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Qualitätsnetzwerk Schulbegleithunde e.V.: Qualität und Gleichwürdigkeit im Einsatz von Schulbegleithunden

Rezensiert von apl. Prof. Dr. Anne Amend-Söchting, 12.09.2024

Cover Qualitätsnetzwerk Schulbegleithunde e.V.: Qualität und Gleichwürdigkeit im Einsatz von Schulbegleithunden ISBN 978-3-8080-0941-3

Qualitätsnetzwerk Schulbegleithunde e.V.: Qualität und Gleichwürdigkeit im Einsatz von Schulbegleithunden. Verlag modernes lernen Borgmann GmbH & Co. KG. (Dortmund) 2023. 160 Seiten. ISBN 978-3-8080-0941-3. D: 21,95 EUR, A: 22,60 EUR, CH: 35,60 sFr.

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Thema

Dass allein die Anwesenheit eines Hundes für eine angenehme Atmosphäre in einem Klassenraum sorgt, dürfte sich inzwischen selbst bei solchen Lehrpersonen, Schüler:innen und Erziehungsberechtigten herumgesprochen haben, die sich nicht als Hundeliebhaber:innen bezeichnen würden. Auch an anderen Arbeitsplätzen haben Hunde nur positive Effekte, wie man z.B. in den Berichten über den „Bring-Your-Dog-To-Work-Day“ lesen kann. Je mehr Hunde an Schulen und Arbeitsplätze mitgenommen werden, je öfter sie Menschen mit ihrer Präsenz beglücken dürfen, desto wichtiger werden Standards für das Wohlergehen der Tiere und damit auch der Menschen. Einen herausragenden Stellenwert nimmt in diesem Kontext die Arbeit des Qualitätsnetzwerks Schulbegleithunde e.V. (QNS) ein.

Herausgeber und Autor:innen

Als Herausgeber des Sammelbands firmiert das Qualitätsnetzwerk Schulbegleithunde. Alle Autorinnen weisen vielfältige Erfahrungen mit hundegestützten Interventionen auf: Conny Pivit (Diplompädagogin und Förderschullehrerin i. R., die mehr als zehn Jahre lang von ihrer Hündin begleitet wurde), Lydia Agsten (Autorin des 2022 erschienenen Buches „Schulbegleithunde im Einsatz“, Förderschullehrerin i. R.), Kirsten Berger (Tiertrainerin, Dozentin, Autorin), Cornelia Dress (Diplom-Biologin), Grit Philippi (u.a. verantwortlich für die Schulhundteamweiterbildung der Einrichtung „Schnauzenwelt geht in die Schule“) und Gabi Orrù (Ausbildungslehrkraft, Dozentin und federführend für die Angebote bei „Fit for Schooldogs“). Weitere Autor:innen, die hier nicht namentlich genannt werden, kommen bei den beiden kollektiv verfassten Broschüren (s. weiter unten) hinzu.

Entstehungshintergrund

Die sieben Beiträge des Bandes fassen die Ergebnisse der vierten Schulhundkonferenz des Qualitätsnetzwerks zusammen, die im Mai 2021 online stattfand. Gerahmt werden sie von zwei Texten, die in nahezu identischer Form im Januar 2022 als Broschüren veröffentlicht worden sind und auf der Homepage des Netzwerks als PDF-Dateien abgerufen werden können (vgl. https://qns-schop.de/c/qns-broschueren-etc).

Inhalt

Zu Beginn geht es darum, Schulbegleithunde-Halter:innen grundlegend über die Themen Gewaltfreiheit und Gleichwürdigkeit zu informieren (Der Einsatz von Hunden in der Schule – Gleichwürdigkeit zeigen und leben). Gleichwürdigkeit zu leben bedeute, dass alle Kommunikationspartner:innen die Würde des:der jeweils anderen anerkennen. Dennoch sei die Beziehung zwischen Menschen und Hunden keine gleichberechtigte, weil die Verantwortung des Hundeverhaltens und -handelns beim Menschen liege. Zur Gleichwürdigkeit gehöre, dass man ressourcenorientiert arbeiten müsse. Hunde seien von Natur aus sozial und aus ihrer Erziehung sollten solide Mensch-Hund-Beziehungen resultieren. Eine tragfähige und qualitätsvolle Beziehung könne durch das Befolgen der vier Prinzipien der Gewaltfreien Kommunikation laut Marshall B. Rosenberg erreicht werden.

Zwar sei jede „Instrumentalisierung“ bzw. „Objektifizierung“ des Hundes unbedingt zu vermeiden, doch bereits der Einsatz als Schulbegleithund sei eine solche. Um für das Tier die Begleitung artspezifisch und individuell zu gestalten, biete das „Hedonische Budget“ (S. 18) einen geeigneten Rahmen. Es basiere auf „Autonomie“, „Schadensvermeidung“ „Fürsorge“ im Sinne der „Erfüllung der Grundbedürfnisse“ und „Gerechtigkeit“, diene also „einer art- und typgerechten Auslastung zur Erhaltung einer umfassenden Gesundheit“ (S. 19).

In der Kommunikation mit Hunden sei zwischen „Stichwort“, „Kommando“ und „Befehl“ (S. 19 ff.) zu differenzieren. Letzterer sei abzulehnen, denn alles, was ein Hund tue, müsse auf „Freiwilligkeit“ (S. 21) beruhen. „Erlernte Hilflosigkeit“ sei kontraproduktiv; ein Hund interagiere „dann freiwillig, wenn er sich ohne äußeren Zwang aus einer intrinsischen Motivation heraus dem Menschen zuwende“ (S. 22). Daher sei es indispensabel, alle Trainingsmethoden „kompetenzerzeugend“ und nicht „aversiv“ (ebd.) zu gestalten.

Einen wesentlichen Orientierungsrahmen biete ebenfalls das „One-Health-Konzept“, das sich als holistisch und interdisziplinär verstehe. „One-Health“ sei an der „Schnittstelle zwischen Menschen, Tieren und deren respektiven Ökosystemen, in denen sie und wir leben“ (S. 26) zu positionieren.

Der Einsatz des Hundes solle für alle Beteiligten angenehm und gewinnbringend sein; jede Einsatzethik gehorche pathozentrischen Maximen. Während in einer „anthropozentrischen Tierethik“ der Mensch das Maß aller Dinge sei, fokussiere und schätze man im Pathozentrismus auch „die Interessen der Hunde als empfindungsfähige Lebewesen“ (S. 28). Bei aller „Du-Evidenz“ (S. 29) sei „gleichwürdig“ nicht mit „gleichberechtigt“ synonym.

Aus den ethischen Standards, die man bereits 2008 im Schulhundweb niedergelegt habe, gehe für die Praxis hervor, dass die begleiteten Menschen jeden Tag neu überlegten, ob es im Einvernehmen des Hundes sei, mit in die Schule zu gehen. Um u.a. darüber klug entscheiden zu können, müssten Schulhundehalter:innen pädagogisch-didaktisch geschult sein und umfängliches Wissen über Kynologie und tiergestützte Interventionen besitzen. Im Übrigen existiere „der Schulbegleithund“ nicht. Eigenschaften bestimmter Rassen spielten keine Rolle und ebenso wenig sei der Hund ein „Co-Pädagoge“. In jedem Einzelfall müsse genau geprüft werden, ob sich der Hund für die Schule eigne, und immer müssten zentrale Regeln für den Hundeeinsatz gelten.

Zum Thema „Gleichwürdigkeit“ hat das Qualitätsnetzwerk Schulbegleithunde spezifische Unterrichtsmaterialien entwickelt, von denen einige vorgestellt werden.

Unter der Überschrift Gleichwürdigkeit zeigen und leben in der Arbeit mit Schulbegleithunden berichtet Conny Pivit, wie Gleichwürdigkeit in der täglichen Arbeit mit Schulbegleithunden umgesetzt werden kann. Der „selbsternannte Hauptjob unserer Hunde“ sei es, „uns fast ständig zu beobachten und unsere Stimmung und Emotionen einzuschätzen“ (S. 41). Tiere seien kompetent darin, auf ihre Menschen einzugehen, bei diesen jedoch bestehe mitunter Ignoranz. Hunde sollten das Recht haben, „dass wir ihre Sprache genauso lernen, wie sie unsere Körper- und Lautsprache“ (ebd.) verstehen. Menschen bestimmten weitestgehend das tägliche Leben von Hunden und Menschen sollten sich fragen, ob sie in der Lage seien, eine Situation so zu formen, dass der Hund partizipieren könne. Immer wieder solle ein Perspektivwechsel vorgenommen werden. Nicht nur der:die Halter:in, sondern auch die Kinder sollten den Hund so gut wie möglich „lesen können“ und „die kleinsten Signale kennenlernen“ (S. 45), um mit seiner Affektwelt vertraut zu werden.

Die Freiheit der Kinder und die der Hunde habe da Grenzen, wo Regeln fixiert werden müssten. Im sozialen Miteinander solle das Wohlergehen aller erzielt werden, der Hund solle freiwillig, aus intrinsischer Motivation heraus, interagieren. Es sei empfehlenswert, mit dem Hund so zu sprechen wie mit Kindern – er solle zwar Signalwörter lernen, aber es sei günstig, diese in ganze Sätze einzubetten. Durch eine gute Kommunikation mit dem Hund könne man Kindern in der Schule ein Modell für die Kommunikation mit Menschen bereitstellen.

Der Hund „spreche“ immer in „Ich-Sätzen“ – Menschen sollten versuchen, diese Sätze zu „hören“ und kommunikativ einzuordnen. Wenn man die Körpersprache des Hundes entschlüssele und dem Hund mit eindeutiger Körpersprache begegne, helfe man ihm wiederum, Menschen besser zu verstehen. Sprecher-Signale des Hundes könnten z.B. ein „Exit-Target“ sein, d.h. ein Gegenstand, der immer genutzt werde, wenn die gemeinsame Unterrichtszeit zu Ende sei. Mit der Zeit lerne der Hund möglicherweise, diesen Gegenstand dann zu holen, wenn er aufhören wolle. Wenn der Mensch immer auf dieselbe Weise auf Signale des Hundes reagiere, könne dieser allmählich lernen, das Signal aktiv zu nutzen. Er sei sogar imstande dazu, so wie in der unterstützten Kommunikation, mit besprochenen Tasten, z.B. mit „Talking Tiles“, Sätze zu bilden.

Gleichwürdigkeit im Training impliziere, den Hund so zu behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte. Der absolute Verzicht auf Gewalt und Zufügen von Schmerzen sei selbstverständlich. Im Rahmen eines guten Trainings sollten Hundehalter:innen und Schüler:innen lernen, den Hund oft und mit Begeisterung zu loben. Einen Leckerbissen zu verabreichen, sei nicht genug, ein begleitendes Lob gehöre dazu. Das Training sei mit einer Schul- oder Berufsausbildung zu vergleichen: Es mache Spaß – der Hund spüre und erlebe dabei seine Bedeutsamkeit. Wie viele Wiederholungen und wie viel Abwechslung notwendig seien, müsse immer für das jeweilige Hundeindividuum entschieden werden.

Regeln, ohne die man nicht auskomme, formuliere man für Menschen und Hunde gleichermaßen. Schüler:innen sollen angeregt werden, zu reflektieren, wie es dem Hund gehe und verständnisvoll sein, wenn der Hund nicht mitmachen wolle. Rollenspiele könnten den Kindern dabei helfen, sich in die Lage des Hundes zu versetzen.

Immer gelte es, „freie Kontakte“ mit dem Hund zu fördern (S. 63). Damit sich Kinder und Hunde als gleichwürdige Partner wahrnehmen könnten, müssten sich die Hunde ohne Leine im Klassenraum bewegen dürfen. Dabei ermögliche man beiden Seiten, frei über die Kontaktaufnahme zu entscheiden.

Zu differenzieren sei zwischen dem „Hund im passiven Einsatz“ und dem „Hund im aktiven Einsatz“, bei dem es unabdingbar sei, dass der:die Hundehalter:in den Hund genau beobachte und eventuell einschreite, wenn er unter- oder überfordert sei.

Conny Pivit präsentiert viele Ideen zur aktiven Einbindung des Hundes in den täglichen Unterricht: z.B. der „Lesehund“ oder der Hund, der dann, wenn die Kinder Matheaufgaben lösen, auch etwas „ertüftelt“, z.B. ein verstecktes Leckerli sucht. Ob der Hund beim Sportunterricht dabei sein könne, müsse im Einzelfall entschieden werden. Bei besonderen Projekten und Spielen indessen böten sich viele Gelegenheiten zur Partnerschaftlichkeit, sei es, dass der Hund bei einem Würfelspiel assistiere, beim Suchen in einem Team dabei sei oder in ein gemeinsames Memory, mit Bildern und Gerüchen, eingebunden werde. Bei all diesen Aktivitäten werde der Hund als gleichwürdiger Partner gesehen.

Im Titel des Beitrags von Lydia Agsten (Hunde in der Schule – Sicherheitsbewusstsein und Tierschutz – Zusammenfassung der Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung „Dogs working in schools – safety awareness and animal welfare“) wird die Studie genannt, um die es geht. E. M. Y. Bidoli, A. Firnkes, A. Bartels, M. Erhard und D. Döring veröffentlichten sie im September 2022 im Journal of Veterinary Behavior. Von Dezember 2015 bis Juli 2018 nahmen 54 bayerische Schulen mit Hund freiwillig daran teil. Aufgrund der Freiwilligkeit habe möglicherweise eine „Selektionsverzerrung“ (S. 80) stattgefunden.

Nach einem tierärztlichen Check wurden die Hunde mit ihren Menschen 45 oder 90 Minuten im Unterricht gefilmt (vgl. S. 80). Danach wurden die Sequenzen „u.a. nach der Differenzierung des Verhaltens der Hunde und Menschen in kritisch, problematisch und unbedenklich“ (S. 85) eingestuft.

Die Ergebnisse der Studie, die sich auf das Wohl der Hunde und auf das Sicherheitsbewusstsein der Menschen fokussiert habe, demonstrierten, dass nur 25 % der gefilmten Stunden als unbedenklich eingeordnet werden konnten. In der täglichen Praxis sei guter hundegestützter Unterricht eine größere Rarität, weil angenommen werden müsse, dass sich nur Lehrpersonen für die Studie angemeldet hätten, deren Selbsteinschätzung beim Umgang mit dem Hund gut gewesen sei.

Als „unbedenklich“ seien 42.6 % der Hunde klassifiziert worden, demgegenüber aber nur 31,5 % der Lehrer:innen und 31,5 % der Schüler:innen. Trotz der vielfach vorhandenen Weiterbildungsmöglichkeiten für Mensch-Hund-Teams hätten ca. 60 % der Teams keine solchen genutzt.

Für die Praxis der hundegestützten Pädagogik resultierten aus dieser Studie einige Punkte der Optimierung: 70 % der Hunde hatten keinen Ruheplatz, das Rückzugsverhalten der Tiere wurde oft nicht bemerkt oder aber ignoriert. Verhaltensregeln waren oft nicht bekannt oder es wurde nicht auf ihr Befolgen geachtet. Übergriffiges Verhalten war besonders häufig: sich über den Hund beugen, mehrere Personen nehmen gleichzeitig Kontakt zu ihm auf, klettern über ihn, umarmen oder küssen ihn, sind laut und stören die Ruhe des Hundes. Hygiene- und Notfallpläne lagen nur bei ca. einem Drittel der teilnehmenden Schulen vor; Präventionen von Ektoparasiten und regelmäßige Entwurmungen führten ca. 15 % der Hundehalter:innen nicht durch.

Mit der Frage bzw. Interjektion „Was Schulhunde können sollen müssen…?!“ widmet sich Kirsten Berger den Wünschen des Hundes. Ein:e Pädagoge:in, der:die sich mit dem Einsatz des Hundes in der Schule oft einen „Herzenswunsch“ (S. 101) erfülle, müsse sich immer fragen, ob dies auch der Wunsch des Hundes sei. Das Training des Hundes solle ausnahmslos „Methoden der positiven Verstärkung“ (S. 102) integrieren und dem lernenden Tier Wahl, Kontrolle und Selbstbestimmung bieten (vgl. S. 103). Die Ziele, dem Hund „unter einer wohlwollenden ‚Führung‘ Wahlmöglichkeiten“ bereitzustellen, ihm „Kontrolle über sich selbst und seine Handlungen zu geben“ und „mehr (Selbst-)Sicherheit und Vertrauen zu schaffen und damit Stress zu reduzieren“ (S. 104) seien folgendermaßen zu erreichen (S. 105 ff.):

  • „Ankündigungen“ – alle Aktionen mit und am Hund werden benannt, sodass Signale für konkrete Handlungen festgelegt werden.
  • „Kooperationssignale“ – sie helfen dem Hund, Kontrolle darüber zu erhalten, wie lange er Dinge mit sich geschehen lässt. Mit bestimmten Signalen, die lange gezielt trainiert werden müssen, kann er auf seine Befindlichkeit hinweisen.
  • „Sicherheitszone“ – der Hund weiß, dass er in der Nähe seines:r Halters:in eine Sicherheitszone hat, in der ihm nichts passieren kann.
  • „Weichen auf Erfolg stellen“ – gute Strukturen im schulischen Miteinander beinhalten Situationen und Anforderungen, die für den Hund so gestaltet sind, dass er sie meistern kann, ohne dabei frustriert zu werden.
  • „Rituale“ – sie dienen der Ordnung, beziehen sich z.B. auf das ruhige Ankommen im Unterricht und auch darauf, dass der Hund bei Bedarf immer wieder seine Ruhezone aufsuchen kann.
  • „Allgemeine Vorbereitung“ – Situationen, die für den Hund belastend sind und immer wieder vorkommen, müssen besonders eingeübt werden, damit der Hund über Coping-Strategien verfügt. Er muss wissen, „dass sein Mensch immer sein sicherer Hafen ist“.
  • „Eingewöhnung“ – eine Habituation an die Schule sollte dann vorgenommen werden, wenn kein Unterricht stattfindet. So lernt der Hund die Räumlichkeiten kennen und weiß, dass ihm in ihnen keine Gefahr droht. Klassische Konditionierung bewirkt die Verknüpfung schulischer Bereiche mit Angenehmem.
  • „KEINE Instrumentalisierung des Hundes“ – im Mittelpunkt aller Überlegungen steht immer das, was für den Hund zumutbar und was ethisch vertretbar ist. Aktionen wie Verkleidungen für den Hund sind abzulehnen, weil sie das Tier instrumentalisieren.

„Nicht wenn wir den Hund schulen, sondern wenn wir die Schule hundlicher machen, bekommen die SchülerInnen, was sie wirklich brauchen!“ – diese These stellt Cornelia Drees ihrem Beitrag voran. Es sei die Aufgabe von Pädagog:innen, Hunden und Kindern dabei behilflich zu sein, ihnen Sicherheit und Modelle zu geben, um ihre autonome und genuine Form zu entwickeln. Nicht ihre Aufgabe sei es, Hunde und Kinder zu formen. Ein Hund müsse „in aller Ruhe ankommen“, „um in Ruhe wirken zu können“ (S. 114), er assistiere insofern bei der Grundlagenarbeit der Pädagogik, als er Kinder unter anderem dazu anregen könne, ihre „Wurzelkompetenzen, wie Selbstwahrnehmung und Gefühlsregulierung“ (S. 115), auszubilden. Um dies zu erreichen, müsse der Hund in der Lage sein, „eigenständige Arbeit“ (S. 118) zu leisten. Der Weg dahin sei kein einfacher, denn der Hund benötige „für seine kindliche Neugier einen Begleiter“ (S. 118), der ihn so akzeptiere, wie er sei, der ihm aber deutliche Regeln vermittle. „Hundliche“ Gemütlichkeit hinter der Klassentür verbreite sich dann, wenn man weder Kinder noch Hund unter Druck setze, sondern man beiden innerhalb eines Regelgefüges genug Freiheit lasse, ihre Aufgaben zu bewältigen und sich selbst zu finden. Davon profitiere auch jede:r involvierte Erwachsene:r.

Mit der Frage, wann der richtige und gar perfekte Zeitpunkt für den Ruhestand des Schulbegleithundes gekommen ist, beschäftigen sich Grit Philippi und Gabi Orrù (Auch Schulbegleithunde haben ihren Ruhestand verdient!). Grit Philippi erzählt von ihrem Hund Willi, der sie neun Jahre lang bei ihrer Tätigkeit an einer Schule für psychisch erkrankte Kinder begleitete. Wann ein Hund alt sei, könne man nicht genau sagen; sie habe gemerkt, dass Willi schneller ermüdete. Als er 11 Jahre alt war, wurde er mit einer Zeremonie aus seiner zehn Jahre währenden Tätigkeit verabschiedet. Gabi Orrù betont, dass jeder Hund individuell zu beurteilen sei – es gebe für seinen Einsatz in der Schule keine Altersbeschränkung. Anzuraten sei, ab einem bestimmten Zeitpunkt die Rahmenbedingungen zu verändern, ihn nur in kleinere Gruppen mitzunehmen und/oder lediglich zu bestimmten Zeiten. Um Alterungsprozesse beim Hund erkennen zu können, listet die Autorin mögliche Indikatoren dafür – von grauen Haaren bis hin zur Orientierungslosigkeit – und legt dar, wann ein Tierarztbesuch zur Abklärung notwendig ist.

Jede:r Pädagoge:in, der:die seinen:ihren Hund im Unterricht einsetzen möchte, hat die Qual der Wahl – Welche Hundeschule für mich und meinen Hund?!. Sinnvoll sei es, sich in einer „Schnupperstunde“ eine Trainingseinheit ohne den eigenen Hund anzusehen. Grundlage sei immer ein:e fachlich versierte:r Trainer:in. Als weitere Kriterien nennt die Autorin (vgl. S. 134 ff.):

  • Ausbildung ohne aversive Trainingshilfsmittel, d.h. „keine Verwendung von (Stark)Zwang“, keine Würge- oder Stachelhalsbänder, deren Einsatz in Deutschland inzwischen per Tierschutzgesetz verboten ist.
  • Die Arbeit mit „positiver Verstärkung“ sei in den meisten Hundeschulen zwar Standard, doch immer dann, wenn ein Hund den Anschein erwecke, problematisch zu sein, setzten viele Trainer:innen immer noch aversive Methoden ein, wie z.B. Rappeldosen, Leinendruck oder „Cuts“, d.h. Kneifen in die Bauchfalte. Das ist dezidiert zurückzuweisen.
  • Trainer:innen haben eine fundierte Ausbildung durchlaufen, nicht nur im Umgang mit Hunden, sondern auch mit Menschen.
  • Am besten ist eine Mischung aus Erfahrung und Ausbildung.
  • Trainer:innen sollten sich ihrer eigenen Grenzen bewusst sein und ggf. an eine:n erfahrenere:n Kollegen:in verweisen.
  • Sie halten ihr Wissen auf dem aktuellen Stand; in ihrer Arbeit sind sie flexibel und kreativ. Sie bedienen sich vielfältiger Methoden, weil sie wissen, dass nicht alle Methoden für jeden Hund geeignet sind.
  • Weiterbildungen, der Austausch unter Kolleg:innen und Supervisionen finden regelmäßig statt.
  • Trainer:innen müssen erkennen, ob Hundehalter:innen riskieren, sich zu überfordern.
  • Eine stationäre Ausbildung ohne die Bezugsperson des Hundes wird immer abgelehnt.
  • Man nutzt das Verhalten des Hundes als Indikator für Qualität (geht er gern hin?) und richtet sich ansonsten nach dem eigenen Bauchgefühl.

Passend zu diesen Ausführungen schließt der Band ab mit den Standards für Weiterbildungs-AnbieterInnen im Qualitätsnetzwerk Schulbegleithunde e.V., die der erweiterte QNS-Vorstand mit ca. 30 QNS-Dozent:innen entworfen hat. Die detailliert und differenziert erarbeiteten Standards, die bei den Anforderungen an die QNS-Anbieter:innen beginnen, sich mit den Voraussetzungen der Hunde und danach mit den Voraussetzungen der Hunde-Besitzer:innen für die Weiterbildung fortsetzen, außerdem den Einstieg in die Weiterbildung, ihre Organisation sowie Fragen rund um ihre Inhalte, Ziele, Aufgaben für die Teilnehmer:innen und die Abschlussprüfung klären, können online nachgelesen werden.

Diskussion

Was ausnahmslos den umfassenden Themen des Titels sowie allen Subthemen der vorliegenden Publikation zugrunde liegt, ist das Design einer praxisorientierten und hochwertigen tier- bzw. hundegestützten Pädagogik, deren ethische Leitlinie in der unantastbaren und nicht zu hinterfragenden Gleichwürdigkeit von Mensch und Hund besteht. Der Begriff der Gleichwürdigkeit impliziert, dass Menschen ihren Hunden auf Augenhöhe begegnen, sie artgerecht behandeln und sie nicht oder zumindest nicht über Gebühr anthropomorphisieren. Sehr konsequent dazu wird das Konstrukt des Anthropozentrismus von Pathozentrismus ersetzt. Die Klärung dieses Prinzips ist genauso gut gelungen wie die Exemplifizierung der Mensch-Hund-Interaktion mit den Schritten der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg.

Unmissverständlich heben die Autor:innen hervor, dass die begleitenden Hunde als individuelle Wesen, als „Du“ wahrgenommen werden müssen. Ihnen sei ein Name gegeben worden und somit bestehe eine „Du-Evidenz“, sodass der eine besondere Hund für seine nicht minder besonderen Menschen sich von seinen Artgenossen und den anderen Menschen abhebe.

Genauso begrüßenswert sind die Ausführungen zur One-Health-Idee, denn mit ihr konkretisiert sich einmal mehr, dass den Mitgliedern des Qualitätsnetzwerks zum einen ein transdisziplinärer Ansatz und zum anderen die Vernetzung von Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen am Herzen liegt.

In den einzelnen Beiträgen offenbart sich die Verquickung von Theorie und Praxis ganz unterschiedlich. Die Einleitung jedenfalls legt nahe, dass in erster Linie ein Handbuch für die Praxis entstehen sollte, um die Leser:innen anzuregen, „den Umgang mit ihrem Hund an einigen Stellen zu überdenken oder sich in ihrer Sicht der Dinge bestätigt zu finden“ (S. 8). Dieses Ziel ist uneingeschränkt erreicht worden. Dem wissenschaftlichen Anspruch genügen viele Quellenverweise und Fußnoten, die nicht zuletzt Anregungen für die Vertiefung der Themen enthalten. Dennoch bleibt ein Literatur- und Quellenverzeichnis am Ende des Buches zu vermissen. Eine aktuelle Basisbibliografie würde den Inhalt perfekt ergänzen.

Ungeachtet dessen dürfte ein schlaglichtartiger Abschlussblick auf die Artikel des Bandes jeden hundeliebenden Menschen erfreuen:

Conny Pivit plädiertdafür, auszuprobieren, mit dem Hund so zu reden wie mit Kindern – mit kongruenter Kommunikation, in der Befehle nichts zu suchen haben. Wenn sie schreibt, dass der Hund mehr Wörter verstehe, als man annehme, illustriert sie die stets zu vollziehende Gratwanderung innerhalb der pathozentrischen Herangehensweise: einerseits findet eine recht weitgehende Annäherung an den Menschen statt, andererseits heißt es aber immer, im Blick zu haben, dass Hunde andere gleichwürdige Lebewesen sind.

Sehr erfrischend ist, dass Conny Pivit die althergebrachten Kommandos – Sitz, Platz, Bleib usw. – gegen den Strich bürstet. Ob das für jedes Hundeindividuum praktikabel ist, sei dahingestellt, aber hier zählt allein die Überlegung, welche Signale wirklich sinnvoll sind und welche nicht.

Viele hundegestützt arbeitende Pädagog:innen werden das Füllhorn an Ideen für die Arbeit mit dem Hund im Klassenraum zu nutzen wissen und dabei immer wieder reflektieren, worauf Pivit zurecht sehr großen Wert legt, nämlich ob es dem Hund bei diesen Einsätzen gut geht.

In der Studie, die Lydia Agsten vorstellt, ist sehr differenziert nachzulesen, wie bedenklich der Einsatz von Hunden in der Praxis ist. Zweifelsfrei lässt sich daraus ableiten, dass es verbindliche Standards für Mensch-Hund-Teams geben muss, deren Einhaltung kontrolliert wird.

Eine der wichtigsten (früh-)pädagogischen Themen ist Partizipation. Dass die damit einhergehenden Herausforderungen vor der Arbeit mit Hunden nicht haltmachen, verdeutlicht unter anderen Kirsten Berger. Sehr anregend ist es, zu lesen, dass man dem Hund beispielsweise einmal die Möglichkeit geben solle, den Weg selbst zu wählen oder ihn entscheiden zu lassen, wie lange er mit einem Artgenossen spielen möchte. Auf diese Weise kann man sich vom Konstrukt der Dominanz verabschieden und hundegerechte Mitbestimmung an seine Stelle treten lassen. Gleichwürdigkeit meint, und das zeigt sich hier, dass weder der Mensch seinen Hund regieren sollte noch der Hund seinen Menschen. Letzteres ist wohl immer noch eine Gefahr, die nicht wenige Hundehalter:innen wittern, wenn sie einen Teil ihrer Herrschaft abgeben.

Kirsten Berger rät – so wie ähnlich zuvor Conny Pivit und eigentlich kann dies nicht oft genug repetiert werden –, mit Hunden so umzugehen, wie man mit kleinen Kindern umgehen würde: alles, was man in ihrem Umkreis tut und alles, was man an ihnen verrichtet, z.B. das Bürsten des Fells, muss angekündigt werden. Es ist ein Zeichen von Wertschätzung und Akzeptanz, alle Aktionen mit Sprache zu begleiten und Dinge zu benennen, sodass der Hund sich orientieren kann und nach den notwendigen Wiederholungen verlässlich weiß, was geschieht bzw. was von ihm erwartet wird.

Zwar sind der Stil und die Konzeption des Beitrags von Cornelia Drees – vermutlich wurde ein Vortrag unverändert abgedruckt – gewöhnungsbedürftig und streckenweise leicht „flapsig“. Dennoch bringt die Autorin ein ganz zentrales Paradoxon auf den Punkt: Der Hund muss sich selbst treu bleiben, sich aber dennoch anpassen. Er braucht seine:n Halter:in als sicheren Hafen, der:die aber Exploration fördert. Explorieren im Bewusstsein, an Seele und Körper unversehrt zu bleiben, dabei Grenzen zu erfahren und diese gleichzeitig austesten zu dürfen, gilt für Kinder und Hunde gleichermaßen, dient dem Aufbau einer sicheren Bindung und damit ebenso der Resilienz gegenüber vielen Unbilden des Lebens. Ein derart geprägter Hund ist einem guten Unterrichtsklima im Allgemeinen förderlich und wird mit Freude an kleinen Aktionen und größeren Projekten teilnehmen.

Kinder brauchen „nicht erst Tiere […], wenn sie Probleme haben, sondern […] kriegen“ Probleme, „wenn sie nichts Tierisches als Entwicklungshelfer und Wurzelbildner zur Verfügung haben. Kinder brauchen Tiere, um sie selbst zu werden“ (S. 121). Besser ließe sich die Reflexion über das Ziel der „Hundlichkeit“ im Schulalltag nicht bilanzieren.

Sehr lobenswert ist es, darüber nachzudenken, wann ein Schulhundeeinsatz beendet werden sollte. Auch das Begleittier, so Grit Philippi und Gabi Orrù, könne beanspruchen, im Abseits seines Einsatzes einen ruhigen Lebensabend zu verbringen. Für alle Hundebesitzer:innen hilfreich sind Anzeichen der Alterung, die gelistet werden, und zusätzlich die daran jeweils anschließenden Fragen, ob eine tierärztliche Abklärung notwendig sei.

Augen auf bei der Wahl der Hundeschule, so die zentrale Maxime von Kirsten Berger. Dass es viele „schwarze Schafe“ gibt, dürfte der Wahrnehmung vieler Hundehalter:innen entsprechen. Jede Einrichtung muss einem genauen „Briefing“ unterzogen werden, bevor man sich für sie entscheidet.

Das Fazit, das Kirsten Berger in ihrem ersten Beitrag zieht, kann als Resümee für den gesamten Band stehen: „Die wichtigste Frage sollte daher nicht lauten ‚Was kann ich meinem Hund alles für die Schule beibringen‘? Sondern: ‚Wie geht es meinem Hund in der Schule und bin ich in der Lage, dies objektiv zu beurteilen?‘“ (S. 111).

Fazit

Die Autor:innen des Qualitätsnetzwerks Schulbegleithunde haben ein Buch vorgelegt, dessen Lektüre nicht nur allen nahegelegt werden sollte, die Hunde in der Schule einsetzen oder planen, dies zu tun. Rundum empfehlenswert ist es vielmehr für alle Hundehalter:innen, insbesondere für all jene, die an veralteten und aversiven Methoden der Hundeerziehung festhalten. Von der Lektüre profitieren können zudem Eltern und/oder Erziehungsberechtigte, die sich mit dem Gedanken tragen, einen Hund in ihre Familie aufzunehmen, genauso zukünftige „Ersthundehalter:innen“ im Allgemeinen, damit sie lernen, dass Hunde gleichwürdige Partner und weder Spielzeuge noch Befehlsempfänger sind.

Rezension von
apl. Prof. Dr. Anne Amend-Söchting
Literaturwissenschaftlerin (Venia legendi für Romanische Literaturwissenschaft, Französisch und Italienisch) sowie Dozentin an einer Fachschule für Sozialpädagogik.
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Es gibt 42 Rezensionen von Anne Amend-Söchting.

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ISSN 2190-9245