Ilka R. Hoffmann-Bisinger: Innere Bilder – Der Schlüssel zur Veränderung
Rezensiert von Dr. phil. Ulrich Kießling, 10.10.2023

Ilka R. Hoffmann-Bisinger: Innere Bilder – Der Schlüssel zur Veränderung (Leben Lernen, Bd. 343). Analoge Systemische Kurztherapie und Coaching.
Klett-Cotta Verlag
(Stuttgart) 2023.
320 Seiten.
ISBN 978-3-608-89317-5.
D: 38,00 EUR,
A: 39,10 EUR.
Reihe: Leben lernen - 343.
Thema
Ilka Hoffmann-Bisinger erweitert das relativ puristische radikalkonstruktivistische Palo-Alto-Modell von Watzlawick und Fisch um eine Arbeitsform mit Imaginationen und öffnet es damit zum Thema des impliziten Beziehungswissens.
Autorin
Ilka Hoffmann-Bisinger ist in Saarbrücken, Kuala Lumpur, Washington DC und Regensburg aufgewachsen. Nach einem Philosophie- und Volkswirtschaft-Studium in Regensburg und Konstanz studierte sie Psychologie in Darmstadt und San Francisco. Dem Diplom folgte 1997 – 1999 ein Forschungsaufenthalt bei Paul Watzlawick und Richard Fischam Brief Therapy Center des Mental Research Institute in Palo Alto, USA. Hoffmann-Bisinger wurde mit Forschungsarbeit zum Thema Systemische Kurzzeittherapie im Fach Psychologie an der Freien Universität Berlin promoviert: Die im Carl Auer Verlag publizierte Forschungsarbeit wurde mit dem Forschungspreis der Systemischen Gesellschaft (2007) ausgezeichnet.
Seit 1991 ist sie therapeutisch und beratend tätig, zunächst schwerpunktmäßig im Bereich „chronischer Schmerz“. Die Autorin wurde zum Research Associate und zur Projektleiterin des Chronic Pain Project am Mental Research Institute in Palo Alto, ernannt; sie ist Gründerin und Leiterin des iska-berlin (Institut für Systemische Kurztherapie, Beratung und Ausbildung) sowie Mitglied des „Seelsorgerteams“ der Illustrierten „Stern“.
Entstehungshintergrund
Ilka Hoffmann-Bisinger hat das Konzept zu ihrer Analogen Kurztherapie 1997–99 in Diskussion mit den Gründungsvätern der Systemischen Therapie Watzlawick und Fisch am Mental Research Institute in Palo Alto entwickelt. In dieser Zeit erhielt sie auch Supervision durch Heinz von Foerster, Professor für Biophysik und langjähriger Direktor des legendären Biological Computer Laboratories in Illinois, eine der Gründungsgestalten des radikalen Konstruktivismus (Kybernetik zweiter Ordnung).
Aufbau/Inhalt
Theorie der Analogen Systemischen Kurztherapie (Ask!-Modell)
Das Palo-Alto-Modell – Veränderungen 2. Ordnung
Veränderungen des praktischen Verhaltens gelingen Psychotherapiepatienten und auch anderen Klienten von Beratung oder Therapie oft nicht, weil solche Veränderungen auf der unmittelbaren Handlungsebene angesiedelt sind, in der Sprache des radikalen Konstruktivismus, Veränderungen 1. Ordnung. Diese fallen oft nach dem Prinzip „Mehr des Gleichen“ aus und verfehlen so ihr Ziel. Erst wenn Veränderungen nach dem Prinzip 2. Ordnung gelebt werden, gelingen sie häufiger. Dieses Prinzip der Musterunterbrechung baut darauf, dass mittels Perspektivenwechsel Geschehen nun anders betrachtet werden kann und sich somit völlig andere Lösungsmöglichkeiten öffnen.
Das Ask!-Modell als eigenständige Form der Systemischen Therapie
Im Ask!-Modell wird digitale Kommunikation vermieden. In der Sprechweise der Systemiker ist damit gemeint, nicht auf deklarative Weise über ein Handeln zu sprechen; vielmehr wird ein inneres Bild aufgerufen (imaginiert), das den Zustand verdeutlicht in dem sich die Klientin „gefangen“ sieht. In der Folge wird – ohne analytisch über das Bild zu sprechen – ein weiteres inneres Bild entwickelt, das den Wunschzustand darstellt. Auf dieser Ebene prozedural, imaginativ, körperbezogen und daher implizit kann ein Lösung hin zu neuem Erleben und Verhalten gefunden werden. In einem weiteren Schritt wird an der Verstetigung der Lösung gearbeitet um eine Nachhaltigkeit zu etablieren.
Praxis der Analogen Systemischen Kurztherapie Ask!-Modell
Anwendungsgebiete des Ask!-Modells
In zahlreichen Fallbeispielen wird nun die Anwendung des Ask!- Modells verdeutlicht. Die Arbeit mit privaten und professionellen Klienten ist anschaulich dargestellt und kann nachvollzogen werden. Es unterbleibt ein Nachweis dafür, dass es Klienten gelingt, ihre neu erworbenen Fähigkeiten auch über längere Zeiträume anzuwenden.
Haltung im Ask!-Modell
Die professionelle Haltung in der systemischen Therapie ist wichtiger als die Anwendung eingeübter Tools, vielleicht vor allem darin unterscheidet sich zumindest in der Theorie systemisches Arbeiten von verhaltenstherapeutischem Vorgehen der dritten Generation. Solche „Haltungen“ sind sehr eng mit den Grundüberzeugungen des radikalen Konstruktivismus verknüpft: So gebe es eben keine Realität, sondern nur verschiedene Perspektiven auf diese. Es wird eine strikte Neutralität geübt, was vor allem in Mehrpersonenkonstellationen wichtig ist und das Problemlösungsverständnis der Klient:innen wird übernommen. Die Wiedereinführung des Unbewussten, das zuvor von Watzlawick und Fisch für irrelevant für Veränderungsprozesse angesehen wurde, betritt nun in Form des Impliziten Wissens wieder die Bühne. Es sei jedoch keine Expertin als reale intersubjektive Partnerin oder gar Deutende erforderlich. Vielmehr würden alle Patienten und Klientinnen allein über die notwendigen Ressourcen und Expertenschaft über ihr eigenes Leben verfügen, weswegen es so wichtig sei auf der Ebene des Impliziten zu bleiben. Erst die Akzeptanz der eigenen Subjektivität schaffe im Therapeuten den Raum, nicht mehr zu meinen man sei als Experte eher in der Lage als Klienten deren Erfahrung zu interpretieren.
Die Phasen des Ask!-Modells – Veränderung in drei Schritten
Die Phasen der Arbeit lassen sich einteilen in eine Systemanalyse zur Verständigung über die Problematik und Auftragsverständigung, eine Phase der Musterunterbrechung und in eine Phase der analogen Verschreibung, die besonders der Etablierung nachhaltiger Lösungen dient.
Varianten des Ask!-Modells mit Beispielen
Innerhalb des Ask! – Modells gibt es eine kompaktere Version, die sich z.B. für Paararbeit besonders gut eignen soll und eine längere Version die etwa für klinische Fragestellungen indiziert ist wenn es darum geht Veränderungen nachhaltiger zu etablieren.
Diskussion
Dass Ilka Hoffmann-Bisinger nicht nur Psychotherapeutin ist sondern auch Coach und Volkswirtin, erkennt man sicher auch daran, dass sie aus einer sehr moderaten Weiterentwicklung der Systemischen Therapie ein eigenständiges Verfahren kreiert und das mit einem Logo ausstattet (bereits während meiner Ausbildung bei Martin Kirschenbaum vor 30 Jahren wurden Analoge Medien eingesetzt die nicht intellektuell hinterfragt werden sollten, sondern einen impliziten Einfluss entfalten).
Die Idee einer sinnlichen Verankerung der sehr intellektuellen Systemischen Kurztherapie nach der Palo-Alto-Methode leuchtet ohne Weiteres ein. In der Vergangenheit hat es schon viele Beiträge dazu gegeben (vor allem im Gefolge von Virginia Satir, Martin Kirschenbaum, Carole Gammer, George Downing), auch ist das Konzept der Visualisierung in allen Coaching- und Moderationsverfahren seit langem gängig. Skulpturen- bzw. systemische Aufstellungsarbeit knüpfen ebenfalls sehr an implizite Erfahrungen an und vermeiden die oft eher als manipulativ empfundenen paradoxen Verschreibungen, Umdeutungen und Hausaufgaben. Leider wird mir an keiner Stelle dieses Buches deutlich, wo das vorgestellte, angeblich neue Verfahren den traditionellen überlegen sei; Wirksamkeitsnachweise unterbleiben. Gleichzeitig werden alle Inhalte in einem schnörkellosem Stil sehr verständlich und spannend lesbar dargestellt.
Auch für Psychoanalyse und Humanistische Therapieverfahren ist das implizite Beziehungswissen der Patienten in den letzten Jahren zunehmend als bedeutsam erkannt worden. Selbst die Verhaltenstherapie bezieht sich immer mehr auf die innere Wahrheit ihrer Patienten, indem sie sich mit buddhistischen Weisheiten auseinandersetzt und Konzepten wie der „Achtsamkeit“ immer größeren Raum gibt. Das Therapiemanual von Ilka Hoffmann-Bisinger ist ein Beitrag, die Systemische Therapie in diesem Sinne weiterzuentwickeln.
Fazit
Ilka R. Hoffmann-Bisinger hat eine Reflexion zum Thema Systemische Therapie und implizites (Beziehungs-) Wissen vorgelegt. Ihre Argumente für die Verknüpfung beider Perspektiven sind glaubwürdig und gut nachvollziehbar.
Literaturverzeichnis
Downing, George (1996): Körper und Wort in der Psychotherapie. München: Köselverlag
Ilka Hoffmann-Bisinger (2007): Changing Perspective – Changing Solutions. Activating Internal Images for Change in Systemic Brief Therapy, Heidelberg: Carl-Auer Verlag
Shirley G. Luthmann/Martin Kirschenbaum (1974): Familiensysteme. Wachstum und Störungen, Einführung in die Familientherapie, Leben lernen Bd. 25, München: Pfeifer
Satir, Virginia (1972/dt. 15. Aufl. 2015) Selbstwert und Kommunikation. Familientherapie für Berater und zur Selbsthilfe, Leben lernen (ohne Zählung), Stuttgart: Klett-Cotta
Watzlawick, Paul mit Janet H. Beavin und Don D. Jackson (1967/dt. 1969): Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien. Bern: Hans Huber Lösungen: Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels
Watzlawick, Paul; John H. Weakland; Richard Fisch (1974): Lösungen: Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels, Bern: Hans Huber
Rezension von
Dr. phil. Ulrich Kießling
Dipl.-Sozialarbeiter/Soziale Therapie, Analytischer Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche, Familientherapeut und Gruppenanalytiker, tätig als niedergelassener Psychotherapeut in Treuenbrietzen (Projekt Jona) und Berlin, Dozent, Supervisor und Selbsterfahrungsleiter bei SIMKI und an der Berliner Akademie für Psychotherapie (BAP) von 2004 bis heute. Psychotherapiegutachter der KVB
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