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Ariadne von Schirach: Glücksversuche

Rezensiert von Thomas Reinhardt, 03.11.2023

Cover Ariadne von Schirach: Glücksversuche ISBN 978-3-608-50188-9

Ariadne von Schirach: Glücksversuche. Von der Kunst, mit seiner Seele zu sprechen. Tropen Verlag (Berlin) 2023. 288 Seiten. ISBN 978-3-608-50188-9. D: 12,00 EUR, A: 12,40 EUR.

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Autor, Thema und Entstehungshintergrund

Die Autorin Ariadne von Schirach ist durch ihre Essays und Bücher zu Zeitfragen bekannt geworden. Sie studierte Philosophie, Psychologie und Soziologie. Mit diesem in zweiter Auflage herausgegebenen Sachbuch „Glücksversuche“ legt die Autorin ihr 6. Buch vor. Zehn Jahre vor Erscheinen der ersten Ausgabe schrieb sie diese als Kolumnen auf www.welt.de. Das in persönlichem Stil gehaltene Buch sucht Antworten, wie der Einzelne bei sich selbst beginnen kann, um die „Welt zu retten“ (Klappentext). Der erste Satz greift die von Bertolt Brecht gestellte Frage auf: „Dürfen wir in Zeiten wie diesen nach Glück streben?“ Sie definiert Glück nicht als „Selbstoptimierung“ sondern sieht sich in der epikureischen Tradition, die die „Freude am eigenen Leben und die Freundschaft mit anderen ins Zentrum“ (Seite 11) stellt und sie folgt Seneca (49 nach unserer Zeitrechnung), der die wichtigste Aufgabe des Menschen darin sieht, sich um die eigene Seele zu kümmern.

Von Schirach beschreibt achtzig „Glücksversuche“. Alle habe sie selbst ausprobiert und möchte mit der Schrift die Lesenden dazu anregen, dasselbe zu tun. Das Buch ist Aurora gewidmet, was uns auch, wie schon der Name der Autorin, auf das klassische Griechenland verweist. Wikipedia schreibt: «Schirach ist die Tochter des Schriftstellers Richard von Schirach und Enkelin des NS-Reichsjugendführers Baldur von Schirach und der Schriftstellerin Henriette von Schirach. Sie ist die Schwester des Schriftstellers Benedict Wells und die Cousine des Strafverteidigers und Schriftstellers Ferdinand von Schirach. Schirach ist mit ihrem ehemaligen Verleger Michael Zöllner verheiratet. Sie haben eine gemeinsame Tochter, Aurora» Diese Information zu ihrer Person stelle ich der Rezension voran, um den Hintergrund der Autorin zu zeigen.

Aufbau

«Und obwohl man die Glücksversuche einzeln lesen kann, bauen sie doch in gewisser Weise aufeinander auf und bewegen sich dabei mäandernd vom Ich zum Wir.» Sie leitet ihre achtzig Versuche zum Glück mit einem Zitat von Epikur ein: «Über dem Aufschieben schwindet das Leben dahin, und so mancher von uns stirbt, ohne sich jemals Musse gegönnt zu haben.» (Philosophie der Freude, München 1988). Glück findet sich in der Genügsamkeit. Je weniger wir brauchen, desto mehr Zeit zur Musse haben wir. Glück braucht Freundschaft und so versteht sich auch der Aufbau, der beim Ich beginnt und das Individuum mit dem Titel «Glück ist erlernbar» anspricht und mit Überlegungen zur «Erneuerung» endet. Jedem Kapitel stellt die Autorin ein Zitat voran. Das Buch endet mit einem inhaltlich zusammenfassenden Nachwort, dem Literaturverzeichnis und einem Dank.

Inhalt

Gemeinsam aller Glücksversuche ist der epikureische Ansatz, der einen «asketischen Hedonismus» anstrebt. Dabei ziehen sich Überlegungen zu den Rhythmen der Natur, die Wahrnehmung von Innen und Aussen, vermittelt durch Ein- und Ausatmung, sowie die Einsicht, dass Glück nur in der Gegenwart erlebt werden kann wie ein «Ariadne» (sic est) – Faden durch die einzelnen Kapitel.

Zum Glück gehört auch Disziplin, die damit beginnt, auf sich selbst aufmerksam zu werden. Glück zu erreichen, bedeutet sich um seinen eigenen Geist, seinen Körper und um seine Beziehungen zu bemühen. Jedoch beginne Glück dort, wo wir fähig sind, in Resonanz mit anderen Menschen zu treten, Beziehungen zu gestalten, eingedenk daran, allein geboren zu werden und allein zu sterben. Doch auch Technik kann uns unterstützen: «Denn in Wahrheit machen uns Fotos unserer Lieben glücklich». (Seite 85) Die belesene Autorin schöpft aus einem breiten Schatz von Zitaten in dem auch Charles Bukowski auftaucht: «Ich weiss nicht, wie es den anderen ergeht, aber wenn ich mich morgens bücke und mir die Schuhe anziehe, denke ich jedes Mal: Grosser Gott, was nun?» (Seite 91). Dieses Zitat ist dem Kapitel «Kränkungsprävention» vorangestellt.

Folgenden Glücksversuch greife ich heraus, den Grund dafür erfahren Sie, lieber Leser, liebe Leserin, später: «Kleine Reisen». Vorangestellt ist ein Zitat von Dalai Lama: «Besuche jedes Jahr einen Ort, den du nicht kennst.»

Er beginnt wiederum mit einem persönlichen Satz Frau von Schirachs, in dem sie eine Zugfahrt durch eine englische Landschaft beschreibt. Ihre Gedanken dazu pendeln zwischen den Polen von «Alles fliesst» (Heraklit) und der «Planungssicherheit» am anderen Ende. Wir hoffen auf Stabilität und erleben Erstarrung, wenn die Dinge zu verlässlich werden. In den Zeiten, in denen wir vom Alltag verschluckt werden, sollte man eine Reise tun! «Wenn wir uns bewegen, bewegt sich etwas in uns.» Es müssen dabei keine grossen Reisen zu sein, «manchmal reicht es schon, nur ein bisschen mit der Fremde zu flirten.» (Seite 214) Dabei ist das Bewusstsein darüber, dass alles einmalig und kostbar ist, entscheidend und die Erkenntnis: «Jede kleine Reise ist eine Ode an das Vielleicht.» (Seite 215) Das Wahrgenommene in Waage halten und zu akzeptieren: Was ist, ist! wird zur Grundlage bewussten Lebens.

Diskussion

Das Buch liefert 80 Miniaturen zum Thema: «Was kann ich selber tun, um glücklich zu sein?» und es postuliert dabei, dass eine Freude über alles nichts wäre, ohne auch Verantwortung zu übernehmen. Bei der Suche nach Glück geht es darum, sich selber zu werden plus «gut mit allen, die mit einem sind.» (Seite 271) Wir haben Verantwortung gegenüber unserer Welt und müssen die Fragen stellen, wie wir diese schützen können. Wir dürfen uns nicht ablenken lassen von Nebensächlichkeiten, sondern Zeit gewinnen für die Dinge, die wirklich glücklich machen. Das heisst auch «unsere Fragen zu leben, wie der Dichter Rainer Maria Rilke es nennt.» (Seite 272)

Diese Rezension zu schreiben, entwickelte sich für mich auch zu einem Glücksversuch. Wie die Autorin wollte ich nicht abstrakt über das Thema beim Lesen nachdenken, sondern es mit dem Leben verknüpfen. Dies habe ich damit versucht, dass ich eine «kleine Reise» unternommen habe. Am Morgen nach meiner Ankunft in Jerusalem erwachte ich und es war Krieg. Samstag, 07. Oktober 2023. Zum Zeitpunkt an dem ich das schreibe, sitze ich fest in Jerusalem und komme nicht raus, da die Flüge gecanceled wurden. Ich lese das Buch von Ariadne von Schirach inmitten dieser schrecklichen Ereignisse und schöpfe aus ihren Gedanken Zuversicht, trotz alledem.

Fazit

Mein Fazit aus dem Buch will sagen: Ja, das Buch ist hilfreich, lesenswert, anregend und inspirierend. Auch wenn man es nicht der Reihe nach von vorne nach hinten liest.

Rezension von
Thomas Reinhardt
Diplomierter Berater für Organisationsentwicklung. Arbeitet als interner Coach im Universitätsspital Basel und freiberuflich in den Bereichen Organisationsentwicklung, Gesundheitsmanagement, Konfliktmoderation, Coaching für Führungsverantwortliche, Teamentwicklung und Supervision. Schwerpunkte: Gesundheit und Führung, Change Management, Leadership, Kommunikation, Psychohygiene und Glück.
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Zitiervorschlag
Thomas Reinhardt. Rezension vom 03.11.2023 zu: Ariadne von Schirach: Glücksversuche. Von der Kunst, mit seiner Seele zu sprechen. Tropen Verlag (Berlin) 2023. ISBN 978-3-608-50188-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31076.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.


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