Tobias Knoop, Nadja Scheiblich et al.: Soziale Arbeit in der Rehabilitation
Rezensiert von Dr. Wim Nieuwenboom, 28.04.2025

Tobias Knoop, Nadja Scheiblich, Stephan Dettmers, Thorsten Meyer: Soziale Arbeit in der Rehabilitation. Praxis und Wirkmechanismen Sozialer Arbeit in der medizinischen Rehabilitation.
transcript
(Bielefeld) 2023.
200 Seiten.
ISBN 978-3-8376-6604-5.
D: 39,00 EUR,
A: 39,00 EUR,
CH: 47,60 sFr.
Reihe: Gesundheit, Kommunikation und Gesellschaft - 2.
Thema
Das Buch Soziale Arbeit in der Rehabilitation behandelt die Rolle der Sozialen Arbeit in der medizinischen Rehabilitation. Basierend auf dem Forschungsprojekt SWIMMER („Sozialarbeiterische Wirkmechanismen in der medizinischen Rehabilitation“) werden theoretische Grundlagen, konzeptionelle Ansätze und praxisbezogene Methoden analysiert. Ziel ist einerseits, die verschiedenen Facetten der Praxis und deren Variation zu beschreiben, andererseits ein Wirkmodell der Sozialen Arbeit in diesem Bereich zu entwickeln. Das Buch richtet sich an Sozialarbeiter:innen und Verantwortliche in Reha-Einrichtungen, um ihre Praxis zu reflektieren und aktuelle Arbeitsstrukturen besser zu verstehen. Besondere Schwerpunkte sind Herausforderungen der Sozialarbeiter:innen sowie die Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die Lebensqualität der Rehabilitand:innen in Bezug auf Wohlbefinden, Stressreduktion, Wiedereingliederung und Neuorientierung.
Autor:innen
Tobias Knoop, Nadja Scheiblich, Stephan Dettmers und Thorsten Meyer-Feil sind anerkannte Wissenschaftler:innen im Bereich Sozialer Arbeit und Rehabilitation. Tobias Knoop und Nadja Scheiblich forschen am Institut für Rehabilitationsmedizin der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Prof. Dr. Stephan Dettmers leitete zum Zeitpunkt der Publikation das Institut für Soziale Arbeit und Lebensverlauf der Ostschweizer Fachhochschule St. Gallen. Prof. Dr. Thorsten Meyer ist Direktor des genannten Instituts für Rehabilitationsmedizin sowie Präsident der Deutschen Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften.
Entstehungshintergrund und Forschungsansatz
Das Buch entstand in einer Zeit, in der die Bedeutung der Sozialen Arbeit in der medizinischen Rehabilitation verstärkt in den Fokus rückt. Angesichts demografischer Entwicklungen und gesundheitspolitischer Reformen wird die Rolle der Sozialen Arbeit als unterstützendes Element immer wichtiger. Die Autor:innen greifen aktuelle Entwicklungen auf und setzen diese in den Kontext professioneller Praxis. Das Forschungsdesign umfasst qualitative Methoden: Interviews mit Sozialarbeitenden und Leitungspersonal, protokollierte Beratungsgespräche sowie teilnehmende Beobachtungen in zehn Rehabilitationseinrichtungen. Insgesamt wurden über 140 Stunden beobachtet und Interviews mit 29 Fachkräften sowie 13 Leitungspersonen geführt.
Aufbau
Das Buch gliedert sich in mehrere Hauptkapitel, die die theoretischen Grundlagen, konzeptionellen Modelle und praktischen Anwendungsbereiche der Sozialen Arbeit in der Rehabilitation beleuchten. Nach einer Einführung folgt eine theoretische Einordnung, bevor empirische Untersuchungen und Fallstudien präsentiert werden. Im dritten und vierten Kapitel werden Methodik und Stichprobe vorgestellt. Die Kapitel fünf bis sieben präsentieren die Ergebnisse, darunter das Wirkmodell der Sozialen Arbeit. Das letzte Kapitel zieht Schlussfolgerungen für Wissenschaft und Praxis.
Inhalt
Untersucht wurden sozialarbeiterische Wirkmechanismen in der Rehabilitation. Theoretisch rückgebunden ist die Forschung an theoretische Konzepte wie das Tripelmandat von Silvia Staub-Bernasconi (2019) oder dasfunktionale Gesundheitsmodell, das der ICF zugrunde liegt (DIMDI, 2005). Zur Analyse der Daten wird auf die Grounded Theory nach Glaser und Strauss (2006) sowie die Realist Evaluation nach Pawson & Tilley (1997) zurückgegriffen.
Die Aussagen der Befragten zu Arbeitsformen, Interaktionssettings und Aufgaben werden angemessen durch Zitate gestützt.
Arbeitsformen
In der Studie wurden folgende Aufgabengebiete der Sozialdienste in der Rehabilitation identifiziert, die eng miteinander verknüpft sind und die Grundlage für eine effektive Soziale Arbeit in der Rehabilitation bilden:
- Informationsarbeit: Bereitstellung relevanter Informationen für Rehabilitand:innen.
- Planungsarbeit: Unterstützung bei Rehabilitationsplänen.
- Antragsarbeit: Hilfe bei behördlichen und finanziellen Anträgen.
- Reflexionsarbeit: Beratungsgespräche zur Klärung persönlicher und sozialer Fragen.
- Emotionsarbeit: Unterstützung in psychisch belastenden Situationen.
- Interaktionsarbeit: Kommunikation mit anderen Professionen und externen Akteuren.
Interaktionssettings
Nebst den Arbeitsformen werden in der Studie auch unterschiedliche Interaktionssettings identifiziert, in denen die Sozialarbeitenden agieren. Dies sind namentlich:
- Einzelgespräche mit Rehabilitand:innen.
- Gruppenaustausch zur Förderung gemeinsamer Problemlösungen.
- Interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Ärzt:innen, Therapeut:innen und Pflegepersonal.
- Kommunikation mit externen Akteuren wie Sozialversicherungsträgern oder Arbeitgebern.
Aufgaben
Als wesentliche Aufgaben identifizieren die Autor:innen die soziale Diagnostik, die Entwicklung von Perspektiven, die Entlassplanung und die finanzielle und soziale Sicherung.
Ein Wirkmodell der Sozialen Arbeit
Im entwickelten Wirkmodell werden die Inputfaktoren, darunter Ressourcen und institutionelle Rahmenbedingungen, die Erfolgskriterien als Indikatoren für eine gelungene soziale Rehabilitation und schließlich die Rahmenbedingungen als Faktoren, die den Arbeitsalltag beeinflussen, berücksichtigt. Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass die Präsenz der Sozialdienste in Rehabilitationseinrichtungen von Faktoren wie Einrichtungsgröße, Personalfluktuation und interprofessioneller Zusammenarbeit abhängt. Dabei werden vier Dimensionen von Präsenz unterschieden:
- Personelle Präsenz, wie die Anzahl und Verfügbarkeit der Sozialarbeitenden.
- Organisatorische Präsenz, also die Einbindung der Sozialdienste in die Schritte des Reha-Prozesses
- Kulturelle Präsenz als Integration Sozialer Arbeit in das Gesamtkonzept der Rehabilitation.
- Gedankliche Präsenz, also das Bewusstsein für Soziale Arbeit in der Einrichtung.
Die Studie betont die Notwendigkeit, die Rolle der Sozialdienste in der medizinischen Rehabilitation weiter zu stärken.
Diskussion
Ein Pluspunkt des Buches ist die Verknüpfung von Theorie und Praxis. Die Autor:innen übertragen sozialwissenschaftliche Theorien auf Fallbeispiele und machen die Herausforderungen sowie Potenziale der Sozialen Arbeit greifbar. Besonders wertvoll ist die detaillierte Analyse der Interaktionsprozesse, die oft den Erfolg einer Reha-Maßnahme beeinflussen. Zudem liefert das Werk praxisnahe Schlussfolgerungen für Fachkräfte und gibt Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Praxis. Beispielsweise könnten die oben beschriebenen Dimensionen zur „Präsenz der Sozialdienste“ als Grundlage für die Entwicklung eines Evaluationsinstruments dienen. Zu kritisieren ist unseres Erachtens, dass die theoretischen Abschnitte stellenweise sehr komplex formuliert sind und für Leser:innen ohne sozialwissenschaftlichen Hintergrund eher schwer zugänglich sind. Einige Konzepte, wie die Arbeitsformen, werden sehr detailliert beschrieben, was zwar einerseits die Nachvollziehbarkeit erhöht, aber über das gesamte Buch gesehen zulasten der Diskussion geht, welche vergleichsweise wenig Platz bekommt.. Zudem wäre eine ausführlichere Einführung in die verwendeten theoretischen Modelle hilfreich gewesen. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Arbeitsform des „Fallverstehens“ nicht explizit beschrieben wird, möglicherweise weil sie von den Interviewten nicht als solche benannt wurde. Die Tatsache, dass die Klient:innen selbst nicht befragt wurden, ist eine wichtige Limitation. Allerdings geben die transkribierten Beratungsgespräche wertvolle Hinweise über die Perspektive der Klient:innen.
Fazit
Soziale Arbeit in der Rehabilitation ist ein fundiertes und praxisnahes Werk, das sowohl für Studierende als auch Fachkräfte wertvolle Einblicke bietet. Die gelungene Verbindung von Theorie und Praxis ermöglicht es Leser:innen, die vorgestellten Konzepte auf berufliche Situationen zu übertragen. Für Führungs- und Fachkräfte in der Praxis scheinen uns insbesondere die Ausführungen zu den Präsenzformen der Sozialdienste sehr hilfreich, wenn es um die Analyse der Positionierung der Sozialen Arbeit in der eigenen Organisation geht.
Rezension von
Dr. Wim Nieuwenboom
Fachhochschule Nordwestschweiz
Hochschule für Soziale Arbeit
Institut Soziale Arbeit und Gesundheit
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