Nancy Colier: Wenn die Gedanken wieder kreisen
Rezensiert von Prof. Dr. Chirly dos Santos-Stubbe, 26.11.2024
Nancy Colier: Wenn die Gedanken wieder kreisen .... Hilfreiche Impulse zum Umgang mit ständigem Grübeln. Junfermann Verlag GmbH (Paderborn) 2023. 152 Seiten. ISBN 978-3-7495-0378-0. D: 22,00 EUR, A: 22,70 EUR.
Thema
Das zentrale Thema des vorliegenden Buches bezieht sich auf die kreisenden Gedanken um ein bestimmtes Thema: zwanghafte Grübeleien, exzessives Denken, beziehungsweise ein Gedankenkarussell von negativen Gedankengängen, die sich als extreme Belastung für das Individuum herausstellen. Ziel der Autorin ist, der Leserschaft Impulse zu geben, der kreisenden Gedanken bewusst zu werden, diese zu fokussieren und in das eigene Selbst zu integrieren. Dadurch soll das Leiden bezüglich auf die Belastung im Umgang mit den Grübeleien durchbrochen und überwunden werden (S. 20). Sie stellt ein Thema dar, das sowohl in der Psychotherapie, in der Beratung als auch in der Psychiatrie bekannt ist.
Autorin
Nancy Colier ist eine US-amerikanische Psychotherapeutin, Paartherapeutin und Coachin, die in privater Praxis tätig ist und über 30 Jahre Berufserfahrung verfügt.
Sie erlangte ihren Bachelorabschluss an der University of Virgina. Ihren Masterabschluss im Studiengang Soziale Arbeit absolvierte sie an der Columbia University. Zum Schwerpunkt ihrer Beratungspraxis gehören Achtsamkeit, Meditationspraktiken, Spiritualität und buddhistische Praxis, Themen, die sie in die Psychotherapie integriert. Colier ist Gründerin und Leiterin der School for Awakening. Seit 2012 veröffentlichte sie 5 Bücher darunter „The Emotionally Exhausted Woman (2022).“
Entstehungshintergrund
Hintergrund dieses Werkes war die Selbsterkenntnis der Autorin im eigenen „persönlichen Gefängnis – in Gedanken“ (S. 11) zu sein. Während eines Frühlingsspazierganges erkannte sie, dass sie „tief im Labyrinth der Gedanken“ steckt. Aus dieser Einsicht heraus entstand die Überzeugung, ihre Wahrnehmung zu ändern und somit die Quelle dieses Leids abzuwenden. Diese Art von „Grübelei“ kannte sie von den Erzählungen ihrer Patienten. Was tun, um mit diesen aufdringlichen Gedanken umzugehen, sie zu verbannen und somit Stress, Unzufriedenheit und Angst zu bewältigen? Die Antworten erarbeitete Nancy Colier im vorliegenden Buch.
Aufbau und Inhalt
Nach einem kurzen Vorwort von Stephan Bodian, in dem er eine kurze Perspektive bezogen auf die Thematik und seiner eigenen Biographie als Zen-Buddhistischer-Lehrer gibt, stellt er Nancy Colier in ihrem Tun vor. Die anschließende Einleitung der Autorin trägt die Überschrift „Denksüchtig“. In den 9 Unterkapitel dieser Einleitung spricht sie die problematische Seite unseres intensiven Denkens an und stellt die Frage, ob wir „süchtig“ sind (S. 15). Sie betrachtet hier das intensive Denken als eine Sucht mit Charakteristika aller anderen Formen von Sucht, in Anlehnung an das DSM -V. „In unserem Stress, unseren Sorgen und unserer chronischen Unzufriedenheit steckt ein gemeinsamer Kern: In welcher Beziehung wir zu unseren Gedanken stehen. Dieser Beziehung verursacht unser Leid“ (S. 13). Bereits in der Einleitung werden zahlreiche Fallbeispiele ihrer Patienten, die vom „negativen Gedanken, übertriebenes Nachdenken, Binge Thinking“ (S. 19) betroffen sind, dargestellt. Bevor das Buch inhaltlich weiter ausdifferenziert wird, setzt sich die Autorin in einem Punkt 1 mit dem Thema der Bewussten Wahrnehmung als Möglichkeit unsere Beziehung zum Denken zu verändern, auseinander. Darin finden sich 5 Unterkapitel, die sich vor allem mit der genaueren Beobachtung unseres Denkens befassen. Um diese Themenbereiche zu erfassen, stellt Nancy Colier Fragen, die die Leser für sich beantworten sollen. Ihre Intention dabei ist ein Bewusstsein über die eigenen Denkprozesse zu erlangen.
Um diesen Prozessen näher zu kommen, werden 3 Übungen mit Anleitung (Grundlagen der bewussten Wahrnehmung, Aufmerksamkeitslenkungen und wertfreies Beobachten) angeboten.
Das vorliegende Buch ist in drei Teile gegliedert, die zwischen drei und vier Unterkapitel enthalten.
Im ersten Teil geht es um die „Formen von Leid“ (S. 33–76). In diesem längsten Teil des Buches, mit vier Unterkapiteln, stellt Nancy Colier Grübeleien und Gedankenschleifen vor, die unser alltägliches Leben schwer machen und uns in einer Selbstkritik der Negativität fesseln. Wir zweifeln an uns und an unserer sozialen Umwelt: Verbitterung, Groll und Schuldzuweisungen entstehen (Collier spricht hier von einem „mentalen Gerichtssaal“, S. 55), woraus Angst, Sorgen und Schwarzmalerei entstehen und uns Lähmen und Belasten. „Laut einer Studie der amerikanischen National Science Foundation haben Menschen bis zu 60.000 Gedanken am Tag… Zudem besagt die aktuelle Forschung, dass 80 Prozent dieser Gedanken negativ sind und 90 Prozent redundant“ (S. 36). Mehrere Übungen und Fragen an die Leserschaft umrahmen ebenfalls dieser Buchteil.
Der Zweite Teil (S. 77–115) von Nancys Colier Buch beschäftigt sich mit der Perspektive und „Mittel der Befreiung“ vom exzessiven negativen Denken. In den drei Unterkapiteln wird darauf eingegangen, wie man, „klebrigen Gedanken“ (S. 79) loswerden kann, in dem das eigene Ich (wieder) entdeckt und größer als die eigenen Gedanken betrachtet wird. Dadurch soll der Weg geöffnet werden, um in das Leben zurückzukehren. In das Leben, das aufgrund des übermäßigen Denkens verpasst wird, da die Betroffenen so sehr in dieser Gedankenwelt gefangen sind, dass sie das, was im Hier und Jetzt passiert und dessen Bedeutsamkeit nicht vollkommen erleben können. Dieser Teil enthält eine einzige Übung.
Vor der Danksagung, die das Buch abschließt, setzt Nancy Colier ihren letzten dritten Teil, der sich mit dem allgemeinen Thema „Die innere Freiheit“ (S. 119–142) zu leben, befasst. Die Wertigkeit und die Weisheit des Nichtwissens (ob beispielsweise eine Katastrophe eventuell in ferner Zukunft eintritt, beschäftigt man sich mit der Frage und stresst sich dadurch) werden hier im Mittelpunkt gestellt. „Ein gutes Leben als Abschlussgedanke“ (S. 135), das „Über das denkende Selbst hinaus“ (S. 129) geht, bilden die letzten Unterkapitel dieses Buches. Hier regt die Autorin zu weiteren zwei Übungen an.
Das vorliegende Buch, das Nancy Colier ihren beiden Töchtern widmet, verfügt über 144 Seiten.
Diskussion
Nancy Colier legt ein Buch vor, in dem die zahlreichen Praxis- und Fallbeispiele eine große Lebendigkeit und Anschaulichkeit auf die Thematik ‚übermäßiges Denken‘ leisten. Gegenwärtig stehen auf dem Buchmarkt vermehrt populärwissenschaftliche Bücher zu diesem Themengebiet, die von Interventionen bis hin zu ostasiatischen Philosophien reichen und Unterstützungsmöglichkeiten anbieten. Es ist eine Tatsache, dass viele Menschen durch „Zwangsdenken, aufdringliches, exzessives Denken, Gedankenkarussell“ und weitere Formen des konstanten negativen Denkens über Dinge und Situationen leiden und sich dadurch krank, gestresst und gehemmt fühlen. Es stellt sich die Frage, aus welchen Gründen dies in unserer Gegenwart verstärkt passiert. Leider gibt Nancy Colier nicht annähernd eine Antwort darauf. Überforderungen im Alltag, Zukunftsängste, Druck und Erwartungen von außen und an die eigene Person und Leistung, Arbeitsbelastungen, mediale Überflutung z.B. in Form von E-mails und WhatsApp-Nachrichten, etc. werden hier so gut wie nicht thematisiert, wodurch die gesellschaftlichen Kontexte und Beiträge zu diesem Zustand unangetastet bleiben. Eine Individualisierung des Zustandes, basierend vor allem auf der Beziehungsebene, steht bei N. Colier im Vordergrund. Die Autorin legt ein Buch vor, das als Selbsthilfewerk oder als Ratgeber gelesen werden kann, obwohl sie sich im Laufe des Textes vehement dagegen ausspricht (vgl. u.a. S. 47, 64). Die Übungen und Fragen, die an die Leserschaft gerichtet sind, bergen ein Gefährdungspotenzial, da sie sehr tief in die (eventuell traumatische) Biografie der Leser eindringen. Die Autorin formuliert die Fragen und Übungsangebote in einer oft energischen Form (S. 64, 69, u.a.), die für allein übende Personen destabilisierend sein kann. Das Buch von Colier hat keinen wissenschaftlichen Anspruch: Es werden ganz wenige Quellen angegeben und diese sind vor allem Onlinequellen in den Fußnoten platziert; über ein Literaturverzeichnis verfügt das Werk nicht. Die theoretische Untermauerung ist in erster Linie die ostasiatische Perspektive auf das Leiden und mit der Anwendung von Mantren und Meditation, was sicherlich in diesem Rahmen eine Berechtigung hat, obwohl implizit zahlreiche Aspekte der Psychoanalyse (z.B. die Abwehrmechanismen) und des personenzentrierten Ansatzes von C. Rogers, u.a. zu erkennen sind. Nancy Colier bedient sich einer gängigen Sprache (u.a. S. 57, 58, 84), die immer wieder humorvoll und einleuchtend, aber auch redundant, „mantraartig“ ist. Der Schreibstil der Autorin eignet sich für ein interessiertes Publikum, das eine wissenschaftliche Sprache mit Fachbegriffen und theoretisch gesicherten Aussagen nicht anspricht, die sich dennoch mehr mit der Thematik aus einer praxisorientierten Sicht beschäftigen möchte.
Fazit
Das vorliegende Buch thematisiert das exzessive negative Denken, das zu Stress, Belastung, Unzufriedenheit und Machtlosigkeit im Alltag führt. Zahlreiche Fallbeispiele aus der Psychotherapie und Beratungspraxis der Autorin werden dargestellt, integriert mit zahlreichen Übungseinheiten. Ziel der Autorin liegt darin, Lösungsansätze anzubieten, wodurch eine Auseinandersetzung mit dem belastenden „Gedankenkarussell“ bewusst werden soll. Einen Lernprozess für die Befreiung dieser Form des Leidens soll sich etablieren, sodass das eigene Ich neu aufleben kann.
Rezension von
Prof. Dr. Chirly dos Santos-Stubbe
Dipl. Psych.
Hochschule Mannheim – Fakultät Sozialwesen
Mailformular
Es gibt 3 Rezensionen von Chirly dos Santos-Stubbe.
Zitiervorschlag
Chirly dos Santos-Stubbe. Rezension vom 26.11.2024 zu:
Nancy Colier: Wenn die Gedanken wieder kreisen .... Hilfreiche Impulse zum Umgang mit ständigem Grübeln. Junfermann Verlag GmbH
(Paderborn) 2023.
ISBN 978-3-7495-0378-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31023.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.