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Matthias Euteneuer, Anke Kerschgens: Neubeginn nach Trennungen

Rezensiert von Prof. Dr. Noëlle Behringer, 04.09.2023

Cover Matthias Euteneuer, Anke Kerschgens: Neubeginn nach Trennungen ISBN 978-3-17-039274-8

Matthias Euteneuer, Anke Kerschgens: Neubeginn nach Trennungen. Gestaltungs- und Entwicklungswege für Familien. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2023. 185 Seiten. ISBN 978-3-17-039274-8. 28,00 EUR.
Reihe: Praxiswissen Erziehung.

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Thema

Das vorliegende Buch stellt typische Prozesse bei einer Trennung dar und gibt einen Überblick über rechtliche Grundlagen rund um die Themen Trennung, Scheidung und Sorgerecht. Anhand von umfassenden Praxisbeispielen werden mögliche emotionale und alltägliche Herausforderungen illustriert und diskutiert, wie diese gemeistert werden können. Dabei adressiert das Buch nicht nur (sozial-)pädagogische Fachkräfte, sondern auch Eltern sowie andere Interessierte. Ausgehend von der Annahme, dass Familie vielfältiger geworden ist und die gesellschaftlich anerkannten Gestaltungsspielräume sich einerseits vergrößert, Trennungen aber weiterhin als Scheitern wahrgenommen werden, zielt das Buch darauf, mögliche Perspektiven für ein genügend gutes Familienleben nach Trennungen aufzuzeigen.

Autorin und Autor

Das Buch wurde von Anke Kerschgens und Matthias Euteneuer verfasst.

Aufbau und Inhalt

Das Buch gliedert sich in sieben Kapitel. An die Einleitung schließt im ersten Kapitel eine Darstellung von gegenwärtigen Formen des Familienlebens an, die sich insbesondere auf die zunehmende Pluralisierung von Familienmodellen im Zuge des demographischen Wandels bezieht. Neben Daten und Fakten zu Eheschließungen, Trennungen und Scheidungen werden rechtliche Unklarheiten zum Unterschied zwischen Trennungen und Scheiden ausgeräumt. Anhand eines Fallbeispiels wird im ersten Kapitel die Ambivalenz zwischen Vorstellungen, unerwarteten Dynamiken und dem Machbaren im Kontext von Trennungen ausgeführt. Im ersten Kapitel wird dabei – wie auch in den folgenden Kapiteln – dargestellt, inwieweit Trennungen als „ungewollter Bruch mit dem Selbstverständlichen, den Vorstellungen von Normalität erlebt“ (S. 14) werden. Dabei werden Normativitätsansprüche in ihrer historischen, kulturellen und gesellschaftspolitischen Verwobenheit in Bezug auf Trennungen diskutiert.

Das zweite Kapitel stellt die Paarbeziehung als eine von vielen innerfamiliären Beziehungen in den Mittelpunkt der Überlegungen. Es wird argumentiert, dass Elternschaft Belastungen und Herausforderungen für die Paarbeziehung mit sich bringt und dass Elternfunktionen häufig als mit der Paarbeziehung zusammenhängend erlebt werden. Mögliche Erklärungen dafür, weshalb die elterliche Paarbeziehung zerbrechlich ist und wie es grundlegend zur Partner:innenwahl kommt, werden im zweiten Kapitel aus einer psychoanalytischen Perspektive erläutert. Hier stehen vor allem intrapsychische Mechanismen im Zentrum der Ausführungen, wobei auch mögliche Auswirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen und damit das Familienleben dargestellt werden. Ebenso werden gesellschaftliche Ursachen für Trennungen, insbesondere demographische, strukturelle und kulturelle Faktoren aufgezeigt.

Im dritten Kapitel wird zunächst aus einer soziologischen Perspektive heraus erläutert, wie im Zuge des Paarwerdens gemeinsame Regeln und Sinnhorizonte konstruiert werden und wie sich Trennungen über den Zusammenbruch von „Konsensfiktionen“ ihren Weg bahnen. Im weiteren Verlauf des Kapitels werden Überlegungen zu Sinnfindungs- und Identifikationsprozessen sowie zentralen Emotionen wie Schuld und Scham im Zuge von Trennungen dargestellt und milieuspezifische Aspekte des Paarseins und des Trennens aufgezeigt. Dabei wird sowohl aus der Perspektive der Person argumentiert, die die Trennung initiiert als auch aus der Perspektive der Person, der die Trennung mitgeteilt wird. Auch im dritten Kapitel finden sich Fallbeispiele, mithilfe derer die theoretischen Ausführungen praxisnah greifbar gemacht werden. Es werden unterschiedliche Phasen des Trennungsprozesses mit ihren spezifischen Dynamiken auf individueller und Paarebene beschrieben. Neben Bewältigungsaufgaben für die Eltern werden rechtliche Rahmungen des Scheidungsprozesses und wirtschaftliche Folgen von Trennungen und Scheidungen erläutert.

Das vierte Kapitel stellt die vielfältigen Familienmodelle nach einer Trennung dar und diskutiert diese in ihren Chancen und Herausforderungen aus Sicht der Eltern und aus Sicht der Kinder. Es werden auch rechtliche Aspekte der unterschiedlichen Familienmodelle, Kindesunterhaltes und des Umgangsrechts dargelegt. Zudem werden Praxistipps zur Gestaltung des multilokalen Familienlebens und Perspektiven auf das Familienmodell der Patchworkfamilie vermittelt.

Im fünften Kapitel steht die entwicklungspsychologische Perspektive auf Kinder im Mittelpunkt, die eine Trennung erleben. Hierbei werden Belastungen und Entwicklungschancen für die unterschiedlichen Lebensalter und Entwicklungsphasen vor dem Hintergrund der phasenspezifischen Entwicklungsaufgaben sehr ausführlich diskutiert und Schutz- und Risikofaktoren beschrieben. Zudem werden typische Emotionen, die Kinder im Zuge einer Trennung ihrer Eltern erleben und zeigen können, benannt und begründet, welchem Zweck diese dienen können. Anhand von Fallbeispielen werden Perspektiven auf die Bindungstheorie, Parentifizierung, Triangulierung und die phasentypischen Bedürfnisse von Kindern illustriert.

Den besonderen Dynamiken von hochkonflikhaften Konstellationen nach Trennungen widmet sich das sechste Kapitel. Hier wird zwischen normalen und eskalierenden Prozessen unterschieden und Bezug auf Trauerprozesse genommen, da Trennungen als Traueranlass verstanden werden können. Als eine mögliche Folge von eskalierenden Trennungen wird die Verbitterungsstörung dargestellt und diskutiert, inwieweit Dämonisierungen, Spaltung, Idealisierung und Kontaktabbrüche eskalierende Dynamiken bedingen können. Es werden rechtliche Fragen zum Schutz vor Gewalt im privaten Bereich, zum Kindesschutz und zum Umgangsrecht geklärt.

Das Buch schließt im siebten Kapitel mit einem Überblick über Beratungs- und Begleitangebote, die dabei unterstützen, Belastungen und Unsicherheiten in Trennungssituationen als besondere Lebenssituationen zu bewältigen. Die vielfältigen Angebote werden beschrieben und mit wichtigen Internetadressen ergänzt.

Diskussion

Das Buch von Matthias Euteneuer und Anke Kerschgens greift ein Thema auf, das für Fachkräfte, Eltern und andere Interessierte nicht nur aufgrund der steigenden Zahlen von Trennungen und Scheidungen, sondern insbesondere auch aufgrund der emotionalen Betroffenheit aller Beteiligten von hoher Relevanz ist. Die gegenwärtige Pluralisierung von Familienmodellen wird als Spannungsfeld dargestellt und fälschliche Annahmen aus dem Alltagswissen vieler Eltern und Fachkräfte werden korrigiert, wie etwa die Annahme, es gäbe eine „ideale“ Altersphase von Kindern, in denen eine Trennung am besten zu verkraften wäre.

Es gelingt dem Autor und der Autorin, einen kritischen Blick auf kollektive Bilder und Normvorstellungen von Familie und Trennung einzunehmen und den Einfluss dieser Bilder auf individuelles Erleben und Verhalten aller Familienmitglieder zu diskutieren. Besonders positiv hervorzuheben ist, dass praxisnah sehr komplexe Dynamiken verständlich gemacht werden, in dem psychoanalytische, entwicklungspsychologische und soziologische sowie rechtliche Perspektiven auf Trennungen dargestellt und mit Praxisbeispielen nachvollziehbar vertieft werden.

Im Buch werden Zahlen, Daten und Fakten ebenso reflektiert, wie Vor- und Nachteile möglicher Familienmodelle. Die Frage, welches Familienmodell nach einer Trennung gewählt werden sollte, führt bei getrenntlebenden Eltern in Beratungssituationen immer wieder zu offenen Fragen und Verunsicherungen. Die im Buch dargelegten Reflexionen sind daher für Fachkräfte ebenso relevant und hilfreich, wie die dargelegten Praxistipps. Die Zusammenfassungen am Ende eines jeden Kapitels veranschaulichen auf einen Blick die wichtigsten Inhalte.

Wünschenswert wäre an der ein oder anderen Stelle eine Vertiefung theoretischer Überlegungen gewesen, wie etwa den im Kapitel 5 aufgemachten Ausführungen zu Mentalisierungsprozessen. Hier wäre es schön gewesen, wenn diese Überlegungen auch im Hinblick auf die Elterndynamik diskutiert worden wären. Zudem wäre es begrüßenswert gewesen, wenn das vom Autor:innenduo zugrunde gelegte und auf D. Winnicott zurückgehende Konzept von „hinreichend guten Eltern“ näher erläutert worden wäre.

Insgesamt ist es dem Autor:innenduo gelungen, das Phänomen von Trennungen aus unterschiedlichen theoretischen und rechtlichen Blickwinkeln umfassend zu beleuchten. Die Perspektive der Eltern und die der Kinder wird gleichermaßen berücksichtigt. Es wird sprachlich sehr gut nachvollziehbar und theoretisch fundiert dargestellt, welche komplexen Dynamiken sich bei Trennungen ereignen können und wie diese begleitet werden können.

Fazit

Es kann resümiert werden, dass das Buch ein praxisnahes Standardwerk ist, das in der Bibliothek aller Fachkräfte, die in Beratungs- und Begleitangeboten für getrennte Eltern arbeiten, nicht fehlen darf. Und auch für Eltern lohnt sich dieses Buch, denn: „Die Trennung ist etwas, das Eltern ihren Kindern zumuten (müssen), für das sie aber auch Verantwortung übernehmen können“ (S. 100).

Rezension von
Prof. Dr. Noëlle Behringer
M.A. Soziale Arbeit M.Sc. Klinische Psychologie und Empowerment Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin (tiefenpsychologisch fundiert)
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Es gibt 1 Rezension von Noëlle Behringer.

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Zitiervorschlag
Noëlle Behringer. Rezension vom 04.09.2023 zu: Matthias Euteneuer, Anke Kerschgens: Neubeginn nach Trennungen. Gestaltungs- und Entwicklungswege für Familien. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2023. ISBN 978-3-17-039274-8. Reihe: Praxiswissen Erziehung. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31246.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.


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