Georg Loidolt: Das narzisstische bürgerliche Subjekt
Rezensiert von Prof. Dr. Norbert Wohlfahrt, 23.08.2023
Georg Loidolt: Das narzisstische bürgerliche Subjekt: Zwischen Größen- und Verfolgungswahn. Eigenverlag 2023. 188 Seiten. ISBN 979-8-389-76433-0.
Thema und Autor
Georg Loidolt ist ein österreichischer Autor, der bereits durch mehrere durchweg kritische Publikationen auf sich aufmerksam gemacht hat. Er ist promovierter Philosoph und seit mehr als 20 Jahren freiberuflicher Verlagslektor. Im Zentrum seiner neuen Arbeit steht der Zusammenhang von Freiheit und Aufklärung mit bürgerlicher Konkurrenz und Narzissmus. Schon in der Vorbemerkung zu seinem Buch wendet er sich gegen einen Begriff abstrakter Freiheit, der diese als Abwesenheit von Notwendigkeit definiert. Loidolt versteht im Gegenteil unter Freiheit die Fähigkeit, „das Notwendige zu tun“.
Aufbau und Inhalt
Das Buch gliedert sich in 6 Kapitel und ein Schlusswort. Im ersten Kapitel werden die für die bürgerliche Gesellschaft „heiligen“ Güter Aufklärung und Freiheit einer kritischen Betrachtung unterzogen. Georg Loidolt konfrontiert dabei den abstrakten Freiheitsbegriff (jeder soll selbst entscheiden, wie er seine Kräfte einsetzt) mit der Notwendigkeit, Geld zu verdienen. Bei der Untersuchung der Frage, wie sich diese Freiheit des Geldverdienens konkretisiert, stößt man schnell auf gesellschaftlich gravierende Unterschiede beim Zugang zu den Mitteln des Geldverdienens. Freiheit, so Loidolt, in der jeder nur für sich verantwortlich ist, ist negativ bestimmt. Anders ausgedrückt: „Wenn man Freiheit nicht rational als Mittel zur Durchführung des Notwendigen begreift, sondern zu einem Selbstzweck erhebt, dann macht sich ihre bereits erwähnte Negativität geltend. Dann gilt jede Hingabe an einen bestimmten Zweck als Einschränkung dieser abstrakten Freiheit und wer so denkt, will die Reinheit seiner Vorstellungen vor dem Kontakt mit der Wirklichkeit bewahren“ (S. 33).
Diese Überlegung wird im zweiten Kapitel unter der Überschrift „Vom Triumph des Willens zur Größe in der Entsagung“ aufgegriffen und konkretisiert. Die Bürgerinnen und Bürger wollen weder Verlierer noch Opfer in der gesellschaftlichen Konkurrenz sein und deswegen entdecken sie in den Konkurrenzverhältnissen lauter Missstände, die es ihnen schwer machen. Die diversen Gründe, die ins Feld geführt werden, um den ausbleibenden Erfolg mit Blick auf das eigene Bestreben, sein Glück zu finden, zu plausibilisieren, zeichnen sich durch ein markantes Merkmal aus: sie thematisieren nicht die Produktionsverhältnisse und ihre rechtliche Ordnung, sondern glauben daran, dass deren Funktionalität für sie durch alle möglichen Missstände getrübt wird. Dies kann, wie Loidolt an verschiedenen Beispielen illustriert, dazu führen, dass der „schlechte Mensch“, die Erde als „Jammertal“ und dergleichen mehr für die eigene Lage verantwortlich gemacht wird. In einer Spielart des Existentialismus wird dies so weit getrieben, dass der Mensch sich darin gefällt, von allen gesellschaftlichen Zwängen unabhängig zu sein und in dieser „Absurdität“ seine Freiheit zu genießen.
Im dritten Kapitel wird das „narzisstische bürgerliche Subjekt“ näher betrachtet. Narzissmus wird dabei als eine Konkurrenztugend höchsten Ranges bestimmt, die den erfolgshungrigen Bürger kennzeichnet und mit einem „Kult des Selbstbewusstseins“ (S. 91) einhergeht. Loidolt diagnostiziert in Narzissmus und Hass den Ausdruck eines Rechtsbewusstseins, das sich in seinen Ansprüchen immer bedroht sieht und Andere dafür verantwortlich macht, dass die selbst gesetzten Ideale scheitern oder zu scheitern drohen.
In den im vierten Kapitel abgehandelten „Medien des Narzissmus“ wendet sich Loidolt gegen die Auffassung, es sei den Medien zuzuschreiben, welcher Gebrauch von ihnen gemacht wird. „Nicht wegen der Beschaffenheit der Medien, sondern wegen der herrschenden ökonomischen und politischen Kontexte präsentieren sich in den sogenannten sozialen Medien, die in Wirklichkeit einen schlechten Ersatz für soziale Kontakte darstellen, vor allem Erfolg und Glück ausstrahlende, narzisstische Persönlichkeiten“ (S. 114).
Von dieser Einstellung zur Welt aus ist es nur ein kleiner Schritt zu einer sich ungehemmt entfaltenden Parteilichkeit in politischen und gesellschaftlichen Angelegenheiten. Am Beispiel der Berichterstattung zum Ukraine-Krieg demonstriert Loidolt, wie aus einer prinzipiellen Parteilichkeit für die Sache des Westens heraus die Handlungen der Westmächte als notwendig und den russischen Aggressor abwehrend bewertet werden und jedes Gegenargument kurzerhand als Parteinahme für den russischen „Angriffskrieg“ abgebügelt wird. Das narzisstische Selbstverständnis der Eliten mündet in einen entschiedenen Moralismus, der keine Gründe mehr kennen will, sondern für den die Unterscheidung von Gut und Böse das Denken bestimmt, wobei, so Georg Loidolt, für die Eliten gilt, dass sie prinzipiell auf der Seite der Guten zu verorten sind. Ist Narzissmus ursprünglich eine Verhaltensweise, die zur Bewältigung einer Situation entwickelt wird, so mündet er schließlich in einem Weltbild selbstverliebter Menschen, die dem „Anderen“, in diesem Fall den Russen, zu einem Menschenschlag stilisieren, der dem Autokratismus ihres Herrschers (Putin) entspricht.
Das fünfte Kapitel befasst sich mit „Wahnvorstellungen“, die Loidolt, auf Hegel Bezug nehmend, dadurch bestimmt, dass das Offensichtliche dadurch angezweifelt wird, dass das bunt blühende Reich der Spekulation mobilisiert wird. Am Beispiel der Zerstörung von Nord Stream 2 zeigt er, dass zu diesen Spekulationen auch anerkannte Verschwörungstheorien gehören, die umgekehrt das Wirken westlicher Geheimdienste als Verschwörungswahn denunzieren, weil die Guten nicht nach Interessen, sondern moralischen Prinzipien handeln. Der Phantasie sind bei der Identifizierung der vermeintlichen Übeltäter keine Grenzen gesetzt, denn, Loidolt zitiert abermals Hegel „der Scharfsinn des leeren Verstandes gefällt sich am meisten in dem hohlen Ersinnen von Möglichkeiten und recht vielen Möglichkeiten“ (S. 158).
Im abschließenden 6. Kapitel behandelt Loidolt „Narzissmus als Überbau? Anmerkungen zum Verhältnis von Basis und Überbau“. Im Überbau herrschen Ideologien und in dieser Welt ist, so Loidolt, dem Unsinn keine Grenzen gesetzt. Georg Loidolt plädiert dafür die Auseinandersetzung in den Formen zu führen, in denen die Menschen ihre Konflikte ausfechten und – so sein Fazit – hierzu gehört die Thematisierung des Kapitalismus und seiner Folgewirkungen für das narzisstische Selbstbewusstsein.
Diskussion
Loidolts Publikationen – und das vorliegende Buch stellt hier keine Ausnahme dar – zwingen zur Auseinandersetzung mit den zentralen Thesen des Autors. Dieser macht es dem Leser durch die Vielzahl seiner Verweise und die Fülle der aufgeführten Literatur nicht immer ganz leicht, den Kern der Argumentation zu identifizieren und der Logik der Entwicklung der Argumentation zu folgen. Wer sich aber auf Loidolts Gedankenfülle und die Konsequenz seiner Schlussfolgerungen einlässt, der wird mit einer (oft tiefschürfenden und gängige Argumentationsmuster in Frage stellenden) Analyse belohnt. Es ist dem Buch zu wünschen, dass es nicht nur von denjenigen zur Kenntnis genommen wird, die dem Kapitalismus ohnehin kritisch gegenüberstehen, sondern dass es zu einer breiten Auseinandersetzung mit den gängigen Theorien und Ideologien zu Narzissmus und bürgerlichem Selbstbewusstsein anregt. Auf eine Widerlegung der von Georg Loidolt entwickelten Thesen durch die von ihm Kritisierten darf man gespannt sein.
Fazit
Georg Loidolts Buch ist eine durchweg anregende und herausfordernde Lektüre, die zum weiteren Nachdenken zwingt und der eine weite Verbreitung zu wünschen ist. Der Zusammenhang mit seinen anderen Publikationen ist nicht zu übersehen und sollte Anlass geben, sich auch mit deren Themen und Thesen auseinanderzusetzen.
Rezension von
Prof. Dr. Norbert Wohlfahrt
Professor i.R. für Sozialmanagement, Verwaltung und Organisation am Fachbereich Sozialarbeit der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe Bochum
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Es gibt 46 Rezensionen von Norbert Wohlfahrt.
Zitiervorschlag
Norbert Wohlfahrt. Rezension vom 23.08.2023 zu:
Georg Loidolt: Das narzisstische bürgerliche Subjekt: Zwischen Größen- und Verfolgungswahn. Eigenverlag
() 2023.
ISBN 979-8-389-76433-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31210.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.
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