Meike Stoverock: Female Choice
Rezensiert von Mag. phil. Edith Haidacher, 12.03.2025

Meike Stoverock: Female Choice. Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation. Tropen Verlag (Berlin) 2022. 352 Seiten. ISBN 978-3-608-50176-6. D: 14,00 EUR, A: 14,40 EUR.
Thema
Die Autorin befasst sich mit dem umfassenden Unbehagen in den zivilisatorischen Gesellschaftsordnungen, insbesondere mit den Geschlechterverhältnissen und deren Folgen. Sie beleuchtet die biologischen Grundlagen des Zusammenlebens von uns Menschen und inwieweit wir uns davon entfremdet haben – mit allen Auswirkungen auf die Macht- und Lebensverhältnisse. Sie beleuchtet die Folgen sowohl für Männer wie auch für Frauen und öffnet den Blick für mögliche neue Entwicklungswege.
Autorin
Die Autorin ist studierte Biologin mit einem geisteswissenschaftlichen Hintergrund und Bloggerin.
Aufbau
Das Buch spannt den Bogen von den biologischen Grundlagen über die Definition der „female choice“ zur Beschreibung der Grundlagen der androzentrischen Zivilisation und ihrer Methoden, diese Verhältnisse aufrechtzuerhalten bis zu den Veränderungen, die im Gange sind, weil Frauen in den Industriegesellschaften mehr Freiheiten und Selbstbewusstsein gewinnen und den Folgen für die männliche Hälfte der Gesellschaft. Sie bietet zum Schluss Möglichkeiten aus Fällen, die für beide Geschlechter, und Ausblicke auf die Schaffung einer neuen Zivilisation.
Inhalt
In diesem flott geschriebenen Sachbuch werden die Geschlechterverhältnisse zuerst einmal aus der biologischen Sicht beleuchtet. Die Autorin beschreibt, dass es nicht nur soziologische, sondern auch evolutionsbiologische Faktoren gibt, dass sich „bestimmte Verhaltensmuster entlang von Geschlechtergrenzen beobachten lassen“ (s. 12). Vor der Sesshaftigkeit und der Erfindung von Ackerbau und Viehzucht habe auch beim Menschen das Urprinzip der Partnerwahl geherrscht, nämlich, dass die Weibchen entscheiden, mit wem sie Sex haben, denn bei ihnen gehe es um „Klasse“ – „Female Choice“! – während es bei den Männchen um Masse gehe, das heißt, möglichst viele Weibchen zu begatten. Auf diese Weise ziehen folglich Weibchen und Männchen keineswegs an einem Strang. Erst durch die menschliche Zivilisation sei das Zusammenleben nach den Bedürfnissen der Männer gestaltet worden, denn sie arbeiteten systematisch an der Unterdrückung dieses biologischen Prinzips, das für Männer sehr anstrengend ist: Die Weibchen – um wieder den biologischen Begriff zu nehmen – sind wählerisch und die Männchen müssen etwas leisten, sich bewerben, daher fast alle Energie aufwenden, um Partnerinnen zu gewinnen. Da der Mensch aber mehr will als nur seine gesamte Energie für Essen, Schlafen und Sex zu verbrauchen, muss der Mann einen besseren Zugang zur Fortpflanzung haben, damit er noch Kraft und Freiraum hat, etwas zu schaffen und zu gestalten.
Stoverock beschreibt in der Folge sehr schlüssig und auch humorvoll, wie die von Männern gestaltete Zivilisation systematisch die Female Choice, und damit die Bedürfnisse der Frauen eingeschränkt hat, und wie sich Männer Strukturen in der äußeren Welt – Handel, Wirtschaft, Politik, Arbeitswelt – so gestaltet haben, dass ihre aus dem sexuellen Konflikt entstanden Bedürfnisse und Notwendigkeiten berücksichtigt werden.
Durch Verhütungsmittel und das Aufkommen von alternativen Beziehungsmodellen sei die männliche Sicherheit aber bedroht, und da Sexualität in der Bedürfnispyramide von Männern viel dringlicher als bei den Frauen sei, reagieren besonders die männerdominierten konservativen Parteien aggressiv auf diese Entwicklungen.
Es werden in der Folge gute Gründe angeführt, inwiefern Biologie und Kultur kein Gegensatz sind. Es gestalten nun einmal die biologischen Gegebenheiten die Grundlagen unserer Kultur, die wir berücksichtigen und in der Folge die Geschlechterbeziehungen und Strukturen neu verhandeln müssen.
Da die biologischen Grundmuster wie eh und je wirken, finden Männer im Allgemeinen weibliche Intelligenz im Endeffekt nach wie vor wenig anziehend, sondern bevorzugen weniger verdienende, weniger selbstständige Frauen. Frauen hingegen haben heute mehr sexuelle Freiheit und wünschen sich ebenbürtige Partner oder gar einen, zu dem sie aufschauen können. Der Sexualdimorphismus, also dass Männer im Durchschnitt größer sind als Frauen – aufschauen wollen –, geht direkt auf die sexuelle Selektion weiblicher Individuen zurück.
Mit der Sesshaftwerdung werden Waffen, Kleidung, Schmuck, Besitz und damit auch das „trophy wife“ ein Zeichen der Selbstdarstellung. Das Zentrum menschlichen Handelns war zum Zeitpunkt der Matrifokalität im Nomadentum die Erhaltung des menschlichen Lebens rund um das Feuer, das Ernähren und Stillen, Pflegen etc. Mit der Änderung der Werte werde dies der Frau zum Verhängnis, denn ihre Arbeit ist nicht monetarisierbar. „Nicht die wichtigen Bedürfnisse der Mutter-Kind-Einheit stehen im Fokus menschlicher Gemeinschaften, sondern der Besitz des Mannes“ (S. 145).
Es folgen Ausführungen, inwiefern die monogyne Ehe und die göttliche Sexualmoral dabei helfen, diese Strukturen zu festigen. Durch die female choice ist auch eine große Anzahl von Männern ohne Chance auf Sex und Nachwuchs, was zu einem großen Aggressionspotenzial unter diesen Männern führe. Durch die Sexualkonkurrenz bilden sich auch die Hierarchien. Die ungleiche Sexverteilung bewirke auch das Streben nach noch mehr Macht und Besitz in der Führungsriege, wozu man die unten stehenden Männer zu missbrauchen bereit sei.
Auch werde, da nun die Männer am längeren Hebel sitzen, auf kulturellem Wege aus der female choice eine male choice, d.h. der Mann, der von Natur aus nicht das Sagen beim Sex habe, möchte nun bestimmen, wie die Frau zu sein hat, damit sie seinen Fantasien und Projektionen gerecht werde. Die Folgen sind der weltweit verbreitete Selbsthass von Frauen, dass Frauen sich verbiegen und ihren Körper umbauen müssen, um zu gefallen.
Monogynie schaffe eine weitestgehende sexuelle Grundversorgung für alle Männer und so sei die männliche Gewaltbereitschaft weitestgehend so weit gezähmt, dass das enge menschliche Zusammenleben funktionieren kann.
Ein weiterer Hebel zur Ausschaltung der female choice sei die „göttliche Sexualmoral“ (S. 168), die durch Scham und Angst eine friedliche Anpassung an die neue Lebensweise ermögliche, indem natürliches Sexualverhalten verhindert und ein angepasstes Verhalten gefordert wird – denn wer will es sich schon mit den Göttern verscherzen, „von denen reiche Ernte, Gesundheit und womöglich das eigene Seelenheil abhängen“ (S. 173).
Nunmehr komme es aber zum „backlash“ (S. 231), denn die Männer nehmen es nicht so einfach hin, dass die Frauen wieder mehr in ihre Kraft und Wahlfreiheit kommen. Die Zunahme an männlicher Aggression in der Welt sei „der grimmige Versuch, die Büchse der Pandora wieder zu schließen, die die Erfindung der Pille geöffnet hat“ S. 231). Die Autorin beleuchtet in diesem Zusammenhang genau und schlüssig die Zunahme von Amokläufen, school shootings etc., bei denen es sich um Taten von „Incels“ handle, deren Hintergründe und Ursachen beleuchtet werden, um Männer also, die mit „kontinuierlicher Zurückweisung durch potenzielle Geschlechtspartnerinnen aufwachsen“ (S. 235).
Stoverock plädiert an dieser Stelle für Empathie und Mitgefühl, denn die meisten Incels, also Männer, die keine Sexpartnerin finden, werden nicht zu Mördern, sondern seien „zutiefst einsame und hoffnungslose Menschen“ (S. 236). In der Folge beleuchtet die Autorin die Möglichkeiten, die das Internet und andere Werkzeuge sexlosen Männern bieten, aber die zunehmende Gruppe von Männern, die „übrig bleiben“ seien eine potentielle Gefahr für die gesellschaftliche Stabilität und Sicherheit. Denn die Rechnung sei einfach: mehr Incels, mehr Tote durch Suizid, Amok, Morde, mehr Vergewaltigungen und Stalker.
Die letzte Bastion männlicher Kontrolle ist die Abtreibungsgesetzgebung. Die Autorin führt in diesem Kapitel (s. 246 ff) aus, wie man(n) durch Geburt und Kinder die androzentrische Weltordnung weiter aufrechtzuerhalten sucht.
Es gehe also um eine Umwandlung der gesamten Zivilisationsordnung, um eine neue Zivilisation, die Sex für alle ermögliche und dadurch einen Ausweg aus der Incel-Falle biete. Es gehe darum, Paarbeziehungen von romantischen Lügen zu befreien und die Arbeit von Mutterschaft und Pflege sichtbar und bewertbar zu machen. Außerdem gehe es um die Erzählungen und Herrschaftsbilder, die die monotheistischen Religionen vertreten, besonders betreffend die menschliche Sexualität, deren Folgen die Autorin sehr einsichtig und umfassend offenlegt.
Das Buch liefert schlüssige Argumente und nachvollziehbare Fakten, die für eine Versöhnung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften sprechen, um die Schieflage unserer Zivilisation, die durch sexuelle Instinkte ausgelöst werde, zu korrigieren. Wir haben nicht mehr viel Zeit und es werde Schmerzen und Opfer verursachen.
Diskussion
Das Buch bietet umfassende sachliche Grundlagen zu Biologie, Soziologie, Religionswissenschaft und Geschichte der Sexualität. Packend, humorvoll und mitreißend wird der Status quo beschrieben und neue Parameter des Zusammenlebens vorgestellt. Die Zusammenschau und genaue Analyse der biologischen, soziologischen und geschichtlichen Hintergründe und Entwicklungen ermöglicht durchaus ein Erwachen, ein „Aha-Erlebnis“ und lässt einen auch erschüttert zur Kenntnis nehmen, dass der/die Einzelne in großen Zusammenhängen und Strukturen lebt, die nur mit Bewusstheit und auch Opfern auf vielen Ebenen weiterentwickelt werden können; was aber notwendig ist, wenn wir Menschen überleben wollen/​sollen.
Fazit
„Female Choice“ bedeutet in der Biologie die Kontrolle der Weibchen über den Zugang zu Sex. Das Buch erläutert, wie die Männer eine Zivilisation geschaffen haben, die diese Frauen nunmehr verunmöglicht und was die Folgen für beide Geschlechter sind. Ausblicke auf eine neue Zivilisation werden eröffnet.
Rezension von
Mag. phil. Edith Haidacher
MAS, MSc Psychotherapie, psychosoziale Beratung, Supervision und Coaching
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