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Marion Schenk: Das Habitogramm - systemisch, praktisch, gut

Rezensiert von Dr. Franziska Sophie Proskawetz, 30.12.2024

Cover Marion Schenk: Das Habitogramm - systemisch, praktisch, gut ISBN 978-3-525-40014-2

Marion Schenk: Das Habitogramm - systemisch, praktisch, gut. Soziokulturelle Prägungen verstehen, Professionalität stärken. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2023. ISBN 978-3-525-40014-2. D: 39,00 EUR, A: 41,00 EUR.

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Thema und Entstehenshintergrund

Das Habitogramm ist eine von Marion Schenk entwickelte Methode, die habitussensible Beratungs- und Coachingprozesse unterstützt. Diese Methode wird im Buch ausführlich dargestellt und erläutert, mit dem Ziel, typische, überdauernde und potenziell belastende Dispositionen aufzudecken, einen individuellen Zugang zum Gegenüber zu schaffen und gezielte Interventionen sowie passgenaue Fragen zu ermöglichen. Entwickelt in der Praxis für die Praxis, dient das Habitogramm als systematisches Handlungswerkzeug für Praktiker*innen und Fachkräfte der Sozialen Arbeit.

Autorin

Marion Schenk ist seit 2005 als Supervisorin, Fachcoachin, Trainerin und Trauerbegleiterin in der Beratung tätig und führt seit 2009 ihre eigene Praxis. Zu ihren Klient*innen zählen sowohl Privatpersonen und Führungskräfte als auch Gruppen und Teams. Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf der Habitussensibilität in Coaching-Prozessen.

Aufbau und Inhalt

Auf 223 Seiten präsentiert Marion Schenk das von ihr entwickelte Habitogramm, wobei der Schwerpunkt auf der praktischen Anwendung der Methode liegt. Das Buch ist in mehrere Kapitel unterteilt, die jeweils unterschiedliche Themenschwerpunkte behandeln. Im Folgenden werden die Inhalte der einzelnen Kapitel vorgestellt.

Fremde Köche verderben den Brei? Von Diskriminierung bis Integration

Nach einer Einleitung führt Marion Schenk in das zentrale Thema des Buches ein, indem sie die Heterogenität menschlicher Lebensgeschichten und Hintergründe betont. Besonderes Augenmerk legt sie auf Migrationsbewegungen und die damit verbundenen Diversitäts- und Diskriminierungserfahrungen. Dabei bezieht sie sich auf die vier Dimensionen von Diversität nach Gardenswartz & Row (2002), die sie erläutert. Neben Migration aus dem Ausland, widmet Schenk sich auch innerdeutschen Migrationsbewegungen während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie zeigt auf, wie diese u.a. eine innerdeutsche Vielfalt hervorgebracht haben, die sich in unterschiedlichen Denkmustern ost- und westdeutsch geprägter Menschen widerspiegelt. Dies unterstreicht sie mit Blick auf die Relevanz für Personen in beratenden Funktionen.

Des Pudels Kern – der Habitus

In diesem Kapitel widmet sich Marion Schenk ausführlich dem Habituskonzept nach Pierre Bourdieu (z.B. 2012), das alstheoretische Grundlage des Habitogramms dient. Sie erläutert, was unter Habitus zu verstehen ist, wie er entsteht und warum er nur schwer transformiert werden kann. Dabei setzt sie sich auch mit der Kritik am Habituskonzept auseinander, bevor sie auf sogenannte Habitus-Struktur-Konflikte eingeht, die zu Habitusspaltungen oder Habitusirritationen führen können. Zur Veranschaulichung der Entstehung solcher Konflikte nutzt Schenk eine Tabelle mit zahlreichen Beispielsituationen. Diese Konflikte entstehen, wenn vertraute Bedingungen (z.B. Leben in Frieden) auf fremde oder ungewohnte Bedingungen (z.B. Leben im Krieg) treffen und sind oft eng mit gesellschaftlichen Veränderungen verknüpft. Als konkretes Beispiel führt Schenk die Wiedervereinigung an: „Die gesellschaftlichen Veränderungen 1989/1990 in Deutschland können bei manchen Menschen dazu geführt haben, dass sie die neuen Verhältnisse aufgrund ihrer habituellen Überzeugungen nicht mittragen bzw. akzeptieren konnten: Die Veränderungen ab 1989 haben zahlreiche Menschen mit ostdeutschem Habitus irritiert“ (S. 51).

Ich sehe was, was du nicht siehst – Wahrnehmung und Haltung

Schenk beleuchtet Stolperfallen in Beratungsprozessen, die aus unterschiedlichen habituellen Gewohnheiten resultieren können, und macht deutlich, welchen starken Einfluss verschiedene Habitusmuster haben: „Die Literatur weist darauf hin, dass Menschen mit einem bestimmten Habitus auf Personen mit einem anderen bzw. fremden Habitus (Fremdgruppe) unbewusst anders reagieren als auf Menschen aus den eigenen Reihen (Eigengruppe)“ (S. 68). Schon zwischen ost- und westdeutschen Personen können gravierende habituelle Unterschiede bestehen, die sich auf den Beratungsprozess auswirken können. Schenk führt in diesem Zusammenhang den Habitogramm-Baustein Matrix BIFF ein, ein Werkzeug, das dazu dient, kritische Situationen in Beratungsprozessen zu erkennen und gezielt zu entschärfen.

Inside – outside: Das Habitogramm

Dieses Kapitel widmet sich der Methode des Habitogramms, indem Marion Schenk schrittweise – unter anderem anhand von Fallbeispielen – durch die Methode führt. Zunächst erläutert sie die Einsatzgebiete und Ziele des Habitogramms, bevor sie auf dessen Varianten, Anwendungsbereiche sowie Formalia wie Arbeitsmaterialien und unterstützende Hilfsmittel eingeht. Das Habitogramm kann laut Schenk insbesondere dann genutzt werden, „wenn Klient:innen sich unter anderem fragen, weshalb Beziehungen gestört sind, wieso sie bestimmte Ziele nicht erreichen können, warum die Kommunikation nicht gelingt oder Konflikte entstanden sind“ (S. 87). Darüber hinaus betont sie, dass die Arbeit mit dem Habitogramm nicht nur aktuelle Probleme löst, sondern auch langfristige Persönlichkeitsentwicklungen und Habituserweiterungen ermöglicht. Die Methode kann sowohl in einer kompakten Kurzvariante als auch in einer ausführlichen Langvariante angewendet werden.

Die Methode beginnt mit der Betrachtung der gesellschaftlichen Ebene des Coachees. Dabei werden die „Merkmale und Gegebenheiten für den Zeitraum des Heranwachsens des Klienten“ (S. 104) analysiert, einschließlich der Lebensumstände seiner/​ihrer Eltern und Großeltern. Zu diesen Faktoren zählen Geburtsdaten, Nationalitäten, Kulturen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen. In der zweiten Ebene werden die soziale Herkunft und die aktuelle Situation des/der Klient*in untersucht. Hierzu gehören Aspekte wie Bildungsmöglichkeiten, Religionszugehörigkeit, Migrationserfahrungen, soziale Auf- oder Abstiege sowie vorhandene soziale Netzwerke. Die dritte Ebene widmet sich den engen Bezugspersonen, die in der Sozialisation des/der Klient*in eine Rolle gespielt haben. Dabei werden Faktoren wie deren Wohnsituation, Bildungsstand, Einkommen, Umgang mit Geld und Schulden, Berufe, Konflikt- und Kommunikationsmuster analysiert. Diese Ebene liefert oft Hinweise auf mögliche Habitus-Struktur-Konflikte, wie etwa Habitusirritationen oder -spaltungen. Die vierte Ebene fasst die Erkenntnisse aus den ersten drei Ebenen zusammen. Sie umfasst Aspekte wie Konsum- und Lebensstil, Bedürfnisse, Vorlieben und Abneigungen, Grundüberzeugungen, Glaubenssätze, Werte, Kompetenzen sowie kulturelle Interessen. Im vorletzten Schritt werden habituelle Muster identifiziert, die entweder begrenzt oder gefördert werden können. Ziel ist es, Ressourcen zu stärken und Lernfelder zu definieren. Im letzten Schritt werden die Erkenntnisse zusammengeführt, um konkrete Schlussfolgerungen für die weitere Arbeit zu ziehen.

Schenk veranschaulicht jeden Schritt des Habitogramms anhand eines Fallbeispiels, einschließlich der Kurzform der Methode. Im weiteren Verlauf des Kapitels stellt sie den Habitogramm-Baustein Habitus-Blüte vor, ein Werkzeug zur bildlichen Darstellung von Anpassungsleistungen von Klient*innen. Die Habitus-Blüte dient dazu, Habituserweiterungen, aber auch Habitusirritationen und -spaltungen sichtbar zu machen. Auch hier erläutert Schenk die Anwendung anhand eines Fallbeispiels. Abschließend geht sie auf ergänzende Modelle und Schemata ein, die die Arbeit mit dem Habitogramm unterstützen und erweitern können.

Methodentanz an der Basis – weitere Fälle aus der Praxis

Schenk präsentiert eine Reihe kurzer Fallbeispiele, in denen sie das Habitogramm in der Teamentwicklung und der Einzelfallarbeit eingesetzt hat. Die Fallbeispiele thematisieren unter anderem kulturelle Konflikte, Konflikte am Arbeitsplatz, Selbstwertprobleme, Generationenkonflikte und Beziehungskonflikte.

Anlagen

Das Buch schließt mit einem umfangreichen Anhang. Hier sind Fragen aufgeführt, die in den einzelnen Schritten des Habitogramms genutzt werden können, um die Methode praktisch anzuwenden. Außerdem enthält der Anhang ausführliche Erläuterungen zu verschiedenen Milieus sowie weitere hilfreiche Materialien, die ergänzend zum Buch bereitgestellt werden. Diese Materialien können übrigens auch online heruntergeladen werden; ein entsprechender Zugangscode ist im Buch abgedruckt.

Diskussion

Da ich mich aktuell in der Ausbildung zum systemischen Coach befinde und mich auch im Rahmen meiner Forschung intensiv mit dem Habitus beschäftige, erreichte mich das Buch genau zur richtigen Zeit. Sowohl an den theoretischen als auch an den praktischen Teil konnte ich direkt anknüpfen. Das Habituskonzept nach Bourdieu wird zwar nur kurz und nicht umfassend, aber dennoch klar und verständlich dargestellt. Farbliche Abbildungen machen den praktischen Teil des Buches anschaulich, während der umfangreiche Anhang mit einer Fragensammlung hilfreiche Werkzeuge an die Hand gibt. Trotz vieler Praxisbeispiele erfordert die Methode des Habitogramms jedoch eine gewisse Einarbeitungszeit. Das Buch allein reicht dafür möglicherweise nicht aus, da es – trotz der Fallbeispiele – theoretisch bleibt. Ergänzend wäre ein Seminar oder Workshop mit der Autorin sinnvoll, um die Methode praktisch einüben und anwenden zu können.

Fazit

Das Buch „Das Habitogramm“ von Marion Schenk bietet eine Methode der habitussensiblen Beratung und liefert sowohl theoretische Grundlagen als auch praktische Anleitungen für die Anwendung des Habitogramms. Für Fachkräfte in der Beratung stellt das Buch ein hilfreiches Werkzeug dar, das sowohl die Selbstreflexion als auch die Arbeit mit Klient:innen bereichern kann.

Literatur

Bourdieu, P. (2012). Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Gardenwartz, L., Rowe, A. (2002). Diverse teams at work. Capitalizing on the power of diversity. Alexandria, VA: Society for Human Resource Managment.

Rezension von
Dr. Franziska Sophie Proskawetz
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Es gibt 8 Rezensionen von Franziska Sophie Proskawetz.

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Zitiervorschlag
Franziska Sophie Proskawetz. Rezension vom 30.12.2024 zu: Marion Schenk: Das Habitogramm - systemisch, praktisch, gut. Soziokulturelle Prägungen verstehen, Professionalität stärken. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2023. ISBN 978-3-525-40014-2. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31335.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.


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