Birgit Sauer, Otto Penz: Konjunktur der Männlichkeit
Rezensiert von Arnold Schmieder, 07.05.2024

Birgit Sauer, Otto Penz: Konjunktur der Männlichkeit. Affektive Strategien der autoritären Rechten. Campus Verlag (Frankfurt) 2023. 198 Seiten. ISBN 978-3-593-51604-2. D: 30,00 EUR, A: 30,90 EUR.
Thema
Das Augenmerk liegt auf einer „neuartigen antifeministischen, maskulinistisch-autoritären Konjunktur“ seitens der „autoritären Rechten“, denen sich durch einen „Wandel der ‚alten‘ Rechten in ‚neu-rechte‘ Parteien“, die „Transition realsozialistischer Staaten in Parteiendemokratien“ sowie den „Abbau europäischer Sozialstaaten“ und zusätzlich eine „globale Mobilisierung zur Migration“ ein „Gelegenheitsfenster“ öffnete, um sich bei Wahlen erfolgreich zu positionieren. Die Gefahr – und nicht nur aus dieser Richtung – eines „Umbaus liberaler Demokratien in autoritäre Systeme“ droht, und dies nicht nur hierzulande. Sauer und Penz nehmen diese Entwicklung in Deutschland und Österreich („als konservative Sozialstaaten“) in den Blick, zeigen dabei auch Unterschiede auf, machen generell eine „‚Normalisierung‘ rechter Denkformen und politischer Strategien“ aus (S. 9 ff), zeigen, „dass der neoliberale Transformationsprozess, der von der politischen Mitte in den letzten 20 Jahren in Deutschland wie auch in Österreich vorangetrieben wurde, und die sozialen Verwerfungen, die damit entstanden, diesen (wie im Buch geschilderten; a.s.) Erfolgen der Rechten zugrunde liegen.“ (S. 154) In einem „radikalisierten Konservatismus“ (Strobl), der eklatant, aber nicht nur für Österreich gilt, „verschmelzen“ die überkommenen Feindbilder der extremen Rechten mit denen des Neoliberalismus (S. 161), was eine „zukunftsorientierte Strategie der Autoritarisierung und Entdemokratisierung“ zu befördern beiträgt. (S. 156)
Autorin und Autor lehnen sich an das „Konzept des ‚autoritären Populismus‘“ an, wie es von Stuart Hall entwickelt wurde, und das auf ein „bereits existierendes ‚autoritäres Begehren‘, auf einen autoritären Common Sense und den Wunsch nach Law and Order im Neoliberalismus aufmerksam“ macht. Dieser „Denktradition“ schließen sie sich aus einer „feministischen Perspektive“ (auch) darum an (S. 12), weil das Ziel einer von den Rechten in Deutschland angestrebten „‚autoritären Revolte‘ (…) nicht zuletzt in Fantasien heroischer Männlichkeit“ gründet. Sie „begreifen deshalb das Phänomen des autoritären Populismus als genuin vergeschlechtlicht, als ein Phänomen, das erst aus der Transformation gesellschaftlicher Geschlechterstrukturen in europäischen Demokratien verständlich wird und nicht nur aus ökonomischen Entwicklungen“. Sie berufen sich auch auf das „Konjunkturkonzept“, auf dessen Folie sie herausarbeiten, „dass die autoritäre Rechte gleichsam aus unbearbeiteten Widersprüchen in der Mitte der Gesellschaft und nicht aus einem ‚abgehängten‘ Rand entsteht und (re-)produziert wird.“ Unter Aufnahme der Theorieperspektive von Adorno, der „Verbindung von Ökonomie und Subjekt“, wollen sie die „Geschlechter- und Sexualitätsdimension des rechts-autoritären Phänomens gesellschaftstheoretisch“ fundieren. (S. 16 f.) Betont wird auch, „dass eine Strategie gegen rechts die Grundlagen liberaler Demokratie, also auch die kapitalistisch-patriarchale Produktionsweise fundamental infrage stellen muss“, und es „darüber hinaus einer radikalen Neuimagination des Demokratischen“ bedarf. (S. 166 f) Fazit und Ausblick von Sauer und Penz ist mental und emotional gesättigte, d.h. selbstverständlich empathische „Sorge“ füreinander, also „Sorge“ schon im Hinblick auf Erreichung einer (transformierten) Gesellschaft – „eine queer-feministische Utopie der Sorge“ mit dem Ziel, eine „‚sorgende Konjunktur‘“ und „‚affektive Demokratie‘“ deutlich zu propagieren. (S. 25) Das ist dann auch zum „Ausgangspunkt politisch-ökonomischer Überlegungen“ (Lorey) zu machen. Das Politische muss ein Raum sein resp. werden, in dem – gänzlich andere – „(a)ffektive Subjektivierungsweisen“ eröffnet werden, eine „Chance“ dann „für die Auflösung und Entflechtung der affektiven autoritär-männlichen Konjunktur, weil sie ein (gemeinsames) Heraustreten aus den neurotischen Strukturen (…) ermöglichen.“ (S. 172)
Autorin und Autor
Birgit Sauer ist Professorin i. R. für Politikwissenschaften an der Universität Wien. Otto Penz ist Soziologe und lehrte u.a. an der University of Calgary und der Universität Wien.
Aufbau Inhalt
Das Buch umfasst sieben Hauptkapitel, die jeweils in mehrere Unterkapitel gegliedert sind. Das erste Kapitel, Männlichkeit und die autoritäre politische Rechte: Einleitung, stellt ausführlich dar, dass sich der gegenwärtige „rechts-autoritäre Moment“ (Weiß) durch eine „Kulmination von gesellschaftlichen Entwicklungen und rechten ideologischen Vorbereitungsdiskursen und Aktivitäten“ auszeichnet. (S. 11 f.) Das „jähe Abklingen einer „‚Willkommenskultur‘“ in Bezug auf Migrant:innen habe einen „Aufschwung autoritärer und rechtspopulistischer Kräfte“ zu einem deutlichen Aufschwung verholfen und einer „‚Kultur der Ablehnung‘“ Platz gemacht. (S. 14) Der Erfolg der Rechten sei nicht allein durch eine „ökonomische Verunsicherungsthese“ zu erklären, vielmehr seien wesentlich erodierende Identitätsgewissheiten einzubeziehen, d.h. „Veränderungen von „Geschlechter- und Sexualitätsregimen“. (S. 17) Heil solle aus einer „neuartige(n) Geschlechterideologie“ kommen, welche autoritär-rechte Gruppen entwickelt haben, mit der auch Frauen eingebunden werden können. Doch „Maskulinismus als eine Herrschaftspraxis“ spiele eine prominente Rolle, und zudem werde eine „Politik mit der Angst“ (Wodak) betrieben. Somit werden „Angst und Unsicherheit“ mobilisiert, um diese Gefühle in „Wut“ umzumünzen. (S. 19 ff.) Kurzum: „Autoritär-rechte Parteien und Bewegungen wollen das Fühlbare, das Wahrnehmbare und Sagbare verändern, sie suchen, eine neue affektive Form des steuernden Zugriffs auf Menschen zu etablieren.“ (S. 22) – Autorin und Autor treten an, all dies entlang ihrer Analysen und Deutung von Quellenmaterial zu belegen.
Im zweiten Kapitel, Affektive Konjunktur: Ein gesellschaftstheoretischer Interpretationsrahmen, werden die Cultural Studies als Orientierungsrahmen vorgestellt, um zu zeigen, dass und wie sich eine Kultur der Männlichkeit konstituiert – „Leitthema der vorliegenden Untersuchung“. (S. 32) Festgehalten wird, dass die „Geschlechter- und Sexualitätsverhältnisse eine der zentralen historischen Strukturprinzipien kapitalistisch-bürgerlicher Gesellschaften“ darstellen, eng in Verbindung mit „Heteronormativität“ stehend. Hingewiesen wird auch darauf, dass „im Zuge der neoliberalen Transformation entfesselten Gefühle (…) die Gefühlsgrenzen zwischen öffentlich und privat teilweise“ niedergerissen haben. Die Rückbesinnung auf eine „starke Männlichkeit“ erinnere an die „Männerfantasien des Faschismus“, ganz allgemein ein „Mobilisierungselement“ zur Einstimmung auf den „sogenannten Anti-Genderismus“. (S. 31 f.)
Das Kapitel drei, Markt, Politik und Subjektivierung in der neoliberalen Konjunktur, kreist neuere Veränderungen auf dem Markt und eines politischen Umbaus von Staatlichkeit ein, bezeichnet als „neoliberale Regierungsrationalität“, und zeigt den Zusammenhang zu einem ‚autoritären Kapitalismus‘, um die ‚affektiven Hintergründe‘ des rechten Aufschwungs zu erhellen. Thematisiert wird eine „Ökonomisierung des Staates und des Sozialen.“ (S. 41 f.) Freiheit ist als die Freiheit einer „marktförmig organisierten Vertraglichkeit“ (Legnaro), die über eine „ökonomische Vertragsfreiheit in allen Bereichen des Lebens Gültigkeit erlangen soll.“ (S. 51) Dabei wird der „Raum des politisch Gestaltbaren“ (S. 58) für die Bürger:innen immer mehr eingeschränkt, was ein Einfallstor für die „instrumentelle Mobilisierung von Gefühlen für politische Identitätsbildung“ öffnet (S. 59), was durch die autoritären Rechten zu einem „Exzess an Gefühlen“ (S. 39) lanciert wird. Es sei diese „widersprüchliche und intensive affektive Mixtur aus Verlustängsten und autoritären Allmachtsphantasmen, aber auch der geforderte Einsatz von Gefühlen als politische Technik einer staatlich gesteuerten Demokratisierung“, welche die „Gefühlsstruktur“ bilden, „auf die die autoritäre Rechte zugreifen kann“. (S. 61 f.)
Im vierten Kapitel, Transformation von Männlichkeit: Komponenten einer rechts-autoritären Konjunktur, werden relevante „Felder der Veränderungen von Geschlechter- und Sexualverhältnissen“ vorgestellt, die nicht widerspruchsfrei sind und als Herausforderung männlichen Selbstverständnisses zentrale Gegenstände sind, auf welche die „autoritäre Rechte im Versuch, eine neue Konjunktur zu formen, diskursiv und affektiv zurückgreift.“ (S. 53) Zwar seien die „familiären bzw. partnerschaftlichen Verhältnisse zwischen den Geschlechtern durch grundlegende Veränderungen“ gekennzeichnet, „aber auch durch persistente Ungleichheiten“. (S. 73) Auch das muss eine „Resouveränisierung von Männlichkeit“ einfangen und entsprechend umdeuten, weil davon ein „Wandel männlicher Identitäten“ nicht unberührt geblieben sei. (S. 80 f.) Hier mache sich einmal mehr geltend, dass der „widersprüchliche neoliberale Wandel von Geschlechterverhältnissen (…) Widersprüche des kapitalistischen Alltags (verstärkt) und (…) mit Krisenerscheinungen und -erfahrungen der Menschen im Arbeitsleben“ einhergeht. Für die autoritäre Rechte ist dies Nährboden für ihren Anti-Genderismus, sehe sie doch hier „Familie und eine ‚natürliche‘ Ordnung“ bedroht, woraus sich eine „männliche autoritären Konjunktur“ formiere. (S. 87 f.)
In den Kapiteln fünf und sechs, Anti-Gender-Mobilisierung der autoritären Rechten und rechts-populistische Affektivität sowie Maskulinistische Identitätspolitik: Lösungsvorschläge der autoritären Rechten und Zuspitzungen der männlichen Konjunktur wird das Thema der „Gefühlsstruktur“, wie es im dritten Kapitel schon eingekreist wurde, ausführlich substantiiert und – wie durchgehend – mit zahlreichen Quellen belegt. „Vorstellungen von hierarchischer Zweigeschlechtlichkeit, von Heterosexualität, patriarchalen Familienverhältnissen und Mutterschaft“ sind nicht nur in rechten Parteien überkommen, die Art und Weise jedoch, wie Parteien wie die AfD und FPÖ sowie „rezente rechts-autoritäre Bewegungen den Geschlechterdiskurs formen, hat durchaus Neuigkeitswert.“ (S. 89) Hier wie historisch im „Laufe der Geschichte der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft“ gehabt, stellen sie sich dar als „affektive Kämpfe und Kämpfe um Emotionen und Affekte.“ (S. 91) Es geht um eine Re-Etablierung von Heterosexualität und ihre normative Festschreibung. Ein tragendes Argument der Rechten: „Die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung würde Mütter vor der Ausbeutung auf dem Erwerbsarbeitsmarkt schützen – ein Schutz, den ihnen auch der Sozialstaat nicht biete“. (S. 106 f.) Dieser Diskurs füge sich in eine „Politik des Othering“ ein (S. 111) und bereite Transformation in eine „moralische Panik“ vor. Dabei gipfele dieser „Bedrohungsdiskurs (…) in der Vorstellung, dass sich Männlichkeit in einer umfassenden Krise befände.“ Implizit würden dieses „Bedrohungs- oder Niedergangsszenario Anschlussmöglichkeiten“ bergen, „um positive Gefühle zu evozieren, wie Liebe und Hoffnung durch rechts-autoritäre Führung.“ (S. 115 f.) Und weil Männlichkeit in der Krise (fest)stecke, werden „Heimat und Nation (…) gleichsam zum ‚safe space‘ für den vulnerablen, schwachen weißen Mann.“ (S. 142) Auf dieser Folie einer „heterosexuelle(n) Geschlechtermatrix“ lasse sich argumentieren, dass es naturgegeben das Andere, ein Ungleiches geben muss. Zugleich könnten somit „Klassenwidersprüche (…) als entsolidarisierende Geschlechterwidersprüche oder als Problem von Migration und Religion thematisiert und diskursiv bearbeitet werden. Vor allem aber lässt die Natürlichkeit von Ungleichheit demokratische Selbstbestimmung unmöglich erscheinen.“ (S. 149 f.)
Abschließend wird im Kapitel sieben, Dystopie einer männlichen autoritären Konjunktur: Fazit und Ausblick, zunächst noch einmal knapp rekapituliert, welche ökonomischen und politischen Entwicklungen speziell der letzten zwanzig Jahre zu dieser „Resouveränisierung von aggressiver weißer Männlichkeit im Rahmen hierarchischer Zweigeschlechtlichkeit“ geführt haben. (S. 155) Die Erosion neoliberaler Anrufungen an die Individuen mitsamt ihren je individuell erfahrenen (bitteren) Enttäuschungen (was alles dem „neoliberalen Gefühlscocktail“ innewohnt), wird von der autoritären Rechten in eine durch Affekte immunisierte Subjektivierung übergeleitet, in der eine „moralische Geschlechter- und Sexualpanik“ mit der „Hoffnung auf eine bessere Zukunft (…) durch rechts-autoritäre Führerschaft“ verknüpft und mit dem „Versprechen verbunden wird, dass ein charismatischer Führer das Selbstvertrauen untergeordneter Männlichkeit in der Zukunft steigern kann.“ (S. 159) Nach diesen bündigen Zusammenfassungen werden in dem den Band beendenden Unterkapitel Alternativen zur neuen rechts-autoritären Konstellation vorgestellt und vorgeschlagen, die (s.o.) über die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft hinausweisen, gleichwohl im Hier und Heute zumindest im Ansatz praktikabel sind. Es geht um „Sicherheit in und aus konkreten Praxen von Menschen“, um „Sicherheits- und Solidaritätsnetze (…) nicht nur in kleinen alternativen Zirkeln“, um die Praxis von „Nähe“, die „verstetigt“ werden muss, um „Sorge“ als eine „Tätigkeit (…), eine Lebensbedingung, die im Rahmen notwendiger Abhängigkeit von anderen Menschen stattfindet, und (…) daher für diese Abhängigkeit sensibilisieren (kann). Das Wissen um gemeinsame Abhängigkeit und das Angewiesensein aufeinander können wiederum zur Grundlage gemeinsamen demokratischen Handels als ‚fürsorgliche Praxis‘ gemacht werden“. (S. 169) Damit könnten „(a)ffektive Subjektivierungsweisen“ gestiftet werden, welche die „autoritäre-männliche Konjunktur“ aufzulösen und zu entflechten ermöglichten, wozu es allerdings auch eines „neue(n) Konzept(s) von Arbeit jenseits von Lohnarbeit“ bedürfe. (S. 127 f.)
Diskussion
„Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“, lautet der nahezu apodiktisches Satz von Max Horkheimer. Das beherzigen Sauer und Penz auch in Bezug auf die autoritäre Rechte, ohne ihre Analyse und Dokumentation mit Faschismus- und Kapitalismusanalysen zu überfrachten. Sie fokussieren auf den Neoliberalismus, eine ebenso erfolgreiche wie verheerende Erscheinungsform des Kapitalismus, verweisen auch darauf, dass und wie durch ihn wohlfahrtsstaatliche Spielarten delegitimiert worden sind, was beides den affektiven Strategien der autoritären Rechten in die Hände spielte. Dass Patriarchalismus als Begriff tiefer lotet und mehr ist als (lediglich) eine feministische Kampfparole, womit inhaltlich ausgewiesen spezifische Formen institutionalisierter männlicher Vorherrschaft indiziert werden, die überdies affektuelles, d.h. emotional scheint’s gerechtfertigtes Handeln in Form sozial integrierter Bevormundung legitimiert, können die Leser:innen an den Stellen des Buches entnehmen, die anklingen lassen, dass und wie im Kapitalismus das Patriarchale für das System nutzbar gemacht wurde und wird, selbst da – realiter – fortdauert, wo es überwunden zu sein scheint. Unterschwellig und nicht nur bis in die unter dem Strich doch bedeutsamen Quisquilien alltäglicher, heterosexueller Interaktionen leben sie so klandestin wie perfide fort. Das gelingt auch darum, weil das Patriarchale als ‚naturhaft‘ gilt (wo die autoritäre Rechte einhaken kann). Sicherlich gab es ‚das Patriarchat‘ schon vor dem Kapitalismus, es war aber weder (früh)historisch selbstverständlich noch ‚naturgegeben‘, wie neben anderen Wissenschaften selbst die Archäologie glauben machen will, was die Archäologin Karin Bojs in ihrem Buch „Mütter Europas“ beweist. Wie sehr in der noch nicht so lange andauernden Geschichte des Kapitalismus hinter dem Vorhang des wie selbstverständlichen Patriarchalen Frauen und ihre Leistungen im Schatten gehalten wurden und dabei gar verkümmerten, wird über den Bestseller „Beklaute Frauen“ von Leonie Schöler ans Licht geholt und dokumentiert – was alles von denen aufgenommen wird, die es ahnten oder gar z.T. wussten. Die intellektuellenfeindliche autoritäre Rechte lehnt solcherlei Befunde als Schmarrn ab und plärrt weiter ihre konservativen und restaurativen Parolen, mit denen sie dann doch zu weit von manchen parteipolitisch verschwisterten Positionen abweicht. (Näher ist ihnen die amerikanische „Manosphere“, ein loses Netzwerk der Misogynie, dessen Botschaften ein breites Publikum erreichen und den Diskurs in den USA stark beeinflussen.) Klar aber wird dank der Argumentationen und Analysen von Sauer und Penz, wer vom Patriarchalismus reden will, darf vom Kapitalismus nicht schweigen.
Dieses „uproot the system!“ (Thunberg), zwar ein Aufruf, effektiv gegen die sich deutlich ankündigende Klimakatastrophe zu schanzen, es wird von zunehmend mehr Kritiken an desaströsen gesellschaftlichen Zuständen flankiert, wenn auch in leiseren Tönen, gleichwohl unmissverständlichen. Eine revitalisierte Konjunktur der Männlichkeit gehört zu dem, was ‚nicht sein soll‘, überwunden gehört bis in seine affektiven Maskeraden. Da gehen Sauer und Penz in medias res und es ist oder wäre zu wünschen, dass ein „vernunftgewirktes Gefühl“ (Kant) stattdessen all überall wirksam würde. So würde nach Kant aus Vernunft eine Moral begründet, die zur Pflicht riefe, die auch ‚schmerzhaft‘ werden kann. Es bedarf der „Aufklärung“, verstanden als „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“, und man müsste den „Mut“ aufbringen, sich seines „eigenen Verstandes zu bedienen“ – ohne Hilfe anderer, so Kant. So wünschenswert das Heraufdämmern und eine Verwirklichung des (kollektiven) „vernunftgewirkten Gefühls“ auch ist, zunächst sieht es danach aus, dass via krude Affekte die Vernunft eher zerwirkt wird. Befürchtungen auch gegenüber der Meinungsmache insb. der autoritären Rechten sind angebracht, deren „Rohmaterial“ der „deutsche Michel“ ist, meinte Karl Kraus (der das auf die Kriegspropaganda bezog), um fortzufahren: „Die Fertigware, auf die es ankommt, ist der deutsche Kopfmichel.“ Und dieser Satiriker hielt es für eine „Torheit zu glauben, daß die ekelhaftesten Erscheinungen des gesellschaftlichen Hinterlandes nicht die maßgebenden seien“, um (nach einem Jahr Weltkrieg) so bitter wie bündig zu bemerken: „Was wie Oberfläche aussieht, ist in Wahrheit Alles, denn alles drängt zur Oberfläche.“
Da scheint in Kants Desiderat hinsichtlich des „vernunftgewirkten Gefühls“ gegenüber dem „moralischen Gesetz“ (das lt. Kant nur aus der reinen Vernunft und ohne subjektive Neigungen und Bedürfnisse bestimmt werden kann) ein Moment des Utopischen mitzuschwingen und man könnte gar die Elle von Horkheimers Bemerkung anlegen, dass die „Utopie (…) die Zeit (überspringt)“; in einem „aufgeklärten Zeitalter“, so Kants Resümee schon zu seiner Zeit, leben wir immer noch nicht. Doch hält man inne bei Horkheimers (allgemeiner) Utopie-Kritik, dass „die Änderung des Bestehenden (…) in den Kopf der Subjekte verlegt“ sei. Gilt das auch für die „Alternativen“, mit der die Autorin und der Autor die neue rechts-autoritäre Konstellation kontrastieren, darf man ohne beckmesserischen Unterton fragen und im Anschluss an Marx revolutionstheoretische Fragen in Anklang bringen, was angesichts wenig ersprießlicher Zukunftsaussichten angezeigt erscheint. So stellt Blühdorn in seinem Buch „Unhaltbarkeit. Auf dem Weg in eine andere Moderne“ in Aussicht: „Für die nächste Gesellschaft lässt sich (…) vermuten, dass sie nicht nur weiterhin kapitalistisch und gemessen an hergebrachten Nachhaltigkeitsnormen weiterhin nicht-nachhaltig sein wird, sondern (…) auch autokratisch-autoritär – und zwar nicht nur, weil das von außen erzwungen würde, sondern ebenso, weil sich von innen ein entsprechendes Verlangen herausbildet.“ Blühdorns eigenwillige gesellschaftstheoretische Analyse soll dazu dienen, kritische Soziolog:innen und allgemein Bürger:innen aus ihrer „Komfortzone“ (Blühdorn) zwischen Katastrophendenken und Hoffnungsnarrativen herauszulocken. Der Autor steht für ein (gar nicht mal so klammheimliches) Denken von Zukünftigem als Verlängerung des Gegenwärtigen, in dem die Möglichkeit der Aufklärung und radikalen Demokratisierung allem Anschein nach verworfen sind. Gegen seinen analytischen Strich ist zu halten: Solche Zukunft ‚soll nicht sein‘.
Was ‚sein soll‘ umreißen Sauer und Penz mit „Sorge“ und „Nähe“ u.a. m., was aus der Sicht, ‚was ist‘ in und unter den Systemzwängen, die auch Subjektivität affizieren (wenngleich nicht determinieren), illusorisch bis utopisch erscheint, ebenso wie eine Frauen zugeschriebene oder zuzuschreibende Grundhaltung aus Empathie, Freundlichkeit und Wärme – was die surrealistische Schriftstellerin Leonora Carrington gegen die gesamte patriarchale Ordnung revoltierende Greisinnen und damit den Anbruch eines neuen Weltzeitalters in Szene setzte. Was in Belletristik anregend bis agitierend sein kann, mag am Ende einer wissenschaftlichen Studie wie ein visionäres Anhängsel erscheinen, was aber nicht desavouiert werden sollte. Als Diagnostiker:in muss man die Therapieformen nicht kennen; als ‚Patient:in' dürfte man daran hochinteressiert sein. Was als erstrebenswert vorgestellt wird, wird sicherlich nicht wenige Leser:innen enthusiasmieren. Wie der Weg nicht nur zur Überwindung der „Konjunktur der Männlichkeit“, sondern auch ihrer Nährlösung, dann zu pflastern ist, wie darauf zur Tat zu schreiten ist, wird Diskussionen provozieren – politische.
Fazit
Birgit Sauer und Otto Penz geben beste Argumente und reichlich Material an die Hand, womit zumindest versucht werden kann, den „autoritären Rechten“ das Wasser und den Zugang zu ihren offenen wie versteckten Sympathisant:innen abzugraben. Als Leser vergibt man(n) sich nichts, so er sich fern oder sogar weitab einer „maskulinistisch-autoritären Konjunktur“ wähnt, selbstkritisch zu reflektieren, inwieweit er in seinem Handeln und Verhalten, in seinen Äußerungen durch die Ursuppe des Patriarchalen verseucht ist – und frau ggf. auch, sofern sie diese am Köcheln hält.
Rezension von
Arnold Schmieder
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