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Haîm Ômer, Arist von Schlippe: Autorität durch Beziehung

Rezensiert von Wolfgang Schneider, 14.02.2024

Cover Haîm Ômer, Arist von Schlippe: Autorität durch Beziehung ISBN 978-3-525-40007-4

Haîm Ômer, Arist von Schlippe: Autorität durch Beziehung. Gewaltloser Widerstand in Beratung, Therapie, Erziehung und Gemeinde. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2023. 10., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. 250 Seiten. ISBN 978-3-525-40007-4. D: 28,00 EUR, A: 29,00 EUR.

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Thema

Seit rund 20 Jahren hat sich der von Haîm Ômer entwickelte Ansatz der ‚elterlichen Präsenz‘ beziehungsweise der ‚Neuen Autorität‘ immer weiterverbreitet. So finden sich Ansätze davon mittlerweile nicht nur in der Sozialen Arbeit, sondern auch in der Unternehmensführung. Die vorliegende Auflage ist nicht bloß überarbeitet, sondern auch deutlich erweitert und liefert so ein umfassendes Update des Oberthemas ‚Autorität durch Beziehung‘ im Bezug auf die Gemeindearbeit. Es ist die mittlerweile zehnte Auflage des Buches.

Autoren

Haîm Ômer ist emeritierter Professor für Klinische Psychologie an der Universität Tel Aviv. Er entwickelte das Konzept der ‚Neuen Autorität‘ in den Bereichen Beratung, Erziehung, Schule und Gemeinwesen. Wie bei den vorherigen Auflagen fungiert der Diplom-Psychologe Arist von Schlippe als Co-Autor. Er ist Inhaber des Lehrstuhls Führung und Dynamik von Familienunternehmen an der Universität Witten/​Herdecke sowie Lehrtherapeut für systemische Therapie, Coach und Supervisor.

Aufbau und Inhalt

Nach einem ausführlichen Vorwort zur deutschen Ausgabe von Arist von Schlippe folgt eine kompakte, aber dennoch umfassende Einführung in die Thematik, die der Entwicklung der ‚Neuen Autorität‘ zugrunde liegt. In den folgenden acht Kapiteln geht Haîm Ômer – mit einigen Anpassungen für die deutsche Leserschaft durch von Schlippe – dann auf die Grundprinzipien seines Konzepts ein

Grundsätze und Zielsetzungen

Im Fokus dieses Kapitels steht der Gewaltlose Widerstand, den Haîm Ômer propagiert. Was ist sein Ziel? Wobei geht es darum? Im Kern steht die Annahme, dass eben jener Gewaltlose Widerstand in Form elterlicher Präsenz an die Stelle von Bemühungen treten soll, Veränderung alleine durch den Dialog, Verhandlungen oder Überredungen zu erreichen.

Eskalationsprozesse

Haîm Ômer thematisiert in diesem Kapitel sehr genau die Prozesse und Vorgänge, durch die Eskalationen entstehen. Dass es letztlich häufig darum geht, die Unterwerfung des Gegenübers – im Rahmen der ‚Neuen Autorität in der Regel das eigene Kind in einer schwierigen Phase – zu erreichen, ist das Grundproblem von eskalierenden Eltern-Kind-Beziehungen, das in der Folge zu wortreichen Debatten, Polarisierungen und einem Verharren in eigenen Positionen führt.

Anleitung zum Gewaltlosen Widerstand – ein Handbuch für Eltern

Wie die Überschrift schon verrät, gibt dieses Kapitel – stark komprimiert – Tipps für Eltern, wie sie letztlich wieder zur Autorität kommen können, ohne diese durch aggressive Mittel zu erreichen. Hierzu werden verschiedene Methoden erklärt wie zum Beispiel das Sit-in, also einfach ohne große Diskussion Präsenz im Kinderzimmer zu zeigen. Wichtige Teile des Kapitels und der Idee der ‚Neuen Autorität‘ an sich sind Selbstbeherrschung und am Ende auch Geste der Versöhnungen, die in diesem Kapitel ebenfalls dargestellt werden.

Gewaltloser Widerstand in der praktischen Anwendung

Dieses Kapitel präsentiert praktische Beispiel, in denen der gewaltlose Widerstand eingesetzt wurde, räumt aber auch mit gängigen Fehlannahmen auf, die Haîm Ômer im Bezug auf kindliche Aggressivität identifiziert hat. Dazu gehören unter anderem Aussagen wie „Aggressive Verhaltensweisen sind nur Symptome tiefer liegender psychischer Probleme“ oder „Alles, was das Kind braucht, ist Akzeptanz, Wärme und weniger strenge Anforderungen“.

Gewalt von Geschwistern gegen Geschwister

Gewalt unter Geschwistern ist ein Thema, auf das häufig sowohl Eltern als auch Fachkräfte der Jugendhilfe hilflos reagieren. In diesem Kapitel stehen zunächst die möglichen Ursachen für Gewalt unter Geschwistern im Fokus. Hier sind zum Beispiel fehlende elterliche Präsenz, aber auch die Verfügbarkeit von Opfern – nämlich in den eigenen vier Wänden – zu nennen. Im Folgenden beschreibt der Autor dann, wie Eltern diese Gewalt überhaupt erst entdecken können und inwiefern sich der gewaltlose Widerstand auch hier einsetzen lässt.

Kontrollierende und in sich zurückgezogene Kinder

Anhand von zwei weiteren Fallbeispielen wird hier der Umgang mit kontrollierenden Kindern und solchen, die sich sehr zurückziehen, fokussiert.

Schulen und andere pädagogischen Einrichtungen

Dass sich die ‚Neue Autorität‘ eben nicht nur an Eltern, sondern pädagogische Fachkräfte richtet, zeigt sich in diesem Kapitel. Zunächst stehen die Faktoren, die die Autorität von Pädagog*innen (aber auch Eltern) schwächen, bevor Haîm Ômer das Konzept des gewaltlosen Widerstandes auf die Institution Schule überträgt, was er an drei weiteren Fallbeispielen verdeutlicht.

Gewaltloser Widerstand auf der Ebene des Gemeinwesens

Den Abschluss des Buches bildet ein komplett neues Kapitel, das zeigt, wie sich das Konzept des gewaltlosen Widerstandes auch im Gemeinwesen beziehungsweise im Rahmen der Sozialraumorientierung umsetzen lässt. Hierzu werden Projekte aus der Praxis vorgestellt, aber auch das Schaffen eines „Wir“ gegen Gewalt fokussiert. Unter anderem wird auch die Frage diskutiert, inwieweit die Präsenz Erwachsener in Bereichen hoher Gewaltanfälligkeit helfen kann.

Diskussion

Wer das erste Mal von Haîm Ômer ‚Neuer Autorität‘ hört, der dürfte sich in der Regel die Frage stellen, ob es wirklich so einfach sein soll, Konflikte mit dem (pubertierenden) Nachwuchs in den Griff zu bekommen: Einfach wortlos ins Zimmer des jungen Menschen setzen und Präsenz zeigen? Das soll alles sein? Ganz so einfach ist es sicherlich nicht, da es eben um viel mehr als Handlungsanweisungen geht, nämlich um eine fundierte, klare innere Haltung. Und die kann an dieser Stelle Wunder wirken. Wie sich die eigene Haltung schrittweise entsprechend verändern lässt, zeigt dieses Buch. Es macht Hoffnung darauf, dass sich auch schwierige häusliche Situationen befrieden lassen, ohne sich als Allheilmittel zu verstehen. Dabei – und das zeigt, dass die ‚Neue Autorität‘ eben kein Hokuspokus ist – ist ein großer Vorteil, dass die wissenschaftliche Begleitforschung belegt, wie das Konzept, sofern es denn von den Anwender*innen verinnerlicht ist, häufig wirkt. Ein großes Plus dieser zehnten Auflage ist es, dass es durch die Co-Autorenschaft von Arist von Schlippe auf deutsche Verhältnisse angepasst ist. Beeindruckend ist dessen Vorwort, das sehr eindrücklich die Geschichte der Zusammenarbeit der beiden Autoren beschreibt, obwohl sich deren Wege fachlich bereits vor langer Zeit getrennt haben.

Fazit

Die ‚Neue Autorität‘ ist weit mehr als eine Methode, es ist eine Haltung. Das wird auch in der zehnten Auflage des Buches mehr als deutlich, die das bereits vorhandene Wissen darüber nicht bloß auffrischt, sondern deutlich erweitert. Nur eines darf man bei aller Begeisterung und Qualität der ‚Neuen Autorität‘ nicht vergessen: Gerade Eltern gibt man mit dem gewaltlosen Widerstand durchaus eine Waffe an die Hand, um die Grenzen ihrer Kinder zu überschreiten. Deshalb ist es von großer Bedeutung, sich für die eigene elterliche Präsenz Hilfe von außen zu holen und sich nicht nach dem Lesen dieses Buches ans Experimentieren im eigenen Kinderzimmer zu machen.

Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
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Zitiervorschlag
Wolfgang Schneider. Rezension vom 14.02.2024 zu: Haîm Ômer, Arist von Schlippe: Autorität durch Beziehung. Gewaltloser Widerstand in Beratung, Therapie, Erziehung und Gemeinde. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2023. 10., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. ISBN 978-3-525-40007-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31157.php, Datum des Zugriffs 06.11.2024.


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