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Nathali Klingen: Sechs Superkräfte für Ihr Leben

Rezensiert von Dipl.-Psych. Tobias Eisenmann, 05.03.2025

Cover Nathali Klingen: Sechs Superkräfte für Ihr Leben ISBN 978-3-608-86082-5

Nathali Klingen: Sechs Superkräfte für Ihr Leben. Wohlbefinden kann man lernen. Klett-Cotta Verlag (Stuttgart) 2023. 179 Seiten. ISBN 978-3-608-86082-5. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR.

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Thema

Im vorliegenden Buch befasst sich die Autorin Nathali Klingen mit dem Wohlbefinden und welche „Superkräfte“ dazu beitragen, dieses nachhaltig zu fördern. Dabei bedient sie sich der Akzeptanz- und Commitmenttherapie (kurz ACT – in einem Wort gesprochen) als Grundlage. Bei genauerer Betrachtung nutzt Klingen das Hexaflex, also das Modell, in welchem jene grundlegenden sechs Prozesse formuliert sind, welche psychologische Flexibilität ermöglichen. Dies bedeutet, sich an Veränderungen, Widrigkeiten und Belastungen anzupassen und diese produktiv nutzen zu können. Die Verbindung zu Wohlbefinden liegt damit auf der Hand. Umgekehrt entsteht aus der Missachtung jener Prozesse psychologische Inflexibilität, welche mit Krankheitsprozessen und Befindlichkeitsstörungen assoziiert ist. Im Klappentext wird entsprechend auf Sorgen und Ängste, depressiven Verstimmungen und Selbstzweifeln, oder auch dysfunktionale Verhaltensweisen und -muster verwiesen, bei denen jene „Superkräfte“ helfen können. Diese sollen nach Ansicht der Autorin die Macht verleihen, das Leben wirklich zu verändern.

Autorin

Dr. rer. pol. Nathali Klingen ist Psychologische Psychotherapeutin, Lehrtherapeutin und Supervisorin. Sie ist seit 2007 in eigener Praxis niedergelassen und gibt in unterschiedlichen Ländern Fortbildungen zu ACT. In einem weiteren Buch schreibt sie über die Anwendung von ACT in Gruppen.

Entstehungshintergrund

Die Akzeptanz- und Commitmenttherapie ist im Grundsatz einer Weiterentwicklung der Verhaltenstherapie, mitunter auf dem radikalen Behaviorismus von Burrhus F. Skinner fußend. In ihrer heutigen Form zählt sie zu den Verfahren der sog. Dritten Welle, im Kern sind die auch heute noch gültigen Überlegungen zum Kontextualismus, dem Einfluss der Sprache auf das Fühlen und Handeln und die grundlegende Bezugsrahmentherapie aber älter. Die ACT erfreut sich ungebrochen zunehmender Beliebtheit und ist heute aus modernen psychotherapeutischen Prozessen nicht mehr wegzudenken. Im Gegensatz zu der Vielzahl an akademischen Schriften, ist die Anzahl an Selbsthilfeliteratur jedoch überschaubar. Nachdem die Autorin bereits ein Fachbuch zur Anwendung der ACT in Gruppen geschrieben hat, sei sie danach gefragt worden, ob sie nicht ein Buch für die „Allgemeinheit“ schreiben könne. Diesem Wunsch ist sie mit dem vorliegenden Buch nachgekommen.

Aufbau

Der Aufbau orientiert sich am bereits erwähnten Hexaflexmodell und den als „Superkräfte“ bezeichneten Prozessen. Nach einer Einführung und einem Überblick über die Nutzung des Buches werden die einzelnen Prozesse der Reihe nach abgehandelt. Doch darin erschöpft sich das Buch nicht, denn in einem weiteren Kapitel werden zusätzliche Aspekte, Prozesse und Hilfsmittel beleuchtet, die sich förderlich auf das Wohlbefinden auswirken können. Um den Transfer in die Praxis und damit den Alltag zu unterstützen, befasst sich der letzte Abschnitt mit der praktischen Umsetzung analog eines „Work-outs“. Ein Literaturverzeichnis beschließt das Buch mit seinen knapp 180 Seiten.

Inhalt

Zum Eingemachten. Das Buch verschwendet keinen Platz, um sich mit theoretischen Grundlagen zu ACT und deren theoretischen Fubndament bzw. ihrer Geschichte aufzuhalten, sondern beginnt in der Einführung mit einem knappen Abriss der Grundauffassung von ACT und den formulierten Kernprozessen. Dabei ist Klingen so offen, den durchaus reißerischen Titel zu erläutern – Leser:innen dadurch anzulocken. Als Kerngedanke skizziert sie, dass ACT als ein Paradigmenwechsel zu verstehen ist, indem die Umgangsweise mit erlebten Gedanken und Gefühlen fokussiert wird. Nicht der Inhalt soll verändert werden. Entsprechend passende Beispielgedanken werden wiedergegeben, sodass jeder mindestens eine hinderliche Bewertung als die eigene zu identifizieren vermag. Neugierig geworden, wird eine grundlegende Auffassung der ACT paraphrasiert: Es geht im Leben nicht um die optimale Funktionstüchtigkeit, sondern darum, sich als lebendig zu erleben. Das schließt daher schwierige Gedanken und Gefühle explizit ein, impliziert aber gleichermaßen, dass auch „Superkräfte“ diese nicht einfach neutralisieren können.

Nun ist es im Hexaflex keineswegs so, dass eine Fähigkeit eine andere sticht. Vielmehr stehen alle gleichberechtigt zueinander. Das bedeutet allerdings nichts, dass jeder Mensch auch auf jeder Ebene Schwierigkeiten erlebt. Dennoch empfiehlt Klingen dem Leser, die Kapitel vollständig und der Reihe nach zu lesen und die Inhalte im Anschluss auszuprobieren. Damit verbunden ist die Aufforderung, die gelesenen Übungen über einen längeren Zeitraum zu praktizieren, bevor man mit der nächsten „Superkraft“ weitermacht. Damit spricht sie in ihrem Überblick einen Kerngedanken von ACT an: es hilft nichts, wenn es nicht umgesetzt und erlebt wird. Die praktische Anwendung wird dementsprechend empfohlen, damit das Gelesene erfahrbar wird. Nachdem sicherlich Menschen in psychosozialer Not das Buch lesen werden, erscheint der Hinweis, mit Neugier sowie freundlich und liebevoll an die Übungen heranzugehen hilfreich und notwendig.

Im Hauptteil werden natürlich die Kernprozesse bzw. jede einzelne Superkraft vorgestellt. Das sind der Reihe nach Achtsamkeit, Defusion, Akzeptanz, das Beobachter-Selbst, Wertekompetenz und Commitment. Einführend erläutert die Autorin die kreative Hoffnungslosigkeit in Form einer Bestandsaufnahme. Durch Fragen möchte sie anregen, sich mit bisherigen Lösungsversuchen auseinanderzusetzen und diese nach ihrem Erfolg zu bilanzieren. Letztlich wird häufig (und so ist es intendiert) herauskommen, dass die bisherigen Bewältigungsversuche nicht fruchtbar genug waren, um die Probleme verschwinden zu lassen. Wie bereits im Überblick zur Nutzung des Buches erläutert, sind alle Kapitel gleich aufgebaut. Neben einer kurzen sowie einer ausführlicheren Erläuterung der „Superkraft“ finden Leser:innen Hilfestellung zur Einordnung jener Kompetenz. Was kann sie, was kann sie nicht. Wie kann man sie anwenden und kultivieren und was ist die Quintessenz. Damit trägt Klingen dem unterschiedlichen Bedarf an Information und Informationsverarbeitung Rechnung, riskiert aber auch die eine oder andere Redundanz. Nachdem die jeweilige Einführung rezipiert worden ist, folgen zu jeder Kompetenz unterschiedlichste Übungen. Auch diese werden kurz hinsichtlich Sinn und Zweck vorgestellt, bevor die eigentliche Übung folgt. Dabei ist folgendes zu beachten: manche Übungen lassen sich mit Zettel und Stift bewerkstelligen, manch andere funktionieren über die Imagination. Wieder andere, z.B. zur Defusion können direkt umgesetzt werden, indem man bspw. einen schwierigen Gedanken laut singt oder sprachlich verfremdet. Erwähnenswert ist, dass die vorgestellten Meditationen und Achtsamkeitsübungen kostenfrei im Internet verfügbar sind.

Im letzten Abschnitt führt Klingen die in der Praxis bewährte und hilfreiche ACT-Matrix ein. Leser:innen sollen durch die Nutzung eines angepassten Vier-Felder-Schemas lernen, sich zu beobachten und zu verorten und so die eingeschlagene Richtung im Leben justieren und verändern zu können. Weitere hilfreiche Strategien wie die STOP-Technik werden ebenfalls geteilt, sodass auch am Ende des Buches noch Wesentliches zu lesen ist. Abschließend verdichtet die Autorin das vorher aufgezeigte Programm in einem Ablaufplan sowie einem damit verbundenen Work-Out. Dadurch wird erneut die praktische Umsetzung betont, die für eine derart erlebnisorientierte Therapieform wie ACT dringend notwendig ist.

Abschließend sei angemerkt, dass im Buch vereinzelt Illustrationen eingestreut sind, die auflockernd wirken, aber auch die Imagination der angesprochenen Interventionen fördern. 

Diskussion

Zugegeben, das Buch verfügt über einen plakativen Titel, der impliziert, dass im Inhalt eine echte Geheimwaffe zu finden ist, mit der man das eigene Wohlbefinden steigern kann. Damit ist das Versprechen groß, wenn man das Buch in die Hand nimmt. Dementsprechend tut die Autorin gut daran, frühzeitig zu entmystifizieren. ACT mag aufgrund der vielen unterschiedlichen, erlebnisorientierten und durchaus humorvollen, zuweilen skurilen Interventionen locker und leicht klingen. Die Umsetzung, welche auf Annehmen und Konfrontieren fußt, ist es jedoch beileibe nicht. Es besteht daher ein gewisses Risiko, die Therapieform zu verniedlichen oder auf die leichte Schulter zu nehmen. Es ist der offenkundig vorhandenen praktischen Erfahrung der Autorin anzurechnen, dass dies nicht geschieht, sich das Buch gleichwohl leicht lesen lässt. Klingen vermag es, den Ansatz verständlich und praxisnah zu vermitteln, ohne ihn zu verwässern und als Lifestyle-Therapie zu degradieren. Sie beschreibt anschaulich die Überlegungen hinter den Übungen und skizziert dies nachvollziehbar, sodass die Lust am Ausprobieren frühzeitig geweckt wird. Natürlich greift sie dabei auf bekannte und vielfach wiedergegebene Übungen (wie „Blätter im Fluss“) zurück, bezieht aber auch neue, weniger verbreitete – und wohl auch eigene – Übungen (90 Kästchen)mit ein. Dadurch empfiehlt sich das Buch auch für professionelle Helfer:innen, die ihren Methodenschatz unkompliziert erweitern wollen. Dies stellt für mich auch einen der wesentlichen Gründe dar, das Buch vorbehaltlos weiterzuempfehlen. In seiner Kompaktheit bietet es einen wunderbaren Überblick über mögliche Übungen zu den Kernprozessen, ohne dass man lange suchen und blättern muss. Damit hat es fast Impact-Charakter, indem es kurz aus dem Regal geholt, gleich genutzt werden kann. Das Buch macht es damit Leser:innen aus jedweder Richtung kommend einfach, es zu benutzen. Es ist anschaulich und schnörkellos, interessant und fundiert. Wichtig ist nur, dass die darin enthaltene Methode keine einfache ist, sondern bei entsprechender Nutzung fordernd und anstrengend sein kann. Die Steigerung des eigenen Wohlbefindens ist das lohnenswerte Ergebnis jener Reise, die mit dem Aufschlagen der ersten Seiten beginnt und durch konsequente Nutzung und Umsetzung steht oder fällt.

Fazit

Mit dem vorliegenden Buch gelingt es Nathali Klingen, auf praxisorientierte Weise in die Akzeptanz- und Commitmenttherapie einzuführen. Durch die Benennung der darin formulierten Kernprozesse als „Superkräfte“ ermöglicht sie einen leichten Einstieg in die Thematik, konzentriert sich dann aber auf die Anwendung und Umsetzung durch eine Vielzahl an Übungen und Interventionen, dabei wird die langjährige praktische Erfahrung ebenso deutlich, wie der Spaß an frischen Ideen. Das Buch eignet sich durch seine hohe Nutzbarkeit nicht nur als Selbsthilfebuch, sondern auch als Ideengeber für Helfer:innen.

Rezension von
Dipl.-Psych. Tobias Eisenmann
Psychologischer Psychotherapeut (VT);Dipl.-Soz.päd.
Ehem. Wissenschaftlicher Mitarbeiter - Lehrstuhl für Psychologische Diagnostik, Universität Erlangen-Nürnberg
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Es gibt 53 Rezensionen von Tobias Eisenmann.

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ISSN 2190-9245