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Michael Ebmeyer: Nonbinär ist die Rettung

Rezensiert von Dr. André Latz, 09.08.2024

Cover Michael Ebmeyer: Nonbinär ist die Rettung ISBN 978-3-8497-0507-7

Michael Ebmeyer: Nonbinär ist die Rettung. Ein Plädoyer für subversives Denken. Carl Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2023. 85 Seiten. ISBN 978-3-8497-0507-7. D: 14,00 EUR, A: 14,40 EUR.
Reihe: update gesellschaft.

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Thema

Michael Ebmeyer plädiert in seinem Buch für die Überwindung binärer Denkmuster und die Anerkennung des Nonbinären. Er betrachtet die Genderdebatte als Modell für eine allgemeine Kritik des Entweder-oder-Denkens und ermutigt zu subversivem Denken und antiautoritärem Handeln. Ebmeyer rekonstruiert die Dekonstruktion der Dichotomien im Sinne von Jacques Derrida und verweist auf anarchistische Traditionen, die Herrschaft infrage stellen. Er betont die Notwendigkeit einer offenen, systemischen Weltsicht und ruft dazu auf, die Komplexität der Welt anzuerkennen und zu integrieren.

Autor

Michael Ebmeyer studierte von 1992 bis 1998 Komparatistik, Anglistik und Empirische Kulturwissenschaft in Tübingen und Barcelona. Nach dem Studium arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent für Komparatistik an der Universität Tübingen und als Comedy-Redakteur beim Tübinger freien Lokalradio. Seit 2001 lebt Ebmeyer in Berlin und ist als Schriftsteller und Übersetzer tätig. In seinen Essays befasst er sich unter anderem mit subversivem Erzählen, befreiendem Lachen, neurechter Propaganda, Anarchismus und der Klassengesellschaft.

Entstehungshintergrund

Das Buch ist in der Buchreihe update Gesellschaft erschienen. In dieser wird die Notwendigkeit betont, gesellschaftliche Entwicklungen ständig zu aktualisieren, da die traditionelle philosophische Abwarten-Haltung angesichts der schnellen, durch die Digitalisierung beschleunigten Veränderungen nicht mehr ausreiche. Essays in der Reihe haben den Anspruch, zeitnahe Analysen und Beobachtungen zu aktuellen Themen zu bieten. Inspiriert von Montaigne, fokussieren sie sich nicht auf feststehende Zustände, sondern auf Übergänge und Veränderungen in der Gesellschaft. Das Buch passt in eine Reihe von Büchern, wie zum Beispiel „Im Grunde gut“ (Bergmann) oder „Mensch sein“ (Schaik/Michel) sowie „Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit.“ (Graeber/Wengrow).

Aufbau und Inhalt

Der Essay „Nonbinär ist die Rettung. Ein Plädoyer für subversives Denken“ von Michael Ebmeyer untersucht die tiefgreifenden Auswirkungen des binären Denkens auf unsere Gesellschaft und plädiert für eine nonbinäre Perspektive. Der Text gliedert sich in mehrere Abschnitte: die Bedeutung des binären Schemas, historische und philosophische Ansätze zur Überwindung dieses Schemas, politische und epistemologische Herausforderungen sowie die Rolle der Genderdebatte. Abschließend fordert Ebmeyer zu subversivem Denken auf.

Ebmeyer beginnt mit der Erläuterung, dass nonbinäre Identitäten nicht nur die Genderdebatte bereichern, sondern auch das binäre Denken infrage stellen, welches unser Weltverständnis prägt und Hierarchien schafft, die Dominanz und Unterdrückung fördern. Dieses Denken ist tief in unsere Kultur eingebettet und manifestiert sich in verschiedenen Bereichen wie Politik, Religion und Wirtschaft, wodurch bestehende Machtstrukturen stabilisiert werden. Beispiele wie das Patriarchat, religiöse Dogmen und die kapitalistische Ordnung zeigen, wie weitreichend die Konsequenzen dieser Denkweise sind.

Zur Überwindung des binären Denkens gibt es seit Jahrhunderten verschiedene Ansätze, die von mystischen und spirituellen Traditionen bis hin zu modernen philosophischen Strömungen wie der Dekonstruktion reichen, wo er unter anderem auf Jaques Derrida verweist. Besonders die Genderdebatte wird als aktuelles Beispiel hervorgehoben, um das binäre Schema zu durchbrechen und nonbinäre Identitäten zu etablieren. Ebmeyer betont, dass diese Ansätze eine tiefgreifende Veränderung des gesellschaftlichen Bewusstseins erfordern.

Der Essay widmet sich auch politischen Bewegungen, die das binäre Denken herausfordern. Anarchismus und antiautoritäre Bewegungen haben das Potenzial, die herrschenden Strukturen zu hinterfragen und weniger hierarchische Gesellschaftsformen zu fördern. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Rolle der Dekonstruktion in der Genderdebatte. Ebmeyer verweist auf Theoretiker*innen wie Judith Butler, die alternative Konzepte vorschlagen, die das Verständnis von Geschlecht und Identität hinterfragen und erweitern können.

Trotz der Fortschritte bleibt Ebmeyer kritisch gegenüber der Genderdebatte und warnt vor möglichen Vereinnahmungen und Verzerrungen nonbinärer Ansätze. Er betont die Notwendigkeit, skeptisch und selbstreflexiv zu bleiben, um die transformative Kraft dieser Ansätze zu bewahren. Gleichzeitig sieht er in der Überwindung des binären Denkens eine Chance, viele drängende gesellschaftliche und ökologische Probleme zu lösen. Er argumentiert, dass starre Denkmuster und Machtstrukturen die Wurzeln vieler aktueller Krisen sind und dass ein offeneres und flexibleres Denken notwendig ist, um nachhaltige Lösungen zu finden.

Der Essay endet mit einer eindringlichen Aufforderung, nonbinäres Denken weiterzuerforschen und in die Praxis umzusetzen. Ebmeyer sieht darin die Möglichkeit, starre Strukturen aufzubrechen, Machtverhältnisse zu dekonstruieren und eine gerechtere und vielfältigere Gesellschaft zu schaffen. Er betont, dass subversives Denken nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch umgesetzt werden muss, um echte Veränderungen zu bewirken. Subversives Denken ist nicht nur eine intellektuelle Übung, sondern eine lebensnotwendige Praxis, die das Potenzial hat, unsere Gesellschaft grundlegend zu transformieren.

Diskussion

Der Essay ist eine lesenswerte Lektüre, die einen umfangreichen Überblick über die Konzepte und Ideen der Nonbinarität bietet. Ebmeyer beleuchtet die tief verwurzelten Strukturen des binären Denkens und zeigt auf, wie nonbinäre Perspektiven diese Hierarchien herausfordern und dekonstruieren können. Dabei werden nicht nur historische und philosophische Ansätze, sondern auch aktuelle politische Bewegungen und theoretische Strömungen eingehend behandelt.

Besonders positiv hervorzuheben ist die Lesbarkeit des Essays. Der Autor versteht es, komplexe Themen verständlich und ansprechend darzustellen. Sein humorvoller Schreibstil und gelegentliche polemische Spitzen würzen den Text, ohne dabei plump zu wirken. Diese Elemente tragen dazu bei, dass die Leser*innen nicht nur informiert, sondern auch unterhalten werden.

Ein weiterer Pluspunkt ist die Fähigkeit des Essays, zum Nachdenken und Weiterdenken anzuregen. Ebmeyer fordert auf, gängige Denkmuster zu hinterfragen und sich offen für alternative Perspektiven zu zeigen. Dieser Aufruf zur Reflexion und zum subversiven Denken ist sowohl intellektuell anregend als auch gesellschaftlich relevant. Besonders reizvoll erscheint der Dreiklang aus Dekonstruktivismus, Anarchismus und Systemtheorie. Dieser lässt sich zweifellos akademisch sowie gesellschaftspolitisch fruchtbar weiter verfolgen.

Trotz der zahlreichen Stärken des Essays gibt es auch einen kritischen Punkt, den der Rezensent nicht unerwähnt lassen möchte: das Fehlen eines Literaturverzeichnisses. Zitate ohne Quellenangabe sind besonders unbefriedigend und mindern die wissenschaftliche Fundierung des Textes. Ein Literaturverzeichnis würde nicht nur die Nachvollziehbarkeit der Argumente erhöhen, sondern auch interessierten Leser*innen die Möglichkeit geben, weiterführende Literatur zu konsultieren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Michel Ebmeyers Essay eine wertvolle und lesenswerte Lektüre ist. Es bietet einen breiten und tiefen Einblick in die Thematik der Nonbinarität, ist gut lesbar und humorvoll geschrieben und regt zum Nachdenken an. Die kritischen Anmerkungen hinsichtlich der fehlenden Quellenangaben mindern den Gesamteindruck nur geringfügig und sollten potenzielle Leser*innen nicht davon abhalten, sich mit diesem inspirierenden und subversiven Werk auseinanderzusetzen.

Fazit

Michael Ebmeyer plädiert in seinem Buch für die Überwindung binärer Denkmuster und die Anerkennung des Nonbinären. Er ermutigt zu subversivem Denken und antiautoritärem Handeln, inspiriert von Derrida und anarchistischen Traditionen und betont die Notwendigkeit einer offenen, systemischen Weltsicht. Das Buch lädt zum Nachdenken und Weiterdenken ein und bietet eine kurzweilige und schöne Lektüre.

Rezension von
Dr. André Latz
Unternehmensberater / Coach Führungskompetenz, Soziologie
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Es gibt 2 Rezensionen von André Latz.

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Zitiervorschlag
André Latz. Rezension vom 09.08.2024 zu: Michael Ebmeyer: Nonbinär ist die Rettung. Ein Plädoyer für subversives Denken. Carl Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2023. ISBN 978-3-8497-0507-7. Reihe: update gesellschaft. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31067.php, Datum des Zugriffs 15.09.2024.


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