David Reincke: A Freudian Trip
Rezensiert von Prof. Dr. Stephan Quensel, 23.02.2024

David Reincke: A Freudian Trip. Zum Verhältnis von Psychoanalyse und psychedelischer Erfahrung.
Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG
(Gießen) 2023.
140 Seiten.
ISBN 978-3-8379-3294-2.
D: 24,90 EUR,
A: 25,60 EUR.
Reihe: Bibliothek der Psychoanalyse.
Aufbau und Thema
Die eher ‚medizinalisierend'-nüchterne Neubewertung der das Bewusstsein verändernden Drogen begann in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts mit dem psychiatrischen Einsatz der von der Pharma-Industrie entwickelten ‚legalen‘ Psychopharmaka ebenso wie mit den nur zum Teil erfolgreichen Warnungen vor Alkohol und Nikotin. Während umgekehrt in jüngster Zeit (2017) der medizinische Nutzen des Cannabis wieder entdeckt wurde und aktuell sogar eine Teil-Legalisierung des Cannabis-Konsums auch in Deutschland realisiert werden soll. In diesem Rahmen gewinnen auch die klassischen Psychoanalytika ihren positiven Akzent zurück, sei es als Versuch, unsere Erkenntnisfähigkeiten zu verbessern, als ‚Mental enhancement‘ (wie etwa Ritalin), [1] oder sei es als ‚psycholytischer Therapie-Ansatz (Mescalin, Psilocybin, LSD, DMT). [2] Eine Entwicklung, die der Autor als „Metamorphose in der öffentlichen Wahrnehmung“ bzw. gar als ‚Paradigma-Wandel‘ (S. 9 f.) fassen möchte. Eine ‚Renaissance der Psychedelika‘, der die traditionelle Psychoanalyse bisher jedoch relativ fremd gegenübersteht: „Während die Psychedelika durch die gegenwärtige Renaissance in der Forschung ihr Revival feiern und das öffentliche Bild sich wandelt, bleiben die Vorbehalte von psychoanalytischer Seite aus bestehen.“ (S. 16). In diesem Rahmen möchte der Autor, Ausbildungskandidat am Berliner Institut für Psychotherapie und Psychoanalyse, in seiner Abschlussarbeit mit Hilfe einer ‚hermeneutisch-literaturbasierten Untersuchung‘ (S. 15) die Gründe für dieses ‚skeptische Verhältnis zwischen Psychoanalyse und psychodelischer Erfahrung‘ analysieren. Eingebettet in eine kurze einführende Abgrenzung zur ‚Sucht‘ als ‚Kehrseite des Rauschs‘ (S. 13) einerseits und einer informativen, abschließenden Zusammenfassung andererseits beschreibt der Autor in drei Schritten zunächst den ‚historischen Hintergrund‘ dieser Entwicklung, dann Freuds säkulare, anti-mystische Religionskritik, um im dritten Kapitel ausführlicher auf die positiven, Grenzen überschreitenden, mystischen Seiten der psychedelischen Rauscherfahrung einzugehen.
- Historisch verankert der Autor unser westlich-modernes Verhältnis zum Rausch einerseits in der protestantischen Ethik mit ihrer Betonung der Arbeit und Ablehnung des Müßigganges und andererseits in der Tradition der Aufklärung, in der der Rausch als ‚Gegenspieler der ratio‘ galt. Eine ‚Dämonisierung des Natürlichen‘, die sich auch in der ‚Rhetorik der Droge‘ zeige: „Sobald man das Wort ‚Droge‘ ausspricht […] ist bereits eine präskriptive oder normative >Diktion< und etwas >Performatives< am Werk.“ (Derrida). Dies gelte auch – ungeachtet der Kokain-Experimente Freuds – für die Psychoanalyse, obwohl auch Freud „doch bereits geahnt hat, dass es auch eine Frage der psychischen Struktur eines Menschen ist, ob er gezielten oder kontrollierten Gebrauch von psychotropen Substanzen machen kann oder süchtig wird.“ (S. 30). In einem kurzen historischen Abriss zur ‚Genalogie der Psychedelika‘ streift Reincke den Rausch bei Tieren, die Eleusinischen Mysterien und das Beladonna der Hexen (S. 35). Um sich dann dem Meskalin und LSD zuzuwenden. Von Albert Hofmann über Timothy Leary bis hin zu der Experimenten von Hanscarl Leuner und Stanislav Grof, die jedoch infolge ‚gesellschaftlicher Ächtung‘ eingestellt wurden: „Nachdem in den 1950er und 1960er Jahren Psychedelika als Zukunftstrend der psychiatrischen Therapie betrachtet wurden, mit dem darauf folgenden Verbot Ende der 1960er Jahre die klinische Entwicklung über Jahrzehnte blockiert wurde, kehren die Substanzen im Zuge der psychedelischen Renaissance […] in die Psychiatrie zurück.“ (S. 45).
- Ausgehend von Aldous Huxleys ‚Pforten der Wahrnehmung’ – die „gegenwärtige Renaissance [sei] eine gewisse Fortsetzung des ‚Huxleyschen Rahmens‘ (Langlitz) – lasse sich in der postsäkularen Gesellschaft (Habermas) eine übergreifende Tendenz zu einer Entsäkularisierung der Welt beobachten“ (S. 51), die auch von der Psychoanalyse zu beachten sei, wofür der Autor etwa die Psychoanalytiker Joel Whitebook und Hans Loewald heranzieht. Eine Freudsche Problematik, die in der Diskussion zwischen Freud und Romain Rolland über das Konzept des ‚ozeanischen Gefühls‘, von dem Freud ‚nicht überzeugt war‘, ausführlicher dargestellt wird (S. 54–60): „Die Debatte zwischen Freud und Rolland, in der zwei Paradigmen von Wissenschaft – das intersubjektiv strukturierte Differenzparadigma der Psychoanalyse und Psychologie und das nonduale Kohärenz- oder Identitätsparadigma der Mystik – konflikthaft aufeinandertreffen, kann als Ausgangspunkt von noch weitgehend offenen Fragen […] betrachtet werden (Zwiesel)“. (S. 60); wofür der Autor kurz auf einige ‚psychoanalytische Mystiker*innen‘, wie etwa Wilfried Bion, eingeht: „Durch eine Öffnung hin zur mystischen Dimension […] kann die Psychoanalyse ihren Bereich erweitern.“ (S. 65).
- In seinem dritten Kapitel „Zu Wesen und Funktion psychedelischer Erfahrung“ geht der Autor zunächst in einem Exkurs auf die „Zweifel und Vorbehalte“ C. G. Jungs ein (S. 68–74). Um sodann in jeweils kurzen Unterkapiteln zur ‚Ekstase‘, zur positiven, ebenfalls entgrenzenden Funktion des Rauschs und zur ‚psychedelischen Erfahrung der Transgression‘ den Rausch als ‚Forschungstrip in unbekanntes Terrain‘ (Jenny Moser) zu deuten (S. 84). Nach einem skeptischen Blick auf die Hoffnung, mittels dieser Drogen einen die Therapie abkürzenden ‚super-highway’ zu den ‚verdrängten immateriellen Bewusstseinsinhalten und -elementen‘ zu erhalten (S. 90 ff.), grenzt der Autor den Rausch vom ‚verschwisterten‘ Traum ab und versteht schließlich selbst noch den ‚bad trip‘ als ‚Gelegenheit zum Lernen‘ (109).
- Seine abschließende, gelungene Zusammenfassung ergänzt Reincke durch die Hoffnung, einerseits durch ‚Eintritt des Pharmakons – neben Patient*in und Analytiker*in – ein drittes Element in die therapeutische Szene‘ zur ‚Auflösung des reinen Goldes der Analyse‘ einführen zu können (S. 120 f.), und andererseits diese Drogen als ‚potentestes Mittel zur Erforschung des Geistes einzusetzen (S. 133).
Diskussion
Reincke wagt sich mit seiner Abschlussarbeit auf ein dreifach mit einem Tabu besetztes Feld: Zunächst betont er gegenüber dem noch immer den Drogen-Diskurs beherrschenden Sucht-Tabu deren positive Seiten im Grenzen überschreitenden ‚dionysischen‘ Rausch (der freilich nicht mit dem profanen Alkohol-Rausch zu verwechseln ist), worin er dem anfangs angesprochenen Paradigma-Wechsel folgen kann. Sodann setzt er sich kritisch mit den Folgen von Freuds Religions-Tabu auseinander, ohne dabei den Freud‘schen Kanon in Inhalt und Diktion zu verletzen. Und schließlich rührt er am biologistisch-medizinischen Wissenschafts-Tabu, indem er die im Rausch-Erlebnis ausgelöste subjektive Wirklichkeit nicht-rationaler mystischer Erfahrungen im therapeutischen Prozess betont. Ein Vorstoß, der nicht nur in die lauter werdende Kritik einer einseitig biologisch-medizinisch orientierten Psychiatrie hineinpasst, sondern der zugleich auch einem allgemeineren ‚ratio‘-kritischen Aufklärungs-Diskurs entsprechen kann.
So weit so gut und interessant. Doch wirkt seine hermeneutisch-literaturbasierte Argumentation allzu traditionell geisteswissenschaftlich eingefärbt: Von Jünger, Nietzsche und Heidegger aus dem Obergeschoss, während Huxley immerhin aus eigener Erfahrung spricht, zu Leary, Hofmann und Grof, die zwar verallgemeinert zitiert werden – neben zahlreichen weiteren literarischen Zeitzeugen – doch sucht man ihre ‚experimentellen‘ Befunde ebenso vergeblich, wie konkrete Belege oder Hinweise auf einschlägige psychedelische Erfahrungen oder Fallschilderungen aus der psycho-therapeutischen oder -analytischen Praxis. Ein allgemein auf diesem Drogen-Feld zu beobachtendes Versagen, das man angesichts der wohl geltenden Anforderungen an einen solchen Abschlussbericht dem Autor nicht allzu sehr ankreiden darf.
Fazit
Eine kompakte Abschlussarbeit, die wegen ihrer Diktion und ihren unzähligen, doch einschlägigen Zitaten keineswegs einfach zu lesen ist. Ein Essay, der dazu einlädt, vermehrt über den therapeutischen – und wissenschaftlichen – Einsatz psychedelischer Drogen nachzudenken.
[1] Stephan Schleim: Mental Health and Enhancement. Substance Use and Its Social Implications. Springer International Publishing AG (Cham/Heidelberg/New York/Dordrecht/​London) 2023. ISBN 978-3-031-32618-9 [Rezension bei socialnet]. https://link.springer.com/book/10.1007. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/​31724.php
[2] Gregor Hasler: Higher Self. Psychedelika in der Psychotherapie. Klett-Cotta Verlag (Stuttgart) 2022. ISBN 978-3-608-98462-0 [Rezension bei socialnet]. Reihe: Fachbuch. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/​30464.php
Rezension von
Prof. Dr. Stephan Quensel
Jurist und Kriminologe
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