Nathalie Schnoor: Einsamkeit verstehen
Rezensiert von Jonas Schmeißner-Darkow, 18.04.2024
Nathalie Schnoor: Einsamkeit verstehen. In guter Verbindung mit mir und anderen. Balance Buch + Medien Verlag (Köln) 2023. 215 Seiten. ISBN 978-3-86739-259-4.
Thema
Das Thema dieses Buches steckt im Titel, es ist ein Versuch „Einsamkeit [zu] verstehen“. Es geht darum sich mit Einsamkeit auseinanderzusetzen, eigene Erfahrungen zu reflektieren, Erfahrungen anderer abzugleichen und einen Einblick in verschiedene Bereiche der Einsamkeitsforschung zu bekommen. Dabei geht es weniger darum sich auf einer wissenschaftlichen Ebene dem Phänomen Einsamkeit zu nähern, sondern sich durch kleine Einblicke in Forschung, persönliche Erfahrungen und Lösungsstrategien leiten zu lassen. Die Autorin nimmt die Lesenden mit in ein zunehmend präsenter werdendes Thema und lädt Sie dabei ein, die eigene Situation zu reflektieren. Es ist ein Ratgeber für Menschen, die sich präventiv oder stellvertretend mit dem Thema Einsamkeit auseinandersetzen wollen.
Autor:In
Natialie Schnoor ist eine Soziologin und Sozialarbeiterin, die im Bereich Sozialpädagogik zum Thema Einsamkeit promoviert.
Entstehungshintergrund
Zum Entstehungshintergrund werden keine konkreten Angaben gemacht. Frau Schnoor hat 10 Menschen zum Thema Einsamkeit interviewt und hat diese Erfahrungen in Zusammenhang mit Forschungsergebnissen und Lösungsstrategien gebracht.
Aufbau
Das Buch Einsamkeit verstehen – in guter Verbindung mit mir und anderen ist wie ein klassischer Ratgeber aufgebaut. Die Lesenden werden von der Autorin mit Hilfe eines Dialogs durch die Kapitel geführt. Besonders an diesem Buch ist aber dabei, dass die Autorin das Phänomen Einsamkeit erst auf der Grundlage ausgewählte Fachliteratur beschreibt und danach an exemplarischen individuellen Beispielen skizziert. Sie führt die Lesenden dabei vom Allgemeinen Stand zum individuellen Beispiel. Dabei spannt Sie den Bogen zu den Lesenden und spricht diese direkt mit der Frage an: Wie kannst du dem Phänomen Einsamkeit begegnen und welche Lösungsstrategien sind hilfreich? Die Kapitelstruktur ist vom Allgemeinen zum spezifischen hin aufgebaut und gliedert sich in die Fragen nach der Definition von Einsamkeit, der Wirkung von Einsamkeit, wirkende Personen- und Umweltfaktoren, Selbsterforschung und konkrete Lösungsstrategien.
Inhalt
Das Buch möchte einen Einblick in das facettenreiche Phänomen Einsamkeit ermöglichen. Es beleuchtet dabei Teile von Ursachen, Wirkmechanismen und Lösungsstrategien. Was dieses Buch auszeichnet, sind Erfahrungen von interviewten Personen zu Ihren Herausforderungen und Umgang mit dem Gefühl Einsamkeit. Dabei ist es als Ratgeber aufgebaut. Es richtet sich an Menschen die an diesem Thema interessiert sind, es in ihrer Umwelt bemerken oder leichte Einsamkeit verspüren. Das Buch richtet sich aber bewusst nicht an Menschen, die unter chronischer Einsamkeit leiden. Hier wird nochmals darauf hingewiesen professionelle Hilfe zu suchen, die dieses Buch nicht leisten kann. Um einen Eindruck von diesem Buch zu bekommen, lohnt es sich besonders den dritten Abschnitt exemplarisch vorzustellen:
Was kann ich jetzt konkret tun? (S. 143 - 200)
In dem letzten Abschnitt dieses Buches fordert die Autorin die Lesenden unter der passenden Überschrift „was kann ich jetzt konkret tun?“ aktiv dazu auf, durch Übungen und Denkanstöße in das konkrete Handeln zu kommen. Hierbei schlägt die Autorin eine hilfreiche Brücke zwischen den ersten zwei Abschnitten (Psychoedukation und Selbsterforschung) hin zu konkreten Lösungsansätzen. Die potenziellen Lösungsstrategien teilt sie dabei in die Kategorien 1. Beziehung zu dir selbst, 2. Kontakt mit anderen Menschen und 3. Die schützende Wirkung der Natur auf. Dabei ermutigt sie die Lesenden und verweist gleichzeitig darauf, nachsichtig mit sich selbst zu sein und den Übungen zeigt zur Wirkung zu geben. Dies ist besonders positiv hervorzuheben, da gerade bei Einsamkeit eine hohe Misserfolgs- bzw. Ablehnungserwartung vorherrschen kann. In der ersten Kategorie wird ein Portfolio an Achtsamkeitsübungen und Aufgaben mit dem Fokus auf Selbstfürsorge angeboten. Dieses Übungsangebot ist sehr breit aufgestellt und erstreckt über leichte bis durchaus herausfordernde Anforderungen an die Lesenden. In der zweiten Kategorie hingegen wird ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit vorausgesetzt, dort fallen Sätze wie „fragt ruhig direkt nach“ oder „falls du die Menschen neben dir noch nicht kennst, stellt dich vor!“ oder „Fremde z.B. im Wartezimmer einer Praxis in der Bahn oder auf dem Wochenmarkt [ansprechen]“. Die dort vorgestellten Aufgaben sind wahrscheinlich hilfreich, um den Kontakt mit Menschen wieder zu trainieren, und führen mit Wahrscheinlichkeit auch zu einer positiven Erfahrung. Allerdings ist der Schritt aus der Isolation hin zu diesem Kontakt gerade für Menschen die unter chronischer Einsamkeit leiden eine große Herausforderung. Es fordert ein hohes Maß an Selbstvertrauen, sozialer Kompetenz und einer positiven Selbstwirksamkeitserwartung. Hier sollten die Lesenden den Verweis auf Seite 11 beachten „wenn du dich chronisch einsam fühlst […] ist dieses Buch keine ausreichende Hilfe“. In der zweiten Kategorie werden viele Verknüpfungen zu den theoretischen Inhalten und den persönlichen Erfahrungen der Interviews hergestellt. Dadurch werden die Inhalte nachvollziehbarer und bekommen einen Praxisbezug. In gewissem Maße bekommen die Lesenden das Gefühl den Herausforderungen gemeinsam entgegenzutreten. Es wird auch nochmals auf den Unterschied zwischen Qualität und Quantität von Beziehungen verwiesen. Dabei werden die Lesenden motiviert die eigenen Beziehungen zu beleuchten. Allerdings werden hierbei auch Bereiche angesprochen, deren Bearbeitung durchaus ebenfalls ein höheres Maß an Selbstreflektion und Resilienz erfordert (z.B. Reflektion belastender Beziehungen und Kontaktreduktion), wenn es ohne professionelle Begleitung durchgeführt werden soll. Inhaltlich sind die Einsamkeitsursachen im Bereich von Qualitätskriterien der Beziehungsgestaltung hier gut verortet worden und es gibt wiederholt Querverweise zu der ersten Kategorie. In der dritten Kategorie wird die positive Wirkung der Natur nochmals beleuchtet, und überwiegend Achtsamkeitsübungen angeboten.
Diskussion
Die Bewältigung von Einsamkeitsgefühlen, die Identifikation von auslösenden Faktoren und die Suche nach einer passenden Lösungsstrategie ist eine herausfordernde Aufgabe. Allein die Auseinandersetzung mit dem Thema Einsamkeit führt häufig bei Betroffenen, Angehörigen und sogar dem professionellen Hilfesystem zu einer Überforderung und Hilflosigkeit. Von daher ist es wichtig, dass Beiträge aus unterschiedlichen Professionen entstehen. Die Strategie der Bundesregierung liegt aktuell in der Sensibilisierung der Gesellschaft für dieses Thema und möchte Berührungsängste abbauen. Dieses Buch leistet einen wichtigen Beitrag dazu. Besonders die wertvollen Interviews ermöglichen sehr intime und mutige Einblicke. Die Frage die an dieser Stelle aber stellt, ist die der Wirksamkeit von Ratgebern bei dem Thema Einsamkeit und sozialer Isolation. Einsamkeit hängt häufig mit einem zunehmenden Verlust von Selbstvertrauen, Selbstwirksamkeitserwartung und einer kognitiven Verzerrung sozialer Interaktion zusammen. Auch die Vermeidung von negativen Beziehungserfahrungen, Rückzug und ein zunehmendes Maß an Motivationsverlust gehen üblicherweise mit zunehmender Einsamkeit einher. Ein Verweis zu möglichweise bestehenden Forschungsergebnissen wäre hier sehr spannend gewesen. Besonders, da einige Übungen und Methoden durchaus sehr herausfordernd sein können und ggf. begleitet werden sollten. Das Buch sollte daher als präventiver Ratgeber betrachtet werden, um chronischer Einsamkeit vorzubeugen, bzw. Angehörigen zur Seite stehen zu können. An einigen Stellen könnten die Literaturverweise etwas deutlicher herausgearbeitet werden, um Darstellung besser einordnen zu können oder den Lesenden die Möglichkeit zu geben die Primärliteratur zu lesen. Auch unter dem Aspekt, dass „die Forschung“ (Kapitel „ein psychologischer Teufelskreis“) ein schwieriger Begriff ist und sich bei Ursache und Wirkung von Einsamkeit durchaus nicht unbedingt einig ist (vgl. psychodynamischer Erklärungsansatz, soziologischer Erklärungsansatz, kognitions- und attributionstheoretischer Ansatz, usw.).
Fazit
Es macht Spaß dieses Buch zu lesen und beeindruckt durch die intimen und mutigen Einblicke der interviewten Menschen. Die Verknüpfung von Forschungsergebnissen, Interviews und Lösungsstrategien ist gelungen und begleitet die Lesenden durch das gesamte Buch. Ein gutes Buch, um Einsamkeit besser verstehen zu können, Angehörigen Unterstützung anzubieten oder präventiv an der eigenen sozialen Einbindung zu arbeiten.
Rezension von
Jonas Schmeißner-Darkow
M.A. angewandte Sozialwissenschaften, B.A. Soziale Arbeit, Diakon,
Projektleiter „Teilhabe fördern – Einsamkeit begegnen“,
Sozialarbeiter/Sozialwissenschaftler
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Es gibt 3 Rezensionen von Jonas Schmeißner-Darkow.
Zitiervorschlag
Jonas Schmeißner-Darkow. Rezension vom 18.04.2024 zu:
Nathalie Schnoor: Einsamkeit verstehen. In guter Verbindung mit mir und anderen. Balance Buch + Medien Verlag
(Köln) 2023.
ISBN 978-3-86739-259-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31041.php, Datum des Zugriffs 14.01.2025.
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