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Herrmann Hill, Veith Mehde (Hrsg.): Herausforderungen für das Verwaltungsrecht

Rezensiert von Dr. Karsten Lauber, 20.11.2023

Cover Herrmann Hill, Veith Mehde (Hrsg.): Herausforderungen für das Verwaltungsrecht ISBN 978-3-428-18977-9

Herrmann Hill, Veith Mehde (Hrsg.): Herausforderungen für das Verwaltungsrecht. Duncker & Humblot GmbH (Berlin) 2023. 231 Seiten. ISBN 978-3-428-18977-9. D: 79,90 EUR, A: 82,20 EUR.
Schriftenreihe der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer - 241.

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Thema

Ein Buch mit dem Titel „Herausforderungen für das Verwaltungsrecht“ erzeugt bei all seiner Einfachheit einen hohen Grad an Spannung. Dass „die“ Verwaltung ein prominentes Thema ist, zeigt ein Blick in aktuelle Debatten, bei der es beispielsweise um Bürokratiehürden für die Wirtschaft geht, die Defizite bei der Digitalisierung im Allgemeinen und der Umsetzung des Online-Zugangsgesetzes im Besonderen, die Unzufriedenheiten in der Bevölkerung und der Lokalpolitik über lange Wartezeiten bei verschiedenen Ämtern oder die mangelnde Arbeitsplatzattraktivität für die Bediensteten im öffentlichen Dienst.

Autor:innen und Herausgeber:innen

Insgesamt 14 Autorinnen und Autoren, einschließlich der Herausgeber, beteiligten sich an dem Sammelband. Alle Mitwirkenden sind Angehörige einer Universität in Deutschland.

Entstehungshintergrund

Anlass des Sammelbandes ist das 75-jährige Jubiläum der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Zu den anlassbezogenen Veranstaltungen zählte auch eine Tagung, aus der der hier vorliegende Band hervorgegangen ist.

Aufbau

Der Sammelband, der 13 Aufsätze beinhaltet, wird gerahmt durch ein kurzes Vorwort sowie ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren. Die jeweils verwendete Literatur ist durchgängig, also einheitlich in Fußnoten nachgewiesen. Für die Aufsätze gibt es keine weitergehende thematische Gliederung in Kapitel o.ä.

Inhalt

Das kurz gefasste Vorwort gibt einen groben Einblick in die Intention des Sammelbandes, insbesondere im Hinblick auf die Frage, wo die besonderen Herausforderungen für das Verwaltungsrecht gesehen werden, die sich von den Veränderungen als Daueraufgabe abheben.

Der erste Aufsatz, verfasst von Veith Mehde, ist unter der Überschrift „Herausforderungen für das Verwaltungsrecht“ als Einführung konzipiert (S. 9 – 22). Die Besonderheit der aktuellen Herausforderungen wird mit der „Verdichtung“ und dem Ausmaß als einzigartig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland begründet. In der Abgrenzung zwischen allgemeinem und besonderem Verwaltungsrecht werden die bekannten Ursachen wie die Geschwindigkeit der Änderungen im Verwaltungsrecht und die zunehmende Komplexität beschrieben.

Im Anschluss widmet sich Thorsten Siegel den „Herausforderungen für das Verwaltungsverfahren“ (S. 23 – 38). Die leitenden Stichwörter lauten: Agilität, Flexibilität und Digitalisierung. Der Autor versteht Agilität im Sinne kreativer Flexibilität und beschreibt Agilität als Steuerungsziel für das Verwaltungsverfahren bzw. in welchen Verfahrensformen Agilität in besonderem Maße vorkommt. Kurz: Darf bzw. soll die Verwaltung agil handeln und kann/möchte sie das auch? Ausgehend von den klassischen Steuerungszielen der Verwaltung werden „moderne“ Steuerungsziele wie die Bürgernähe beschrieben, um in einem nächsten Schritt die Frage nach agilitätshemmenden und agilitätsbegünstigenden Steuerungszielen zu stellen. Im Anschluss daran werden neue Verfahrensformen detaillierter beschrieben, „in denen die Agilität in besonderem Maße zum Ausdruck kommt“ (S. 29). Genannt werden Design Thinking, Nutzerzentrierung, Experimente und das Vergaberecht als möglicher Impulsgeber für agiles Verwaltungshandeln.

„Flexibilisierung der Organisation“ von Ariane Berger ist der Titel des dritten Aufsatzes (S. 39 – 49). Unter Flexibilisierung der Organisation versteht Berger „jede Anpassung der bestehenden Organisations- und Entscheidungsstruktur in der öffentlichen Verwaltung an neue Herausforderungen“ (S. 42). Vor dem Hintergrund der jüngsten Krisen wie die Corona-Pandemie, den Krieg in der Ukraine oder die Zuwanderungssituation ist dies ein omnipräsentes Thema: Die Krise als neue Normalität der Verwaltung. Treffend stellt die Autorin fest, dass es gerade Krisen sind, die verdeutlichen, wie leistungsstark eine Verwaltung ist; zudem bieten Krisen die Möglichkeit, etablierte Strukturen und Prozesse zu analysieren und weiterzuentwickeln. Ehe sich Berger der Flexibilisierung der kommunalen Praxis widmet, steht die Flexibilisierung von Wirtschaft und Politik im Vordergrund. Insbesondere der Blick in die Privatwirtschaft kann wertvolle Erkenntnisse für die Verwaltung liefern. Der Rekurs auf die kommunale Verwaltung erfolgt unter Einbeziehung des Organisationsmodells des Kreises Soest und die Digitalisierungsstrategie der Landkreise in Rheinland-Pfalz. Der abschließende Appell in diesem Aufsatz richtet sich an eine Verstärkung der organisationsübergreifenden Zusammenarbeit, beispielsweise im Zuge interkommunaler Kooperationen.

„Behavioral Administration – Begriff, Nudging, Wirksam Regieren, Standortauswahlgesetz“ lautet der Titel des anschließenden Aufsatzes von Ulrich Smeddinck (S. 51 – 71). Der wenig eingängige Untertitel bezieht sich auf die Klärung des Begriffs der Behavioral Administration, zwei dahingehende Operationalisierungsansätze (Nudging, Wirksames Regieren) sowie die Vorstellung einer Ausprägung der Behavioral Administration am Beispiel des Standortauswahlgesetzes. Nachdem es an einer verbindlichen Definition der Behavioral Administration mangelt es, skizziert der Autor Erklärungsansätze, um sich dem Begriff zu nähern. Kurzgefasst bezieht sich diese Konstruktion auf die Einbeziehung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse in den Behördenalltag, d.h. zielorientierte Verhaltensänderung für Belange der Verwaltung, ohne dass für die Betroffene nennenswert höhere Kosten entstehen. Smeddinck stellt die Bedeutung der Behavioral Administration in den Kontext der von Andreas Reckwitz bezeichneten „Gesellschaft der Singularitäten“ (S. 54), die zunehmend empathisches Handeln der Verwaltung einfordert bzw. generell eine Ausweitung der staatlichen Aufgaben imaginiert, die Aspekte wie Heimat oder Einsamkeit (S. 55) einbezieht. Am Beispiel des Standortauswahlgesetzes, das u.a. das Standortauswahlverfahren für hochradioaktive Abfälle regelt, wird geprüft, „ob zur Behavioral Administration gesetzlich verpflichtet werden sollte“ (S. 59).

Der Beitrag von Annette Guckelberger trägt die Überschrift „E-Government und Verwaltungsverfahrensrecht“ (S. 73 – 94). Die Autorin beschreibt anschaulich die Änderungen im Verwaltungsverfahrensgesetz mit Bezug zum E-Government, wobei letzteres inzwischen durch die recht allgemein gehaltene Formulierung der Digitalisierung der Verwaltung abgelöst wurde. Am Beispiel von Bayern und Schleswig-Holstein werden landesspezifische Digitalisierungsgesetze beschrieben.

Einen bedeutsamen Aspekt der Digitalisierung rückt im Anschluss daran Sönke E. Schulz in den Vordergrund: „Verfahrensrechtliche Relevanz von Cloud-Leistungen“ (S. 95 – 109). In Bezug auf die Bund-Länder-Anstalt FITKO widmet sich der Autor vergaberechtlichen Fragen. Bei der verfahrensrechtlichen Relevanz von Leistungen aus der Cloud bringt Schulz eine bemerkenswerte Überlegung ein und zwar die Frage nach dem Anspruch auf automatisierte und KI-gestützte Verfahren. Ausgangspunkt hierfür bildet der Grundsatz der Nichtförmlichkeit (§ 10 VwVfG) und das in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union normierte Recht auf eine gute Verwaltung (Art. 41). Den Abschluss bilden zwar kurz gefasste, jedoch recht herausfordernde Handlungsaufträge an Gesetzgebung und Verwaltung, wie beispielsweise die Forderung, wonach eine gebündelte Fachexpertise für den KI-Einsatz in der öffentlichen Verwaltung vorgehalten werden muss (S. 108), freilich ohne zu konkretisieren, was mit „der“ öffentlichen Verwaltung konkret gemeint ist.

Die schon mehrfach genannte künstliche Intelligenz ist dann der Schwerpunkt des Aufsatzes von Hannah Ruschemeier: „‘Künstliche Intelligenz‘ in der Verwaltung im Mehrebenensystem“ (S. 111 – 132). Ruschemeier stellt grundlegende Fragen in Bezug auf den Einsatz von KI in der Verwaltung und stellt damit eine anschauliche Einführung in das Thema zur Diskussion. Schwerpunkte bilden die KI bei Ermessensentscheidungen sowie das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip und bei letzterem insbesondere die Transparenz als rechtsstaatliche Anforderung sowie Fragen zur Staatshaftung. Die Ausführungen zur „Verwaltung im Mehrebenensystem“ beinhalten bzgl. der DSGVO das Erfordernis, bei algorithmenbasierten Entscheidungen eine Kontrolle der Entscheidungsqualität abzusichern. Auf unionsrechtlicher Ebene rekurriert die Autorin auf Art. 5 der KI-VO-E (Entwurf eines Gesetzes über Künstliche Intelligenz) und dem dort normierten Verbot der Verwendung biometrischer Echtzeit-Fernidentifizierungssysteme und seiner weit gefassten Öffnungsklausel.

Nach der Künstlichen Intelligenz folgt – aus dramaturgischer Hinsicht gelungen – „Die digitale Verantwortung des Staates“ (S. 133 – 148) von Thomas Wischmeyer. Wichtig ist insbesondere die Bezugnahme auf das Verhältnis zwischen analogen und digitalen Zugangsmöglichkeiten zur Verwaltung. Deutlich wird bei Wischmeyer auch, wie umfassend die Digitalisierungsherausforderungen die Verwaltungen prägen werden – nicht nur in normativer Hinsicht, sondern auch hinsichtlich der aufbau- und ablauforganisatorischen Veränderungen.

Der neunte Aufsatz, verfasst von Sabine Schlacke und Miriam Köster, trägt den Titel „Entwickelt sich ein Klimaschutzverwaltungsrecht“ (S. 149 – 164). Nach vier Beiträgen, die sich der Digitalisierung gewidmet haben, steht somit das besondere Verwaltungsrecht wieder im Vordergrund. Bereits zu Beginn weisen die Autorinnen auf den Unterschied zwischen dem bereits etablierten Klimaschutzrecht und dem von ihnen analysierten Klimaschutzverwaltungsrecht hin. Dabei erklären die Autorinnen, weshalb überhaupt von einem Klimaschutzrecht zu sprechen ist, und weshalb das Klimaschutzverwaltungsrecht erst im Entstehen ist. Letzteres ist insofern bemerkens- bzw. bedenkenswert, als es abermals dem Bundesverfassungsgericht oblag, dem Gesetzgeber und der Exekutive mit der Entscheidung zur intertemporalen Freiheitssicherung den Weg zu weisen.

Ökologischen Herausforderungen widmet sich im Anschluss auch Kai v. Lewinski. „Nachhaltigkeit und Resilienz. Herausforderungen für das Verwaltungsrecht – Wie geht das Verwaltungsrecht mit ökologischen und gesundheitlichen Herausforderungen um?“ (S. 165 – 175). Anders als die bisherigen Beiträge sind die Ausführungen nicht in Aufsatzform, sondern weitestgehend in der Vortragsform abgebildet. Insofern bleiben die Darstellungen plakativ, die sich im Sinne des Bewahrens dem Umgang mit Krisen und Katastrophen widmen. Planung, Vorsorge und Prognosefähigkeit sind die Stichwörter, um die sich die Überlegungen drehen, deren Ausgangspunkt drei Kategorien darstellen, die von Niall Ferguson stammen: graue Nashörner, schwarze Schwäne und Drachenkönige sind Metaphern für vorhersehbare, unvorhersehbare und unbekannte Katastrophen.

„Der Einfluss der Pandemie auf die Handlungsformen des Verwaltungsrechts“ von Tristan Barczak (S. 177 – 201) ist der längste Beitrag in diesem Sammelband. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die „Normalitätsorientierung des Verwaltungsrechts“ (S. 179). Kann das Verwaltungsrecht also auch Krise? Die Frage reduziert sich nicht darauf, ob das Verwaltungsrecht die Krise überstehen kann, sondern in welchem Maße es gelingt, die Krise zu bewältigen. Barczak erläutert drei Phasen der normativen Krisenbewältigung: Allgemeinverfügung, Rechtsverordnung und Gesetz. Im Ergebnis hat sich der zur Verfügung stehende Werkzeugkasten als brauchbar erwiesen, wobei eine Schelte gegen die Rechtsprechung im Fazit nicht ausbleibt. Für ein Krisenverwaltungsrecht sieht der Autor keinen Bedarf.

Mit einem in der Verwaltung noch immer zu wenig diskutierten Thema befasst sich Margrit Seckelmann: „Verwaltungshandeln in sozialen Netzwerken“ (S. 203 – 216). Es geht insbesondere um die Frage, „ob und wie Behörden in sozialen Netzwerken agieren (können)“ (S. 204). Den Schwerpunkt legt die Autorin im digitalen Hausrecht und den Auswirkungen, die digitale öffentliche Räume für die Verwaltung mit sich bringen.

Den Abschluss bildet „Verwaltungshandeln und Verwaltungsrecht vor dem Hintergrund der Veränderung der Lebenswelt“ (S. 217 – 230) von Hermann Hill, dem Co-Herausgeber. Welche Lösungen bieten sich der Verwaltung für Krisen, Katastrophen und Transformationsprozesse? Der Autor weist darauf hin, dass die Verwaltung auf die Turbulenzen der letzten Jahre zu wenig vorbereitet war – auch wenn sich die gefundenen pragmatischen Lösungsansätze durchaus als brauchbar erwiesen haben. Auf die Herausforderungen ist nach Hill mit verschiedenen Ansätzen zu antworten, die sich auf Methoden, Führung, Netzwerkarbeit, Flexibilität und Innovationen beziehen.

Diskussion

Der Beitrag von Smeddinck, der sich hinter einem recht sperrigen Titel versteckt, beinhaltet eine anschauliche Darstellung der Behavioral Administration und stellt diese in einen interdisziplinären Zusammenhang. Im abschließenden Fazit wird auf das im Koalitionsvertrag angekündigte Zentrum für Legistik (Gesetzgebungslehre) hingewiesen sowie auf einen Umsetzungsstand, der auf eine Kleine Anfrage im Deutschen Bundestag aus dem Jahr 2022 Bezug nimmt. Dass die Gründung dieses Zentrums im Jahr 2023 nicht mehr Eingang in den Beitrag fand, ist vermutlich dem Redaktionsschluss geschuldet.

In den Aufsätzen von Annette Guckelberger und Hannah Ruschemeier ist es bestens gelungen, die Herausforderungen für die Verwaltung in grundlegende Einführungen in das jeweilige Thema (E-Government und Verwaltungsverfahrensrecht, Künstliche Intelligenz) einzubetten. Die wichtige Aussage von Ruschemeier, wonach es sich bei der Künstlichen Intelligenz um eine „sozio-technische Entwicklung der kulturellen Mediengesellschaft [handelt], die zwingend auf menschliche Interaktion und Partizipation angewiesen ist“ (S. 131), sollte auf Wiedervorlage gelegt werden.

Thomas Wischmeyer rekurriert – nicht zuletzt unter Hinweis auf die Entwicklungen während der Corona-Pandemie – auf die Zurverfügungstellung von analogen und digitalen Zugängen zur Verwaltung. Nicht nur hier fehlt der Hinweis, dass die analoge Verfügbarkeit und damit physische Präsenz der Bürger:innen bereits aus fiskalischen Gründen unverzichtbar ist. Die Verfügbarkeit von PC, Internet – nicht zuletzt auch die dazugehörigen technischen Kompetenzen – sind auch im Zeitalter der Digitalisierung nicht in allen Teilen der Gesellschaft vorhanden.

Eine besondere Empfehlung verdient der informative und gut lesbare Beitrag von Sabine Schlacke und Miriam Köster. Die Autorinnen beschreiben anschaulich den Unterschied zwischen Klimaschutzrecht und Klimaschutzverwaltungsrecht, der nicht nur ein semantischer ist. Ihr Fazit endet mit einem wichtigen Plädoyer in Bezug auf eine „ureigene Aufgabe der Verwaltungswissenschaft“ (S. 164) – hier: die Entwicklung eines Klimaschutzverwaltungsrechts.

Bei dem Aufsatz von Kai v. Lewinski ist – so die Erklärung in der ersten Fußnote – die Vortragsform weitgehend beibehalten. Konkret besteht der Beitrag aus einer Vielzahl an mehr oder weniger kurzen Absätzen, in denen verschiedene Aspekte der Krisen- und Katastrophenbewältigung angerissen werden. Die recht plakative Darstellung ist jedoch nur bedingt geeignet, die genannten Herausforderungen solide zu analysieren. Mit Blick auf den Kaufpreis von 80 € für dieses Buch wäre eine ausführlichere Aufbereitung des Vortragsinhalts wünschenswert gewesen, zumal es dem Autor in aller Kürze gelingt, Interesse für sein Thema und seine Analyse zu wecken. In Anlehnung an das Kino lässt sich von einem Trailer sprechen, der zum Kinobesuch anregt.

Stärker aus einer akademischen Perspektive erfolgt die Betrachtung von Herrmann Hill im abschließenden Aufsatz. Dem mit Anglizismen gut versorgten Beitrag ist ohne Kenntnis der Referenzquellen schwer zu folgen. Die vorgestellten Ideen beruhen auf einer einleitend bemerkenswerten Analyse, die es wert ist, vollständig wiedergegeben zu werden: „Manche Krisen und Katastrophen der letzten Jahre waren zwar abstrakt vorhersehbar, zeigen aber den Staat häufig unvorbereitet oder wegen der Komplexität seiner Organisation nur begrenzt handlungsfähig. Teilweise, wie etwa bei Klimawandel oder Versorgungssicherheit, zeigen sie auch Versäumnisse in der Vergangenheit oder Abhängigkeiten auf. Das ‚Age of Turbulence‘ stellt den Staat daher zunehmend vor Herausforderungen. Die aktuellen Krisen und Katastrophen haben zwar zu verschiedenen pragmatischen Lösungsansätzen geführt. Dennoch lässt sich grundsätzlich feststellen, dass weder Struktur, Handlungsformen oder Verfahren der Verwaltung und erst recht nicht die Verwaltungskultur bisher auf solche Herausforderungen eingestellt sind?“ (S. 218).

Die nachfolgend beschriebenen Lösungsansätze (bzw. Antworten auf die Herausforderungen) ergeben kein konsistentes Bild und widersprechen sich mitunter. Next practise statt best practise (S. 224) und weder Masterplan noch Regel [sic!] (S. 227) sollen die zielführenden Instrumente sein. Die Rolle der Führungskraft ist mehr „Diener“ als „Chef“. Hill bietet ausreichend kontroverse Ansatzpunkte, um über Antworten auf die Herausforderungen zu diskutieren. Zurecht fordert der Autor „Engagement und die Professionalität der Akteure sowie die Neugier und de[n] Mut, Neues auszuprobieren“; dass damit aber nicht die Lebens- bzw. Berufswirklichkeit in vielen Amtsstuben beschrieben ist, fehlt bei der Analyse. Gerade der Fachkräftemangel in den Kommunalverwaltungen führt dazu, dass nicht mehr umfassend Kompetenzen im Verwaltungsrecht, Verwaltungshandeln und Verwaltungsorganisation vorhanden sind. Dieser Umstand trägt dazu bei, Transformationsprozesse zu erschweren.

Zu sehr wird in dem Sammelband von „der“ Verwaltung gesprochen. Mitunter wird auf das Mehrebenensystem abgestellt, wobei an diesen Stellen auch nicht deutlich wird, dass sich die Verwaltung auf kommunaler Ebene in vielfältiger Weise von der Bundes- und Landesverwaltung unterscheidet – von der EU-Verwaltung nicht zu reden.

Der Sammelband ist im von Duncker & Humblot bekannten blauen Umschlag-Design gestaltet, mit der gewohnt guten Papierqualität und Typografie. Die Schriftgröße hätte zur noch besseren Lesbarkeit geringfügig höher ausfallen können.

Fazit

Der Tagungsband widmet sich nicht nur an eine akademische Leserschaft; auch für Verwaltungspraktiker:innen bietet der Sammelband einen gelungenen Streifzug durch unterschiedliche Herausforderungen für die Verwaltung im Allgemeinen und das Verwaltungsrecht im Besonderen. Nicht selten sind es kleinere Hinweise auf Literatur und Rechtsprechung, die auch für Verwaltungskenner:innen Neuentdeckungen zutage fördern. Bei einem Preis von 79,90 € für 231 Seiten werden die Aufsätze leider eher in den Hochschulbibliotheken anzutreffen sein als in privaten Beständen.

Rezension von
Dr. Karsten Lauber
M.A. (Kriminologie, Kriminalistik, Polizeiwissenschaft), M.A. (Public Administration)
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Es gibt 24 Rezensionen von Karsten Lauber.

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Zitiervorschlag
Karsten Lauber. Rezension vom 20.11.2023 zu: Herrmann Hill, Veith Mehde (Hrsg.): Herausforderungen für das Verwaltungsrecht. Duncker & Humblot GmbH (Berlin) 2023. ISBN 978-3-428-18977-9. Schriftenreihe der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer - 241. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31259.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.


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