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Peter Friedemann, Jan Friedemann: Religiöser und demokratischer Sozialismus

Rezensiert von Prof. Dr. Norbert Wohlfahrt, 28.08.2023

Peter Friedemann, Jan Friedemann: Religiöser und demokratischer Sozialismus. Eine Untersuchung am Beispiel der Zeitschrift "Neue Blätter für den Sozialismus: Zeitschrift für geistige und politische Gestaltung" (1930-1933). Lit Verlag (Berlin, Münster, Wien, Zürich, London) 2023. 125 Seiten. ISBN 978-3-643-14997-8.
Reihe: Politische Theorie und Kultur - Band 7. Weiterführende Informationen.

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Thema und Angaben zu den Autoren

Das Buch ist eine Gemeinschaftsproduktion von Vater und Sohn Friedemann. Peter Friedemann war Geschäftsführer der Stiftung und Bibliothek des Ruhrgebiets, sein Sohn Jan Friedemann ist Professor an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe. Das Buch will verdeutlichen, dass die religiösen und demokratischen Sozialisten sowohl in der Weimarer Republik als auch in der frühen Bundesrepublik eine größere Rolle gespielt haben als dies vielfach angenommen wird.

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist in 10 Kapitel und ein Fazit gegliedert. Nach der Skizzierung des Forschungsstandes und der Problemstellung widmet sich ein Kapitel der Genese des religiösen Sozialismus, bevor in den anschließenden 7 Kapiteln einzelne herausragende Vertreter des religiösen und demokratischen Sozialismus detailliert vorgestellt und thematisiert werden. Bei der Skizzierung der Forschungsfrage verdeutlichen die beiden Autoren, worum es ihnen geht: „Es geht uns um den demokratischen Sozialismus in seiner Verbindung mit der religiösen Kultur. Der demokratische und religiöse Sozialismus soll also wechselseitig und in ihrer Interdependenz behandelt werden“ (S. 3). Im Folgenden wird versucht, am Beispiel der Analyse ausgewählter Aufsätze in den Blättern für den Sozialismus, Zeitschrift für geistige und politische Gestaltung, 1930 – 1933 (NBS) die Prozesse einer Wiederbelebung und Wiederaufnahme der Diskussion zum religiösen und demokratischen Sozialismus nachzuzeichnen.

Peter und Jan Friedemann wollen insbesondere auf die humanistische Intention aufmerksam machen, die den religiösen Sozialismus (in Abgrenzung zum Geist der nationalsozialistischen Bewegung) kennzeichnet und dem es darum ging „auch den Sozialismus in das Erbe des deutschen Idealismus einzusetzen“ (S. 13) und ihn damit gleichzeitig auf eine Stufe mit der Kulturbewegung des Christentums zu stellen. Die ausgewählten biografischen Beiträge befassen sich mit Vertretern des religiösen Sozialismus wie Tillich, Heimann, Rathmann, Heller, Mierendorff, von der Gablentz, Fraenkel, Wessel und Dirks.

Paul Tillich wird als einer der Vordenker des demokratischen und religiösen Sozialismus vorgestellt. In einem im Buch ausführlich zitierten Brief begründet er sein Eintreten gegen die „Dämonie der industriellen Gesellschaft“ (S. 25), deren ökonomische, politische und kulturelle Strukturen der Destruktion er kritisiert. Tillich sieht die Möglichkeit des Zusammengehens des Proletariats mit den mittelständischen sozialen Gruppen und verortet darin eine konkrete Alternative für den Sozialismus der Gegenwart. Die im Folgenden präsentierten Personen rund um die Neuen Blätter für den Sozialismus werden im Zusammenhang mit Diskussionen in den NBS diskutiert und als Denkrichtung bezeichnet, die auf Versöhnung und gesellschaftlichen Frieden ausgerichtet war. Kennzeichnend für die einzelnen Kapitel sind ausführliche Verweise in den Fußnoten, in denen jeweils auf historische Zusammenhänge hingewiesen wird. Am Beispiel des Ökonomen und Sozialpolitikers Eduard Heimann wird auf aktuelle gesellschaftspolitische Debatten Bezug genommen und eine Programmatik formuliert, die sich das Autorengespann zu eigen macht: „Privacy as an exemption from public responsibility is unthinkable“ (S. 54).

Das Fazit ihrer Untersuchung verbinden Vater und Sohn Friedemann mit der Frage nach weiterführenden und ausbaufähigen Perspektiven. Es geht ihnen darum, die Gedanken des religiösen und demokratischen Sozialismus, den persönlichen Mut des Einzelnen und ihre Verantwortung für das Ganze auch außerhalb der Blätter der NBS zu erfassen und zu würdigen. So plädieren sie für das Wagnis eines humanitären Sozialismus für das die vielen Mitstreiter der NBS sich eingesetzt haben und von denen nicht wenige ihr Leben im Kampf gegen den Nationalsozialismus verloren haben.

Diskussion

Das Buch von Peter und Jan Friedemann beschäftigt sich mit einer wichtigen, wenn auch wenig bekannten Entwicklung in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Der Anspruch, den die Autoren eingangs formulieren, eine Forschungslücke mit Blick auf den demokratischen und religiösen Sozialismus anzugehen, wird durch die Präsentation der entscheidenden Personen in der Bewegung rund um die NBS in vollem Umfang erfüllt. Gegenüber dieser detaillierten und präzisen Nachzeichnung rückt allerdings die theoretische Einordnung des religiösen und demokratischen Sozialismus etwas in den Hintergrund. Wenn man diesen als Alternative zu dem dogmatisch erstarrten Arbeitersozialismus der Komintern ansieht, dann wäre ein Blick darauf, wie sich diese „Alternative“ mit Blick auf den wissenschaftlichen Sozialismus bspw. eines Karl Marx verhält, wünschenswert. Denn alleine durch die Kraft der Normativität wird ja noch keine gesellschaftspolitische Perspektive eröffnet, die aus dem Dilemma einer das Proletariat verherrlichenden sozialistischen Dogmatik herausführt.

Fazit

Peter und Jan Friedemann haben eine Studie vorgelegt, die ganz bewusst für einen interessierten Kreis von Leserinnen und Lesern formuliert ist. Sie entwickelt kenntnisreich und anschaulich das Bild von einer in der Öffentlichkeit wenig wahrgenommenen Bewegung, deren antifaschistisches Wirken zurecht einer aktuellen Lektüre zugänglich gemacht wird. Es ist zu wünschen, dass die Studie die ihr gebührende Verbreitung findet und die dort angestoßene Diskussion weiter geführt wird.

Rezension von
Prof. Dr. Norbert Wohlfahrt
Professor i.R. für Sozialmanagement, Verwaltung und Organisation am Fachbereich Sozialarbeit der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe Bochum
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Es gibt 47 Rezensionen von Norbert Wohlfahrt.

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Zitiervorschlag
Norbert Wohlfahrt. Rezension vom 28.08.2023 zu: Peter Friedemann, Jan Friedemann: Religiöser und demokratischer Sozialismus. Eine Untersuchung am Beispiel der Zeitschrift "Neue Blätter für den Sozialismus: Zeitschrift für geistige und politische Gestaltung" (1930-1933). Lit Verlag (Berlin, Münster, Wien, Zürich, London) 2023. ISBN 978-3-643-14997-8. Reihe: Politische Theorie und Kultur - Band 7. Weiterführende Informationen. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31176.php, Datum des Zugriffs 08.12.2024.


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