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Helmuth Figdor: Scheidungskinder – Wege der Hilfe

Rezensiert von Dr. Friedrich Schwarzinger, 05.11.2024

Cover Helmuth Figdor: Scheidungskinder – Wege der Hilfe ISBN 978-3-8379-3295-9

Helmuth Figdor: Scheidungskinder – Wege der Hilfe. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2023. 280 Seiten. ISBN 978-3-8379-3295-9. D: 32,90 EUR, A: 33,90 EUR.
Reihe: Psychoanalytische Pädagogik.

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Thema

Mit diesem Werk „Scheidungskinder- Wege der Hilfe“, nunmehr 2023 erschienen in der 8. Auflage, wurde wie in den vergangenen 26 Jahren seit dem Ersterscheinen wiederum der Stand der Diskussion in Theorie und Praxis betreffend die Auswirkungen der Trennung/​Scheidung von Eltern auf die Kinder zusammengefasst.

Dabei wird das Auseinandergehen der Kindeseltern für die Kinder durchaus als Belastung, ja sogar „Das Trauma Scheidung“ beschrieben, wobei es jedoch zahlreiche günstige Rahmenbedingungen gibt und eine Vielzahl von Maßnahmen zur Unterstützung des Familiensystems, damit Langzeitfolgen der Trennung/​Scheidung für Kinder vermieden werden können.

Im Buch wird auch auf die Entwicklung nach der Trennung der Kindeseltern bezüglich der Chancen und Risken neue:r Partner:innen der leiblichen Elternteile erörtert.

Besonders hilfreich ist auch die wissenschaftliche Herangehensweise bezogen auf gesellschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen, wobei auf Schwierigkeiten und Stärken der Entwicklung in den vergangenen 26 Jahren hingewiesen werden konnte.

Zum Autor

Der Autor Dr. Helmuth Figdor ist zumindest im deutschsprachigen Raum sämtlichen Menschen, die sich beruflich mit Trennung/​Scheidung befassen bzw. befassen müssen, vertraut. Ebenso genießt der Autor eine umfassende Bekanntheit im wissenschaftlichen Kontext. Aufgrund seines Engagements für die Verbesserung von gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen ist der Autor zweifellos auch eine Autorität im Bereich der politischen Diskussion und Gesetzgebung, und zwar aufgrund seiner unbestrittenen Kompetenz.

Entstehungshintergrund

Bereits vor 26 Jahren ist die Erstauflage des Buches „Scheidungskinder – Wege der Hilfe“ erschienen, um einerseits den Stand der wissenschaftlichen und psychologisch/​psychotherapeutischen, sowie rechtlichen Diskussion zusammenzufassen, und andererseits auch schon von Beginn an, um Menschen/​Professionist:Innen im Umgang mit den Auswirkungen von Trennung/​Scheidung auf die Kinder in ihrer Praxis zu unterstützen.

Aufbau

Nach der Darstellung des Anliegens und Hauptthemas des Buches, sowie der Methode der Untersuchung wird im 1. Kapitel auf das Geschehen bei Trennung/​Scheidung der Eltern und die dadurch entstehenden Krisensituationen hingewiesen. Dabei wird auf die unterschiedlichen Zugänge und Erlebnisse von Kindern und Eltern eingegangen.

Daraufhin folgt die Analyse der elterlichen Kooperation nach der Scheidung und schließlich die Auswirkungen neuer Partner:Innen der leiblichen Eltern (Stiefmütter und Stiefväter).

Schließlich wird auf ungünstige Langzeitfolgen der Scheidung hingewiesen und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für das „Trauma Scheidung“ beschrieben.

Im 2. Kapitel wird die Scheidung auch als Chance betrachtet, zumal häufig die Bedingungen vor der Trennung/​Scheidung ebenfalls für die Kinder sehr belastend sein können.

Dabei wird auf die in der Praxis regelmäßig vorkommenden Themen der Rechtfertigung einer Scheidung eingegangen. Weiters werden mögliche, teilweise auch positive, Langzeitfolgen und daraus resultierende Zielsetzungen im Umgang mit den unmittelbaren und mittelbaren Scheidungsreaktionen für das spätere Leben beschrieben.

Im 3. Kapitel wird analysiert, wo Hilfe angesetzt werden möge, und zwar einerseits auf Elternebene und andererseits bei der (therapeutischen) Arbeit mit den Kindern. Anhand von Beispielen werden die Stärken und Schwächen von Elternberatung vs. Kinderpsychotherapie dargestellt.

Im 4. Kapitel wird das Konzept der psychoanalytischen-pädagogischen Beratung von Scheidungseltern vorgestellt und die dabei immer wiederkehrenden Probleme, Methoden und Techniken dargestellt. Ebenso wird beispielhaft auf konkrete Ergebnisse in der praktischen Umsetzung von Unterstützungsmaßnahmen verwiesen. Der besseren Einordnung wegen wird auch ein Vergleich zu den Methoden der Mediation und Familientherapie gezogen.

Im 5. Kapitel geht es um die institutionellen Rahmenbedingungen der Scheidung, wobei die Problematik des Begriffes des „Kindeswohles“ ebenso anschaulich dargestellt wird, wie die sich daraus ergebenden Konsequenzen beim Umgang mit der Gestaltung von rechtlichen Rahmenbedingungen.

Die Auswirkungen der gemeinsamen Obsorge, eine rechtliche Entwicklung, für die nicht zuletzt die Beiträge des Autors in den vergangenen Jahrzehnten ausschlaggebend waren, werden gesondert beschrieben. Ebenso die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Betreuungskonzepte, einschließlich des alternierenden Sorgerechtes und des Nestmodelles.

Schließlich werden auch die Probleme und Grenzen rechtlicher Zwangsmaßnahmen, aber auch deren positive Auswirkungen auf letztendlich freiwillige Akzeptanz beschrieben.

Anstelle eines Schlusswortes wird anhand eines konkreten Falles der Ablauf dieser Arbeit in Form einer mit dem betroffenen Kind erarbeiteten Geschichte dargestellt.

Inhalt

Auch wenn wir aufgrund unserer beruflichen Tätigkeit tatsächlich tagtäglich mit den Auswirkungen von Trennung/​Scheidung der Kindeseltern auf die Kinder zu tun haben und dabei in der Routine oftmals die konkreten Belastungen für die Kinder unterschätzen, schafft es der Autor durch seine distanzierte, nüchterne Analyse eine passende Betroffenheit auszulösen.

Der Autor wörtlich noch im Vorwort:

„Auch das ist ein Grund, warum Trennungen so schwer zu ertragen sind. Sie lassen uns immer mit einem Gefühl der Schuld, dem Gefühl, etwas versäumt zu haben, zurück.“

Bei der anschaulichen Beschreibung der Abläufe wird die „Innenwelt“ der Eltern ausführlich dargestellt, die einen bestimmenden Faktor für die „Außenwelt“ der Kinder darstellt. Bereits zu Beginn des Buches wird auf die enorme Wichtigkeit der Aufrechterhaltung einer intensiven Beziehung der Kinder zu beiden Elternteilen verwiesen.

Dabei hat vor allem jener Elternteil, bei dem sich das Kind überwiegend nach der Scheidung aufhält, wie in den meisten Fällen bei den Müttern, eine besondere Verantwortung zur Förderung des Kontaktes mit dem anderen Elternteil.

Da Kinder in ihrer egozentrischen Erlebnisweise befangen sind und sich als Mittelpunkt der Welt empfinden, darf es nicht verwundern, dass sich viele Kinder selbst die Schuld am Auseinandergehen der Eltern geben, gerade auf dieser Ebene bedarf es der Korrektur dieser Betrachtung vor allem durch die Eltern, aber auch durch gesellschaftliches Verständnis.

Ähnlich wie bei einem Krisenmanagement bedarf es zunächst der Stabilisierung der betroffenen Eltern und Kinder und erst danach einer zusätzlichen Veränderungsarbeit. Als kritische Zeit werden die Wochen und Monate nach der tatsächlichen Trennung (Auszug eines Elternteils aus der Familienwohnung) betrachtet.

In der Folge werden die Risiken der typisch auftretenden Symptome beschrieben, und zwar neben den spontanen sogenannten Erlebnisreaktionen, die schwerwiegenderen teilweisen Zusammenbrüche des Abwehrsystems und die damit verbundenen Ängste und Fantasien, die sich in einer massiven Regression bzw. einer Destrukturierung der psychischen Organisation zeigen können.

Wenn dann keine adäquate Hilfe geleistet wird, kann es zu neurotischen Prozessen im klassischen Sinne kommen, die wiederum die Grundlage für posttraumatische Abwehrprozesse bilden.

Das grundlegende Bedürfnis der Kinder wird auf den Punkt gebracht: „Die Kinder brauchen nicht nur die Sicherheit, weiterhin vom Papa und von der Mama geliebt zu werden, sie müssen auch das Gefühl haben, selbst beide Eltern weiterhin lieben zu dürfen“.

Bei den Eltern manifestiert sich die fehlende Psychoedukation als Risikofaktor ebenso wie die durchaus nachvollziehbaren, vielschichtigen Ängste der Eltern, den Kontakt zu den Kindern und deren Liebe zu verlieren.

Besonders gut nachvollziehbar wird in der Folge die katastrophale Konsequenz der Kontaktverweigerung der Kinder zu einem Elternteil auf das Vorhandensein von massiven Loyalitätskonflikten des Kindes dargestellt.

Ebenso werden die Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl der betroffenen Kinder beschrieben, wenn das sichere Gefühl verloren geht, dass sie von beiden Eltern uneingeschränkt geliebt werden.

Bei den Hinweisen der Chancen und Risiken der Patchwork-Situation und zusätzlicher erwachsener Bezugspersonen wird sehr klar bestätigt, dass dies nur dann eine Grundlage für eine günstige Entwicklung hat, wenn der Bezug zu den leiblichen Elternteilen ungetrübt bestehen bleibt. Dabei ist die sogenannte Triangulierungsfunktion des jeweiligen leiblichen Elternteiles zum Ausgleich für das Beziehungsgeschehen zum anderen Elternteil, einschließlich neuer Partner:Innen besonders wichtig.

Es folgen zahlreiche durchwegs hilfreiche Beispiele für Problemsituationen und die jeweils dazu passende Vielfalt an Unterstützungsmöglichkeiten.

Bei der Beschreibung der unspezifischen Langzeitfolgen wird auch auf die Schwierigkeiten eingegangen, diese mehr oder weniger auf ungünstige Trennungssituationen der Eltern zurückzuführen. Bei den Entwicklungsthemen der Identitätsfindung, insbesondere im Laufe der Pubertät, wird auf die unterschiedlichen Funktionen der gleichgeschlechtlichen und gegengeschlechtlichen Eltern verwiesen.

Bei der Analyse der ungünstigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, wird zunächst auf ungünstige Parameter im Umgang mit offenen und schwelenden Konflikten der Eltern verwiesen, ebenso auf schwierige ökonomische Situationen, aber auch auf die soziale Isolation und den teilweisen Verlust des elterlichen Verantwortungsgefühls.

Demgegenüber gelten als günstige Rahmenbedingungen, die Minimierung von Loyalitätskonflikten und die Aufrechterhaltung der entlastenden Triangulierungsmöglichkeiten, sowie die Entspannung des Kindes zur Hauptbezugsperson nach der Trennung/​Scheidung (meistens die Mütter) aber auch das Gelingen von Patchwork-Familien/​Stieffamilien, werden als echte Chancen einer Scheidung bewertet.

Bei den Unterstützungsmöglichkeiten wird das Konzept der psychoanalytisch-pädagogischen Beratung von Scheidungseltern und das Umgehen mit den unterschiedlichen Widerständen beschrieben.

Der Autor verweist auch auf die positiven Effekte anderer Hilfestellungen durch Familientherapie und Mediation.

Im Rahmen der Erörterung institutioneller Rahmenbedingungen der Scheidung wird besonders auf die Vorteile der gemeinsamen Obsorge und der Aufrechterhaltung der gemeinsamen Verantwortung der getrennten Eltern für die Kinder verwiesen. Schließlich ist dem Autor auch ein Plädoyer für die empirische Forschung wichtig.

Bei der Diskussion über rechtliche Zwangsmaßnahmen werden sowohl deren Grenzen, aber auch deren hilfreiche Förderung günstiger Rahmenbedingungen bei verhältnismäßiger Anwendung beschrieben.

Das Spannungsfeld zwischen Freiwilligkeit und Zwang wird auch im Hinblick auf Beratungsangebote erörtert.

Im Abschlusskapitel über eine gemeinsam mit einem betroffenen Kind geschriebene Geschichte aus einer echten Fallgeschichte vermag der Autor eine besondere Berührung für empathische und differenzierte Begleitung in einem sicheren Beratungsrahmen auszulösen.

Diskussion

Mit diesem Buch gelingt tatsächlich ein umfassender Überblick über theoretische und wissenschaftliche Hintergründe bezüglich der Situation von Scheidungskindern. Darüber hinaus handelt es sich zweifellos aber auch um ein Standardwerk für hilfreiche Interventionen für AnwenderInnen aus sämtlichen Fachgebieten.

Sowohl psychotherapeutische, pädagogische, soziale, rechtliche, aber auch menschliche Rahmenbedingungen werden umfassend und sehr gut nachvollziehbar dargestellt.

Bei der Beschreibung der Risikofaktoren der Eltern wird einerseits auf fehlende Psychoedukation verwiesen und andererseits auf die durchaus nachvollziehbaren, vielschichtigen Ängste der Eltern, den Kontakt zu den Kindern und deren Liebe zu verlieren.

Besonders wichtig ist das Bewusstmachen der Abwehrfunktion unangemessenen Elternverhaltens und die Aufklärung über die Reduktion der Abwehr von Angstzuständen. Dies sind zentrale Punkte, um aus der Erschwerung oder gar Verhinderung der Fortsetzung der Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil herauszukommen.

Ein ganz besonderer Verdienst gebührt dem Autor beim Blick auf institutionelle Rahmenbedingungen der Scheidung, insbesondere hinsichtlich der Vorteile der gemeinsamen Obsorge und der Aufrechterhaltung der gemeinsamen Verantwortung der getrennten Eltern für die Kinder. Auf diesem Gebiet sind wir als Gesellschaft keinesfalls ohnmächtig, hier können wir auf gesellschaftliche Erfolge bereits verweisen. Und es mögen noch zahlreiche Maßnahmen zur verbesserten Einbeziehung der Väter in die Verantwortung für die Kinder gelingen.

Dabei ist dem Autor stets der unbefangene Blick auf die empirische Forschung im Zentrum. Gerade dadurch mögen historisch bedingte Anschauungen betreffend das Wohl der Kinder sukzessive überwunden werden.

Fazit

Die Erweiterung des psychoanalytischen Zuganges des Autors in die Welt der sozialen Zusammenhänge, im Sinne der systemischen Psychotherapie ist hervorragend gelungen und in jedem Falle bereichernd. Durch die zusätzliche Analyse der gesellschaftlichen und rechtlichen Auswirkungen möge dieses Werk gleichsam als Pflichtlektüre für familienpolitisch Interessierte und sämtliche Professionist:Innen, insbesondere Angehörige der Richterschaft und der Rechtsanwaltschaft dienen.

Rezension von
Dr. Friedrich Schwarzinger
Rechtsanwalt, Mediator Collaborative Law-Lawyer Dipl.-Lebensberater
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Es gibt 3 Rezensionen von Friedrich Schwarzinger.

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Zitiervorschlag
Friedrich Schwarzinger. Rezension vom 05.11.2024 zu: Helmuth Figdor: Scheidungskinder – Wege der Hilfe. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2023. ISBN 978-3-8379-3295-9. Reihe: Psychoanalytische Pädagogik. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31123.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.


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