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Hans-Joachim Puch: Lebenswelten entdecken

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 27.10.2023

Hans-Joachim Puch: Lebenswelten entdecken. Wandel beruflicher Lebenswelten 1982 - 2022. Eigenverlag 2023. 284 Seiten. ISBN 978-94-036-9941-7. 23,01 EUR.
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Ein Zeitdokument des Wandels beruflicher Lebenswelten

Jede Zeit ist eine Zeit des Wandels (Ken Follett). Im Bereich der wissenschaftlichen, theoretischen und praktischen Sozialen Arbeit werden Veränderungsprozesse vorrangig deutlich. Welche Menschen-, Gesellschafts- und Weltbilder galten in der Vergangenheit, wirken in der Gegenwart und visionieren in die Zukunft? Welche Wertschätzungen und welches Ansehen werden im lokal- und global-gesellschaftlichen Diskurs Berufen zugeschrieben; wenn etwa in der Berufsskala von 2001 die Berufe der Ärzte und Pfarrer an die Spitze gestellt werden, 2007 jedoch die Feuerwehrleute über den Ärzten platziert sind, und 2011 wiederum den Ärzten das gesellschaftlich höchste Ansehen bescheinigt wird, aber die Krankenschwestern den zweiten Platz erringen und die Pfarrer von der angestammten Position verdrängen? Auch dass die über Jahrzehnte hinweg auf den unteren Rängen befindlichen GrundschullehrerInnen in den letzten Jahren in den oberen Rängen rangieren, hingegen die Studienräte sich im letzten Drittel wieder finden. Auch dass Banker in der neuen Umfrage, neben den Fernseh-ModeratorInnen, die letzten Plätze einnehmen. Es sind die professionssoziologischen Forschungen, die die vielfältigen Einflüsse, Einwirkungen und zeit- und gesellschaftspolitischen Ordnungs- und Abhängigkeitsrelationen analysieren, um subjektive oder manipulative Wertungen ausschließen zu können: Es gibt „offenbar typische Muster der Klassifizierung, die nicht sozialstrukturell oder habituell-biografisch begründbar bzw. vermittelt sind, sondern mit der Struktur der beruflichen Handlung korrespondieren und direkt mit dieser Struktur in Verbindung gebracht werden können“. Mit diesem Fingerzeig wird darauf aufmerksam gemacht, dass es – diesseits wie jenseits der traditionellen und amtlichen Berufsklassifikation angenommenen innerberuflichen Homogenität weg- und hinweist auf Berufstätige, „die nicht nur eine identische Berufstätigkeit ausüben, sondern auch bezüglich Lebens- und Denkstil Verbindungen aufweisen“ (Lukas Neuhaus, Wie der Beruf das Denken formt. Berufliches Handeln in professionssoziologischer Perspektive, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/​12024.php).

Entstehungshintergrund und Autor

(Auto-)biografische Veröffentlichungen beanspruchen meist öffentliche Kenntnisnahme und Aufmerksamkeit des eigenen Denkens, Tuns und Schaffens. Wenn professionell-wissenschaftlich Tätige sich in den tätigen Ruhestand verabschieden, besteht oft das Bedürfnis, sich weiterhin am veröffentlichten Diskurs zu beteiligen; das ist sinnvoll und nützlich! Der Wissenschaftler Prof. Dr. Hans-Joachim Puch hat Soziologie, Politikwissenschaft und Pädagogik studiert. Er hat mehr als ein Vierteljahrhundert (1988 – 2014) an der Evangelischen Hochschule Nürnberg als Dozent, Dekan und Präsident gearbeitet. Bereits vorher und im genannten Zeitraum entstanden zahlreiche sozialwissenschaftliche Veröffentlichungen. Es mag sein, dass er sich anlässlich seiner rund 40-jährigen wissenschaftlichen Tätigkeit – und zu seinem 75. Geburtstag – selbst ein Geschenk machen will; für den wissenschaftlichen Diskurs ist die Herausgabe des Buches „Lebenswelten entdecken“, in dem er ausgewählte Veröffentlichungen von 1982 bis 2022 erneut präsentiert, nicht nur ein Erinnerungs-, sondern ein Innovationsgewinn. Es sind Überlegungen und Konzepte, die beanspruchen danach zu fragen, „welche gedanklichen Zugänge zu fremden und eigenen Lebenswelten möglich sind“, und zum anderen ist es die „persönliche Bewertung fremder Lebenswelten“, die das Denken und Handeln bestimmen.

Aufbau und Inhalt

Neben dem Prolog, in dem sich der Autor als „Wanderer zwischen Lebenswelten“ outet und als Suchender in der segmentierten und fragmentierten Gesellschaft der Moderne sieht, gliedert er das Handbuch in die Kapitel „Gesellschaftliche Transformationen“, „Wandel beruflicher Lebenswelten“, „Sozialmarkt“, „Leadership“ und „Hochschule“.

Seine „Wege der Erkenntnis“ subsumiert er im Triangel: „Handeln erklären – Sinn verstehen – sich selbst erkennen“. Es ist der lokale und globale „Strukturwandel der Moderne“, der die Menschen zu „Nomaden zwischen verschiedenen Gruppenwelten“ und zu „inszenierten Gemeinschaften“ macht und sich im Spannungsfeld von „sozialer Integration“ und „individueller Autonomie“ befindet. Es sind die traditionellen und traditionalistischen familialen Strukturen und die öffentlich wirksamen, herausfordernden, moralischen Ansagen und Trends, die Kinder und Jugendliche in der adoleszenten Entwicklung Ausschau und Bedürfnis nach neuen, offenen Lebensformen veranlasst. Mit dem Begriff „Selbsthilfe“ werden Erwartungen und Ansprüche geweckt, die – im Gegensatz zu „Fremdhilfe“ – individuelle und kollektive Aktivitäten forciert und dabei „Selbsthilfe als sozialpolitisches Steuerungsinstrument“, als „gesellschaftliche Utopie“ oder als „psychosoziale Gruppenunterstützung“ markiert. Für die Tätigkeitsbereiche der Sozialen Arbeit und die pädagogischen, erziehungswissenschaftlichen Institutionen ergeben sich vielfältige Herausforderungen, die man vielleicht mit dem Anspruch verdeutlichen kann: „Lass mich Ich sein, damit du Du sein kannst!“. Einen weiteren Paradigmenwechsel beim professionellen, sozialen Engagement erfordert die Auseinandersetzung über das „Ehrenamt“, als freiwillige, empathische, verantwortungsbewusste Einstellung in einer offenen, toleranten, freien, demokratischen Gesellschaft.

Im Kapitel „Wandel beruflicher Lebenswelten“ wird thematisiert, welche neuen Herausforderungen für die Soziale Arbeit angesagt sind. Es ist vor allem das professionelle Bild, das in der beruflichen Aus-, Fortbildung und praktischen Tätigkeit. Das Plädoyer des Autors: „Von der Semiprofessionalität zur integrativen Professionalität“. Ein Dilemma tut sich (wieder) auf: Sind die Ansprüche nach einer neuen Professionalität in der Sozialen Arbeit Contrapunkte zu Fragen nach Ökonomie und Wirtschaftlichkeit? Lassen sich administrative und pädagogische Bezugssysteme zusammenbringen? Mit dem Stichwort „Sozialmarkt“ reagiert Puch auf institutionelle und gesellschaftspolitische Veränderungsprozesse: „In Zeiten eines raschen gesellschaftlichen Umbruchs entstehen neben den traditionellen sozialen Problemen in kurzer Folge neue soziale Probleme“. Mit dem Anspruch – „Von der Wohlfahrt zur Sozialwirtschaft“ – werden in mehreren Beiträgen Ökonomisierung, Innovation und Organisation diskutiert und Fragen nach Kooperationsfähigkeit, Personalführung und Leadership gestellt: Zuwachs an betriebswirtschaftlicher Kompetenz und die Bereitschaft und das Können beim selbstverantwortlichen Handeln sind gefordert. Das „Human Resource Management“ (HRM) bietet vielfältige Methoden und Konzepte zur Arbeit und Führung in der Kinder- und Jugendhilfe an. Des Autors originäres Betätigungsfeld – „Die Hochschule“ – ist ein Schiff, das auf den Wogen und Wellen der See vorankommt, oder ein ICE, der mit Hochgeschwindigkeit auf festgelegten Schienen fährt. Weil die Wissenschaft Wissen schafft, kommt es darauf an, eine Basis für Kommunikation, Kooperation und Kompetenz zu finden. Das Motto „seiner“ ehemaligen Hochschule – „Tradition und lebendige Erneuerung“ – gibt er mit der erneuten, zusammengefassten, ausgewählten Herausgabe seiner Schriften und Verlautbarungen weiter!

Diskussion

Der umfangreiche, umfassende, weitreichende, differenzierte Diskurs darüber, wie soziale, pädagogische Arbeit sich entwickelt hat, in der Gegenwart besteht und sich in der Zukunft gestaltet, nimmt u.a. beim Internet-Rezensionsdienst www.socialnet.de einen breiten Raum ein. Es sind Sprüche und Widersprüche, Positionen und Speech, Theorien und Praxen, die auf Beständigkeit und Wandlungsprozesse verweisen. Die traditionellen Lebenswelten verändern sich zu digitalen Transformationen (Peter Hammerschmidt, u.a., Hrsg., Big Data, Facebook, Twitter & Co. und Soziale Arbeit, 2021, www.socialnet.de/rezensionen/​28497.php). Jubiläumsschriften (Andrea Schmidt/Tamara Musfeld, Hrsg., Einmischungen. Beiträge zu Theorie und Praxis Sozialer Arbeit, 2005, www.socialnet.de/rezensionen/2814.php) und Anthologien, wie die hier vorgestellte, können Stoßdämpfer und Fahrpläne sein.

Fazit

Die Analyse von Hans-Joachim Puch, dass die Wissensvermehrung an den Hochschulen eingebettet ist in Lern-, Bildungs- und Persönlichkeitsentwicklungsprozesse, die nicht Zufälligkeiten sind, nicht „business as usual“ und „anything goes“ sein sollen, gipfelt in der Perspektive, dass „unsere Studierenden () ihr Wissen mehren, es kritisch reflektieren, qualifiziert anwenden und schließlich evaluieren (sollen)“. Die Auflistungen seiner Veröffentlichungen und seiner beruflichen Biografie ergänzen die Anthologie.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1633 Rezensionen von Jos Schnurer.

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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 27.10.2023 zu: Hans-Joachim Puch: Lebenswelten entdecken. Wandel beruflicher Lebenswelten 1982 - 2022. Eigenverlag () 2023. ISBN 978-94-036-9941-7. Bookmundo Direct Verlag. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31223.php, Datum des Zugriffs 11.12.2023.


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