Patrick Fornaro, Nicole Szesny-Mahlau et al.: Traumatherapie mit Kindern und Jugendlichen
Rezensiert von Dr. Alexander Tewes, 25.04.2024

Patrick Fornaro, Nicole Szesny-Mahlau, Johanna Unterhitzenberger: Traumatherapie mit Kindern und Jugendlichen. Eine Orientierungshilfe für die Behandlung der (komplexen) PTBS. Junfermann Verlag GmbH (Paderborn) 2023. 280 Seiten. ISBN 978-3-7495-0442-8. D: 38,00 EUR, A: 39,10 EUR.
Thema und Entstehungshintergrund
Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) im Kindes- und Jugendalter hat in den vergangenen Jahren rasant an Relevanz in der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen gewonnen. Nicht zuletzt durch die Herausforderungen mit denen sich Schule, Gesellschaft, Gesundheitssystem und vor allem die Betroffenen selbst im Rahmen von Pandemie, Krieg und Vertreibung konfrontiert sehen, wurde die Sensibilität im Hinblick auf dieses Störungsbild zunehmend geschärft. Hierbei wurde nachdrücklich deutlich, wie häufig die Störung auch unabhängig von diesem Kontext auftritt. Wenn man die Prävalenzraten betrachtet wird deutlich wie hoch das Risiko ist, eine entsprechende Störung zu entwickeln. So liegt das Risiko, im Verlauf des Lebens ein potenziell traumatisierendes Ereignis zu erleben je nach Diagnosekriterien bei 40–60 % oder deutlich höher. 25–30 % aller Betroffenen entwickeln Symptome einer PTBS, die Lebenszeitprävalenz für die Entwicklung einer PTBS nach einem traumatischen Ereignis liegt bei etwa 4 % in der Allgemeinbevölkerung (Kessler et al., 2017; zit. nach Steil et al., 2023). Damit gehört die PTBS zu den häufigeren psychischen Störungen. Zwischen 2008 – 2017 hat sich die Diagnosehäufigkeit der PTBS in Deutschland mehr als verdoppelt. Dennoch werden immer noch viele Fälle nicht diagnostiziert.
Obwohl es auch im Rahmen der Behandlung von PTBS sowohl für Erwachsene als auch für Kinder und Jugendliche umfassende gut erforschte Empfehlungen gibt die von den S3-Leitlinien empfohlen werden (Schäfer et al., 2019), so ist der Disseminationsgrad im Rahmen der behandelnden Therapeut:innen leider immer noch bedauernswert gering. So äußern sich viele in der Routineversorgung tätige Psychotherapeut:innen gegenüber evidenzbasierten Behandlungen im allgemeinen kritisch („science-practitioner-gap“; Lilienfeld et al., 2013; zit. nach Steil et al., 2021). Im Bereich der PTBS-Versorgung ist diese Lücke aufgrund mangelhafter Dissemination besonders groß (Steil et al. 2021). Wenn man also einerseits den Bedarf an entsprechenden Therapieformen dem aktuellen Angebot gegenüberstellt, so wird schnell deutlich, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht.
Glücklicherweise wird hieran bereits umfassend gearbeitet: So konnte im Rahmen einer bundesweiten Multicenterstudie die Wirksamkeit der Traumafokussierten kognitiven Verhaltenstherapie (TF-KVT) für Kinder und Jugendliche nachgewiesen werden (Goldbeck et al., 2017), derzeit läuft eine bundesweite Disseminationsstudie (BESTFORCAN). Das Autor:innenteam war und ist an beiden Studien zentral beteiligt.
Autor:innen
Dr. Patrick Fornaro ist Psychologischer Psychotherapeut (VT) und behandelt in eigener Praxis in München. Zudem arbeitet er als Dozent und Supervisor mit Schwerpunkt auf Traumafolgestörungen.
Dr. Nicole Szesny-Mahlau ist Psychologische Psychotherapeutin (VT) mit eigener Praxis in München. Ihr Schwerpunkt sind Traumafolgen über die Lebensspanne.
Prof. Dr. Johanna Unterhitzenberger ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und Professorin für klinisch-psychologische Sozialarbeit an der TH Rosenheim. Zuletzt war sie auf der Station für Kinderpsychosomatik in Altötting tätig.
Das Autor:innenteam hat an den bereits erwähnten Studien mitgewirkt und hat zudem eine Onlineplattform zur Vernetzung von Menschen, die mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen arbeiten, ins Leben gerufen (https://trauma.help/). Sie sind alle vor allem im Verfahren der TF-KVT ausgebildet und haben das Buch entsprechend aufgebaut.
Aufbau und Inhalt
In der Einleitung machen die Autor:innen deutlich, dass sie im Rahmen ihrer Workshops häufig die Rückmeldung erhalten hätten, dass vor allem die berichteten praktischen Erfahrungen hilfreich gewesen seien. Demzufolge sei das Ziel gewesen „aus der Praxis für die Praxis“ zu schreiben (S. 9). Das Buch sei „mehr als kollegialer Austausch denn als Lehrbuch oder als Manual“ zu verstehen (S. 11). Entsprechend wurden immer wieder viele anonymisierte Fallbeispiele eingearbeitet. Auch wenn der eigene Hintergrund primär kognitiv-verhaltenstherapeutisch sei und sich die vorgestellten Methoden vor allem an der TF-KVT orientieren, so sei das Ziel gewesen, auch für andere Methoden – z.B. EMDR – hilfreiche Anregungen zu liefern.
Zusätzlich kann das Buch als E-Book mit diversen Arbeitsblättern heruntergeladen werden.
1. Der Weg in eine passgenaue Behandlung
Im einleitenden Kapitel werden Informationen zu Prävalenzraten und Auswirkungen traumatischer Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen dargestellt. Es wird auf die Diagnostik nach den gängigen Klassifikationssystemen (ICD-10 & -11) eingegangen, Entstehungsmodelle sowie daraus resultierende Behandlungsrationale vorgestellt und Ziele und Struktur einer bedarfsorientierten Traumabehandlung skizziert. Die Autor:innen entwickeln ein eigenes Stufenmodell der Therapie, in der unabhängig von der Methode eine Traumatherapie in folgendem Ablauf erfolgen sollte:
Stufe 1: Äußere Sicherheit
Stufe 2: Wissen, Bereitschaft & Befähigung
Stufe 3. Traumabearbeitung
Stufe 4: Neuausrichtung & Lebensthemen
Grundlage für ein entsprechendes Vorgehen sei eine vertrauensvolle Therapiebeziehung und ein Einbezug der engsten Bezugspersonen. Dieses Stufenmodell könne für die gesamte Therapie, aber auch im Rahmen einzelner Sitzungen als „Kompass“ für die Behandlung dienen. Entsprechend wurde das Buch auch in die folgenden Kapitel gegliedert.
2. Die tragfähige Beziehung in der traumafokussierten Therapie
Da die therapeutische Beziehung einer der zentralen Wirkfaktoren einer Therapie und einer Traumatherapie insbesondere ist, verdeutlichen die Autor:innen zunächst, wie diese in diesem Kontext erarbeitet werden kann. Es gelte, den Patient:innen zu vermitteln, dass sie im therapeutischen Kontext einen „sicheren Hafen“ finden können (S. 53 ff.), bei dem eine gute Verortung im Hier und Jetzt ermöglicht wird. Des Weiteren skizzieren sie ein Prozessmodell zu Selbst- und Koregulation in fünf Schritten:
Schritt 1: Sei präsent, beobachte und beschreibe genau!
Schritt 2: Erkenne, was es braucht!
Schritt 3: Versorge dich!
Schritt 4: Versorge das Kind!
Schritt 5: Entwickle dich weiter!
Abschließend wird noch umfassend auf das Thema Psychohygiene eingegangen. Hierbei wird deutlich, dass die Autor:innen viel Erfahrung in der Supervision haben.
3. Sicherheitsaspekte bei der Therapieplanung und während des Therapieprozesses
Bevor die eigentliche Traumatherapie beginnen kann, sind besonders bei diesem Störungsbild einige Sicherheitsaspekte zu bedenken. Es wird auf Sicherheit im Alltag der Patient:innen eingegangen, wobei sowohl Eigengefährdung durch beispielsweise suizidale Impulse als auch Fremdgefährdung durch Täterkontakte Berücksichtigung finden. Notfallplanung, Kinderschutz, aktuelle Belastungen und auch juristische Fragen werden bearbeitet.
4. Wissen, Bereitschaft und Befähigung
Da Vermeidung eins der zentralen Symptomcluster der PTBS ist, ist eine adäquate Psychoedukation Grundlage jeder Traumatherapie. In diesem Kapitel werden Beispiele für eine Traumafokussierte Psychoedukation im Hinblick auf Symptomatik, Folgen und Therapie geliefert.
5. Die traumatischen Erinnerungen bearbeiten
Da das Autor:innenteam seinen Schwerpunkt in der TF-KVT hat, wird hier das entsprechende Vorgehen in den Fokus genommen. Dementsprechend erläutern sie umfassend sie die Arbeit mit Traumaberichten (Traumanarrativen), auf alternative Methoden der Traumabearbeitung (z.B. mittels EMDR) wird nicht weiter eingegangen.
6. Die Arbeit mit schmerzlichen Gedanken
Ein Trauma beeinflusst häufig gravierend, wie Menschen sich und die Welt sehen. Die kognitive Verhaltenstherapie arbeitet demzufolge auch mit entsprechenden traumassoziierten Überzeugungen, die einer adäquaten Verarbeitung des Erlebten im Weg stehen. Wie dies geschieht, wird in diesem Kapitel erläutert.
7. Die Arbeit mit schmerzlichen Gefühlen
Die oben genannten negativen Gedanken haben in der Regel belastende Gefühle zur Folge. Diese wiederum führen dann häufig zu Vermeidungsverhalten, welches die Störung weiter aufrechterhält (da keine korrigierenden Erfahrungen gemacht werden können). Anhand eines „Zwiebelschalenmodells der Gefühle“ beschreiben die Autor:innen den therapeutischen Umgang mit traumabedingten Gefühlen von Angst, Scham, Schuld, Wut & Ärger, Traurigkeit und Ekel.
8. Abschluss der Traumaverarbeitung und Ausblick
In diesem Kapitel wird erläutert, wie die Traumatherapie abgeschlossen wird und im Sinne von Rückfallprophylaxe und zukünftiger Sicherheit der Therapierfolg gesichert werden kann.
9. Mit Bezugspersonen zusammenarbeiten
Der Einbezug von engen (nicht misshandelnden) Bezugspersonen lohnt sich bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen aus diversen Gründen. Nicht selten sind diese oft direkt betroffen. So zeigen viele Eltern nach Traumatisierung ihrer Kinder häufig eigene Symptome im Sinne einer sekundären oder auch direkten Traumatisierung. Zudem sind sie sind auch (wie auch Betreuer:innen aus dem Bereich Jugendhilfe und Schule) häufig unsicher, wie ein traumasensibler Umgang mit dem betroffenen Kind aussehen sollte. Des Weiteren können sie im Sinne eines Co-therapeutischen Konzepts aktiv in die Behandlung mit eingebunden werden. Hier wird erläutert, wie dies erfolgen kann.
Als abschließendes Kapitel wird noch auf die Möglichkeit, sich zu vernetzen eingegangen und für einen kollegialen Austausch geworben.
Diskussion
Wie bereits erwähnt, greift das das Autor:innenteam auf einen Fundus an praktischer und auch theoretischer Erfahrung zurück. Sie kommen ursprünglich aus dem Bereich der Versorgungsforschung (sind dort teilweise auch noch aktiv) und arbeiten zudem als niedergelassene Psychotherapeut:innen. Zudem sind sie als Dozent:innen und Supervisor:innen tätig. Und diese Fachkompetenz wird eindrucksvoll deutlich: Zum einen fokussieren sie sich inhaltlich auf die Methode, die derzeit die breiteste wissenschaftliche Evidenz vorweisen kann, die Traumafokussierte Kognitive Verhaltenstherapie (TF-KVT), zum anderen liefern sie jedoch viele Tipps und Hinweise, die weit über diese manualisierte Methode hinausgehen. Die praktische Erfahrung wird auf jeder Seite deutlich, teilweise liest sich das Buch wie eine gelebte Supervision. Es ist gespickt mit Praxisbeispielen, die das therapeutische Vorgehen illustrieren und es ist, trotz des inhaltlichen Schwerpunkts auf die TF-KVT verfahrens- und schulenübergreifend nutzbar. In Kapitel 7 wird auch auf weitere Therapieformen, beispielsweise die IRRT (Imagery Rescripting) und Schematherapie eingegangen. Zusätzlich werden diverse Arbeitsblätter als Onlinedownload bereitgestellt, die in der Therapie genutzt werden können.
Besonders hervorzuheben ist, dass dies eins der wenigen Bücher ist, dass so eindeutig und umfassend auf die Wichtigkeit der therapeutischen Beziehungsgestaltung eingeht (Kapitel 2). Das entwickelte Prozessmodell (Kapitel 1) ist eminent hilfreich für die Umsetzung von Therapie und Supervision und – last but not least – es wird auf den wichtigen Aspekt der eigenen Psychohygiene und die kollegiale Vernetzung eingegangen. Und für diese wurde von den Autor:innen eine Onlineplattform (https://trauma.help) eingerichtet, die ebenfalls uneingeschränkt empfohlen werden kann. Hier finden sich dann auch Austauschmöglichkeiten zu Therapieverfahren, die einigen in diesem Buch eventuell ein wenig zu kurz gekommen sein könnten (z.B. EMDR). Es ist jedoch sinnvoll gewesen, sich weitestgehend auf eine Vorgehensweise zu konzentrieren, da ansonsten die Orientierung schnell verloren gehen kann.
Fazit
Für jede Person, die die Methode der TF-KVT erlernen möchte, sind im Grunde drei Quellen zu empfehlen:
1) das originale Manual von Judith A. Cohen, Antony. P. Mannarino und Esther Deblinger (2009),
2) das E-learning der Universität Eichstätt (https://tfkvt.ku.de) und
3) dieses Buch,
optimalerweise ergänzt um einen Workshop, in dem das Verfahren gemeinsam erlernt wird. Wenn dann im Rahmen der therapeutischen Arbeit eine stetige Super- oder Intervision erfolgt, kann dieses Verfahren niederschwellig angeboten werden, was angesichts der erschütternden Versorgunglage dringend erforderlich ist.
Es handelt sich um ein Buch von Praktiker:innen für Praktiker:innen, das unbedingt zu empfehlen ist, denn ich habe noch nie ein Buch mit derartig vielen Fallbeispielen gelesen und es ist trotz des umfassenden Praxisbezugs dennoch evidenzbasiert.
Rezension von
Dr. Alexander Tewes
Instituts- und Ausbildungsleiter LAKIJU-VT (Lüneburger Ausbildungsinstitut für Kinder- und Jugendlichen-Verhaltenstherapie), Psychiatrische Klinik Lüneburg gemeinnützige GmbH im Verbund der Gesundheitsholding Lüneburg
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