt aber letztlich dafür, dass eben nicht nur Fachkräfte mit viel Lebens- und Berufserfahrung verstehen, worum es geht, sondern eben auch Studierende. Das übersichtliche Layout mit punktuell eingesetzten grafischen Elementen tut sein Übriges dazu, dass dieses Buch für alle Leser*innen ein absoluter Gewinn sein dürfte – sei es, um das eigene Wissen zu erweitern oder um ganz konkrete Informationen zu einem der Themen zu finden.

Fazit

Das Fazit kann für dieses Lehrbuch denkbar kurz und knapp ausfallen: Es hält auf hohem Niveau genau das, was der Titel verspricht, und ist auch den hohen Preis unwidersprochen wert.

Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
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Zitiervorschlag
Wolfgang Schneider. Rezension vom 27.02.2024 zu: Thomas Bliesener (Hrsg.): Lehrbuch Rechtspsychologie. Hogrefe AG (Bern) 2023. 2., überarbeitete Auflage. ISBN 978-3-456-86116-6. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/30967.php, Datum des Zugriffs 14.12.2024.


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