Kai-Marian Pukall: Selbstorganisation im Team
Rezensiert von Prof. (i.R.) Dr. Hans-Jürgen Balz, 29.09.2023
Kai-Marian Pukall: Selbstorganisation im Team. Wie gemeinsame Verantwortung für die Zusammenarbeit zu großartigen Ergebnissen führt. Verlag Franz Vahlen GmbH (München) 2023. 462 Seiten. ISBN 978-3-8006-7085-7. 29,80 EUR.
Thema
In der modernen Arbeitswelt mit ihren komplexer werdenden Prozessen und Produkten wird Teamarbeit in vielfältigen Kontexten (z.B. als internationale Projektteam in der IT, als Entscheidungsteams in Fachkonferenzen oder als Operationsteams im Krankenhaus) als Lösung für diesbezügliche Herausforderungen gesehen. Bei der Zielerreichung in der Teamarbeit ist die Integration der unterschiedlichen Beiträge verschieden qualifizierter Mitarbeitender charakteristisch, analog dem Zusammenwirken eines Musikorchesters.
Die Faszination von Teamarbeit liegt für Mitarbeitenden in der vergrößerten Eigenverantwortung und den Mitwirkungsmöglichkeiten, ein zeitgemäßer Trend der Arbeitswelt (New Work). Diesem Thema innovativer Prozessgestaltung durch selbstorganisierte Teamarbeit wendet sich das Buch von Kai-Marian Pukall zu.
Trotz der oft geäußerten Heilserwartungen an die Teamarbeit – eine Quelle des Lernens, des professionellen Austauschs auf exzellentem Niveau, der psychoemotionalen Entlastung der Mitarbeitenden, des sozialen Zusammenhalts und der Bindung an das Unternehmen zu sein – ist es keinesfalls selbstverständlich, dass Teams die an sie gestellten Erwartungen erfüllen. Insbesondere berufliche Stressfaktoren, wie Zeitdruck und Personalmangel, Krisen und Konflikte stellen Teams und die verantwortlichen Leitungskräfte vor besondere Herausforderungen.
Für eine professionelle Ausgestaltung von Teamarbeit braucht es – neben dem Optimismus in sein Gelingen durch kompetente und motivierte Mitarbeitende – Basiswissen und Methoden zur professionellen Gestaltung von Teamprozessen, insbesondere wenn die tradierte Top-Down-Mentalität von Vorgesetzten durch eine partizipative und die Mitarbeitenden aktiv einbeziehende Haltung ersetzt werden soll.
Das vorliegende Buch von Kai-Marian Pukall liefert sowohl Grundlagenwissen zur Teamarbeit und deren Weiterentwicklung, wie auch spezielle Kapitel zur Ausgestaltung selbstorganisierter Teamprozesse.
Entstehungshintergrund
Kai-Marian Pukall (Master-Abschluss in Informatik, Weiterbildungen in agilen Methoden) begleitet seit über 10 Jahren Teams auf ihrem Weg hin zu mehr Agilität und Selbstorganisation. Einen Schwerpunkt bildet dabei der IT-Bereich. Der Autor bringt sein Erfahrungswissen als Agile Coach u.a. bei der Transformation bei DB Systel in das Buch ein. Auch ist er Speaker, Podcast-Gast und schreibt in agile Blogs.
Kai-Marian Pukall sieht in jedem Team Ansätze von Selbstorganisation und ermutigt dazu diese systematisch weiterzuentwickeln. Mit seinem Buch will der Autor der in der Praxis häufig zu findenden Tendenz, sich bei der Ausgestaltung von Teamarbeit durch Versuch und Irrtum leiten zu lassen, ein theoretisch fundiertes und vielfältige Methoden integrierendes Konzept entgegenstellen. Der Autor lässt sich dabei von der Überzeugung leiten, dass die Organisation von Teamarbeit allein auf den Schultern der Teamleitung eine unrealistische Vorstellung ist.
Kai-Marian Pukall betont die arbeitsfeld- und branchenübergreifenden Parallelen in den Grundsätzen einer erfolgreichen Teamarbeit, in ihrem struktur- und regelgeleiteten Funktionieren und in den Methoden zur Ausgestaltung der Selbstorganisation.
Aufbau und Inhalt
Das Buch gliedert sich in acht Kapitel. Die ersten drei Kapitel liefern Grundlagenwissen zu relevanten Begrifflichkeiten (Team und Arbeitsgruppe, Formen der Selbstorganisation, Bedeutung der Organisationsstruktur und -regeln u.a.), zu Fragen bezüglich des Gründens eines Teams und zu den Grundpfeilern der Teamstruktur. Kai-Marian Pukall nimmt dabei Bezug auf vielfältige Theorieansätze, so soziologische Theorien (z.B. Niklas Luhmann), Organisationstheorien (z.B. Fritz B. Simon) und gruppendynamische Ansätze (Babette Brinkmann und Karl Schattenhofer) u.a., später noch weiter vertiefend im Bereich der Systemtheorie (z.B. Klaus Dörner, Peter Senge). Er positioniert sich damit als systemtheoretisch denkender Teamentwickler, dem als Grundlagen der Teamarbeit die Strukturen, Regeln, Arbeitsgrundsätze und die Form der Kommunikation dienen.
Es ist dem Autor jeweils wichtig nach seinen Ausführungen zu theoretischen, konzeptionellen und begrifflichen Grundlagen (belegt mit zahlreichen Zitaten) Schlussfolgerungen für die konkrete Teamarbeit abzuleiten bzw. diese aufzuzeigen und für Teams in ihrer konkreten Zusammenarbeit Reflexionsaufgaben zur Verfügung zu stellen, die helfen sich selbst als Team besser zu verstehen/​kennenzulernen und weiterzuentwickeln.
Die Kapitel vier und fünf bieten wichtige Grundbausteine für die Festigung bzw. Weiterentwicklung der Kooperation und für einen produktiven Teamalltag. Es werden in Kapitel vier Basisfaktoren wie Vertrauen, Verbindlichkeit, Verantwortung und Motivation in ihrer Ausgestaltung diskutiert. Kai-Marian Pukall geht es dabei neben der Bedeutung des jeweiligen Faktors immer auch darum die für die Weiterentwicklung der Teamarbeit darin liegenden Ansatzpunkte und Methoden zu ihrer Weiterentwicklung aufzuzeigen. So werden beispielsweise ausführlich verschiedene Sichtweisen auf Fehler im Arbeitsprozess reflektiert und Wege für einen konstruktiven, fehlerrobusten und angstfreien Umgang mit Fehlern diskutiert.
Das Kapitel fünf schließt daran an und wird noch etwas prozessnäher, indem Fragen der Zieldefinition, der Arbeitsplanung, der Gestaltung von Meetings, der personellen Weiterentwicklung von Teams, der Ausgestaltung der Teamarbeit in unterschiedlichen Teamkonstellationen (geographisch geteilte Teams und internationale Teams) und der Teamfinanzen behandelt werden. Dieses Kapitel besitzt eine besondere Relevanz in den sich für Führungskräfte stellenden Fragen der täglichen Praxis.
Die Kapitel sechs und sieben lösen nun das Versprechen des Buchtitels mit besonderer Fokussierung auf das Führen von selbstorganisierten Teams ein. Kapitel sechs reflektiert den Führungsbegriff, stellt Fragen zur geteilten Führung, diskutiert die Rolle eines/r Teamleiters:in und die Teamführung durch Kunden sowie durch Stakeholder. Auch die Möglichkeiten der Einbeziehung von Teamberatung und Teamcoaching als Instrumente der Weiterentwicklung der Selbststeuerung werden behandelt. Das siebte Kapitel setzt sich mit speziellen Herausforderungen in der Teamarbeit beispielsweise Schuldzuweisungen, Widerstände gegen Veränderungen, Verzögern und Nichtstun auseinander, liefert dafür Diagnosewerkzeuge und Tools für Führungskräfte und Teamtrainer/​-coaches. Auch werden fünf Fallbeispiele für verschiedene Szenarien von Problemen/​Anliegen/​Herausforderungen und deren Bearbeitung vorgestellt.
Im kurzen Kapitel acht – für mich etwas überraschend – beschäftigt sich Kai-Marian Pukall mit Fragen der Auflösung von Teams. Diese Fragen stellen sich insbesondere bei zeitlich begrenzten Projektteams, häufig beispielsweise im IT-Bereich zu finden. Er schildert die interessante Erfahrung, dass bereits die Ankündigung der Auflösung eines Teams zum Nachlassen der Produktivität und zur gedanklichen Wegorientierung von Teammitgliedern führt.
Sehr interessant folgt als Abschluss die prägnante Zusammenfassung von acht Grundprinzipien selbstorganisierter Teams. Hier findet sich fundamentale systemtheoretisch begründete Thesen (z.B. Prinzip 1: Verändert Kommunikation, nicht Menschen), Aussagen auf die Grundhaltung der Teammitglieder gerichtet (z.B. Prinzip 8: Lernt Ungewissheit auszuhalten) und sehr konkret handlungsleitende Thesen (z.B. Prinzip 3: Etabliert ein gemeinsames Verständnis, wo es nötig ist).
Es folgt nach dem Literaturverzeichnis ein Index zum schnelleren Finden von speziellen Themen/​Begriffen im Buch.
Zielgruppen
Das Buch wendet sich insbesondere an Führungskräfte in allen Branchen und Organisationsformen, Coaches und Organisationsentwickler:innen, die funktionierende selbstorganisierte Teams aufbauen wollen (Covertext).
Es kann auch für das Studium auf BA- und MA-Niveau in einschlägigen Studiengängen zum Thema selbstorganisierte Teamarbeit eine praxisorientierte und gleichzeitig systemtheoretisch fundierte Anleitung bieten.
Diskussion
Das Buch stellt Grundlagenwissen zur Teamarbeit zusammen, das der Autor nach eigenen Aussagen selbst gern bereits vor 10 Jahren gehabt hätte (S. 2). Mit seinen 462 Seiten wirkt das Buch etwas umfangreich, und in der Tat ist es keine Handreichung oder ein Rezeptbuch für die Teamarbeit. Die Leser:innen können Kai-Marian Pukall vielmehr seine Begeisterung für den angemessen Umgang mit den komplexen Teamprozessen am persönlich gehaltenen Schreibstil, an der umfangreichen Einbeziehung vielfältiger Quellen und Zitaten von international ausgewiesenen Pionieren der System- und der Teamforschung nachempfinden bzw. ablesen. Hier findet sich ein Buch das hinter die vielgepflegten einfachen Wahrheiten der Handreichungen zur Teamarbeit schauen und dem Gegenstand der Teamzusammenarbeit auf den Grund gehen will.
Indem Kai-Marian Pukall in jedem Team bereits Ansätze von Selbstorganisation erkennt, stärkt er den Optimismus, dass dies möglich ist. Insbesondere will der Autor der in der Praxis häufig zu findenden Tendenz sich bei der Ausgestaltung von Teamarbeit durch Versuch und Irrtum leiten zu lassen eine theoretisch fundierte, vielfältige Methoden integrierendes Konzept entgegenstellen. Er fußt dabei insbesondere auf systemtheoretischen und organisationswissenschaftlichen Erkenntnissen.
Kai-Marian Pukall betont die arbeitsfeld- und branchenübergreifenden Parallelen in den Grundsätzen der Teamarbeit, in ihrem struktur- und regelgeleiteten Funktionieren und in den Methoden zur Ausgestaltung der Selbstorganisation. Es wäre m.E. hilfreich die Praxisbeispiele (Szenarien in Kap. 7) für herausfordernde Teamsituationen bereits in den zu den jeweiligen Themen verfassten Kapiteln einzubinden und evtl. auch auf branchen- und kulturspezifische Herausforderungen einzugehen. Auch wären bei dem Umfang des Buches m.E. Hinweise zum besseren Wiederauffinden spezifischer Rubriken (z.B. Icons für Praxisbeispiele, Begriffsdefinitionen, Methoden und vertiefender Literatur) empfehlenswert.
Fazit
Das vorgelegte Buch besitzt einen klaren thematischen Fokus, basiert auf einer umfangreichen Aufarbeitung von relevanter Literatur und der Praxiserfahrung des Autors. Eine besondere Stärke ist die Integration von Grundlagenliteratur, gleichzeitig die Bezugnahme auf Literatur zur Teamforschung und Methodenwissen aus der Kommunikationswissenschaft und der Agilen Führung. Indem das Buch sich nicht mit den liebgewonnenen einfachen Handlungsempfehlungen zur Teamarbeit zufrieden gibt, wirkt es vielleicht für manche Leser:innen etwas unhandlich. Da sich im professionellen Arbeiten mit Teams jedoch eine unterkomplexe Bearbeitung von Themenfeldern verbietet, hat dieses Buch einen Platz im Bücherschrank zur Teamarbeit verdient.
Rezension von
Prof. (i.R.) Dr. Hans-Jürgen Balz
von 2002 bis 2023 Dozent für Psychologie (Schwerpunkte Diagnostik und Beratung) an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum
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Zitiervorschlag
Hans-Jürgen Balz. Rezension vom 29.09.2023 zu:
Kai-Marian Pukall: Selbstorganisation im Team. Wie gemeinsame Verantwortung für die Zusammenarbeit zu großartigen Ergebnissen führt. Verlag Franz Vahlen GmbH
(München) 2023.
ISBN 978-3-8006-7085-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31192.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.
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