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Anne Bredel-Geißler, Peter Martin et al.: Klinische Symptome bei Menschen mit neuronalen Entwicklungsstörungen

Rezensiert von Prof. Dr. Carsten Rensinghoff, 28.12.2023

Cover Anne Bredel-Geißler, Peter Martin et al.: Klinische Symptome bei Menschen mit neuronalen Entwicklungsstörungen ISBN 978-3-8379-3257-7

Anne Bredel-Geißler, Peter Martin, Anja Grimmer: Klinische Symptome bei Menschen mit neuronalen Entwicklungsstörungen. Ein Leitfaden zur Differenzialdiagnostik. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2023. 300 Seiten. ISBN 978-3-8379-3257-7. D: 42,90 EUR, A: 44,10 EUR.
Reihe: Mensch und Medizin.

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Thema

Da Menschen mit komplexen Behinderungen häufig, aus mangelnder Kommunikationsfähigkeit, nicht ausreichend bei der medizinischen Anamnese mitarbeiten können, wurde mit der vorliegenden Publikation ein Leitfaden erstellt, der die Symptome, die am häufigsten auftreten, diskutiert.

Herausgeber:innen

Anne Bredel-Geißler ist Oberärztin an der Rheinhessen-Fachklinik in Mainz. Sie leitet dort das Zentrum für Erwachsene mit Behinderung und die Spina bifida-Ambulanz.

Peter Martin ist Chefarzt der Séguin-Klinik. Außerdem leitet er das Medizinische Zentrum für Erwachsene mit Behinderung der Diakonie Kork.

Anja Grimmer ist Oberärztin am Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg auf der Station für Menschen mit Epilepsie und Behinderung im Evangelischen Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge.

Entstehungshintergrund

(Häufig trägt es zum Verständnis einer Veröffentlichung bei, wenn seine Entstehungsgeschichte und die Einflussfaktoren für die Entstehung mitgeteilt werden. Dann sollten hier entsprechende Informationen mitgeteilt werden.)

Aufbau

  1. Norbert Bohnert: Erstvorstellung im MZEB
  2. Georg Poppele & Margarete Nowag: Adipositas
  3. Anne Bredel-Geißler: Anfälle
  4. Verona Mau: Störungen der Atmung
  5. Jörg Stockmann: Chronische Obstipation
  6. Markus Knuf: Dermatologische Symptome
  7. Martin Rohlf: Diarrhoe
  8. Tobias Wagner: Erbrechen
  9. Martin Rohlf: Ungewollter Gewichtsverlust
  10. Anne Bredel-Geißler: Harninkontinenz
  11. Peter Martin & Thomas Dreher: Neuromuskuläre Skoliosen
  12. Petra Schulz, Christian Münter & Eva Ledig: Ödeme
  13. Georg Poppele & Petra Schulz: Rezidivierende Infekte
  14. Anja Grimmer: Schlafstörungen
  15. Peter Martin & Jörg Stockmann: Schmerzen
  16. Verona Mau & Petra Rösl: Sehen und Sehstörungen
  17. Gloria Dorsch, Meike Wehmeyer & Tatjana Voß: Sexualität
  18. Meike Wehmeyer, Hauke Hermann & Tanja Sappok: Verhaltensstörungen
  19. Peter Martin: Verschlechterung kognitiv-mnestischer Funktionen
  20. Peter Martin: Verschlechterung motorischer Funktionen bei Cerebralparesen (CP) im Erwachsenenalter
  21. Katharina Bücher & Guido Elsäßer: Zahnschmerzen

Inhalt

Die Menschen, um die es den Herausgebenden geht, werden nach der ICD-10 als Menschen mit Intelligenzstörung bezeichnet. Bei einer Intelligenzstörung handelt es sich um einen „‘Zustand von verzögerter oder unvollständiger Entwicklung der geistigen Fähigkeiten; besonders beeinträchtigt sind Fertigkeiten, die sich in der Entwicklungsperiode manifestieren und die zum Intelligenzniveau beitragen, wie Kognition, Sprache, motorische und soziale Fähigkeiten‘“ (S. 12).

Jede Diagnose befasst sich mit folgenden Themen:

  1. Fallbeispiel
  2. Definition
  3. Problembeschreibung
  4. Differenzialdiagnosen
  5. Anamnese
  6. Klinische Untersuchung
  7. Weiteres Vorgehen
  8. Relevanz bei Entwicklungsstörungen.

Exemplarisch erfolgt ein Blick in die Kapitel zu Adipositas und Zahnschmerzen.

Bei Georg Poppeles und Margarete Nowags Fallbeispiel zu Adipositas handelt es sich um eine 36-jährige Frau, die mit Depression lebt und deren Arbeitsfähigkeit als Landschaftsgärtnerin festgestellt werden soll. Aufgrund ihres Körpergewichts und sonstiger Parameter lautete die Nebendiagnose Adipositas. Die Adipositas brachte bei der Frau weitere Begleiterkrankungen mit sich. In dem Fallbeispiel werden dann auch Behandlungsmaßnahmen zur Gewichtsreduktion beschrieben.

Zur Definition wird angeführt, dass es sich bei der Adipositas um eine Blickdiagnose handelt. Bei Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung ist eine spezifische Klassifikation erforderlich, die sich vom Body-Maß-Index, also dem Quotienten aus Körpergewicht und Körpergröße im Quadrat, abhebt.

In der Problembeschreibung wird darauf aufmerksam gemacht, dass Menschen mit einer intellektuellen Beeinträchtigung im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung ein doppelt so hohes Auftreten von Adipositas aufweisen. Es kommt somit zu einer erhöhten Morbidität und Mortalität.

Differenzialdiagnostisch ist bei Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen u.a. nach einer syndromalen oder syndrom-assoziierten Adipositas zu suchen.

Wie im vorgestellten Fallbeispiel dargestellt, gehen psychiatrische Erkrankungen – hier die Depression – mit einer Adipositas-Entwicklung einher.

Anamnestisch werden die Daten zum Lebensstil und den Essgewohnheiten, den psychosozialen Bedingungen, der Gewichtsentwicklung, der familiären Disposition, der Sozialisierung im Ernährungs- und Essverhalten und der Folgeerkrankungen erhoben.

Grundlage der klinischen Untersuchung ist die Ganzkörperuntersuchung.

Für das weitere Vorgehen bei Adipositas hat sich die Hinzuziehung von Psychologen für die Betroffenen und dem professionellen Team bewährt. Hierbei geht es um den Aspekt der Selbstfürsorge „und dem Ausloten, wie diese unterstützt werden kann“ (S. 35).

Zur Prävention und zur Behandlung einer Adipositas ist eine langfristige professionelle Ernährungsberatung unumgänglich.

Um eine psychopharmakologische Behandlung zu gewährleisten, ist eine psychiatrische Konsultation notwendig.

Insgesamt ist für das weitere Vorgehen zu beachten, dass es sich bei Adipositas um eine multifaktorielle und chronische Erkrankung handelt, „welche sowohl eine hochprofessionelle und interdisziplinäre Behandlung erfordert, als auch eine Herangehensweise auf Augenhöhe bedarf“ (S. 37).

Für die Relevanz bei Entwicklungsstörungen ist die humangenetische Abklärung wichtig.

Aufgrund zunehmender Unruhezustände, Schlaflosigkeit und häufigen Weinens sucht ein 22-Jähriger mit einer Autismus-Spektrum-Störung die zahnärztliche Sprechstunde auf. „Nach der zahnärztlich-chirurgischen Intervention wird eine deutliche Verbesserung der häuslich-pflegerischen Mundhygiene sowie der Ess- und Trinkgewohnheiten erreicht“ (S. 328).

Definitionsgemäß handelt es sich bei Zahnschmerzen, die oft mit Entzündungen einhergehen, um zunehmende und, im weiteren Verlauf, kontinuierliche Schmerzsensationen.

Katharina Bücher und Guido Elsäßer beklagen, dass viele Menschen mit intellektuellen oder psychischen Einschränkungen die – über § 22a SGB V – gesetzlich zustehenden zusätzlichen Vorsorge- und Präventionsleistungen nicht in Anspruch nehmen.

Für das weitere Vorgehen, u.a. auch in stationären Wohn- und Betreuungsformen ist die gewissenhafte Zahn- und Mundpflege, sowie die regelmäßige zahnärztliche Kontrolluntersuchung notwendig.

Diskussion

Gerade für Menschen mit einer Behinderung ist es oftmals schwierig einen kompetenten Arzt zu finden. Bei spezifischen Behinderungen, die dann noch Schwierigkeiten in der Kommunikation mit sich bringen, ist es vielfach aussichtslos wohnortnah einen Arzt – mit der entsprechenden Expertise – aufsuchen zu können. Weite An- und dann auch Abfahrtswege müssen hierfür in Kauf genommen werden. Um diesen Zustand zum positiven Pol hin zu wenden, ist die bis hierhin besprochene Publikation eine große Hilfe. Auf diese Weise können die vorgenannten Patienten eine rasche wohnortnahe ärztliche Behandlung erfahren.

Und dann noch etwas, was u.a. auch meine spezifische Behinderung betrifft, aber auf gleichartig Betroffene übertragen werden kann: Als Mensch mit Behinderung ist mir die Zahn- und Mundpflege immer ein wichtiges Anliegen, auch für die Kontaktaufnahme. Schöne, weiße Zähne begünstigen Kontaktanbahnungen im zwischenmenschlichen Bereich. Als halbseitig Gelähmter ist mir das körpereigene Gebiss sehr wertvoll, da meine Zähne dann und wann Haltevorgänge vornehmen müssen. Diese stelle ich mir mit den sog. Dritten recht schwierig vor. Aus dem familiären Umfeld weiß ich, dass hier über Befestigungsprobleme im Mundraum geklagt wird. Was bringt es mir dann, wenn meine Zähne an dem Gegenstand hängen bleiben, den sie eigentlich halten sollten?

Fazit

Bei der Publikation handelt es sich um ein Werk, das in den heilpädagogischen Ausbildungsgängen gelesen werden soll. Gerade für die Arbeit mit schwerstbehinderten Menschen, die in ihrer Kommunikation stark eingeschränkt sind, ist dieses Wissen, welches wir u.U. noch nicht einmal erahnen können, wertvoll.

Rezension von
Prof. Dr. Carsten Rensinghoff
Hochschullehrer für Heilpädagogik und Inklusive Pädagogik an der DIPLOMA Hochschule
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Es gibt 181 Rezensionen von Carsten Rensinghoff.

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Zitiervorschlag
Carsten Rensinghoff. Rezension vom 28.12.2023 zu: Anne Bredel-Geißler, Peter Martin, Anja Grimmer: Klinische Symptome bei Menschen mit neuronalen Entwicklungsstörungen. Ein Leitfaden zur Differenzialdiagnostik. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2023. ISBN 978-3-8379-3257-7. Reihe: Mensch und Medizin. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31144.php, Datum des Zugriffs 02.11.2024.


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