Stephan Hobe, Michael Lysander Fremuth: Europarecht
Rezensiert von Prof. Dr. Annegret Lorenz, 29.09.2023
Stephan Hobe, Michael Lysander Fremuth: Europarecht.
Verlag Franz Vahlen GmbH
(München) 2023.
11., neu bearbeitete Auflage.
514 Seiten.
ISBN 978-3-8006-6725-3.
30,00 EUR.
Reihe: Academia Iuris.
Thema
„Europarecht“ ist ein Lehrbuch. Es adressiert Studierende der Rechtswissenschaften.
AutorInnen
Stephan Hobeist ProfessorIn an der Universität Köln.
Michael Lysander Fremuth ist ProfessorIn an der Universität Wien und Wissenschaftliche DirektorIn des Ludwig Boltzmann Instituts für Grund- und Menschenrechte.
Aufbau
Das Buch ist in 8 Teile gegliedert, an die sich ein Überblick über relevante EuGH-Entscheidungen sowie ein Sachverzeichnis anschließen. Eingangs finden sich ein Abkürzungsverzeichnis – und eine Auswahl empfehlenswerter Literatur. Weitere vertiefende Literaturhinweise sind in den jeweiligen Abschnitten aufgenommen.
- Europa – Entwicklungsgeschichte der Integration, Organisationen neben der Europäischen Union sowie Charakter der Unionsrechtsordnung
- Die institutionelle Struktur der Europäischen Union
- Die Grundlagen des Unionsrechts
- Die EU als Werteunion und EU-Grundrechte
- Der Binnenmarkt der Europäischen Union
- Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (RFSR)
- Das Auswärtige Handeln der EU
- Weitere ausgewählte Politiken der Union im Überblick.
Inhalt
1. Teil. Europa – Entwicklungsgeschichte der Integration, Organisationen neben der Europäischen Union sowie Charakter der Unionsrechtsordnung
Das einführende Kapitel gibt einen Abriss über die ideengeschichtliche (§ 1) und politische Entwicklung (§ 2) der Europäischen Union (EU). Die EU wird sodann im Gefüge anderer Europäischer Institutionen (etwa des Europarats) verortet (§ 3) und zuletzt die Unionsrechtsordnung klassifiziert (§ 4).
2. Teil. Die institutionelle Struktur der Europäischen Union
Neben grundlegende Rechtsfragen der EU (§ 5), etwa nach der Rechtsnatur der EU, Beitrittsvoraussetzungen, -ablauf, Assoziierungen und Erweiterungsperspektiven, steht das Verhältnis zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten im Fokus (§ 6). In diesem Zusammenhang wird etwa uA das Recht zum Austritt aus der EU, aber auch die Kompetenzverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten erörtert.
Sodann wird die organisatorische Struktur der EU, deren Organe nebst deren Kompetenzen, vorgestellt (§ 7). Das Finanzsystem der EU schließt diesen Teil ab (§ 8).
3. Teil. Die Grundlagen des Unionsrechts
Dieser Teil ist dem Recht der Union gewidmet. In § 9 finden sich die klassischen Themen der Rechtsquellenlehre wieder: Vom primär- und sekundären Unionsrecht über das Rechtssetzungsverfahren und die Auslegungsmaximen bis hin zum Vollzug des Unionsrechts. Breiten Raum nimmt dabei das Verhältnis zwischen Unions- und Völkerrecht sowie nationalem Recht inklusive deren Konfliktfeldern ein. § 10 erläutert das Rechtsschutzsystem der EU: Den dreigliedrigen Instanzenzug der Unionsgerichtsbarkeit und die Verfahrensarten nebst deren Voraussetzungen. Abschließend wird das Haftungsrecht (§ 11) von Union und Mitgliedstaaten gegenüber den eigenen Staatsbürgern für ein unionsrechtlich relevantes staatliches Fehlverhalten dargestellt.
4. Teil. Die EU als Werteunion und EU-Grundrechte
Dieser Abschnitt behandelt zwei Aspekte: Die Grundwerte der EU selber (etwa die Garantie der Menschenwürde, das Demokratie- und das Rechtsstaatlichkeitsprinzip) nebst deren Ausprägungen, aber auch deren Durchsetzung gegenüber den Mitgliedstaaten (§ 12), zum anderen die Systematik und Struktur des Grundrechtsschutzes durch die EU-Grundrechte-Charta (§ 13).
5. Teil. Der Binnenmarkt der Europäischen Union
Dieser Teil macht seitenmäßig den größten Part des Lehrbuches aus. § 14 behandelt das Binnenmarktkonzept als solches mit Schwerpunkt auf dem Diskriminierungsverbot. Sodann werden die Grundfreiheiten durchgegangen, vor allem die Warenverkehrsfreiheit (§ 15), die Arbeitnehmerfreizügigkeit (§ 16), die Niederlassungs- (§ 17) und Dienstleistungsfreiheit (§ 18) sowie die Liberalisierung des Kapital- und Zahlungsverkehrs (§ 19). In diesem Zusammenhang steht auch die Frage nach der Rechtsangleichung der staatlichen Rechtsordnungen (§ 20). Vor allem aber erfolgt eine vertiefte Darstellung der europäischen Finanzordnung Europas und den Auswirkungen der Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrisen der letzten Jahre („Wirtschafts- und Währungsunion, § 21)“. Der Teil endet mit zwei Ausflügen, einmal in die Europäische Wettbewerbsordnung (§ 22), dann in das Thema „Beihilfenkontrolle“ (§ 23).
6. Teil. Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (RFSR)
Der 6. Teil behandelt die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (§ 24) und – als weitere Politikbereiche (§ 25) – vor allem die Asyl- und Einwanderungspolitik der EU.
7. Teil. Das Auswärtige Handeln der EU
Unter dieser Überschrift greifen die VerfasserInnen die Gemeinsame Handelspolitik (§ 26) und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (§ 27) der EU auf.
8. Teil. Weitere ausgewählte Politiken der Union im Überblick.
Der letzte Teil schließlich wirft Schlaglichter auf die Landwirtschaftspolitik (§ 28), die Sozialpolitik (§ 29), die Umwelt-, Verkehrs- und Energiepolitik (§ 30) und zuletzt auf die Bereiche „Forschung, Bildung und Kultur“ (§ 31).
Diskussion
Das Europarecht ist eine gleichermaßen spannende wie auch dynamische Materie und durch seinen Einfluss auf das nationale Recht vor allem von immenser praktischer Bedeutung. Dementsprechend unverzichtbar sind nicht nur Rechtskenntnisse, sondern vor allem auch ein Rechtsverständnis des EU-Rechts. Beidem trägt das Lehrbuch Rechnung.
Es enthält das kompakte Rechtswissen zu Struktur, Funktionsmechanismus und dem rechtlichen Gefüge der EU. Die Darstellung beschränkt sich dabei nicht auf den rechtlichen Ist-Zustand, sondern bezieht aktuelle Diskussionen, Streitfragen und ungeklärte Aspekte mit ein (z.B. die Frage der Kompetenzverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten, die horizontale Drittwirkung nicht umgesetzter Richtlinien oder die „Diskussionen“ zwischen nationalen Verfassungsgerichten und EuGH, etwa über Reichweite des Vorrangs von Unionsrecht gegenüber nationalem Recht, und natürlich nicht zuletzt die Möglichkeiten der EU ihre Werte auch gegen „renitente“ Mitgliedstaaten durchzusetzen). Eine sehr detaillierte Einflechtung der EuGH-Rechtsprechung macht die Darstellung durchweg anschaulich und konkret.
Das Buch ist zugleich auch auf Verstehen der Materie in ihrer Dynamik und Komplexität angelegt. So wird die Darstellung durchweg in ihre Rechtsentwicklung eingebettet, was die Veränderungen in den einzelnen Bereichen – insbesondere im Gefolge der jeweiligen Verträge – nebst ihren Auswirkungen auf die Diskussionen sichtbar macht (z.B. die Themen Austrittsrecht von Mitgliedstaaten oder die Befugnisse des Europaparlaments). Durchweg enthält die Darstellung auch viel Hintergrundinformationen und historische Exkurse.
Erklären, Verständnis schaffen, all das benötigt Raum. So ist auch in Zeiten immer dicker werdender Lehrbücher, ein Lehrbuch von über 500 Seiten nicht mehr wirklich als kurz zu bezeichnen. Will man aber die Basis für eine unverzichtbare verstehende Durchdringung der Materie legen, scheinen Vorgehen der AutorInnen und Umfang des Buches alternativlos.
Zusammenfassende Tabellen oder Schaubilder und Prüfhinweise bündeln das Wissen, erhalten den Überblick und erlauben zugleich eine Fokussierung auf prüfungsrelevante Bereiche. Vor allem in diesen Bereichen, etwa den Freiheiten des Binnenmarktes, orientiert sich der Aufbau nicht nur entlang der rechtlichen Prüflogik, sondern die jeweiligen Bereiche schließen auch mit einem Prüfschema und einem exemplarischen Fall nebst Falllösung ab.
Das Lehrbuch ist brandaktuell und nimmt durchweg – neben den obligatorischen klassischen Streitthemen – Bezug zu aktuellen Vorgängen, sei es der Brexit, der Umbau des Justizsystems in Polen, seien es die Entwicklungen der Finanzpolitik der EU und EZB im Rahmen der Finanz-, Wirtschafts- und Schulden- und nicht zuletzt Coronakrisen der letzten Jahre.
Fazit
Für Studierende der Rechtswissenschaften ist das Lehrbuch uneingeschränkt empfehlenswert. Für die Soziale Arbeit ist es vielleicht etwas zu speziell, wenn auch ein Grundverständnis im Europarecht in keinem Fall schaden kann.
Rezension von
Prof. Dr. Annegret Lorenz
Professorin für Recht mit Schwerpunkt Familien-, Betreuungs- und Ausländerrecht am Fachbereich Gesundheits- und Sozialwesen der Hochschule Ludwigshafen am Rhein
Neuere Lexikonartikel siehe unter Annegret Lorenz-Ruffini.
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Zitiervorschlag
Annegret Lorenz. Rezension vom 29.09.2023 zu:
Stephan Hobe, Michael Lysander Fremuth: Europarecht. Verlag Franz Vahlen GmbH
(München) 2023. 11., neu bearbeitete Auflage.
ISBN 978-3-8006-6725-3.
Reihe: Academia Iuris.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31191.php, Datum des Zugriffs 09.11.2024.
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