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Gert Dressel, Marina Kojer: Palliative Geriatrie ist für mich Lebenssinn geworden

Rezensiert von Prof. Dr. habil. Gisela Thiele, 28.08.2024

Cover Gert Dressel, Marina Kojer: Palliative Geriatrie ist für mich Lebenssinn geworden ISBN 978-3-946527-59-6

Gert Dressel, Marina Kojer: Palliative Geriatrie ist für mich Lebenssinn geworden. Marina Kojer im Gespräch mit Gert Dressel. der hospiz verlag Caro & Cie. oHG (Esslingen) 2024. 244 Seiten. ISBN 978-3-946527-59-6. D: 29,90 EUR, A: 30,80 EUR.

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Thema und Autoren

Passend zum 10-jährigen Bestehen der Fachgesellschaft für Palliative Geriatrie erscheint nun der Jubiläumsband „Palliative Geriatrie ist für mich Lebenssinn geworden“, Marina Kojer im Gespräch mit Gert Dressel.

Marina Kojer ist eine Pionierin der Palliative Geriatrie. Als Leiterin der damals größten Pflegeeinrichtung Europas übernahm sie nicht nur ein großes Pflegeheim, sondern auch viele Menschen kamen in Ihre Obhut, deren Bedürfnisse für sie Lebenssinn wurde. Marina Kojer lässt in diesem Buch ihren beruflichen und vor allem ihren Aufbau der palliativen Geriatrie nochmals Revue passieren. Ein spannendes Leseerlebnis.

Inhalt

Das Buch ist in elf Kapitel unterschiedlicher Länge untergliedert und endet mit einem „Epilog“ und beginnt mit einem „Vorwort“.

Im „Vorwort“ wird ausgeführt, dass Marina Kojer nicht nur die Pionierin der Palliativen Geriatrie in Europa ist, sondern sie ist auch Ehrenvorsitzende der Fachgesellschaft für Palliative Geriatrie.

Kapitel eins „Kommunikation ist die Kernkompetenz der Palliativen Geriatrie. Mit ihr steht und fällt dieses gesamte Konzept. Und damit hats eigentlich angefangen…“ setzt sich zunächst mit den Anfängen der Arbeit von Frau Kojer auseinander, die schon immer eine besondere Zuneigung zu alten Menschen hatte. Kojer beschreibt dann die erbärmlichen Zustände in einem Wiener Pflegeheim, wo viele aus den untersten Schichten der Bevölkerung stammen. Sie versucht dann zu jedem einzelnen Bewohner Kontakt aufzunehmen und sie mit Handschlag zu begrüßen. Sie wollte die alten Menschen besser verstehen und ihre Bedürfnisse zu erkennen. Die meisten wurden schlecht behandelt und so sind sie misstrauisch geworden. Durch die Vorbildfunktion dieser jungen Ärztin Kojer hat sich bald etwas in der Pflege geändert. Sie begann dann damit einige Patientinnen zu mobilisieren. Sie hat auch als Primaria Visite gemacht, aber die unmittelbare Nähe zu den Bewohnern ging verloren. Sie hatte die Möglichkeit gewonnen, mit einem großen interprofessionellen Team erfolgreich nach Wegen zu suchen, multimorbiden, weitgehend hilflosen alten Menschen ein gutes Leben bis zuletzt zu ermöglichen.

Das zweite Kapitel ist mit dem Titel überschrieben „Frühe Erfahrungen einer Pionierin“. In diesem Kapitel erzählt Kojer von der Güte ihrer Großmutter, die sehr geprägt hat. Sie hat ihr Leseinteresse geweckt und das Gefühl, wenn sie an sie denkt, ist eines der Wärme, dr Liebe und des Aufgehoben Seins. Danach hat Kojer Psychologie studiert, danach hat sie einen Arzt geheiratet und Medizin studiert. Danach werden Erlebnisse geschildert, die Kojer in den einzelnen Krankenhäusern gesammelt hat. Sie hat gesehen, wie Menschen, die aufgenommen wurden, in der Folge unglücklich, unverstanden, vereinsamt über Jahre in sich versunken und gleichsam versteinert sind und sich in die innere Emigration begeben haben.

Kapitel drei ist der „Kommunikation mit Menschen mit Demenz“ gewidmet. Es waren furchtbare Zustände in der Abteilung, wo Kojer arbeitete. Sie kamen nicht an die Bewohner ran, wurden, wenn sie kamen, weggeschickt. Deshalb beschloss Kojer für das gesamte Team eine Weiterbildungsmaßnahme der Validation nach Naomi Feil. Das, was Die Bewohner machen, hat für sie immer eine Bedeutung. Wir sind die Dummen, weil wir in der Regel nichts mitbekommen und unsere Realität für die einzig Mögliche und Gültige halten. Die Menschen ziehen sich dann oft in sich zurück, was in der Natur der Erkrankung liegt, aber wird von uns vielfach durch Fehlverhalten beschleunigt und verstärkt. Das lässt sich durch Validation verhindern.

Das nächste, vierte Kapitel ist überschrieben mit „Kommunikation im Team“. Wenn die von Vertrauen und gegenseitige Rücksichtnahme zwischen den Berufsgruppen fehlt, muss die Zusammenarbeit scheitern. In der Mehrzahl der kritischen Situationen in der Geriatrie ist die Hierarchie äußerst hinderlich, wenn es darum geht, eine maßgeschneiderte Entscheidung für einen sehr alten, multimorbiden Menschen zu treffen. Nach zehn Jahren Arbeit im Geriatriezentrum in Wien übernahm Kojer die Leitung der 1. Medizinischen Abteilung, die später die Abteilung der Palliativmedizinischen Geriatrie werden sollte. Jetzt konnte Kojer ihre Vorstellung von Kommunikation im Team und Leitungstätigkeit durchsetzen.

Kapitel fünf ist der „Kommunikation mit Angehörigen“ gewidmet. Erst mit der palliativen Idee hielt Begleitungsgedanke Einzug. Stark zugenommen hat die Zahl der Angehörigen aber erst, als diese sich Stationen ausreiche und wohl und zu Hause fühlten und sich sicher sein konnten, dass sie in dieser schwierigen Zeit nicht allein gelassen, sondern von allen Teammitgliedern unterstützt werden.

Im sechsten Kapitel „Schmerztherapie und Multidimensionale Fürsorge“ setzt sich Kojer damit auseinander, wie Schmerzen beizukommen ist. Eine gute Kommunikation im Team und eine sorgfältige Dokumentation sorgen dafür, dass Beobachtungen verlässlich weitergegeben und die Behandlung rasch und zielgerichtet erfolgen kann. Schmerzerfassung und die Beobachtung des Schmerzverlaufs sind Leistungen des gesamten Teams. Ein starker Schmerz kann das Bewusstsein ganz beherrschen und viel Kraft kosten.

„Professionelle Liebe“ ist der Titel des nächsten Kapitels. Care ist Liebe und die brauchen wir in der Geriatrie. Die Liebe zu einer sehr alten, multimorbiden und gebrechlichen Person ist natürlich etwas ganz anderes als die private Liebe. Es ist eine bedingungslose Zuwendung aus vollem und offenem Herzen, die das Versprechen in sich trägt, Nach bestem Wissen für diese Menschen da zu sein und ihm zu helfen.

Kapitel acht heißt „Vom Palliativen, vom Sterben und von der Trauer“. Palliative Geriatrie wendet sich an fortgeschritten multimorbide Hochbetagte mit oder ohne Demenz, die ärztlich, pflegerisch und in ihrem Alltag vermehrt auf Hilfe angewiesen sind. Wenn ich zunehmend geistig, körperlich, seelisch, sozial und spirituell hilflos und bedürftig sein sollte, kann palliative Geriatrie eine unverzichtbare Hilfe sein.

In Kapitel neun „Anerkennung, Freude und ein bitteres Ende“ wird das Problem der Leitungstätigkeit behandelt. Ich arbeitete schrittweise das Konzept des hierarchiefreien Raumes aus und damit einen neuen Stil der Zusammenarbeit. Ich hielt viele Vorträge und über dieses Honorar konnte ich dann Mitarbeiter zur Weiterbildung schicken. In ihrer Abteilung wurde dann ein Buch geschrieben, und zwar von allen Mitarbeitern gemeinsam „Alt, krank und verwirrt“.

Im vorletzten Kapitel heißt das Thema „Als Wanderpredigerin unterwegs“. Nach der Pensionierung von Kojer begann ihre Zeit als Wanderpredigerin, denn es machte ihr viel Spaß und Freude. Sie empfand es als Auftrag und Verpflichtung, eine Art Sprachrohr für die die Ansprüchee betagter, chronisch kranker Menschen zu sein. Die Palliative Geriatrie ist für sie zunehmend Lebenssinn geworden und bis jetzt geblieben. Danach erzählt Kojer die einer oder andere Begebenheit bi diesen vielen Vorträgen.

Es folgt das letzte Kapitel „Eine Hoffnung, die bleibt. Epilog“. Herr Dressel bedankt sich für das Gespräch mit Frau Kofler, die zum Schluss noch anfügt: „Alles, was man einmal in die Welt hineingeschafft hat, ist zumindest schon einmal da, ist in der Welt. Und wenn es im Moment auch düster ausschaut, kann es sein, wie wichtig es ist, für uns wäre, bis zuletzt als wertvolles Mitglied der Gesellschaft wahrgenommen zu werden.“

Diskussion

Es war eine sehr kurzweilige Literatur, weil sie interessant und spannend erzählt wurde. Man merkt noch immer die Lebendigkeit, die Frau Kojer eigen ist, die sie ausstrahlt. Es sind sehr ernst zu nehmende Worte, die die Situation in den Pflegeheimen widerspiegeln. Oftmals sind es nur kleine Veränderungen, die Großes bewegen können. Sich Zeit nehmen für die alten, mulitmorbide Menschen, sich an das Bett setzen und reden, doch dafür fehlt vielerorts heute die Zeit. Es könnte überall in den Heimen freundlich sein, wenn alle so eine Grundhaltung einnehmen könnten, wie sie Frau Kojer vorgelebt hat.

Fazit

Es ist wirklich eine spannende Lektüre, die allen, die in der Geriatrie tätig sind, ein Handwerkszeug geben können, wie man an die alten gebrechlichen Menschen herankommt und ihnen in der letzten Lebensphase noch zeigen kann, dass sie wertvolle Mitglieder der Gesellschaft sind.

Rezension von
Prof. Dr. habil. Gisela Thiele
Hochschule Zittau/Görlitz (FH)
Berufungsgebiete Soziologie, Empirische Sozialforschung und Gerontologie
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Es gibt 200 Rezensionen von Gisela Thiele.

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Zitiervorschlag
Gisela Thiele. Rezension vom 28.08.2024 zu: Gert Dressel, Marina Kojer: Palliative Geriatrie ist für mich Lebenssinn geworden. Marina Kojer im Gespräch mit Gert Dressel. der hospiz verlag Caro & Cie. oHG (Esslingen) 2024. ISBN 978-3-946527-59-6. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31270.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.


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