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Melinda Hohman: Motivierende Gesprächsführung in der Praxis Sozialer Arbeit

Rezensiert von Prof. Dr. phil. habil. Johannes Jungbauer, 15.01.2025

Cover Melinda Hohman: Motivierende Gesprächsführung in der Praxis Sozialer Arbeit ISBN 978-3-7841-3597-7

Melinda Hohman: Motivierende Gesprächsführung in der Praxis Sozialer Arbeit. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2024. 330 Seiten. ISBN 978-3-7841-3597-7. D: 39,00 EUR, A: 40,10 EUR.

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Thema

Die Motivierende Gesprächsführung (Motivational Interviewing, MI) ist ein Beratungsansatz, der in den 1990er Jahren von William Miller und Stephen Rollnick im Kontext der Suchtkrankenhilfe entwickelt wurde. Miller und Rollnick definierten MI als einen klientenzentrierten und zugleich direktiven Beratungsansatz, mit dem Ziel, intrinsische Motivation zu einer Verhaltensänderung aufzubauen. Schon bald zeigte sich, dass MI auch in vielen anderen Praxisfeldern effektiv einsetzbar ist, in denen Menschen etwas verändern möchten, aber pessimistisch, mutlos oder ambivalent sind. Heute zählt die Motivierende Gesprächsführung zum methodischen Standardrepertoire in vielen helfenden Berufen, z.B. in der Psychologie und Psychotherapie, in der Medizin und in der Sozialen Arbeit

Autorin

Melinda Hohmann ist Sozialarbeiterin (MSW, PhD) und lehrte bis zu ihrer Emeritierung als Professorin an der San Diego State University, u.a. zur Praxis der Sozialen Arbeit, zur Behandlung von Substanzmissbrauch sowie zur Motivierenden Gesprächsführung (MI).

Entstehungshintergrund

Die Autorin ist seit 1999 Mitglied des Motivational Interviewing Network of Trainers (MINT) und bildet in den USA, aber auch international Sozialarbeiter:innen, Mitarbeitende in der Jugendhilfe, Bewährungshilfe und Drogenberatung aus. Der vorliegende Band ist die deutsche Übersetzung der aktualisierten 2. Auflage des 2021 bei Guilford Press erschienenen Buchs „Motivational interviewing in Social Work Practice“.

Aufbau

Der Band umfasst drei größere Abschnitte: Teil I – Einführung (Kapitel 1 und 2), Teil II – Die Komponenten der Motivierenden Gesprächsführung (Kapitel 3 bis 8) und Teil III – Implementierung (Kapitel 9 bis 12). In einem umfangreichen Literaturverzeichnis finden sich zahlreiche internationale Fachpublikationen zur Theorie, zur Praxis und zur Wirksamkeit der Motivierenden Gesprächsführung.

Inhalt

Im ersten Kapitel beschreibt die Autorin das Grundprinzip der Motivierenden Gesprächsführung. Sie arbeitet heraus, dass die Soziale Arbeit eine große Nähe zur Motivierenden Gesprächsführung aufweist und in vielen Tätigkeitsfeldern davon profitieren kann. Sie weist zugleich darauf hin, dass MI eine evidenzbasierte Praxis ist, die den Anspruch erhebt, ihre Wirksamkeit und ihre Wirkprozesse wissenschaftlich valide belegen. Im zweiten Kapitel geht es um die Geschichte und die theoretischen Grundlagen der Motivierenden Gesprächsführung, insbesondere den klientenzentrierten Ansatz von Carl R. Rogers sowie weitere psychologische Theorien und Konzepte (z.B. die kognitive Dissonanztheorie und die Konzepte der Selbstwirksamkeit und der Reaktanz). Ferner werden bereits an dieser Stelle die vier wesentlichen Prozesse der Motivierenden Gesprächsführung vorgestellt: Beziehungsaufbau, Fokussierung, Evokation und Planung.

In den darauffolgenden Kapiteln 3 bis 8 (Teil II) wird ausführlich und anhand von zahlreichen kommentierten Gesprächsausschnitten erläutert, wie diese Prozesse in der Praxis umgesetzt werden können. Im dritten Kapitel wird deutlich, dass der Aufbau einer tragfähigen Beziehung zum Klienten bzw. zur Klientin eine zentrale Voraussetzung für alle weiteren Prozesse der Motivierenden Gesprächsführung ist. Dies wird insbesondere durch reflektierendes Zuhören und weitere Basistechniken (OARS-Techniken) der Motivierenden Gesprächsführung erreicht. Im vierten Kapitel beschreibt die Autorin, wie es gelingen kann, gemeinsam mit dem Klienten bzw. der Klientin einen Veränderungswunsch oder ein Verhaltensziel festzulegen („Fokussierung“). Der Begriff der „Evokation“ wird im fünften Kapitel expliziert. Die Motivierende Gesprächsführung geht bekanntlich davon aus, dass Veränderungsmotivation notwendigerweise intrinsisch sein muss und dass grundsätzlich alle Menschen die Fähigkeit haben, sich zu ändern; die „Kunst“ der Motivierenden Gesprächsführung besteht darin, den Klienten bzw. die Klientin darin zu unterstützen, die eigenen Ressourcen zu entdecken und effektiv zu nutzen. Im sechsten Kapitel wird der für die Motivierende Gesprächsführung wesentliche Begriff der „Dissonanz“ erläutert. Die Autorin führt aus, warum der früher oft genutzte Konzept „Widerstand“ suboptimal ist und sich entsprechende Verhaltensweisen besser durch andere Begriffe beschreiben lassen, insbesondere durch „sustain talk“, „Reaktanz“ und „Dissonanz“. Dass Beratung in aller Regel auch „Informieren“ beinhaltet, wird im siebten Kapitel thematisiert. In der Motivierenden Gesprächsführung wird indes als besonders wichtig erachtet, dass Informationsvermittlung partnerschaftlich und auf Augenhöhe erfolgt und keine Belehrung, Ermahnung oder Überredung beinhaltet. Im achten Kapitel geht es schließlich um die konkrete Planung der angestrebten Veränderung. Dies setzt voraus, dass der Klient bzw. die Klientin bereits eine hinreichende Veränderungsmotivation aufgebaut haben und sich zutrauen, (ggf. mit Unterstützung) die hierfür notwendigen Schritte in Angriff zu nehmen.

In den darauffolgenden Kapiteln 9 bis 12 (Teil III) werden aktuelle Praxiserfahrungen und Konzepte der Motivierenden Gesprächsführung in der Sozialen Arbeit vorgestellt. Das neunte Kapitel enthält Informationen zur praktischen Umsetzung der Motivierenden Gesprächsführung in unterschiedlichen Kontexten, z.B. bei der umfassenden Schulung von über 4.000 Mitarbeitenden in einer großen Einrichtung für Jugendliche mit psychosozialen Störungen und Substanzkonsumstörungen in Schweden. Dabei wird deutlich, dass Motivierende Gesprächsführung im optimalen Fall einen nachhaltigen Kulturwandel in großen sozialen Organisationen initiieren kann. Im zehnten Kapitel werden Bezüge zur Critical Race Theory (CRT) hergestellt, einem ursprünglich aus der Rechtswissenschaft stammenden Ansatz, der entwickelt wurde, um ethnische Ungleichheit und Rassismus in der US-amerikanischen Gesellschaft und Kultur zu untersuchen. Dabei werden einige Implikationen für die Motivierende Gesprächsführung beleuchtet, insbesondere das Konzept der „kulturellen Demut“. Weitere innovative Anwendungsbereiche der Motivierenden Gesprächsführung werden im elften Kapitel vorgestellt, z.B. in der traumasensiblen Pädagogik sowie in der Sozialen Arbeit im Kontext von Klimagerechtigkeit und gesunder Ernährung. Im abschließenden zwölften Kapitel zeigt die Autorin Zukunftsperspektiven im Hinblick auf die Lehre und Ausbildung in Motivierender Gesprächsführung auf. Dabei macht sie deutlich, dass die „Kunst“ der Motivierenden Gesprächsführung – entgegen verbreiteter Erwartungen – keineswegs durch die Lektüre eines guten Buchs oder durch die Teilnahme an einem zweitägigen Workshop erlernt werden kann. Um die für MI erforderlichen beraterischen Kompetenzen zu erwerben, ist vielmehr eine kontinuierliche Praxis notwendig, die Training, Feedback und Coaching über einen längeren Zeitraum umfasst.

Diskussion

Bei dem vorliegenden Band von Melinda Hohmann handelt es sich um ein lesenswertes Fachbuch, in dem sich die langjährige Erfahrung der Autorin im Hinblick auf die Theorie und die Praxis der Motivierenden Gesprächsführung niederschlägt. Da es sich um die Übersetzung eines US-amerikanischen Fachbuchs ins Deutsche handelt, sind einige der dargestellten Sachverhalte nicht eins zu eins auf deutsche Verhältnisse übertragbar; auch im Literaturverzeichnis sind ausschließlich englischsprachige Publikationen aufgeführt. Gleichwohl liest sich das Buch durch den im positiven Sinne „amerikanischen“, d.h. persönlichen und unprätentiösen, zugleich aber präzisen Schreibstil sehr angenehm. Zahlreiche Fallbeispiele, kommentierte Gesprächsausschnitte sowie Stimmen aus der Praxis lockern die Lektüre auf und regen zum Weiterlesen an. Positiv hervorzuheben sind auch die zahlreichen Hinweise auf aktuelle wissenschaftliche Studien und neue Erkenntnisse zur Motivierenden Gesprächsführung – dadurch macht die Autorin den Anspruch einer „evidenzbasierten Praxis“ als besondere Stärke dieses Ansatzes deutlich. Zugleich weist sie immer wieder darauf hin, das Motivierende Gesprächsführung weit mehr ist als eine Technik – sie ist untrennbar mit einer Haltung verbunden, die aufrichtigen Respekt und Mitgefühl für andere Menschen beinhaltet.

Wem kann nun dieses Buch empfohlen werden? Laut Klappentext soll das Buch „Praktiker:innen der Sozialen Arbeit den Einstieg in MI erleichtern und sie dabei unterstützen, ihre eigenen Kompetenzen zu erweitern.“ Prinzipiell ist das Buch sicherlich auch ohne spezielle Vorkenntnisse gut lesbar, doch werden nach meiner Einschätzung vor allem Leserinnen und Leser von der Lektüre profitieren, die die bereits über erste theoretische und praktische Erfahrungen mit MI verfügen. Als idealer „Einstieg“ in die Motivierende Gesprächsführung eignet sich m.E. nach wie vor das Standardwerk von William Miller und Stephen Rollnick, das 2025 in der vierten Auflage auf Deutsch erscheint.

Fazit

Bei dem vorliegenden Band handelt es sich um ein lesenswertes und anregendes Fachbuch, in dem deutlich wird, dass Soziale Arbeit und Motivierende Gesprächsführung „geborene Partner“ sind. Es kann vor allem Studierenden und Fachkräften der Sozialen Arbeit sowie Lehrenden empfohlen werden, die bereits über theoretische und praktische Vorkenntnisse in MI verfügen.

Rezension von
Prof. Dr. phil. habil. Johannes Jungbauer
Diplom-Psychologe; Supervisor (BDP). Professor für Familien- und Entwicklungspsychologie an der Kath. Hochschule NRW in Aachen
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Es gibt 7 Rezensionen von Johannes Jungbauer.

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ISSN 2190-9245