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Dieter Funke: Als Himmel und Erde sich trennten

Rezensiert von Prof. Dr. Joachim Thönnessen, 26.11.2024

Cover Dieter Funke: Als Himmel und Erde sich trennten ISBN 978-3-8379-3268-3

Dieter Funke: Als Himmel und Erde sich trennten. Die Dualisierung des Bewusstseins in Psychoanalyse und Religion. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2023. 246 Seiten. ISBN 978-3-8379-3268-3. D: 36,90 EUR, A: 38,00 EUR.
Reihe: Forum Psychosozial.

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Thema

In der hier zu besprechenden Arbeit wird davon ausgegangen, dass die sich in der Kulturgeschichte der westlichen Welt vollziehende extreme Dualisierung des Bewusstseins „zu einem aggressiv gefärbten Weltkontakt und zu einer gewissen Gewaltbereitschaft in der abendländisch-christlichen Geschichte geführt hat“ (S. 10). Dem setzt der Autor „die heilsame Wirkung eines Bewusstseins der Verbundenheit für das Überleben der Menschheit“ (ebd.) entgegen.

Autor

Dieter Funke, Dr. theol., ist Psychologischer Psychotherapeut und Psychoanalytiker. Er ist niedergelassen in eigener Praxis in Düsseldorf für tiefenpsychologisch fundierte und analytische Einzel-, Paar- und Gruppentherapie. Außerdem ist er tätig als Gruppenlehranalytiker, Dozent und Lehrtherapeut (aus dem Klappentext).

Entstehungshintergrund

„Himmel“ steht in dem Buch als Metapher für das Geistige und Mentale, „Erde“ für das Materielle und Körperliche. Die Entstehung der dualisierenden Trennung in der Evolution des menschlichen Bewusstseins bildet die zentrale Perspektive für die Erkundungen dieses Buches. Persönlich – so Funke – steht das Bild der Trennung von Himmel und Erde für seine philosophisch-theologischen und psychoanalytischen Positionen und Entwicklungen (vgl. S. 9f): „Die Emanzipationsimpulse der Psychoanalyse, die mich gelehrt haben, den Himmel als Projektion der 'irdischen' Psyche zu begreifen, suchten Raum in meinem Leben und führten zu einer Distanzierung von lehramtlicher Theologie und Kirche“ (S. 9). Allerdings habe die Kommunikation mit Theologie und Philosophie trotz aller Brüche nie aufgehört. Sein neues Buch führe diese Kommunikation weiter. Zwei seiner Veröffentlichungen, „Ich – Eine Illusion“ (2010) und „Das Ungewisse und der innere Raum“ (2021) seien als Vorarbeiten zu der aktuellen Veröffentlichung zu verstehen (S. 10).

Aufbau und Inhalt

Nach Vorwort und Einleitung folgen acht Kapitel und ein „Ausklang“ sowie ein ausführliches Literaturverzeichnis. In Kap. 1 beschreibt Funke zunächst die Dualisierung in der Entwicklung des individuellen Bewusstseins. Er greift hier u.a. auf die Arbeiten von Görnitz und Görnitz (2008) und Donald (2008) (S. 30ff) zurück. In Kap. 2 verwendet Funke die Metapher des „emporgerückten Himmels“, um zu verdeutlichen, dass „der Mensch die Natur, die Erde und andere Völker und Staaten als Gegenüber wahrnimmt und sich nicht mehr als Teil davon fühlen kann“ (S. 39). In Kap. 3 geht es um das sog. „kollektive Unbewusste“, welches sowohl von C.G. Jung als auch von S. Freud thematisiert wurde. Aus einer psychohistorischen Perspektive fragt Funke in diesem Kapitel danach, „unter welchen Bedingungen sich die Architektur unserer Psyche, wie wir sie heute erleben, herausgebildet hat“ (S. 73). Kap. 4 benutzt wieder eine Metapher. „Athen“ steht für eine „in Griechenland entstandene neue Rationalität des Logos“ (S. 100), die bis ins europäische Mittelalter hinein existierte. Auch Kap. 5 ist mit einer Metapher überschrieben: „Während 'Athen' den Weg vom Mythos zum Logos beschreitet, geht 'Jerusalem' den Weg vom Mythos zur Transzendenz“ (S. 113). Kap. 6 ist überschrieben mit „Die Wende im Christentum“. In diesem ausführlichen Kapitel geht es um die Geburt Jesu – welche im theologischen Kontext als Zeitenwende beschrieben wird (S. 143ff). In Kap. 7 wird vor dem Hintergrund des traditionell dualen und damit trennenden Denkens der „christologische Streit der ersten nachchristlichen Jahrhunderte“ (S. 199) ausgebreitet. Er drehte sich um die Frage, „wie man das Göttliche und das Menschliche in der Person Jesu zusammendenken kann, ohne das Göttliche im Menschlichen aufgehen zu lassen: ist Jesus wesensgleich (homo-ousios) mit Gott oder ist er ihm nur ähnlich?“ (ebd.). Thema des 8. Kap. ist die heilsame Wirkung eines Bewusstseins der Verbundenheit. Hier wird erörtert, was ein solches transduales Bewusstsein für die Psychoanalyse bedeutet (S. 219ff). Im sog. „Ausklang“ betont der Verfasser seinen Wunsch, dass „sich das Verbundenheitsdenken in den Wissenschaften, in der Psychotherapie und der Religion zum humanen Überleben der Menschheit mehr und mehr durchsetzt“ (S. 238).

Diskussion

Als Ergebnis einer Diskussion mit einem theologisch geschulten Freund, welche das Buch von Dieter Funke zum Inhalt hatte, ergaben sich die folgenden Fragen und Kommentare:

- Ein personal-individuelles Bewusstsein ohne Dualität ist (im Normalfall) nicht möglich. Jede Selbstreflexion setzt eine Distanz zu sich und anderen Entitäten voraus, was die Einheitserfahrung nicht ausschließt. Ist es nicht stattdessen die unentfremdete Selbstdistanz (Dualität) und das Beisichsein (Einheit), welches die Einung mit dem Universellen (Göttlichen; Selbst, usf.) als bewusste Erfahrung ermöglicht? Gerade der psychoanalytische Prozess will die authentische Selbstdistanz und das nicht-symbiotische Beisichsein entwickeln.

- Wird genau genug unterschieden zwischen Dualität (= natürlicher Bewusstseins-/​Seinszustand) und „Dualismus“ als entfremdeten Zustand? Ebenso: Wird unterschieden zwischen „Einheit“ (nach Meister Eckhart: „ein einig Ein“; keine Einerleiheit) und „Monismus“ (Tendenz zum Fundamentalismus) als Fixierung auf „Eines“ (das Alles sein soll) – was stets einen latenten Dualismus impliziert. Ebenso: Wird unterschieden zwischen „Einheit“ (Eckhart: „ein einig Ein“; keine Einerleiheit) und „Monismus“ (à Tendenz zum Fundamentalismus) als Fixierung auf „Eines“ (das Alles sein soll), was stets einen latenten Dualismus impliziert?

Als spirituell interessierter, aber nicht theologisch geschulter Mensch (mit soziologischer und philosophischer Ausbildung) entwickelten sich mir zudem die folgenden Fragen:

- Wenn die beiden Ebenen Spiritualität und Psychoanalyse so wie in dem vorliegenden Buch miteinander in Zusammenhang gebracht werden, bedeutet das nicht eine Spiritualisierung des Psychologischen? Welcher Sinn ergibt sich daraus? Kann ein transduales Bewusstsein durch das Denken erzeugt werden? Und wenn ja, wird dazu eine Praxis/​Methode benötigt? Das Buch hinterlässt keinerlei Hinweise auf Praktiken/​Methoden, die zu der Erfahrung eines Bewusstseins der Verbundenheit (= transduales Bewusstsein) verhelfen können. Wir kennen viele dieser Methoden wie beispielsweise den Yoga. Doch auch im Christentum gab es kontemplative Methoden (z.B. Schönfeld 2001, 2002).

Fazit

Das hier besprochene Buch behandelt ein sehr spezielles Thema. Es wird interessierte Leser und Leserinnen aus dem theologischen und psychologisch/​psychoanalytischen Bereich finden.

Literatur

Donald, Merlin (2008): Triumph des Bewusstseins. Die Evolution des menschlichen Geistes. Stuttgart: Klett Verlag

Funke, Dieter (2011): Ich – Eine Illusion? Bewusstseinskonzepte in Psychoanalyse, Mystik und Neurowissenschaften. Gießen: Psychosozial Verlag

Funke, Dieter (2023): Das Ungewisse und der innere Raum. Eine religionspsychologische Annäherung. Gießen: Psychosozial Verlag

Görnitz, Thomas & Görnitz, Brigitte (2008): Die Evolution des Geistigen. Quantenphysik – Bewusstsein – Religion. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht

Schönfeld, Andreas (2003): Meister Eckhart Geistliche Übungen Meditationspraxis nach den »Reden der Unterweisung«. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag

Schönfeld, Andreas (2002) (Hg.): Spiritualität im Wandel: Leben aus Gottes Geist. Festschrift Geist und Leben. Würzburg: Echter Verlag

Rezension von
Prof. Dr. Joachim Thönnessen
Hochschule Osnabrück, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Studium der Philosophie und Soziologie in Bielefeld, London und Groningen; Promotion in Medizin-Soziologie (Uniklinikum Giessen)
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Es gibt 56 Rezensionen von Joachim Thönnessen.

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Zitiervorschlag
Joachim Thönnessen. Rezension vom 26.11.2024 zu: Dieter Funke: Als Himmel und Erde sich trennten. Die Dualisierung des Bewusstseins in Psychoanalyse und Religion. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2023. ISBN 978-3-8379-3268-3. Reihe: Forum Psychosozial. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31086.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.


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