Rolf Arnold: Wie man frisch beobachtet, um neu wahrzugeben
Rezensiert von Diplom-Pädagoge Volker Raupach, 21.02.2025

Rolf Arnold: Wie man frisch beobachtet, um neu wahrzugeben. 29 Regeln der Achtsamkeit.
Carl-Auer Verlag GmbH
(Heidelberg) 2023.
216 Seiten.
ISBN 978-3-8497-0484-1.
D: 29,95 EUR,
A: 30,80 EUR.
Reihe: Fachbücher für jede:n.
Thema
In dem Buch „Wie man frisch beobachtet, um neu wahrzugeben. 29 Regeln der Achtsamkeit“ möchte der Autor sein Werk als eine Einladung zur Selbstveränderung sehen. Er setzt sich damit auseinander, wie wir erkennen, wie unser Erkenntnisprozess abläuft, um nicht immer wieder mit alten Brillen das Neue zu betrachten. Mit der Hilfe von Selbst-Check-Listen und Lösungsalgorithmen durch zahlreiche Fallbeispiele sollen die Möglichkeiten und Grenzen einer bewussten „Wahrgebung“ aufgezeigt werden.
AutorIn oder HerausgeberIn
RolfArnold (Prof. Dr. Dr. h.z.) ist Professor für Pädagogik. Während seiner Lehrtätigkeit in Berlin beschäftigte er sich unter anderem mit Konfliktmanagement und Mediation.
Entstehungshintergrund
Wie Menschen Situationen wahrnehmen, welche Muster sie dabei anwenden und wie wir diese Muster durchbrechen können, ist der Hintergrund, auf dem das Buch verfasst wurde. Wie dieses Durchbrechen geschehen kann und was in diesem Zusammenhang „Frisches Denken“ bedeutet, versucht der Autor darzustellen. Der Autor möchte in seinem Werk herausstellen, dass es keine zwingenden Wenn-dann-Bezüge gibt und dass Menschen Situationen sehr unterschiedlich erleben. Dieses Erleben hängt auch immer davon ab, ob es ihnen gelingt, ihre bevorzugten Reaktionsmuster zu erkennen und Alternativen zu entwickeln. Dabei wendet sich der Autor besonders an Menschen, die andere Menschen führen, lehren, begleiten und beraten, um in Situationen die Vielfalt der Handlungsmöglichkeiten zu entdecken. Damit möchte dieses Buch eine Einladung zur Selbstveränderung sein.
Aufbau
Das Buch behandelt auf 216 Seiten die Frage, wie frisches Denken gelingen kann. Dabei stellt der Autor in einem kurzen Vorwort seine Intention vor, was er mit dem Buch erreichen möchte. Es folgt eine Einleitung, in der der Autor seine Vorgehensweise erläutert. In den darauffolgenden 29 Abschnitten, die als jeweilige Kapitel angesehen werden können, stellt der Autor jeweils eine Aufforderung voran. In den darauf eingehenden Texten, Fallbeispielen oder Übungen setzt sich der Autor mit der Umsetzung dieser Aufforderung auseinander. Zum Schluss folgt ein ausführliches Literaturverzeichnis.
Ausgewählte Inhalte
In dem kurzen Vorwort ordnet der Autor sein Buch in die von ihm bisher erschienenen Büchern ein und er beschreibt den Aufbau des Buches. In der darauffolgenden Einleitung befasst sich der Autor mit der Anwendung der Erkenntnistheorie und damit, dass Sprache nicht nur ein Werkzeug der Kommunikation ist, sondern eine grundlegende Voraussetzung für ein abstrahierendes Denken und für differenziertes Schlussfolgern darstellt. Dabei verweist der Autor auf Chomsky. In den weiteren Ausführungen beschreibt der Autor, dass es nicht nur die Beschäftigung mit der Metakommunikation ist, sondern eine Anders- bzw. Transformationskommunikation.
In der ersten Aufforderung „Ergründe die Funktionsweisen deines Denkens, Fühlens und Handelns und vermeide die Unmittelbarkeitsfalle!“ setzt sich der Autor damit auseinander, dass wir nicht in der Lage sind, äußere Gegebenheiten nüchtern zu betrachten. Mit der Unmittelbarkeitsfalle ist dabei gemeint, dass wir eine Vorstellung haben, dass die Welt für andere Menschen genau so ist, wie wir sie uns vorstellen. Um die eingefahrenen und über viele Jahre verfestigten Deutungs- und Emotionsmuster zu lösen, stellt der Autor die fünf Schritte auf dem Pfad der Metanoia vor.
Die zweite Aufforderung lautet: „Erkunde die vertrauten Muster des Denkens, Fühlens und Handelns und übe dich darin, zu fragen, was dir das Aktuelle über dich in Erinnerung ruft!“ Anhand eines Fallbeispiels und einer Analysetabelle wird deutlich, dass durch diese Auseinandersetzung auch Verborgenes, was schmerzhaft sein kann, zutage tritt.
Die dritte Aufforderung wird der Leser aufgefordert, sein (Er)inner(T)es Drama aufzustellen und sich mit dessen Dimensionen zu versöhnen. Hier schlägt der Autor vor, durch systematische Arbeit an den inneren Dimensionen eines Problems bzw. Anliegens eine erste Veränderung zu erreichen. Dies wird durch ein Fallbeispiel und eine Übung zu den inneren Dimensionen des Problems unterstützt.
Die vierte Aufforderung lautet „Trainiere die selbsteinschließende Beobachtung und meide die beurteilende Beobachtung“. Damit meint der Autor, dass wir nicht länger Spielball unserer frühen Ich-Zustände sind, sondern die Regie über unser Denken übernehmen. Als Methode stellt der Autor die kopernikanische Treppe vor.
Mit der fünften Aufforderung fordert der Autor auf, sich im Zurückrudern zu üben, wenn dir eine vorschnelle Beurteilung entschlüpft ist. Neben der Bedeutung des Zurückruderns führt der Autor eine Checkliste zu einigen Formen des Zurückruderns auf.
Die sechste Aufforderung „Erforsche die Perspektiven deines Gegenübers und spüre, ob und wie du dich mit diesem verbinden kannst.“ Um die Perspektiven des jeweiligen Gegenübers einnehmen zu können, schlägt der Autor einen Dreischritt vor. Er stellt dazu die Methoden der Dekontaminierung, der Klärung der Unterschiede, die sich im Gegenüber artikulieren, und die fünf Gesichter des Integrationsflusses nach D.J. Siegel vor.
Die siebte Aufforderung behandelt die Macht der Routine. Um dieses zu verhindern, befasst sich der Autor mit der Selbstdistanzierung und stellt dazu eine Meditation vor sowie eine Imaginationsübung des neuen- „Alternativen-Ichs“ vor.
In der achten Aufforderung fordert der Autor auf, sich ein Bild des idealen Selbst zu entwickeln und ihm Alltagswirksamkeit zu verleihen. Damit dies gelingen kann, schildert der Autor einen ersten Schritt, der sich mit der exakten Beschreibung dessen, was ist, befasst. In einem zweiten Schritt geht es darum, eine Bilanz zu ziehen, um dann in einem dritten Schritt eine Vision zu entwickeln, wer ich werden will.
Im neunten Abschnitt geht es darum, die Einsichten aus Philosophie, Wissenschaften und Forschung zu nutzen. Um dies zu erreichen, schlägt er eine Lösungssprache vor, die er in einer Tabelle mit Formulierungsvorschlägen vorstellt.
Die zehnte Aufforderung lautet: „Fördere deine Beziehungen, indem du dich darin übst, Bezogenheiten auszudrücken und nachfragend zu kommunizieren!“ Dazu stellt er die Selbstdistanzierung als wichtige Grundlage vor, um sich auf „frische“ Formen des Denkens und Handels zu öffnen. Dazu schlägt der Autor die bezogene Kommunikation vor.
In der elften Aufforderung fordert der Autor auf, die eigenen Beobachtungen zu beobachten. Dazu stellt er eine BEST-Strategie der Selbsttransformation vor und macht diese Anforderung an einem Fallbeispiel deutlich.
In der zwölften Aufforderung „Übe dich in der wertschätzenden, proaktiven und positiven Leseart des Möglichen und lasse das Lamento hinter dir!“ In den beiden Schritten Aufräumen und Einräumen wird dieses erläutert. Diese werden durch die Erstellung einer Tabelle zur Erstellung einer aktuellen Lebensbilanz und einer Tabelle zu Veränderungen dargestellt.
Die dreizehnte Aufforderung regt an, den Umgang mit unangenehmen Situationen zu üben und in der vierzehnten Aufforderung rät der Autor dazu, so zu handeln, dass eigene Grenzen spürbar werden. Daran schließt der fünfzehnte Abschnitt an, der dazu anregt, Kränkungen zu vermeiden und sich in der eigenen Unkränkbarkeit zu üben. Dazu werden in zwei Übersichten Anregungen gegeben, wie die Fachkraft in diesen Situationen damit umgehen kann.
In den darauffolgenden sechzehnten und siebzehnten Aufforderungen geht es um die Verständigung auf gemeinsame Lesarten und die Vermeidung von Festlegung und der Säuberung unserer Brillen, damit wir die vielfältigen Optionen für uns selbst, aber auch für andere Personen sehen.
In der achtzehnten Aufforderung schreibt der Autor, es ist sinnvoll zu lernen, das Unkraut zu lieben. Dieses zeigt er an einem Fallbeispiel „Der Löwenzahngeschichte“ eines unbekannten Autors auf.
In der neunzehnten Aufforderung schildert der Autor wie mithilfe einer nichtwissenden und demütigen Begleitung gerade bei Menschen in helfenden Berufen oder Führungspositionen eine sinnvolle Begleitung von Personen geschehen kann. Hierzu werden vier Interventionsmodi anhand eines Beispiels vorgestellt.
In dem zwanzigsten Abschnitt stellt der Autor seine Zehn Gebote einer enttäuschungsfesten Professionalität vor.
In der darauffolgenden, einundzwanzigsten und zweiundzwanzigsten Aufforderung wird angeregt, das Bewusstsein des Bewusstseins zu entwickeln und Selbstbewegung zu ermöglichen.
Daran schließen sich die beiden Abschnitte der dreiundzwanzigsten und vierundzwanzigsten Anregungen an. In diesen werden Möglichkeiten erörtert, wie man seine Fähigkeit üben kann, mit Dissonanzen umzugehen und konsequent zu belieben. Das ist in vielen Fällen nicht so einfach, da oft eine Einbindung in übergeordnete Kontexte stattfindet. Der Autor zeigt dies exemplarisch anhand der bisherigen Lehramtsvorbereitung auf.
In der fünfundzwanzigsten Aufforderung rät der Autor dazu, es zu vermeiden, in die Defensive zu geraten. Um dies möglichst zu verhindern, bringt der Autor eine Selbst-Check-Liste zur eigenen Dissonanz-Kompetenz ein.
Bei den Aufforderungen sechsundzwanzig, siebenundzwanzig und achtundzwanzig schlägt der Autor vor, die eigene Fähigkeit zu üben, mit seiner Unverfügbarkeit umzugehen und sich darin zu üben, das Gegenüber beständig durch die Potenzialbrille zu beobachten. Wenn dann der Glaube entsteht, es nicht zu können, regt der Autor anzuschauen, was uns selber lähmt.
Mit der neunundzwanzigsten Aufforderung regt der Autor dazu an, das Regelhafte hinter sich zu lassen und stattdessen achtsam zu leben. Hier bringt er drei Gedichte von Erich Kästner zum Abschied ein, die einen guten Abschluss des Buches bilden.
Diskussion
In diesem Buch werden sinnvolle Anregungen gegeben, sich mit seiner eigenen Wahrnehmung auseinanderzusetzen. Die 29 Aufforderungen könnten erst einmal von der Menge abschreckend wirken, ich verstehe sie aber auch nicht als Arbeitsaufgaben, die möglichst schnell abgearbeitet werden müssen, sondern eher als Anregungen sich mit seinen eigenen Mustern oder Brillen auf Situationen auseinanderzusetzen, um einen neuen Blick zu bekommen. So finde ich besonders beim dritten Abschnitt die Tafel Nr. 3 zu den Inneren Dimensionen des Problems bzw. Anliegen hilfreich. Das folgende Fallbeispiel hat dazu beigetragen, dass ich diese Übung selbst ausprobiert habe. In der Praxis ausprobiert habe ich an einigen Stellen auch die Tafel Nr. 5 mit den Formen des Zurückruderns. Es passiert sehr schnell wieder in Gesprächen in die alten Muster der schnellen Bewertung zu geraten. Diese sechs Formen des Zurückruderns machen Mut sie dann in der Situation anzuwenden. Die Ausführung des Autors, dass die Welt damit im Kleinen verändert werden kann, kann ich nur zustimmen. Besonders angesprochen hat mich der achte Abschnitt angesprochen. Bei den Punkten „Wer bin ich geworden“, „Wie zufrieden bin ich selbst mit den Besonderheiten, die mein Denke, Fühlen und Handeln bestimmen.“ Und dem Punkt der Vision, „Wer will ich werden.“ Insgesamt haben diese Fragen mich immer wieder beim Lesen des Buches beschäftigt. So musste ich das Buch auch immer wieder zur Seite legen, da mich die Inhalte immer wieder zum Nachdenken anregte. So ist der erweiterte Titel „29 Regeln der Achtsamkeit“ die wichtigste Aufforderung, achtsam mit sich selbst umzugehen.
Fazit
Das Buch „Wie man frisch beobachtet, um neu wahrzugeben“ ist meiner Meinung geeignet, um einen vertiefenden Einblick in das Thema zu bekommen, dabei fand ich die theoretischen Auseinandersetzungen nicht immer leicht zu verstehen, aber durch die zahlreichen Beispiele und die Übungen konnte ich oft die theoretischen Inhalte besser nachvollziehen. Es kann eine gute Reflexionsbasis sein, um sich mit den eigenen Mustern, bzw. mentalen Landkarten auseinanderzusetzen. Damit ist es gerade für erfahrene, in der Beratung und Betreuung tätige Fachkräfte, geeignet.
Rezension von
Diplom-Pädagoge Volker Raupach
Diplom Pädagoge, Lehrtätigkeit an einer Fachschule und Berufsfachschule für Sozialwesen
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