Paul Gellert, Hans-Werner Wahl (Hrsg.): Interventionsgerontologie
Rezensiert von Alisa Hemberger, 06.10.2025
Paul Gellert, Hans-Werner Wahl (Hrsg.): Interventionsgerontologie. 100 Schlüsselbegriffe für Forschung, Lehre und Praxis. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2023. 670 Seiten. ISBN 978-3-17-042012-0. 79,00 EUR.
Thema
In einer Zeit, in der der demografische Wandel unsere Gesellschaft prägt, gewinnt das Thema der Interventionsgerontologie zunehmend an Bedeutung. Der Sammelband beleuchtet diesen wichtigen Aspekt vor dem Hintergrund der steigenden Lebenserwartung und der wachsenden Zahl von Babyboomern, die ins Rentenalter eintreten. Es zeigt unter anderem auf, wie digitale Systeme neue Möglichkeiten für gerontologische Interventionen eröffnen und stützt sich bei allen vorgestellten Interventionen auf die zunehmende wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit solcher Maßnahmen. Alter wird nicht mehr als unabänderliches Schicksal betrachtet, sondern als gestaltbare Lebensphase mit Hilfe zielgerichteter Interventionen.
Entstehungshintergrund
Als Nachfolger des im Jahr 2000 erschienenen Bandes „Angewandte Gerontologie“ spiegelt der Sammelband die rasante Entwicklung und wachsende Bedeutung verhaltensbezogener Interventionen in der Altersforschung wider. Das Buch deckt ein breites Spektrum an Interventionsansätzen ab, die von Lebensstilanpassungen über psychotherapeutische Angebote bis hin zu körperbezogenen Trainings und Wohnquartiersveränderungen reichen. Aktuelle Themen, wie Brain-Gaming, Gesundheitskompetenz, Klimawandel, LGBTQIA+ und personalisierte Interventionen mithilfe von Big Data, wurden neu mitaufgenommen. Demgegenüber wurden bestimmte Themen gegenüber dem Vorgänger Sammelband, zu denen bereits mittlerweile umfangreiche Literatur existiert, entfernt.
Aufbau
Der Sammelband bietet mit insgesamt 17 Hauptkapiteln und 100 Unterkapiteln einen umfassenden Überblick über aktuelle verhaltensbezogene Interventionen im Alter. Elf der Hauptkapitel widmen sich dabei insgesamt 78 spezifischen Interventionsansätzen. Der Band beginnt mit einer allgemeinen Einführung und widmet sich dann in zwei Kapiteln den theoretischen Grundlagen sowie den sozialen und rechtlichen Aspekten der Interventionsgerontologie. Nach den elf Kernkapiteln zu verschiedenen Interventionsansätzen folgen am Ende ein Kapitel zu methodischen Fragen sowie ein Kapitel zur Synthese.
Jeder Beitrag folgt dabei einem einheitlichen, leserfreundlichen Aufbau: Eine kurze Zusammenfassung, gefolgt von einer Einführung und dem Hauptteil, erleichtert den Lesenden die Navigation durch die vielfältigen Themen.
Inhalt
Theoretische Grundlagen
Dieses Kapitel bietet einen Überblick über demografische und epidemiologische Grundlagen des Alterns, einschließlich Bevölkerungsentwicklungen und Altersstrukturen. Es beleuchtet die neuronale Plastizität des alternden Gehirns und untersucht die Herausforderungen und Ressourcen im Kontext von Gesundheit und Krankheit im Alter. Geschlechtersensible Ansätze in der Interventionsgerontologie sowie die Auswirkungen der Digitalisierung auf ältere Menschen inklusiver digitaler Bildung werden ebenfalls betrachtet. Ein weiteres Unterkapitel befasst sich mit ethischen Fragen und Interventionen in der Altersforschung.
Soziale und rechtliche Grundlagen
Das darauffolgende zweite Hauptkapitel erweitert die gerontologische Betrachtung um soziale und rechtliche Aspekte. Es thematisiert sozialstrukturelle Unterschiede, die Stellung älterer Menschen als Akteure im Gesundheitssystem und Fragen der Alterssicherung. Zusätzlich wird auf das Thema Armut im Alter eingegangen. Rechtliche Implikationen smarter Technologien werden ebenso aufgegriffen wie die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Interventionsgerontologie. Abschließend erfolgt eine kritische Reflexion der Interventionsgerontologie.
Prävention
Dieses Kapitel widmet sich der Prävention im Alter und behandelt zentrale Aspekte wie die Vorbeugung körperlicher und demenzieller Erkrankungen sowie Sturzprävention. Es werden Interventionen im Kontext des Klimawandels und Maßnahmen zur Veränderung von Altersbildern thematisiert, einschließlich der Rolle von Alterssimulationsanzügen. Darüber hinaus wird auf Ernährungsinterventionen, die Vorbereitung auf den Ruhestand, Krankheitsmanagement und Health Literacy eingegangen. Der Einsatz digitaler Technologien in der Prävention wird ebenfalls beleuchtet, während die Bedeutung der Suizidprävention im Alter betont wird.
Körperliche Leistung und Aktivität
Im Kapitel „Körperliche Leistung und Aktivität“ steht die physische Gesundheit im Alter im Vordergrund. Es untersucht Interventionen und Trainingsmethoden zur Steigerung der körperlichen Aktivität sowie Strategien zur Erhaltung der motorischen Leistungsfähigkeit durch den Einsatz intelligenter Technologien. Ein besonderer Fokus liegt auf der Förderung der Motivation für körperliche Betätigung bei älteren Menschen. Zudem werden die physiologischen Grundlagen der Effekte körperlicher Aktivität im Alter eingehend erläutert.
Kognitive Gesundheit
Das darauffolgende Hauptkapitel bietet einen umfassenden Überblick über die geistige Fitness im Alter. Es behandelt aktuelle Ansätze zum kognitiven Training zur Erhaltung und Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit, einschließlich Dual-Task-Training und der Rolle von Brain-Gaming. Zusätzlich werden die biologischen Grundlagen kognitiver Trainings beleuchtet. (Verhaltens-)Interventionen bei leichter kognitiver Beeinträchtigung und Demenz werden vorgestellt, um den kognitiven Abbau zu verlangsamen und die Lebensqualität zu verbessern.
Mentale Gesundheit
Im nächsten Kapitel wird ein Überblick über psychologische Interventionen für ältere Menschen gegeben. Es werden verschiedene Ansätze zur Behandlung von Depressionen, sexuellen Problemen und posttraumatischen Belastungsstörungen behandelt. Ferner wird die Paartherapie zur Verbesserung der Beziehungsqualität im Alter thematisiert. Das Kapitel beleuchtet auch somatoforme Erkrankungen sowie die Wirksamkeit von Psychotherapie im Alter und untersucht unterschiedliche psychotherapeutische Methoden, einschließlich psychodynamischer, verhaltenstherapeutischer und systemischer Ansätze. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Lebensrückblicktherapie zur Förderung des Wohlbefindens. Zusätzlich wird die Rolle der Psychotherapie im Pflegesetting sowie der Lebensrückblicktherapie erörtert.
Rehabilitation
Der Abschnitt über Rehabilitation bietet einen umfassenden Überblick über aktuelle Entwicklungen in verschiedenen Bereichen der geriatrischen Rehabilitation. Neben der Schlaganfall-, Parkinson- und onkologischen Rehabilitation werden auch zukunftsweisende Technologien wie digitale Systeme und Robotik vorgestellt. Das Kapitel erweitert die Diskussion um wichtige Aspekte wie Rehabilitation nach Stürzen und Interventionen bei Seh- und Höreinbußen im Alter. Multidisziplinäres Schmerzmanagement und Interventionen bei Frailty werden ebenfalls aufgegriffen. Zudem werden Rehabilitationsansätze bei demenziellen Erkrankungen und Strategien zur Verbesserung der Lebensqualität älterer Menschen mit Behinderung erörtert.
Soziale Beziehung und Partizipation
Der Abschnitt über soziale Beziehungen und Partizipation im Buch bietet einen umfassenden Überblick über die Reduzierung von Einsamkeit und die Förderung von Generationenbeziehungen und sozialer Partizipation in Kommunen. Hervorzuheben ist die Darstellung digitaler Technologien zur Stärkung sozialer Verbindungen sowie das Thema der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt.
Professionelle und informelle Pflege
Im nächsten Hauptkapitel werden zunächst Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten, die Rolle pflegender Angehöriger und den Einsatz digitaler Technologien zur Unterstützung der informellen und formellen Pflege behandelt. Des Weiteren wird die Interventionsgerontologie im Allgemeinkrankenhaus hinsichtlich der Prävention und des Managements von Deliren thematisiert. Das Kapitel erweitert die Diskussion um Maßnahmen zur Gewaltprävention in der Pflege sowie die Vereinbarkeit von Pflege und Erwerbstätigkeit.
Räumliche Nahumwelten
Im Kapitel „Räumliche Nahumwelten“ bieten die Autor*innen einen Einblick in die Bedeutung des Wohnumfelds für ältere Menschen. In Einzelbeträgen werden die Wichtigkeit von Wohninterventionen sowie die Herausforderungen eines Umzugs im Alter inklusive architektonischer Lösungen zur Förderung der Selbstständigkeit thematisiert. Der Abschnitt schließt mit einer Übersicht innovativer Wohnformen, die neue Perspektiven für das Leben im Alter eröffnen.
Mobilität im öffentlichen Raum
Der Abschnitt über „Mobilität im öffentlichen Raum“ beleuchtet die Bedeutung und Verbesserungsmöglichkeiten von seniorenfreundlichem öffentlichen Nahverkehr sowie die Erhaltung der Automobilität im Alter. Zudem wird das Konzept der Life-Space-Mobilität im Alter vorgestellt.
Quartier und Gemeinde
Im nächsten Hauptkapitel wird auf die Gestaltung seniorenfreundlicher Kommunen sowie auf die Betrachtungsweise älterer Menschen als Marktteilnehmende und Konsumierende eingegangen. Außerdem wird die Förderung des Freiwilligenmanagements und die Bedeutung von Technikberatung als wichtiger Bestandteil kommunaler Angebote betont. Abgerundet wird der Abschnitt durch das Thema über ältere Menschen mit Migrationsgeschichte sowie die Auswirkungen auf altersgerechte Quartiere.
Abschiedskultur
Diese Kapitel bietet einen tiefgründigen Einblick in die Themen Verwitwung, Vorbereitung auf das Lebensende und Sterbebegleitung sowie in die Hospizbewegung und der Herausforderungen bei Demenz im Sterbeprozess. Der Abschnitt schließt mit einer umfassenden Darstellung des Advance Care Planning, das als zentraler Bestandteil einer würdevollen Lebensendgestaltung präsentiert wird.
Methodenfragen
Im vorletzten Hauptkapitel werden aktuelle Forschungsansätze in der Gerontologie thematisiert. Die Autor*innen diskutieren die Bedeutung pragmatischer Trials und Mixed-Methods-Ansätze für die Evaluation komplexer Interventionen sowie die Implementierung von Interventionen in die Praxis. Die Rolle systematischer Reviews und Metaanalysen wird kritisch beleuchtet sowie die Wichtigkeit gesundheitsökonomischer Bewertungen von Interventionsprogrammen hervorgehoben.
Synthese
Dieses letzte Hauptkapitel beinhaltet eine umfassende Gesamtübersicht der vorgestellten gerontologischen Interventionen. Die Autor*innen analysieren die elf Interventionsbereiche, bewerten die Evidenzstärke für Effektivität und Implementierungsstärke sowie die Finanzierung. Insgesamt werden 29 Interventionen als effektiv identifiziert und in einer übersichtlichen Tabelle inklusive der Effektivitäts-Implementierungs-Diskrepanz dargestellt. Diese systematische Analyse liefert wertvolle Erkenntnisse zur Übertragbarkeit von Interventionen in die Praxis und identifiziert Bereiche mit hohem Potenzial für zukünftige Forschung und Implementierung.
Diskussion
Der Sammelband „Interventionsgerontologie“ präsentiert sich als ein umfassendes und wissenschaftlich fundiertes Werk, das einen detaillierten Einblick in die vielfältigen Möglichkeiten der Altersintervention bietet. Es vermittelt eine optimistische Perspektive auf das Altern, indem es zeigt, wie durch gezielte Interventionen der Alterungsprozess positiv beeinflusst und aktiv gestaltet werden kann.
Die Stärke des Buches liegt in seiner Fähigkeit, die große Vielfalt an verfügbaren Interventionsansätzen kritisch zu beleuchten und zu bewerten. Es ermöglicht den Lesenden, individuell passende Maßnahmen zu identifizieren und befürchtete Verluste im Alter erheblich zu mindern oder sogar zu vermeiden. Besonders bemerkenswert ist die gelungene Balance zwischen wissenschaftlicher Tiefe, didaktischer Aufbereitung und praxisnaher Anwendung.
Das Werk spricht ein breites Spektrum an Lesenden an – von Studierenden über Fachleute bis hin zu älteren Menschen selbst – und dient als wertvoller Leitfaden für evidenzbasierte Praktiken. Angesichts des demografischen Wandels gewinnt es zunehmend an Bedeutung, indem es sowohl theoretische Einblicke als auch praktische Lösungen zur Verbesserung der Lebensqualität im Alter bereitstellt.
Fazit
Der Sammelband „Interventionsgerontologie“ bietet einen umfassenden Überblick über gerontologische Interventionen und dient als wertvolle Ressource für Fachleute und Akademiker. Er präsentiert den aktuellen Forschungsstand, fördert kritisches Denken und inspiriert zu innovativen Praxisansätzen. Durch die Integration von Wissenschaft, Lehre und Praxis liefert der Sammelband wichtige Erkenntnisse für Studierende, Berufstätige und Forscher im Bereich verhaltensbezogener Interventionen. Dies macht ihn zu einem unverzichtbaren Werkzeug für alle, die sich mit gerontologischen Interventionen befassen.
Rezension von
Alisa Hemberger
M. Sc. Gesundheitsförderung
Mailformular
Es gibt 18 Rezensionen von Alisa Hemberger.





