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Reinhard Lay: Ethik in der Pflege

Rezensiert von Dr. phil. Hubert Kolling, 01.09.2023

Cover Reinhard Lay: Ethik in der Pflege ISBN 978-3-8426-0838-2

Reinhard Lay: Ethik in der Pflege. Das Lehrbuch für alle Bereiche der Pflege. Schlütersche Fachmedien GmbH (Hannover) 2022. 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. 562 Seiten. ISBN 978-3-8426-0838-2. D: 49,95 EUR, A: 51,10 EUR, CH: 66,90 sFr.
Reihe: Pflege Praxis. Schlütersche macht Pflege leichter.

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Thema

Während der Personalmangel in der Pflege seit vielen Jahren ein akutes Dauerproblem ist, an dem auch Initiativen wie die generalistische Pflegeausbildung oder die Akademisierung des Berufs scheinbar nur wenig änderten, stellt sich die grundlegende Frage, was überhaupt gute Pflege ist? Wo werden etwa Grenzen verletzt und was können Pflegende dagegen tun? Mit solchen und weiteren Fragen beschäftigt sich die „Ethik in der Pflege“, wozu das vorliegende Lehrbuch einen umfassenden und systematischen Überblick bietet.

Autor

Reinhard Lay ist Gesundheits- und Krankenpfleger, staatlich geprüfter Fachwirt für Organisation und Führung, Kinästhetik-Tutor und Diplom-Pflegepädagoge (FH). Der Leiter der Berufsfachschule für Pflege im Landkreis Emmendingen (Baden-Württemberg) studierte außerdem Management von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen (M.A.) sowie Schulmanagement (M.A.) und ist Mitglied im Ethikkomitee des Zentrums für Psychiatrie Emmendingen (ZfP).

Neben dem (gemeinsam mit Jens Kreikenbaum) vorgelegten Fachbuch „Pflegeplanung leicht gemacht – Pflegeprozesssteuerung im Pflegealltag“ (9. Auflage, Elsevier – Urban & Fischer Verlag, München 2022) veröffentlichte der Autor, der nebenberuflich als Lehrbeauftragter und erfolgreicher Fortbildungsdozent unter anderen zu den Themen „Ethik im Pflegealltag“, „Ethik in der Intensivpflege“, „Ethik in der psychiatrischen Pflege“ und „Ethik für Praxisanleiter“ tätig ist (www.Fortbildung-Pflege.com), zum Thema zahlreiche Zeitschriftenbeiträge, etwa in „PADUA. Fachzeitschrift für Pflegepädagogik, Patientenedukation und -bildung“, „Die Schwester/Der Pfleger“, „Pflege Aktuell“, „Psych. Pflege Heute“ und „Pflegezeitschrift“. Darüber bereicherte er mit dem Thema „Ethik in der Pflege“ auch zahlreiche Buchpublikationen, darunter das „Lehrbuch Psychiatrische Pflege“ (Verlag Hogrefe, Bern, 4., überarbeitete und erweiterte Auflage 2023), „Pflegewissenschaft 1. Lehr- und Arbeitsbuch zur Einführung in wissenschaftliches Denken und Theorien in der Pflege“ (Verlag Hogrefe, Bern, 4., überarbeitete und erweiterte Auflage 2021), „Die neue Pflegedokumentation. Das Management-Handbuch für den optimalen Umstieg. Herausforderungen meistern, kompetent führen“ (Schlütersche Verlagsgesellschaft, Hannover 2016), „Pflegemanagement in Altenpflegeeinrichtungen“ (Schlütersche Verlagsgesellschaft, Hannover, 6., vollständig überarbeitete Auflage 2015).

Entstehungshintergrund

Hervorgegangen ist das Lehrbuch aus einer Diplomarbeit, die Reinhard Lay vor rund zwei Jahrzehnten an der Katholischen Fachhochschule für Sozialwesen und Religionspädagogik in Freiburg (im Breisgau) vorlegte. Erstmals im Jahre 2004 als Buch mit einen Umfang von 301 Seiten veröffentlicht, folgte 2012 die zweite, aktualisierte Auflage mit 467 Seiten (vgl. die Rezension in socialnet unter: www.socialnet.de/rezensionen/​16180.php). Der bis dahin bestehende Untertitel „Ein Lehrbuch für die Aus-, Fort- und Weiterbildung“ änderte sich nun mit der dritten, vollständig überarbeiteten und erweiterten Auflage, deren Umfang jetzt 562 Seiten umfasst, in „Das Lehrbuch für alle Bereiche der Pflege“.

Aufbau und Inhalt

Das übersichtlich gegliederte Buch umfasst neun Kapitel, die ihrerseits zahlreiche Unterkapitel aufweisen.

In Kapitel 1 „Zum Start“ (S. 15–18) hebt der Autor zunächst die Bedeutung der Pflegekräfte als „unverzichtbaren Gesundheitsberuf“ hervor. Über Pflege nachzudenken und zu sprechen, sei eine sehr persönliche Angelegenheit, gerade wenn es um die Frage geht, welche Überzeugungen und Werte in der Pflege besonders wichtig sind. Ethik in der Pflege erfordere vernünftiges Denken und sachliche Begründungen. Gleichzeitig gehe es um Offenheit für Gefühle und um die Fähigkeit, sich einfühlsam in die Lebenssituation anderer Menschen versetzen zu können. Zur Bedeutung und Intension seines Buches hält er sodann wörtlich fest: „Viele Pflegende empfinden es in ihrer täglichen Arbeit als große Herausforderung, in schwierigen Situationen verantwortbare Entscheidungen zu treffen. Das vorliegende Buch soll in den vielfältigen Fragen um Ethik in der Pflege Klarheit schaffen und praktische Orientierungshilfen bieten“ (S. 16). Es wende sich an kritische und suchende Menschen aus der Pflege, ob sie nun als Pflegende sehr an praktischen Fragen interessiert sind oder sich in Aus-, Fort- und Weiterbildung, in einem Studium oder in Lehre bzw. Unterricht engagieren. Ferner eigne es sich aber auch für Pflegemanager und Pflegewissenschaftler, um ihre ethischen Kenntnisse zu vertiefen und sie in die kontroversen Diskussionen um Ethik in der Pflege einbringen zu können. Ebenso könnten in dieser Arbeit auch Angehörige benachbarter Disziplinen wie etwa Soziale Arbeit, Medizin, Psychologie, Soziologie, Gerontologie, Ökonomie und Philosophie wertvolle Anregungen finden und einen vertieften Einblick in das Wesen von Pflege gewinnen.

In den Mittelpunkt von Kapitel 2 „Allgemeine Ethik“ (S. 19–62) hat Reinhard Lay Grundlagen einer allgemeinen Ethik gestellt. Dabei klärt er grundlegende Begriffe wie Moral, Moralität, moralische Kompetenz, Werte, Güter und Übel, um danach ihre Zusammenhänge herauszuarbeiten. Erläuterungen zu den Aufgaben und Funktionen der Ethik schließen diesen allgemeinen Teil mit einem Überblick über ethische Theorien und Positionen ab.

In Kapitel 3 „Berufsethiken“ (S. 63–74) widmet der Autor sich der angewandten Ethik, wobei er zwischen „Bereichsethiken“ und „Berufsethiken“ unterscheidet. Dabei arbeitet er die Ethik in der Pflege als eine Bereichsethik heraus, die seines Erachtens unter dem Dach einer Ethik im Gesundheits- und Sozialwesen zwischen der Ethik in der Medizin und der Ethik im Sozialwesen zu verorten ist.

Die besondere Lage der „Ethik in der Pflege“ (S. 75–163) als einer neuen Bereichsethik im Gesundheits- und Sozialwesen thematisiert Reinhard Lay in Kapitel 4. Hierbei beschreibt er zunächst die Struktur der Disziplin Pflege, um daraus die Struktur der Ethik in der Pflege abzuleiten. Ausgehend von der geschichtlichen Entwicklung dieser Ethik stellt er sodann die Frage nach der Notwendigkeit ethischer Reflexion in der Pflege und ihre Konstituierung als eigene Bereichsethik. Schließlich konkretisiert er die Maßstäbe und Geltungsbereiche der Pflegeethik und vergleicht sie mit der Ethik in der Medizin und der Ethik in der Sozialen Arbeit.

Unter der Überschrift „Pflegequalität ohne Ethik?“ (S. 164–194) betrachtet der Autor in Kapitel 5 zuerst die Geschichte der Vorstellungen von Qualität in der Pflege, um darauf aufbauend einzelne Modelle und Definitionen zu vergleichen. Aus der Auseinandersetzung mit den Fragen, ob es sich bei Pflege um ein zwischenmenschliches Bedürfnis oder um ein vertragliches Dienstleistungsverhältnis handelt oder wie Fürsorge ohne Bevormundung oder Selbstaufgabe gelingt, gelangt er zu der Einsicht, dass Vorgaben zur Pflegequalität unbedingt eine ethische Fundierung brauchen.

In Kapitel 6 „Ethik im Zentrum der Pflegequalität“ (S. 195–305) beleuchtet Reinhard Lay die Zusammenhänge zwischen Qualitätsvorstellungen und moralischen Forderungen an eine „gute“ Pflege praxisnah anhand seines Pflegemodells („Komponenten der Pflegequalität in der direkten Pflege“). Dieses (neue) „Modell der Gesundheitspflege“, das Pflegenden „in erster Linie dazu dienen (soll), die Entwicklung pflegebedürftiger Menschen hin zu einem zufriedenstellenden Niveau an Selbstständigkeit und Wohlbefinden in den Alltagsaktivitäten zu fördern“ (S. 200), erhebt den Anspruch, seine elementaren Begriffe und Ziele ethisch zu rechtfertigen und zudem die ethische Reflexion in der Pflegepraxis ausdrücklich in den Mittelpunkt zu stellen. Als Ergebnis seiner Überlegungen schlägt der Autor sodann zwei Definitionen von Pflegequalität – eine „allgemeine Definition“ und eine „merkmalsbezogene Definition“ (S. 304) – vor.

Während Reinhard Lay in Kapitel 7 „Ethische Entscheidungsfindung in der Pflege“ (S. 306–373) praktische Überlegungen zur ethischen Urteilsfindung anstellt und sodann detailliert anhand eines Fallbeispiels den möglichen Gang einer systematischen Entscheidungsfindung in der Pflege erläutert, steht im Zentrum von Kapitel 8 die „Ethik in der Pflegepädagogik“ (S. 374–464). Hierbei geht der Autor auf die pädagogischen Aspekte in der Pflege ein und stellt eine Verbindung zur Pädagogischen Ethik als einer wichtigen Bezugsethik der Pflegepädagogik her, wobei praktische Erfahrungen und methodische Vorschläge, wie Ethik verantwortungsbewusst gelehrt werden kann, das Kapitel abrunden.

In Kapitel 9 „Schlussfolgerungen und Ausblick“ (S. 465–473) stellt Reinhard Lay seine Folgerungen zur Diskussion und wagt einen Ausblick.

Ergänzt wird die Darstellung durch einen Anhang, der ein Nachwort (S. 474), ein Verzeichnis der Definitionen (S. 475), ein separates Abkürzungs-, Abbildungs- und Tabellenverzeichnis (S. 476–479) sowie Literaturhinweise (S. 480–545) und ein Register (S. 546–562) enthält.

Diskussion

Durch pflegerisches Handeln sollte pflegebedürftigen Personen kein unnötiges Leid zugefügt werden. Von daher ist verantwortungsvolle Pflege ohne ethische Reflexion kaum möglich. Das Lehrbuch von Reinhard Lay „Ethik in der Pflege“ präsentiert in einer überarbeiteten und aktualisierten Auflage alle wichtigen ethischen Themen aus dem Pflegealltag, aus Pflegepädagogik, Pflegemanagement und Pflegewissenschaft. Anschaulich und verständlich, mit über 100 Beispielen, berücksichtigt es dabei praxisrelevant und übersichtlich die wesentlichen Bereiche: die generalistische Pflege, Gesundheits- und Krankenpflege, Altenpflege sowie Gesundheits- und Kinderkrankenpflege.

Prof. Dr. Katja Makowsky, Professorin für Pflege- und Gesundheitswissenschaften an der Fachhochschule Bielefeld sowie Mitglied der Leitlinienkommission und stellvertretende Vorsitzende der Ethikkommission der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft, hat zu dem Werk ein Vorwort beigesteuert. Demnach stellt das umfangreiche Buch – „mittlerweile ein Standartwerk“ (S. 10) – für Pflegende aller Bereiche eine Bereicherung dar, wobei dessen Lektüre zahlreiche Anregungen zur Sensibilisierung für ethische Fragestellungen sowie zur systematischen Reflexion pflegerischen Handelns in den vielfältigen Arbeitsbereichen der Pflege biete.

Nach Ansicht von Reinhard Lay kann Pflegequalität heute nicht mehr – vermeintlich wertneutral – unter Vernachlässigung der moralischen Dimension pflegerischen Handelns definiert werden. Vielmehr erfordere Pflege als bedeutender gesellschaftlicher Faktor und eigenständige wissenschaftliche Fachdisziplin „eine eigene Berufsethik“ (S. 467). Ethik in der Pflege sei dabei kein Teilgebiet der Medizinethik; vielmehr habe sie ihren Platz unter dem Dach der Ethik im Gesundheits- und Sozialwesen neben der Ethik in der Medizin und der Ethik in der Sozialen Arbeit. Pflegefachkräfte müssten dabei selbst ethische Kompetenz erwerben, „Pflegepraktiker sollten vor Ort eine handlungsorientierte, praxisbezogene Pflegeethik betreiben“ (S. 468). Damit im Pflegealltag nicht nur Moral vertreten wird, seien Verbesserungen der Aus-, Fort- und Weiterbildung zum Thema Ethik nötig.

Darüber hinaus sollten, so der Autor, auf einer hierarchisch übergeordneten Reflexionsebene (Praxisanleiter, Pflegeberater, Pflegegutachter, Einsatzleitungen, Wohngruppen-, Stations- und Abteilungsleitungen, Pflegedirektion, Qualitätsbeauftragte etc.) nicht nur Berufskodizes und moralische Grundprinzipien bekannt sein und situativ angemessen genutzt werden, sondern auch „eine ethische Kompetenz“, die sich insbesondere im sicheren Umgang mit unterschiedlichen Möglichkeiten der ethischen Entscheidungsfindung und in einer ausgeprägten Bereitschaft zur interdisziplinären und interprofessionellen Verständigung beweist. Schließlich benötigten wir Ethik in der Pflege als etablierten Teil der Pflegewissenschaft, was auch eine Mitarbeit in Fachgesellschaften und Ethikgremien beinhalte.

Während in der weiterhin übersichtlich gegliederten Neuauflage die bisherigen Inhalte vertieft dargestellt und um neue Diskussionsansätze ergänzt wurden, kamen auch neue Themen hinzu, so etwa die Auseinandersetzung um robotische Assistenzsysteme in der Pflege, ethische Probleme in der Corona-Pandemie oder die Reflexion der Beziehung zwischen Pflegekraft und Patient*innen als Bündnisbeziehung oder Vertragsverhältnis.

Insgesamt betrachtet bietet das durch farblich abgesetzte Hervorhebungen, Definitionen und Beispiele sehr lesefreundliche Lehrbuch nicht nur klare Orientierung und praktische Hilfestellung, wie Pflegende mit gutem Gewissen Entscheidungen treffen können, sondern ermutigt zugleich auch zum kritischen Nachdenken. Wer sich noch tiefer mit einzelnen Aspekten auseinandersetzen möchte, findet hierzu umfangreiche Literaturhinweise. Zum Auffinden beziehungsweise zur raschen Beantwortung einzelner Fragen leistet das beigefügte Register nützliche Dienste.

Fazit

Das überarbeitete und erweiterte Lehrbuch „Ethik in der Pflege“, das alle wichtigen Themen aus dem Pflegealltag unter dem Gesichtspunkt der Ethik bearbeitet und dabei zahlreiche Beispiele aus Pflegepädagogik, Pflegemanagement und Pflegewissenschaft enthält, ist eine ideale Arbeitsgrundlage für alle Pflegekräfte, Studierende, Pflegeleitungen sowie Lehrende in der pflegerischen Aus-, Fort- und Weiterbildung.

Rezension von
Dr. phil. Hubert Kolling
Krankenpfleger, Diplom-Pädagoge und Diplom-Politologe
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ISSN 2190-9245