Barbara Prainsack, Hannes Androsch (Hrsg.): Wofür wir arbeiten
Rezensiert von Prof. Dr. Christian Philipp Nixdorf, 28.12.2023

Barbara Prainsack, Hannes Androsch (Hrsg.): Wofür wir arbeiten.
Brandstätter Verlag
(Wien) 2023.
142 Seiten.
ISBN 978-3-7106-0688-5.
D: 20,00 EUR,
A: 20,00 EUR.
Aus der Reihe "Auf dem Punkt".
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Autorin
Barbara Prainsack ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Ihre Forschungs- und Lehrexpertise liegt in der Gesundheits-, Wissenschafts- und Technologiepolitik. Sie ist Vorsitzende der Ethik-Kommission der Europäischen Kommission und Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Thema
Welche Bedeutung hat Arbeit für das Leben der Menschen? Wie hat sich unser Verständnis von und unsere Einstellung zur Arbeit gewandelt? Wie wollen und werden wir zukünftig arbeiten? Diese Fragen reflektiert Barbara Prainsack in ihrem Buch. Sie diagnostiziert, dass die tradierten Arbeitsmodelle nicht mehr funktionierten, da Arbeit sehr unterschiedlich verteilt und gänzlich verschieden wertgeschätzt werde. Während manche von ihrer Erwerbsarbeit kaum leben könnten, litten anderen unter Arbeits- und Fachkräftemangel. Während der Corona-Pandemie habe es kurzfristig zwar Applaus für sogenannte „systemrelevante Berufe“ gegeben, mit einer langfristigen finanziellen und gesellschaftlichen Aufwertung sei das aber nicht einhergegangen. Noch immer seien es vor allem Frauen, die im Care- und Sozialbereich das System aufrechterhielten, aber dafür deutlich schlechter bezahlt würden als Männer.
Doch nicht nur geschlechtlich bestünden Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt. Sie bestünden auch hinsichtlich der Frage, wie unterschiedliche Generationen die Arbeit sehen. Für viele junge Menschen in der „Generation Z“ zähle eine gute Work-Life-Balance heute deutlich mehr als Karriere. Deren Vorgesetzten, die „Baby-Boomer“ und „Generation Y“-Angehörigen, sähen das teils deutlich anders, was Konfliktpotenzial berge. Und auch international sei Arbeit höchst ungleich verteilt. Die Digitalisierung und der demografische Wandel führten zu einer beschleunigten Veränderung dessen, wie Arbeit begriffen und erlebt werde. Barbara Prainsack beleuchtet dies und zeigt einen möglichen Weg auf zu einer gerechteren Arbeitswelt für alle.
Aufbau und Inhalt
Das vom Brandstätter Verlag in Wien verlegte Werk ist in der von Hannes Androsch herausgegebenen Reihe »Auf dem Punkt« erschienen, in der bedeutende gesellschaftliche Themen in prägnanter Form zusammengefasst werden. Die Autorin beginnt Ihre Darlegungen mit der These, dass Arbeit nicht mehr so funktioniere, wie sie solle und wie sie jahrzehntelang funktioniert habe (»Work isn’t working«). Denn, so schreibt Prainsack: „In den vergangenen drei Jahrzehnten haben die Löhne in der gesamten industrialisierten Welt mit den Produktivitätsgewinnen und den Renditen auf Kapitalvermögen nicht mehr Schritt gehalten“ (S. 9).
Trotz Arbeitskräftemangel stünden in großen Teilen der industrialisierten Welt viele Erwerbstätige unter Druck, konstatiert die Autorin. „Häufig reicht das Einkommen aus der Erwerbsarbeit nicht aus, um alle Rechnungen zu bezahlen. Andere haben gar kein reguläres Arbeitsverhältnis, sondern arbeiten als Scheinselbstständige oder in anderen Konstruktionen, die dazu dienen, Arbeitnehmerrechte zu umgehen“ (S. 10). Für manche Menschen sei Arbeit heute zudem so stressig, dass diese sie krank mache. Schuld daran sei nicht die Digitalisierung und Automatisierung, sondern in erster Linie die Politik, schreibt Prainsack. Am Beispiel amerikanischer Arbeitnehmer:innen, die vormals zur Mittelschicht zu rechnen waren, beschreibt die Autorin, wie und warum durchschnittliche Arbeitnehmer:innen heute systematisch schlechter gestellt seien als noch vor Jahrzehnten.
In den USA seien viele der Verhältnisse, die am Arbeitsmarkt herrschen, stärker ausgeprägt als in Deutschland, doch aufgrund weltweiter Konkurrenz, die die Marktwirtschaft kennzeichnete, wirkten sich diverse der dortigen Entwicklungen zunehmend auch auf die Arbeitsmärkte und Sozialsysteme in Europa aus. Von Belastungen und teils regelrecht Zumutungen betroffen seien dabei wohlgemerkt nicht nur Menschen im Niedriglohnsektor, sondern zunehmen auch Hochqualifizierte. „Anfang 2022 sagten zwei Drittel der Universitätsangestellten, dass sie ihren Arbeitsplatz an der Universität in den nächsten fünf Jahren verlassen möchten. Schlafprobleme, Depressionen und Burn-out kennzeichnen ihren Alltag“ (S. 17 f.). Was die Verhältnisse in Deutschland angeht, so schrumpfe auch hier die Mittelschicht, konstatiert die Autorin.
„In Deutschland gehörten vor der Pandemie sogar satte 64 Prozent einkommensmäßig zur Mittelschicht. Nimmt man allerdings die Vermögen auch in den Blick, dann sieht die Situation anders aus […]“. So besäßen „die ärmere Hälfte 1,4 des Gesamtvermögens, während das reichste Prozent der Bevölkerung etwa 35 Prozent hält“ (S. 18). Dadurch, dass Vermögen kaum besteuert und vererbt würden, werde das meritokratische System ausgehebelt, warnt Prainsack. Die meisten Menschen könnten sich heute durch ihre Arbeit keinen Wohlstand mehr erarbeiten. Dieser entstehe vornehmlich durch Erben. „Das Problem, das es zu lösen gilt, ist, dass alle Menschen genug haben müssen, um ein würdevolles Leben zu führen“, schreibt die Autorin (S. 26). Das schließe die Möglichkeit mit ein, einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen zu können.
Die Vorstellung dessen, was überhaupt (gute) Arbeit ist, habe sich im Laufe der Jahrhunderte erheblich gewandelt, konstatiert Prainsack. „So galt etwa im europäischen Mittelalter nicht die Arbeit, sondern das kontemplative, gottgefällige Leben als Ideal eines gelungenen, sinnerfüllten Lebens. Insbesondere manuelle Arbeit wurde als Mühsal, Last und sogar Strafe aufgefasst. […] Auch das englische Wort labour, das sich direkt vom lateinischen laborare als Verb für »mühsam arbeiten« oder »sich plagen« ableitet, spielt auf dieses negative Verständnis von Arbeit an“ (S. 31). Erst mit dem Aufkommen der protestantischen Ethik, der zufolge ein gewissenhaftes, fleißiges Arbeiten als gottgefälliges Tun gesehen wurde, änderte sich die Einstellung zur Arbeit, was neben technischen Errungenschaften erheblichen Einfluss auf die Entstehung des Kapitalismus gehabt habe.
Heute werde der Arbeitsbegriff je nach Disziplin und Generation sehr unterschiedlich mit Bedeutung aufgeladen, gibt die Autorin zu bedenken. Grundlegend gelte dabei aber folgendes: „Wenn wir unter Arbeit alle Tätigkeiten verstehen, mit denen Menschen einen Beitrag für andere leisten oder zum Funktionieren der Gesellschaft beitragen, dann ist menschliches Leben ohne Arbeit gar nicht denkbar“ (S. 38). Reproduktionsarbeit (Kinderbetreuung/​-erziehung) gehöre genauso zu echter Arbeit wie kreative Tätigkeiten. Arbeit schließe kurzum „alles ein, wodurch und womit Menschen nicht nur etwas für sich selbst tun, sondern einen Beitrag zum familiären, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder politischen Zusammenleben leisten“ (ebd.). Konkludent sei Arbeit heute sehr vielseitig, finde zu Hause ebenso statt wie auswärts, sei bezahlt oder unbezahlt und könne als selbstbestimmt und sinnvoll oder aber auch „als entseelt und sinnentleert empfunden werden“ (S. 39).
Vergegenwärtigen müsse man sich, dass der Großteil unbezahlter Arbeit von Frauen verrichtet werde. Die Covid-Pandemie habe dieses Ungleichgewicht in vielen Weltregionen sogar noch verstärkt und obwohl Frauen im Durchschnitt mehr Stunden arbeiten als Männer, hätten sie „einen ungleich kleineren Anteil an Einkommen und Vermögen, und zwar in nahezu allen Ländern der Welt“, kritisiert Prainsack (S. 43). Gerade Frauen müssten noch immer oft um ihr Recht auf faire Entlohnung und menschenwürdige Arbeitsbedingungen kämpfen. Auch hinsichtlich der Frage, ob sich die Bedeutung der Arbeit und die bestehenden Machtverhältnisse am Arbeitsmarkt in naher Zukunft ändern werden, wagt die Autorin eine Prognose. Sie schreibt bezugnehmend auf einen Artikel in der Zeitschrift The Economist: „Die nächsten Jahre werden die Ära einer »worker’s world«, einer Welt, in der Arbeitnehmer*innen, nicht Arbeitgeber*innen, den Ton angeben“ (S. 46).
Geschuldet sei dies vor allem der demografischen Entwicklung, die bedinge, dass Unternehmen um einen immer kleiner werdenden Pool von Arbeitskräften Konkurrierten. Sie müssten dabei vermehrt auf die Wünsche und Erwartungen der Mitarbeitenden eingehen, um diese nicht zu verlieren bzw. um sie überhaupt für sich zu gewinnen. Viele Arbeitnehmer:innen wünschten sich einen Job, der nicht nur ein gutes Gehalt verspreche, sondern auch Wohlbefinden. Insbesondere jüngere Generationen stellten zunehmend auch immaterielle Werte in den Vordergrund, meint Prainsack. Wichtig sei vielen Arbeitnehmer:innen die Möglichkeit, zeitliche und örtlich flexibel arbeiten zu können. Eine Studie aus den USA zeige, dass 86 % der Befragten „gerne für ein Unternehmen arbeiten möchten, dem die Qualität der Ergebnisse wichtiger ist als das Arbeitsvolumen – insbesondere als die Zeit, die gearbeitet wird“ (S. 52).
Es gehe den meisten Menschen dabei nicht darum, per se weniger arbeiten zu wollen, schildert die Autorin. Oftmals gehe es schlichtweg darum, dass die Menschen „Kontrolle darüber haben möchten, wann sie was tun“ (S. 53). Wenn jede Stunde des Tages fremdbestimmt gearbeitet werde, könne das schnell zu Frustration und manchmal gar Burn-out führen. Freilich merkt Prainsack einschränkend auch an, dass nicht alle Jobs ein örtlich und zeitlich flexibles, wenig fremdgesteuertes Arbeiten zuließen. „Für Straßenbahnfahrerinnen oder Krankenpfleger ist das Homeoffice keine Option“ (ebd.). Verbesserungen des Status quo seien vielerorts aber dennoch möglich. In vielen Betrieben und Organisationen seien Kernarbeitszeiten festgelegt, ohne dass die Arbeitskräfte je gefragt worden seien, wie es ihnen damit gehe. Warum sollten sie nicht darüber mitbestimmen dürfen, fragt die Autorin.
„Ein gemeinsamer Austausch darüber, wann alle anwesend sein müssen und zu welchen Zeiten jede Person flexibel entscheiden kann, ob sie arbeitet oder nicht, würde für Beschäftigte in Büros bereits viel zur Verbesserung der Situation beitragen“, ist Prainsack überzeugt (S. 54). Sinn und Wert einer Arbeit ergäbe sich nicht nur aus dem Arbeitsvollzug an sich, sie sei auch ein Resultat dessen, „wie diese Arbeit gesellschaftlich anerkannt und finanziell bewertet wird“ (ebd.). Es ist der Autorin zufolge schwierig für Menschen, ihre Arbeit als sinnvoll anzusehen, wenn ihren von ihrer Umgebung suggeriert werde, dass sie einen »Versagerjob« hätten. Ob Arbeit als sinnvoll erlebt werde, hänge also auch vom sozialen Umfeld und mithin von gesellschaftlichen Wertmustern ab, die wandelbar seien. Kein Job sei aus sich heraus wertvoller als ein anderer. Bezahlung spiele zweifellos eine Rolle dabei, ob ein Job als gut beurteilt werde. Entscheidend für nachhaltige Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit sei aber genauso, dass man sich bei deren Verrichtung wertgeschätzt fühle und das Gefühl habe, einen positiven Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.
„Auch Arbeit, die sehr stressig oder mühsam ist – wie der Job einer Lehrerin, eines Elementarpädagogen oder einer Krankenpflegerin –, wird als sinnvoll erlebt, wenn den Beschäftigten klar ist, dass sie damit etwas Nützliches tun“, ist Prainsack überzeugt (S. 57). Heutzutage liege hier eine Herausforderung, denn kaum die Hälfte aller Beschäftigten erlebten ihren Job Studien zufolge als sinnerfüllend und befriedigend, gibt sie zu bedenken. Es sei durchaus etwas dran am geflügelten Wort, dass die meisten Menschen, die kündigen, nicht das Unternehmen verließen, sondern den Chef, schildert die Autorin. Viele Menschen kündigten lieber, als in einem Job zu verbleiben, der sie unglücklich oder sogar krank mache. Gerade deshalb, weil in vielen Bereichen Arbeitskraftmangel herrsche, müssten die Unternehmen darauf reagieren und gute Arbeitsbedingungen einschließlich mehr Möglichkeiten der Sinnstiftung für Mitarbeitende schaffen.
Motivierte Mitarbeitende wüssten, wo sie gut arbeiten. „Für manche ist es der Garten des Elternhauses oder der Balkon der eigenen Wohnung, während andere den täglichen Kontakt mit dem Team im Büro schätzen und zu Hause vereinsamen würden. In jenen Branchen und in dem Ausmaß, in dem das möglich ist, soll man die Menschen einfach öfter selbst entscheiden lassen“, erklärt Prainsack (S. 62). Zudem gelte, dass auch in Deutschland eine satte Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung für kürzeres Arbeiten sei. 71 % würden die Möglichkeit begrüßen, die Wochenarbeitszeit auf vier statt fünf Tage zu verteilen, zitiert die Autorin eine Studie. Besonders hoch sei der Wunsch nach der 4-Tage-Woche bei Arbeitnehmer:innen im mittleren und höheren Alter. Das müsse keineswegs mit einem Rückgang der Produktivität einhergehen, denn es sei belegt, dass länger zu arbeiten nicht unbedingt bessere Ergebnisse bringe, schreibt Prainsack bezugnehmend auf eine Studie der Stanford University (S. 67).
Als einen zentralen Aspekt hebt die Autorin des Weiteren hervor, dass ein wichtiger Aspekt der Arbeitswelt der Zukunft die Notwendigkeit sei, Arbeit fair(er) zu bewerten. Dies müsse sich einerseits in angemessener Entlohnung ausdrücken, andererseits aber auch in gesellschaftlicher Anerkennung, für die es gerade für viele solcher Berufe, die während der Corona-Pandemie beklatscht und als systemrelevant klassifiziert wurden, noch immer hapere (S. 72 f.). Die Schere zwischen Arm und Reich gehe weltweit immer mehr auseinander, was den Zusammenhalt von Gesellschaften wie auch die Identifikation marginalisierter Menschen mit der Demokratie gefährde. Wertschätzung in Form solider Einkommen und Anerkennung für die gesellschaftliche Bedeutung der verrichteten Arbeit seien daher bedeutender Kitt, der die weitere Segmentierung der Gesellschaft verhindere. Doch leider, so schreibt die Autorin: „Eine Gesellschaft, die die Arbeit aller Menschen würdigt und fair entlohnt – im weitesten Sinn des Wortes –, sieht anders aus“ (S. 79).
Auch wenn keine Gesellschaft dazu imstande sei, eine völlige Einigkeit darüber zu erzielen, welche Arbeit wie viel wert sei, wäre es schon ein Start, „die Unterschiede in den Einkommen der Best- und Geringverdienenden zu verringern. Und dann gibt es noch eine sehr pragmatische Lösung dafür, jede Arbeit als Arbeit anzuerkennen und gleichzeitig die Möglichkeit für Menschen zu erhöhen, Arbeit, die sie krank und unglücklich macht, gegen Arbeit einzutauschen, die sie sinnvoll finden: nämlich die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens“ – schildert Prainsack (S. 82). Von vielen Menschen werde dies als nicht finanzierbare Utopie diskreditiert, dabei brächten wir heute geradezu eine „Gebrauchsanleitung für Utopien“ (S. 84). Diese skizziert die Autorin im letzten Kapitel des Buches. Als Erstes bräuchten wir einen breiteren Arbeitsbegriff, ist sie überzeugt. „Es kann nicht sein, dass Menschen die zehn, zwölf oder mehr Stunden am Tag Familien- oder Betreuungsarbeit leisten, als »arbeitslos« oder sogar als faul angesehen werden“ (S. 86).
Des Weiteren müsse Erwerbsarbeit fair bezahlt werden, denn es gäbe keine sachliche Rechtfertigung für die heute feststellbaren extremen Unterschiede bei der Höhe der Arbeitseinkommen. Darüber hinaus dürften aber auch jene Menschen nicht vergessen und ausgegrenzt werden, die keiner Erwerbsarbeit nachgehen (können). „Wenn wir soziale Sicherungssysteme so gestalten wollen, dass sie in der heutigen Zeit wirklich sicher sind, dann müssen wir einen Schritt weiter gehen: Wir müssen die Beziehung zwischen Arbeit und Einkommen neu denken“, meint Prainsack (S. 92). Zentral sei dies auch aufgrund des Wandels des Arbeitsmarktes, auf dem aufgrund der Digitalisierung immer mehr Jobs wegrationalisiert würden. Panik indes sei unangebracht, denn es entstünden durch den Wandel auch neues Stellen, welche die weggefallenen ggf. (über)kompensieren könnten. Um diese neuen Stellen besetzen zu können, sei aber die Bereitschaft und Fähigkeit vonnöten, auch als älterer Mensch nochmal umzulernen und sich weiter zu qualifizieren. Die Arbeit werde und wahrscheinlich nicht ausgehen. Sie werde nur anders aussehen.
Sich permanent weiterzubilden, was „in der Fachliteratur typischerweise als Lösung für das Problem der Verdrängung menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen vorgeschlagen wird“, sei für einige Menschen aber keine Option. Daraus folge leider, dass all jene Menschen, die „jene Fähigkeiten nicht haben oder nicht erwerben können, die eine digitalisierte Gesellschaft und ein automatisierter Fertigungsbereich benötigen, am Arbeitsmarkt keinen »Wert« mehr haben“ (S. 104). Für Hochqualifizierte werde es wohl einfach sein, einen gut bezahlten Job zu finden, bzgl. der Menschen, die aus der Arbeitswelt gedrängt werden, sei aber die Politik gefordert, ihnen eine Alternative aufzuzeigen. Diese Alternative könne im bedingungslosen Grundeinkommen bestehen, ist Prainsack überzeugt, die ihre Gründe für diese Überzeugung auf den fortfolgenden Seiten darlegt. Das bedingungslose Grundeinkommen trage dazu bei, dass Menschen das erhielten, was sie zum Leben brauchen.
„Man bekommt genug für ein würdevolles Leben, weil man ein Mensch ist – egal, wie alt oder jung, und egal, ob man einer Erwerbsarbeit nachgeht oder nicht. Jene, deren Einkommen aus Erwerbsarbeit oder Kapital so hoch sind, dass diese Absicherung nicht brauchen, tragen an anderer Stelle – über Einkommenssteuern und die Besteuerung von Vermögen – mehr bei, als sie es heute tun. Gleichzeitig – und das ist erneut der »Proportionalismus«-Teil des proportionalen Universalismus – würden Leistungen für Menschen, die besondere Bedürfnisse haben, weiterhin erhalten bleiben“, erklärt die Autorin (S. 111 f.). Ebenfalls geht sie auf die Einwände ein, dass das bedingungslose Grundeinkommen nicht finanzierbar sei, was sie mittels Bezugnahme auf mehrere Modelle in Frage stellt (wie es etwa auch der verstorbene Gründer der Drogeriemarktkette dm, Götz Werner, tat). Ein weiteres oft gehörtes Argument, warum ein bedingungsloses Grundeinkommen eine schlechte Idee sei, was Prainsack in Zweifel zieht, nennt sie das »Sofa-Argument«. „Wenn Menschen »Geld fürs Nichtstun« bekommen, so fürchten viele, dann würden alle faul werden“ (S. 120). Es fänden sich in Studien aber keine Hinweise darauf, dass das so sei. Die meisten Menschen hätten nicht vor, aus der Erwerbsarbeit auszusteigen, wenn sie ein bedingungsloses Grundeinkommen erhielten. Die Angst, dass niemand dann mehr arbeite, sei zwar psychologisch erklärbar, gründe aber nicht auf Evidenz.
Summa summarum sei es, um eine wirklich nachhaltige Veränderung zu erzielen, vonnöten, „über ein bedingungsloses Grundeinkommen hinaus[zu]gehen, damit Arbeit wirklich zu einem Schlüssel gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderung werden kann – und Menschen frei und gut arbeiten können“ (S. 130). Es müsste, so schreibt die Autorin zum Abschluss, in der Gesellschaft ein grundlegendes Umdenken dessen stattfinden, welchen Stellenwert wir Arbeit geben und was als Arbeit zählt sowie wertgeschätzt wird. Arbeit müsse dekommodifiziert werden, denn sie sei keine Ware, „sondern eine gesellschaftlich wertvolle menschliche Tätigkeit, deren Preis und Wert nicht durch Marktmechanismen bestimmt werden dürfen“ (S. 131). Damit – und bis – sich diese Vorstellung durchsetze, sei noch einiges an Arbeit zu leisten.
Diskussion
Was lässt sich zum hier vorgestellten Werk nun aus sagen? Ist es lesenswert? Und wenn ja, für wen? Der Rezensent hat dazu folgende Meinung. Das Buch ist sehr pointiert geschrieben und lässt sich leicht an einem Nachmittag durchlesen. Es ist klar ein Sach- und kein Fachbuch, eignet sich also eher für die Lektüre von grundsätzlich an dem Thema interessierten Menschen statt für den Einsatz in Seminaren an Hochschulen. Gleichwohl nimmt die Autorin Bezug auf diverse nicht nur journalistische, sondern auch wissenschaftliche Quellen. Die Zielgruppe des Buches ist somit sehr weit gefasst. Die Autorin nimmt sich einer Thematik an, mit der sich vor ihr schon unzählige andere befasst haben. Sie fasst Dinge zusammen, die in großen Teilen bereits Frithjof Bergmann in „Neue Arbeit, neue Kultur“ (2017), Joachim Bauer in „Arbeit: Warum unser Glück von ihr abhängt und wie sie uns krank macht“ (2013) André Gorz in „Arbeit zwischen Misere und Utopie“ (1999) und viele weitere befasst haben.
Wer diese und ähnliche Werke kennt, erfährt durch die Lektüre von Prainsacks Buches nicht unbedingt neues. „Wofür wir arbeiten“ (2023) ist aber dennoch lesenswert. Es gelingt Prainsack gut, die thematischen Bezüge von Arbeit, Kultur, Wirtschaft, Gesellschaft und Ethik zu verknüpfen und ihre Schlussfolgerungen nachvollziehbar auf den Punkt zu bringen. Positiv ist dabei hervorzuheben, dass das Werk eine hinreichende reflexive Tiefe in der Auseinandersetzung mit der durchaus komplexen Materie bietet, ohne dabei in eine allzu tiefgründige philosophische Abhandlung über das Wesen der Arbeit auszuarten (was manche Leser:innen eher verschrecken könnte). Während in vielen anderen aktuellen Publikationen zur Frage, wie Arbeit sich entwickelt und neu gedacht werden müsse, eher auf die vermeintlich positiven Seiten der New-Work-Revolution geblickt wird, von der vor allem die hochqualifizierte Wissens-„Elite“ profitiert, nimmt sich Prainsack, ähnlich wie Julia Friedrichs in „Working Class: Warum wir Arbeit brauchen, von der wir leben können“ (2023) eher der Schattenseiten an. Sie beleuchtet, was passieren kann, wenn wir es nicht schaffen, würdevolle Arbeit auch für all jene sicherzustellen, die keine gerechte finanzielle Entlohnung erhalten, keiner formal so definierten „hochqualifizierten“ Tätigkeit nachgehen und kein Homeoffice-Privileg genießen.
Diese Menschen verrichten oft anstrengende, körperlich oder psychisch anspruchsvolle Arbeiten, die für das Funktionieren der Gesellschaft hochbedeutsamen sind, erfahren dabei aber gesellschaftlich und finanziell wenig Anerkennung, was er erschwert, das eigene tun als Quell von Selbstachtung und Wertschätzung zu erleben. Was aber kann getan werden, damit Wertschätzung auch bei diesen Menschen ankommt? Damit befasst sich die Autorin auf gut verständliche Weise, wobei sie sich via Rekurs auf das bedingungslose Grundeinkommen auch der Fragen annimmt, wie all jene Menschen versorgt werden sollen, die keiner Erwerbsarbeit mehr nachgehen, weil der technische Fortschritt den Bedarf an ihrer Arbeitsleistung schlicht obsolet gemacht hat. Den derzeitigen sozialen Sicherungssystemen in Deutschland und Österreich sind, obgleich beide immer noch besser sind als die soziale Absicherung in vielen anderen Ländern, Stigmatisierung und Ausgrenzung leider allzu oft inhärent.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte diese Stigmatisierung beenden und es Menschen ermöglichen, ihre Potenziale zu entfalten, ist die Autorin überzeugt. Man muss diese Einschätzung nicht teilen, es ist aber doch lesenswert, die Begründungen dafür zu lesen, welche die Autorin verständlich ausbreitet. Was wir ihrer Meinung nach brauchen sind keine „Bullshit Jobs“, wie David Graeber es 2020 genannt hat, sondern einfach gute Arbeit für alle Menschen, wenn wir sicherstellen wollen, dass die Spaltung der Gesellschaft – und damit das Erodieren des Vertrauens nicht weniger Menschen in das demokratische System – nicht weiter voranschreitet. Und wir brauchen eine diskriminierungsfreie Absicherung auch für Menschen, die keiner Erwerbsarbeit nachgehen (können), aber dennoch Arbeiten verrichten, die heute nicht immer als solche gewertet werden. Das wird im Buch von Prainsack überzeugend dargelegt.
Fazit
Barbara Prainsack hat ein kurzweiliges, gut lesbares Buch geschrieben, in dem unsere Arbeitswelt pointiert beschrieben und weitsichtig hinsichtlich dessen reflektiert wird, was sich ändern müsste, um Arbeit anders zu denken und wertschätzender für alle Menschen zu gestalten.
Rezension von
Prof. Dr. Christian Philipp Nixdorf
Sozialwissenschaftler, Diplom-Sozialarbeiter/-pädagoge (FH), Sozial- und Organisationspädagoge M. A., Case Management-Ausbilder (DGCC), Systemischer Berater (DGSF), zertifizierter Mediator, lehrt Soziale Arbeit und Integrationsmanagement an der Hochschule der Wirtschaft für Management (HdWM) in Mannheim.
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