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Darren Allen: 33 Mythen des Systems

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 04.10.2023

Cover Darren Allen: 33 Mythen des Systems ISBN 978-3-85371-520-8

Darren Allen: 33 Mythen des Systems. Ein radikaler Leitfaden durch die Welt und uns selbst. Promedia Verlagsgesellschaft (Wien) 2023. 224 Seiten. ISBN 978-3-85371-520-8. D: 22,00 EUR, A: 22,00 EUR.

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Mythos, Mirakel, Manifest

In den Zeiten der sich immer interdependenter, entgrenzender entwickelten Welt sind Stabilisatoren gefragt. Sie stellen sich als Ordnungssysteme und demokratische Verfasstheiten dar, die einen individuellen und kollektiven Perspektivenwechsel fordern; aber auch als traditionalistische, nationalistische, rassistische und populistische, zementierte Einstellungen. „Wie wollen wir leben?“, diese Frage stellen sich denkende und die Wirklichkeit reflektierende Menschen schon immer. Die Antworten sind unterschiedlich und vielfältig; und die Vorschläge, Rezepte, Diktate auch. Wenn es gut geht, entstehen dabei Reaktionen zum Paradigmenwechsel; wenn es schief läuft zu Einstellungen und Verhaltensweisen, bei denen nur noch selbstgemeinte und oktroyierte Informationen aufgenommen werden, und die globale Ethik, dass sich der Mensch bewusst sein solle, dass das Ich nur im Wir gut aufgehoben ist, nicht mehr verstanden wird. Treiber und Trittbretter sind dabei Projektionen, wie sie als Mythen unterwegs sind und Wirklichkeiten leugnen (Jean Baudrillard, Die Konsumgesellschaft. Ihre Mythen, ihre Strukturen, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/​18005.php).

Entstehungshintergrund und Autor

„Der Lack ist ab!“, mit dieser eher pessimistischen denn realistischen Einstellung verbreiten sich in lokalen und globalen Gesellschaften und Zivilisationen mystische Haltungen und irrationale Hysterien. Demokratische, freiheitliche, rationale und verfasste Politik wird zum Irrläufer und zur Maske des Systems deklariert. Wenn in dieser scheinbar unkorrigierbaren, kapitalistischen und menschenunwürdigen Situation Warner und Analytiker auftreten, werden sie entweder als „Heilsbringer“ oder „Brunnenvergifter“ bezeichnet. Lösungsmöglichkeiten stellen sich als „Zeitenwende“ oder „Zeitenende“ dar (Harald Welzer, ZeitenEnde, Politik ohne Leitbild. Gesellschaft in Gefahr, 2023, www.socialnet.de/rezensionen/​31393.php). Der britische Philosoph Darren Allen spricht aus, was sich Menschen hinter die Ohren schreiben sollten: „Die Mythen der Welt sind unsere eigenen, und sie zu entlarven, bedeutet uns selbst zu entlarven“.

Aufbau und Inhalt

Mit dem Leitfaden zum Weltbewusstsein und zur Weltanschauung verweist Darren Allen in seiner Studie „Mythen des Systems“ im Prolog darauf, dass in der Welt „etwas schrecklich falsch läuft, dass die Welt immer mehr der Hölle auf Erden gleicht, dass sie kurz vor dem Zusammenbruch steht“. Dabei stimmt er allerdings nicht in die esoterischen und politischen Weltuntergangsstimmungen ein, sondern fordert zur „revolutionären Alternative“, sogar zur „anarchistischen Wende“ auf. In der Einleitung skizziert er eine „kurze Geschichte des Systems“, um in den folgenden Artikeln 33 Mythen zu thematisieren:

  • Der Mythos der Wirtschaft,
  • des Geldes,
  • der Knappheit,
  • der (Klassen-)Gleichheit,
  • der Leistungsgesellschaft,
  • des Wettbewerbs,
  • der Wahlfreiheit,
  • der Freiheit,
  • der Wahrheit,
  • der Natur,
  • des Trickle-down,
  • des Fortschritts,
  • des Friedens,
  • des Gesetzes,
  • des Nettseins,
  • der Demokratie,
  • der Bildung,
  • der Autorität,
  • der Kultur,
  • vom Spaß,
  • der Arbeit/​Erwerbsarbeit,
  • der Einzigartigkeit,
  • der Wissenschaft,
  • des Relativismus,
  • der Religion,
  • der Geisteskrankheit,
  • der Psychologie,
  • der Professionalität
  • von Pseudogender und Monogender,
  • von der katastrophalen Beleidigung,
  • der Reform,
  • vom Sinn und
  • „von der ewigen Notwendigkeit“.

Bei der Aufzählung drängt sich der Eindruck auf, der Autor podestiere alles, was die Menschheit in der Welt bewegt und sich ereignet, gewissermaßen: „Ich weiß alles, und das sofort und richtig!“. Dass dabei ein Larifari herauskommen kann, ist er sich bewusst. Seine Suche nach einer intellektuell und freiheitlich weiterführenden Begrifflichkeit, die realistische Antworten auf Fragen – „Wer bin ich?“ und „Wie bin ich geworden, wie und was ich bin?“ (Joachim Bauer, Wie wir werden, wer wir sind. Die Entstehung des menschlichen Selbst durch Resonanz, 2022, www.socialnet.de/rezensionen/​29224.php) – mündet in die Begriffsfindung, die all die Imponderabilien zu umfassen vermag: DAS SYSTEM, „ein Begriff, der sich sowohl auf die Zivilisation als Ganzes als auch auf die vorherrschende, allumfassende, hyperentwickelte, postkapitalistische Weltordnung…, als auch … mit denen wir uns von ihm befreien können und werden“.

Diskussion

Gesellschafts- und Zeitanalysen sind dann informativ und aussagekräftig, wenn es ihnen gelingt, Hinweise und Bedenken so zu formulieren, dass sie Aufmerksamkeit im individuellen und öffentlichen, lokalen und globalen Diskurs und Aufforderungen zum Perspektivenwechsel finden. Sie ermöglichen ein „Dennoch!“ und „Trotzdem!“ gegen traditionalistische, fatalistische und machtorientierte Behauptungen, es gäbe zum aktuellen System keine Alternativen: „Das haben wir schon immer/noch nie so gemacht!“ – „Da könnte ja jeder kommen!“. Eine Antwort darauf ist richtig: „Jede Zeit ist eine Zeit des Wandels“ (Ken Follett). Man kann sich eine bessere Welt erträumen, Phantasien und Utopien entwickeln, wie es gelingen kann, dass die Menschen als Menschheit ein gutes, gelingendes, gerechtes, friedliches und humanes Leben führen können. Besser, erfolgreicher und wirklicher ist es, Mythen, Erzählungen und Überlieferungen kritisch zu reflektieren (Steffen Mau, u.a., Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft, 2023, www.socialnet.de/rezensionen/​31294.php). Es ist die ungeklärte Frage, ob Mystiker einzigartige, ausgewählte Menschen seien, oder ob jeder Mensch ein Mystiker wäre, ob der Mensch eine höhere und transzendente Natur besitze (Abraham H. Maslow, Jeder Mensch ist ein Mystiker, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/​16223.php), oder ob der Mensch ein Lebensglied wie jedes andere natürliche ist (siehe dazu auch: Philipp Staab, Anpassung. Ein Leitmotiv der nächsten Generation, 2022, www.socialnet.de/rezensionen/​30373.php).

Der aus dem oberpfälzischen, nordost-bayerischen, deutsch-böhmischen Grenzgebiet stammende, in Berlin und Ostafrika lebende Schriftsteller Max Stadler, hat die Studie vom Englischen ins Deutsche übersetzt. Dabei, das wird deutlich, fließt wohltuend und anerkennenswert sein interkulturelles Bewusstsein ein.

Fazit

Die unrealistische Erwartung, dass Darren Allen die „richtigen“, „einzigen“ Antworten auf dem Silbertablett präsentiert, lässt sich abtun. Die thematisierten Herausforderungen, sich bei den Auseinandersetzungen mit den aufgeführten Mythen immer wieder des kritischen Bewusstseins und Fragebedürfnisses zu versichern und die „objektiven Tatsachen, den objektiven Realismus“ zu berücksichtigen, führen schließlich zu den Vorschlag: „Sie müssen verrückt sein!“ – ver-rückt in dem Sinne, wissenschaftlich, ja sogar „anarchistisch“, in gewisser Weise „chaotisch“, aber „wahrhaftig“ zu denken.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1702 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245