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Matthias Hüttemann, Anne Parpan-Blaser (Hrsg.): Innovative soziale Arbeit

Rezensiert von Astrid Konter, 30.01.2024

Cover Matthias Hüttemann, Anne Parpan-Blaser (Hrsg.): Innovative soziale Arbeit ISBN 978-3-17-040452-6

Matthias Hüttemann, Anne Parpan-Blaser (Hrsg.): Innovative soziale Arbeit. Grundlagen, Praxisfelder und Methoden. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2023. 234 Seiten. ISBN 978-3-17-040452-6. 36,00 EUR.

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Thema

Im vorliegenden Band wird der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Hervorbringung und Umsetzung von Innovationen in der Sozialen Arbeit erörtert.

Autor*innen

Matthias Hüttemann ist Professor an der Fachhochschule Düsseldorf mit den Schwerpunkten Gesundheitsbezogene Soziale Arbeit, Innovation im Kontext Sozialer Arbeit sowie die Kooperation von Wissenschaft und Praxis.

Anne Parpan-Blaser ist Professorin an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW (Fachhochschule Nordwestschweiz). Sie befasst sich schwerpunktmäßig ebenfalls mit Innovationen im Kontext Sozialer Arbeit, Partizipation, adressatengerechte Kommunikation und Leichte Sprache.

Beide sind Herausgeber*in dieser Schrift.

Weitere 25 Autor*innen vorwiegend mit wissenschaftlichem Hintergrund aus Deutschland, Schweiz, Österreich und Niederlande tragen aus ihrer aktuellen Forschung zu dieser Veröffentlichung bei.

Entstehungshintergrund

Matthias Hüttemann und Anne Parpan-Blaser befassen sich seit 2008 wissenschaftlich mit der Innovationsthematik. Die Frage, wie das Konzept der Innovation die Entwicklung der Sozialen Arbeit und damit ihren Zielen vorantreiben kann, bewog sie zur Bündelung der unterschiedlichen Stränge zu einem Überblicksband.

Aufbau

Der Band gliedert sich in vier Teile, die insgesamt 16 Artikel umfassen.

Der erste Teil befasst sich mit Grundlegenden Zugängen, Kap. 1–4. Der zweite Teil nimmt Ebenen und Bereiche, Kap. 5–10, in den Blick, womit Akteur*innen, Akteursgruppen und Orte des Hervorbringens von Innovationen im sozialen Bereich gemeint sind. Ein dritter Blickwinkel entsteht über Methoden und Kompetenzen, Kap. 11–15, wobei Handlungsansätze und der Sozialen Arbeit immanente Handlungsweisen betrachtet werden. Im vierten Teil wird die Bestandsaufnahme in einer Zusammenschau und Diskussion, Kap. 16, als Ausblick angelegt.

Inhalt

1. Normativität im Konzept „sozialer Innovation“

Georg Mildenberger und Judith Terstriep (Deutschland) beleuchten die starke Verwobenheit von sozialer Innovation mit Normativität, denn schon ihre Zielrichtung ist normativ. Zudem wird der Begriff in verschiedenen Rollen unterschiedlich stark mit Werten und weiteren inhaltlichen Implikationen und/oder Assoziationen belegt. Konstruktiv ausgestaltet werden kann diese Diversität, indem sie als sich ergänzende Verständnisse aufgefasst werden. Dies stellt eine Herausforderung an die Wissenschaft dar. Die der Sozialen Arbeit innewohnende grundsätzliche Frage nach Theorie und Praxis bildet dabei genau diese Diversität ab. Mildenberger und Terstriep setzen sich dann mit den Definitionen von „Sozialer Innovation“, „Innovation“ und „Sozial“ auseinander, um abschließend einen Vorschlag zum Umgang mit der unvermeidbaren Normativität vorzubringen. Maßstab und Kategorie für Soziale Innovation, die einen Mehrwert im Sinne der Verbesserung sozialer Gerechtigkeit, der Menschenrechte und von gemeinsamer Verantwortung bildet, wäre demnach ihre Umsetzung anhand Kriterien der Nachhaltigkeit.

2. Innovation im Kontext Sozialer Arbeit

Der Beitrag der Herausgeber*innen Matthias Hüttemann und Anne Parpan-Blaser (Deutschland und Schweiz) befasst sich mit dem Konzept der Innovation an sich und nimmt einen forschungsorientierten Blick im Rahmen der Sozialen Arbeit ein. Die Fragen, welche Möglichkeiten dieses Konzept umfasst, welche Bedeutung Plastizität von Innovationen im Verlauf hat, wie Freiräume für Irrtümer und Fehler gestaltet werden müssen, wie nach Überschneidungen von Materialität und sozialer Praxis aussehen und ob die Innovationsforschung selbst innovativ sein sollte, werden diskutiert. Als ethische Grundlage wird der Capability Approach als Ansatz einer grundlegenden Theorie der Gerechtigkeit gewählt mit der Frage „Auf welche Ziele hin werden Innovationen gestaltet?“

Oftmals wird Kritik am Innovationskonzept laut, da es als neoliberale Marktöffnung verstanden wird. Dem widersprechen die Autor*innen, da Angebote der Sozialen Arbeit nicht über ethisch begründete Bedarfe hinausgehen dürfen und Überschneidungen keine neoliberale Agenda begründen.

3. Soziale Innovation – Konturen eines vielfältigen Konzepts unter besonderer Berücksichtigung der Management- und Arbeitsforschung

Jürgen Howaldt und Ralf Kopp (Deutschland) betrachten Soziale Innovationen vor dem Hintergrund zunehmender sozialer Herausforderungen, woraus sich ein neues Innovationsverständnis entwickelt. Es ist gekennzeichnet durch die Öffnung des Innovationsprozesses hin zur Gesellschaft mit ihren Innovationspotenzialen, durch die Abkehr vom am wirtschaftlichen Erfolg ausgerichteten Innovationsverständnis und durch Erweiterung des Gegenstands von Innovationen, der hier nicht mehr nur technisch, sondern auch sozial orientiert ist. Ziele sind Integration und Chancengleichheit. Prinzipiell geht es um die Zukunftsfähigkeit von Gesellschaft.

Zu Forschungsfeldern wie Management- und Organisationsforschung, Arbeits- und Dienstleistungsforschung, Kreativitätsforschung und lokale und regionale Entwicklung kamen die Felder Nachhaltigkeit und Digitalisierung hinzu. Soziale Innovationen werden herangezogen, um herauszufinden, wie Gesellschaft resilient(er) gemacht werden kann.

Arbeitsforschung und Soziale Innovationen haben traditionell eine enge Verknüpfung mit effektiven Ergebnissen. Weiterhin weisen die Autoren den soziotechnischen Ansatz als grundlegend für den digitalen Transformationsprozess. Die veränderte Rolle der Unternehmen mit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung unter Zuhilfenahme des open innovation-Konzepts wird festgestellt. Soziale Innovationen gehören inzwischen zu den selbstverständlich genutzten Konzepten.

4. Innovation als Wiederholung, Überraschung und Kontinuität: Eine historische Perspektive

Anhand der historischen Perspektive zeigen Gisela Hauss und Markus Bossert (Schweiz) auf, wie sich ein differenzierter Blick auf ein umfassenderes Verständnis von Innovation auswirkt:

  • Die Geschichte der Sozialen Arbeit sei an sich schon von Beginn an eine Geschichte der Veränderung.
  • Soziale Arbeit brauche notwendig für ihre Entwicklung Wiederholung, Überraschung und Kontinuität. Innovation habe insofern verschiedene Ausformungen, die nicht immer spektakulär sind.
  • Innovationen stünden immer in einem zeitlichen Kontext und müssten auch vor dieser Folie verstanden werden.
  • Werte, aufgrund derer Innovationen als solche verstanden werden, würden durch die Akteure und ggfs. ihre Netzwerke vertreten. Sie könnten rückblickend eingeordnet werden.

Für ihre Überlegungen werden zwei historische Beispiele herangezogen: Die innovativen Schritte bei der Herausbildung von Sozialer Arbeit als Profession von den Anfängen an und ein Projekt Seitenwechsel, das aufgrund des Konjunktureinbruchs als Freiwilligeninitiative ins Leben gerufen wurde.

5. Sozialarbeitende als Policy Entrepreneurs

Konstantin Kehl und Tobias Kindler (Schweiz) zeigen anhand zweier Beispiele von Policy Entrepreneurs die Bedingungen und die notwendigen persönlichen Eigenschaften der Akteur*innen auf, die zum Gelingen eines Vorhabens beitragen. Sie analysieren die verwobenen Prozesse anhand der Phasen des Policy Cycle sowie, tiefer gehend, anhand des MSF (Multiple Streams Framework)-Modell, das Gleichzeitigkeiten einer Entwicklung in den Vordergrund stellt. Der Policy Cycle wird mit seinen idealtypischen Phasen Problemdefinition, Agenda-Setting-Phase, Politikformulierungsphase, Implementation, Evaluierung, ggfs. Terminierung als nicht flexibel genug für Innovationen in sozialen Prozessen verstanden. Das MSF-Modell erscheint aufgrund seiner flexibleren und umfassenden Analysemöglichkeiten realistischer.

Vorgestellt werden die Beispiele von Simone Boll und die Betreuungs- und Unterbringungssituation von unbegleiteten Minderjährigen im Kanton Graubünden sowie Michael Herzig und der Zürcher Strichplatz mit der Untersuchung ihrer Strategien, ihren Arbeitsbedingungen, ihres außergewöhnlichen Engagements und ihren persönlichen Skills.

6. Innovationen durch Sozialunternehmertum

Katrin Schneiders (Deutschland) geht der Frage nach, inwieweit Innovationen in der Sozialen Arbeit mit dem Unternehmertum aus betriebswirtschaftlicher Perspektive vergleichbar sind. Sie beschreibt die Unterscheidungen und die Überlappungen beider Bereiche. Die Hybridisierung erkennt sie als Feld innerhalb des sozialen Dienstleistungssektors mit Potenzial für Innovationen. Nach einer Bestandsaufnahme der unternehmerischen Erscheinungsformen wie Social Entrepreneurship und den etablierten Organisationen schließen sich unternehmerische Aspekte in Organisationen des sozialen Dienstleistungssektors an. Insgesamt ist eine geringe Bereitschaft zur Unternehmensgründung im sozialen Bereich feststellbar. Innovationen können aber auch in etablierten Unternehmen wahrgenommen werden, indem sie neue Kombinationen von Produktionsmitteln, neue Dienstleistungen oder neue Produktionsmethoden entwickeln. Zu den Innovationen gehört auch, neue Zielgruppen anzusprechen, Neuorganisation vorzunehmen oder neue Kombinationen verschiedener Handlungsstile bzw. Steuerungsinstitutionen zu finden.

Sozialunternehmertum im Dritten Sektor bedeutet, mit der Kombination der unterschiedlichen Mechanismen von Markt, Staat und Gemeinschaft umzugehen.

Die Frage, wie Sozialunternehmertum in der Sozialen Arbeit gefördert werden kann angesichts der Schwelle eines hohen Regulierungs- und Bürokratisierungsgrads mit der damit verbundenen Abhängigkeit von Kostenträgern der öffentlichen Hand, stellt Schneiders eine Reihe von Möglichkeiten entgegen. Dazu gehören beispielsweise die Implementierung von Sozialmanagement in Masterprogramme (und früher), die Interdisziplinäre Zusammenarbeit von Sozialer Arbeit und Betriebswirtschaft und die Einbeziehung von Innovation Labs.

Schneiders Fazit lautet, dass Sozialunternehmertum auch in etablierten Organisationen möglich ist. Die Chance für Innovationen entsteht durch die Öffnung gegenüber den Kombinationen der unterschiedlichen Steuerungsinstitutionen und ihrer expliziten Nutzung.

7. Innovationen und Innovationsmanagement in organisationalen Kontexten

Johannes Eurich und Andreas Schröer (Deutschland) untersuchen Strukturen, Prozesse und Praxis von Innovationen in, von und zwischen Organisationen. Aktuelle Ansätze von Innovation und Innovationsmanagement werden vor dem Hintergrund ihrer Bedeutung für die Soziale Arbeit dargestellt. Dazu gehört die Reflexion der Bezogenheit und Abgrenzung der Veränderungsphänomene organisationalen Lernens und Innovationen, die beide für die Soziale Arbeit innerhalb der Organisationen erfolgversprechende Strategien sind.

Innovationen durch Organisationen als Hervorbringung von Neuem stellen eine besondere Herausforderung dar, denn Strukturen sind auf Stabilität ausgelegt und müssen bei Innovationen Unstrukturiertes implementieren. Nutzbringend ist die Einbeziehung kreativer Prozesse.

Innovationen zwischen Organisationen nutzen den gegenseitigen Austausch und beziehen die Kompetenzen anderer ein (Open Innovation). Dazu müssen Innovationsnetzwerke und Schnittstellen der Kommunikation geschaffen werden.

Für den erfolgreichen Wissensaustausch ist gerade bei wenig kontrollierbaren Prozessen Vertrauen, Selbstverpflichtung und Managing Diversity wichtig.

Das Social-Open-Innovation Modell birgt die Entwicklung des Sozialen Wandels in sich.

Im Ergebnis stellen die Autoren fest, dass für das Spannungsfeld von gleichzeitig vorhandenen stabilen und turbulenten Bedingungen die Konzepte von Ambidextrious Management (Nutzen des Bestehenden und Öffnen für Neues) und Open Innovation (Öffnen für organisationsexternes Wissen) angemessen sind.

8. Partizipative Ansätze bei der Entwicklung von Schutzkonzepten in der Kinder- und Jugendhilfe

Das Prozesshafte einer Innovation beschreibt Mechthild Wolf (Deutschland) anhand der sukzessiven Implementierung eines partizipativen Ansatzes für Schutzkonzepte innerhalb einer Organisation. Eine neue, in diesem Fall eine machtsensible Haltung zu erwirken, kann nicht per Verordnung durch Konzepte gelingen. Alle Akteur*innen müssen Beteiligte sowie alle Betroffenen partizipativ einbezogen werden. Dazu muss ein Veränderungswille vorhanden sein. Wird eine gemeinsame Einsicht oder Überzeugung, dass das Grundrecht auf Schutz umgesetzt werden soll, hergestellt, kann ein Mitschwingen aller erwartet und mit wenig Widerstand gerechnet werden. Im Rahmen dieses Programms wurden zunächst Pilot-Tandems gebildet, die eine Sensibilisierung eingeleitet haben. So konnten immer mehr Beteiligte in die Verantwortung genommen werden bis hin zu Kindern, Jugendlichen und Eltern als Expert*innen ihrer Rechte. Der gesamte Prozess kann als Kontinuum verstanden werden. Die Achtsamkeit für die Rechte muss zudem immer wieder aktualisiert werden. Dabei helfen konkrete Überprüfungsmaßnahmen wie Verhaltenskodices, Beschwerdemöglichkeiten oder das Abfragen des Informationsstands. Die Beteiligten müssen sich selbst als Akteur*innen im Lernprozess erkennen. Ein Steuerungsgremium einzusetzen ist sinnvoll. Ohne dem Prozess selbst Zeit und Geld zu widmen, geht es nicht. Die gewünschte Haltungsänderung geschieht, wenn sich eine Organisation aus sich selbst heraus entwickelt.

9. Innovation in und durch Stadtentwicklung und Gemeinwesenarbeit

Welche Rolle Gemeinwesenarbeit (GWA) und Stadtentwicklung für innovative Anstöße einnehmen können, stellt Matthias Drilling (Schweiz) dar. Die GWA selbst war, aus den USA kommend, in den 60er Jahren mit ihrer neuen Perspektive eine Innovation. Drilling prüft drei der historisch aufeinander folgenden Schulen der GWA auf ihr Innovationspotenzial. Eine Richtung ist, unter Berufung auf Murray G. Ross die GWA als 3. Methode neben der Einzelfallhilfe und der Gruppenarbeit aufzufassen. Sie ermöglicht eine starke Autonomie der Beteiligten durch ihre Prozessorientierung und bringt so neuartige Initiativen hervor. Die zweite Schule erkennt GWA als methodenüberschreitendes Arbeitsprinzip (nach Boulet, Krauss und Oelschlägel), aber theoriefundiert als neomarxistische Interpretation. Drilling diskutiert den Nutzen und die Problematik von Theoriebildung in diesem Rahmen im Hinblick auf Innovationen.

Als dritten Weg benennt der Autor die Sozialraumorientierung wie sie Wolfgang Hinte nachdrücklich formuliert hat, verbunden mit einem möglichst konkret gehaltenen Lösungsansatz. Die Verbindung zum Innovationsansatz des Reallabors ist deutlich, sie ist jedoch mit einer weniger aktiven Rolle der Akteur*innen der Sozialen Arbeit ausgestattet.

Innovation entsteht, wenn Wissenschaft und Praxis zusammenarbeiten und Machtgefälle eingeschränkt werden. Grenzziehungen blockieren Innovationen. Die verschiedenen Konzepte von Theorie und Praxis und unterschiedlicher Ansätze sowie Fachgebiete mit unterschiedlichen Professionen als Kontinuum anzuerkennen, verspricht der Innovation eine Wirkkraft zu verleihen.

10. Innovationen im Kontext der Digitalisierung Sozialer Arbeit

Baptiste Egelhaaf (Deutschland) nimmt sich der Frage nach Innovation vor dem Hintergrund der Digitalisierung an. Er konstatiert die oftmals fehlende Erfahrung in der Sozialen Arbeit mit diesen Techniken. Die gegenseitige Durchdringung von Innovationen und Digitalisierung in beide Richtungen sei jedoch gegeben, weshalb letzteres einen bedeutsameren Raum innerhalb der Sozialen Arbeit schon während des Studiums einnehmen sollte. Digitalisierung in der Sozialen Arbeit bezieht sich vorwiegend auf organisationale Abläufe. Sie vernetzt Ebenen und Akteur*innen neu und anders. Daneben kann der Zweig der Mediatisierung erkannt werden, der in der Verknüpfung von Sozialem Wandel und Digitaler Transformation Innovationen hervorbringt, die autonomiestärkend und ungleichheitsabbauend wirken.

Digitalisierung ermöglicht zudem neue Innovationsformate wie Hackathons oder Reallabore. Sie verändert den Kreis der Beteiligten und deren Konstellation sowie die Formen an sich. Digitalisierung erweitert die Diskursfähigkeit und ermöglicht neue Wege, was Voraussetzung für Innovationsprozesse ist. Egelhaaf sieht für die Analyse den reflexiven Innovationsbegriff nach Rammert (2010) als weiterführend an. Hierbei werden die zeitlichen, sachlichen und sozialen Dimensionen der Relationen, die Innovationen ausmachen unterschieden. Zeitlich gibt es ein Vorher und ein Nachher, das Innovation kennzeichnet. Sachlich kann die Digitalisierung nicht Innovation sein, wenn sie bereits an anderer Stelle als Innovation eingeführt wurde. Sozial kann zwischen „normal“ und „abweichend“ unterschieden werden, in dem Sinne, dass Neuerungen als neu kommuniziert, in die Praxis als Neuerung Eingang finden und als neue Ordnung eingeführt werden müssen. Die Ebene des zweistufigen Modells von Rammert, die die Referenzen kategorisiert, nämlich die Kriterien der Durchsetzung und die Kodes der Performanz beziehen sich dann nicht auf die Digitalisierung, wenn Innovation als Durchsetzung vom Mehrwert für Adressat*innen abhängt.

11. Institutionelle Partnerschaften als Gestaltungselement zur Förderung von Innovation in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik

Mit der Frage, wie Partnerschaften Innovationen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik fördern können, befasst sich Anette Scoppetta (Österreich). Sie unterscheidet zwischen Partnerschaften, Koordination und Kooperation. Erstere sind bereits auf EU-Ebene als wirkungsvolles Instrument für nachhaltige Lösungen anerkannt. Kennzeichnend sind gemeinsame Entscheidungsfindungsprozesse, geteilte Verantwortung, Gleichberechtigung der Partner und gemeinsames Eigentum. Grundgedanke ist, dass bestimmte Probleme nicht allein bewältigt werden können. Scoppetta führt zwei Beispiele an, die TEPs (territoriale Beschäftigungspakte) und EQUAL, eine EU-Gemeinschaftsinitiative zur Entwicklung neuer Methoden, Wege und Konzepte gegen Diskriminierung und Ungleichheit am Arbeitsmarkt. Sie arbeitet den Mehrwert, den das Partnerschaftskonzept hervorbringt, als Innovation heraus. Die Partnerschaftsprinzipien sind dabei Repräsentativität, Transparenz, Beteiligung, institutionelle Stärkung, Überprüfung und Bewertung, Austausch und Lernen. Die besondere Notwendigkeit der Partnerschaften ergibt sich aus der Agenda 2030 der UN-Mitgliedsstaaten und dem damit verbundenen Erfordernis der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Transformation. Partnerschaften unterstützen die Neuausrichtung der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitikprogramme und damit den sozialen Wandel.

12. Methoden und Gestaltungsansätze zur Förderung von Innovationen auf der Mikro- und Mesoebene des Sozialwesens

Andreas Schröer und Friederike Schütz (Deutschland) sehen bei der Förderung von Innovationen die Mehrebenenperspektive als relevant an. Methoden der Mikroebene (Individuen und Teams) sind Formen der Beratung und Weiterbildung und Personalentwicklungsmaßnahmen, Teamentwicklung und Großgruppenverfahren. Auf der Mesoebene sind es Verfahren durch Personal- und Organisationsentwicklung, gezielte Innovationsmanagementansätze, Entwicklung von Lern- und Innovationskultur, Schaffung von Innovationsstrukturen und Verfahren der Identifikation neuer Bedarfslagen und sozialraumbezogene Lösungsansätze.

Zu unterscheiden sind interne informelle Ansätze (Entwicklung einer innovativen Organisationskultur) und organisationsübergreifende Strukturen und Prozesse, die über eine Reihe von unterschiedlichen Labor-Konzepten realisiert werden können.

Einen parallelen Ansatz zu organisations- und sozialraumbezogenen Gestaltungsansätzen bildet die Gemeinwesenarbeit durch Vernetzung, Diversität, bedarfsorientiertes Vorgehen, Suche nach umsetzbaren Lösungen, Ressourcenmobilisierung, -nutzung und -entfaltung, Betonung des sozialen Nahraums und der Identifikation von zentralen Akteur*innen des Wandels.

13. Labore für soziale Innovation

Stéphane Rullac, Cécile Catalano und Pascal Maeder (Schweiz) stellen den Grundgedanken des Laborkonzepts vor. Nach Definition und Verortung in der Forschung, werden Labore in der Sozialen Arbeit in den Blick genommen. Sie sind weniger festgelegt, offener, eher hybrid und implementieren eher Partizipation in ihr Vorgehen. Beispiel für ein Labor-Konzept ist das Design Thinking als eine Methode kollektiver Lösungsfindung. Die Autor*innen stellen fest, dass im Vergleich dazu, offenere, anpassungsfähigere Konzepte für die Soziale Arbeit besser geeignet sind, da sie mehr Partizipation zulassen. Dies gilt vor allem dann, wenn es darum geht, vulnerable Gruppen und Personen zu erreichen. Anhand des Hospice Général in Genf wird beispielhaft gezeigt, wie ein solches offenes Labor bereits wirksam sein kann, ohne als Labor im institutionalisierten Sinne zu gelten. Die konstituierenden Elemente eines Labs sind dabei vorhanden: partizipierender Ansatz nach innen und außen, Methodenanwendung, Gestaltung eines ko-kreativen Ortes und innovative Projektinitiierung. Das Hospice Général ist ein Beispiel für die gegenseitige Durchdringung von Theorie und Praxis für soziale Innovation in einem offenen Labor, das zeigt, wie die Dichotomie zwischen Wissenschaft und Forschung auf der einen Seite und Praxis auf der anderen Seite überwunden werden kann.

14. Zu Kooperation von Wissenschaft und Praxis

Die Wissenschaft-Praxis-Thematik wird auch im folgenden Kapitel von Matthias Hüttemann und Peter Sommerfeld (Deutschland und Schweiz) aufgenommen. Sie sehen in der Verknüpfung beider Felder ein noch zu hebendes enormes Potenzial. Die funktionale Differenzierung sei zwar an vielen Stellen sinnvoll, zur Bewältigung von Herausforderungen der Sozialen Arbeit, insbesondere von Innovationen müssen Aufgaben jedoch gemeinsam bewältigt werden. Zur Erläuterung ziehen die Autoren verschiedene Dimensionen heran.

Soziale Dimension: Auf der Makroebene bestehen Kooperationen von Wissenschaft und Praxis in Kommissionen, Expertisen, Gutachten und Beratung. Auf der Mesoebene wird Kooperation stärker genutzt. Es werden fünf Typen von Kooperation benannt: Kooperation zwecks Erkenntnis, zwecks Verfahrensentwicklung, zwecks Weiterentwicklung der Organisation, zwecks Praxisgestaltung und zwecks politscher Entscheidungsfindung, wobei die mittleren drei Kategorien innovationsrelevant sind. Die Mikroebene ist das professionelle Handeln in direkter Praxis. Um Innovationen handelt es sich nur, wenn Neuerungen in der Praxis ankommen. Spontane Neuerungen können auf dieser Ebene noch nicht als Innovation verstanden werden.

  • Inhaltliche Dimension: Innovationen müssen begründet werden und in ihrer Wirksamkeit überprüft werden. Um Technologien zu entwickeln, die Innovationen übertragbar machen, sind wissenschaftliche Erkenntnisse notwendig. Die Legitimation und Durchsetzung einer Neuerung in der Praxis bedarf der theoretischen Fundierung. Hier ist der Wissenschaft-Praxis-Bezug bedeutsam.
  • Zeitliche Dimension: Die Wirksamkeit von Innovationen wird zeitlich in die Phasen Entstehung, Durchführung, Verwendung unterteilt, wobei die Verknüpfung von Theorie und Praxis auch hier bedeutsam ist.

Die Autoren stellen abschließend fest, dass Soziale Arbeit als Forschungsdisziplin inzwischen relevant geworden ist. Die Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse sollte, um überzeugend zu sein, jedoch mehr in die Praxis eingebunden werden. Bezüglich Innovationen ist wünschenswert, dass sie ggfs. auch im Nachhinein evaluiert, beforscht und begründet werden

15. Zu Innovationen in der Sozialen Arbeit befähigen: Vier Masterprogramme im europäischen Vergleich

Daniel Gredig, Mike de Kreek, Heiko Löwenstein, Selma van der Haar und Mariel van Pelt (Niederlande und Deutschland) stellen vier Masterprogramme mit Innovationsschwerpunkt in ihren spezifischen Facetten in Aufbau, Anforderungen und Kompetenz vor.

  • Das Masterstudium Soziale Arbeit an der Hogeschool in Amsterdam, integriert in das Amsterdam Forschungsinstitut für gesellschaftliche Innovation.
  • Das Master-(Teilzeit-)Studium Soziale Arbeit an der HAN University of Applied Sciences in Nijmegen mit dem Ziel, die Praxis Sozialer Arbeit in Richtung weitere Professionalisierung zu entwickeln
  • Das Masterstudium Soziale Arbeit mit Schwerpunkt Innovationsmanagement an der Kath. Hochschule Nordrhein-Westfalen Köln, das generalistisch angelegt, jedoch mit zwei Schwerpunkten in der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe und der Klinischen Sozialen Arbeit ausgestaltet ist.
  • Das Masterstudium Soziale Arbeit mit Schwerpunkt Soziale Innovation an der Fachhochschule in Olten, Nordwestschweiz, eine Art Projektpraktikum, das theorie- und forschungsbasiert unter Realbedingungen in der Praxis Neuerungen erprobt.

Alle vier Studiengänge sollen Studierende befähigen, neue oder nicht berücksichtigte Bedarfe zu erkennen oder Bedarfe zu antizipieren. Der Theorie-Praxis-Abgleich soll befähigen, innovative Konzepte wissensbasiert zu entwerfen und in der Praxis zu erproben.

16. Innovative soziale Arbeit

Matthias Hüttemann und Anne Parpan-Blaser stellen in einer abschließenden Rückschau über den gesamten Band fest, die vorliegende Bestandsaufnahme ermögliche, Innovationskonzepte gezielter in die Praxis zu implementieren. Insbesondere Vernetzung und Zusammenarbeit, die Stärke der Sozialen Arbeit, erwiesen sich als besonders effektiv.

Dabei entstehen Verwandtschaften mit anderen Bereichen wie beispielsweise mit den Zielen der Nachhaltigkeit, wobei die Soziale Arbeit bei ihrer Maßgabe, die selbstbestimmte Lebensführung von benachteiligten Menschen zu unterstützen und ethischen Gesichtspunkten treu zu bleiben, als wichtigste im Vordergrund bleiben soll.

Organisationen spielen zunehmend eine Rolle bei der Gestaltung des Sozialen Wandels. Dass dabei das Zusammenspiel aller Beteiligter konstruktiver zu Innovationsprozessen beiträgt als eine Vereinzelung („Silodenken“), sollte sich in der Praxis durchsetzen.

Diskussion

Der Band dokumentiert in unterschiedlichen Facetten den Stand der Wissenschaft zur Innovation in der Sozialen Arbeit. In den Blick genommen wird der deutschsprachige Raum der DACH-Länder Deutschland, Österreich und Schweiz, im Kapitel zu den Masterstudiengängen Soziale Innovation auch die Niederlande. Damit ist eine erweiterte, länderübergreifende Schau ermöglicht.

Der Titel formuliert es als Ergebnis: „Innovative Soziale Arbeit“ bedeutet, Soziale Arbeit und Innovation gehören zusammen. Soziale Arbeit hat als Innovation begonnen und entwickelt sich unter sich permanent verändernden Bedingungen durch innovative Ideen, Praxis, Organisation und innovativ handelnde Akteur*innen. In den Beiträgen wird beschrieben warum und auf welche Weise dies geschieht. Das spezifisch Innovative der Sozialen Arbeit wird herausgearbeitet. Dabei werden die verschiedenen Kategorien der Produkt-, der Prozess- und der Konzeptebene ebenso untersucht wie die unterschiedlichen Entstehungsarten (geschlossen oder offen). Was dabei besonders hervorsticht ist die Gründlichkeit und Genauigkeit des aufgefächerten Bildes von Innovation in der Sozialen Arbeit sowie ihrer Begründung. Dies verleiht den Texten eine Eindringlichkeit, die überzeugend sein möchte. Allerdings entsteht oftmals ein hoher Grad an Abstraktheit. Die Aussagen mit mehr konkreten Beispielen zu füttern, würde die Lesbarkeit und die Verständlichkeit erleichtern.

Nachhaltige Erfindung und Entwicklung als Innovation zu verstehen, gilt für jeden Bereich, meist für den technischen, und ist insofern nicht neu. Soziale Arbeit unter diesem Aspekt zu verstehen, macht erst einmal der sozialwirtschaftlichen Schwerpunktbildung verdächtig: Eine Ausrichtung, die unter Praktiker*innen nicht sehr beliebt ist. Jedoch gelingt es den Autor*innen, gerade das für die Soziale Arbeit Spezifische zu erschließen und das sind trotz aller Abhängigkeiten nicht die wirtschaftlichen Aspekte. Die kreativen/​ko-kreativen, kommunikativen und vernetzenden Wege und Methoden führen zu echten Neuerungen. Sie öffnen das Verständnis für den vorhandenen und noch möglichen Handlungsreichtum innerhalb der Sozialen Arbeit. Dies wird in den meisten Beiträgen als Forschungsergebnis dargestellt. Das wirkt sehr anregend, vor allem angesichts der derzeitigen hohen Belastungen durch Finanzierungsprobleme und Personalmangel, die den Blick auf Potenziale verengen können.

Die Stärken der notwendigen Skills von Sozialarbeitenden erweisen sich auch und gerade in Innovationsprozessen als relevant: Flexibilität, Kommunikationsfähigkeit, Vernetzung, Gespür für Timing, Kompromissbereitschaft, Umgang mit Unvorhergesehenem und mit flexiblen Prozessen sowie Vertrauen in offene Prozesse.

Das Thema der notwendigen Reziprozität von Theorie und Praxis zieht sich ebenfalls durch den Band. Es bleibt der reizvollste Teil der Sozialen Arbeit, der durch permanente Entwicklung Innovationen hervorbringt.

Auch wird deutlich, wozu wir innovative soziale Konzepte überhaupt brauchen. Für die Adressat*innen soll es um mehr Partizipation, weniger Ungleichheit, Abbau von Diskriminierung und um die Ermöglichung des „guten Lebens“ gehen. Dies steht im Vordergrund, nicht der wirtschaftliche Aspekt des Innovationsbegriffs.

Ein weiterer Aspekt wäre in diesem Zusammenhang zu ergänzen, nämlich, dass Sozialarbeitende, indem sie gezielt innovativ ausgerichtet sind, nicht mehr nur reaktiv handeln, nicht mehr hauptsächlich Feuerwehr sind, sondern dass sie sich als gestaltende Akteur*innen verstehen können.

Der Band soll auch als Bestandsaufnahme der Innovation (nicht des Innovativen) verstanden werden, in dem Sinne, dass Soziale Arbeit als Dienstleistung zunehmend in unternehmerische Strukturen eingebettet wird. Dafür werden auch einige Praxisbeispiele herangezogen. Wer jedoch das Buch mit der Erwartung liest, neue Ideen oder eine Liste von best-practice-Beispielen für seine praktische Arbeit zu bekommen, wird enttäuscht. Stattdessen zeigen die Reflexionen, welche Wege für die eigene Arbeit bedeutsam und realistisch umsetzbar sein können.

Fazit

Die vorliegende Schrift liefert wissenschaftliche Begründungen für förderliche Methoden und Kompetenzen bei der Suche nach innovativen Lösungen für Soziale Organisationen, die neue, vielleicht ungewöhnliche Wege zu Problemlösungen gehen wollen und solide wissenschaftliche Ergebnisse für ihre Plausibilität benötigen. Aufgrund des wissenschaftlichen sprachlichen Duktus richtet sie sich vorwiegend an Wissenschaft und Studium.

Rezension von
Astrid Konter
Dipl.-Sozialarbeiterin (FH)
Musikwissenschaft, Pädagogik und Psychologie (M.A.)
Seminare in professionsbezogener Selbstreflexion und prekäre Lebenslagen
Traumaberaterin
TZI-Coach (Themenzentrierte Interaktion)
Langjährig tätig in der sozialen Arbeit mit Menschen in prekären Lebenslagen
Leiterin einer Einrichtung für Menschen mit seelischer Behinderung
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Es gibt 3 Rezensionen von Astrid Konter.

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ISSN 2190-9245