Mirko Zwack, Julika Zwack et al.: Systemische Teamberatung und Teamsupervision
Rezensiert von Prof. Dr. phil. habil. Nando Belardi, 24.10.2024

Mirko Zwack, Julika Zwack, Frauke Ehlers: Systemische Teamberatung und Teamsupervision. Theorien, Haltungen und Interventionen für die Praxis. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2023. 168 Seiten. ISBN 978-3-525-40011-1. D: 32,00 EUR, A: 33,00 EUR.
Thema
Über dieses Buch schreiben die Autoren zu Anfang: Anliegen ist es, "die Vielschichtigkeit systemischer Teamberatung sichtbar zu machen und Anregungen zur Verfügung zu stellen"... Dabei greifen sie vor allem, wie der Titel schon sagt, auf systemische Theorien zurück (S. 9f.).
Autor:innen
Beide Autoren arbeiten als Psychologische Psychotherapeuten, Supervisoren und Coach in eigener Praxis. Sie lehren am Helm Stierlin Institut in Heidelberg.
Aufbau
Das Buch gliedert sich in zwölf Kapitel. Jedes Kapitel umfasst etwa 4 bis 20 Seiten. Diese haben sowohl theoretische, beratungspraktische und auch rezeptartige Schwerpunkte.
Inhalt
Der Text beginnt theoretisch: "Praktische Organisationstheorie als Orientierungsanker in der Teamberatung und -supervision". Darin werden mit Hilfe von Luhmann und anderen Autoren die Organisationen als Sozialsysteme und Kommmunikationsprozesse verstanden. Dabei spielen vier Aspekte eine Rolle: Personen, Kommunikationswege, Programme und Kultur. Es folgen Beschreibungen der "Phasen der Team- und Organisationsentwicklung": Pionierphase, Differenzierungsphase, Integrationsphase sowie Assoziationsphase. Das hätte ausführlicher sein können. Die Frage, ob die Leitung an der Teamberatung teilnehmen soll wird, anhand von Beispielen erörtert (S. 29f.).
Auf den Seiten 43-46 folgt das kurze Kapitel über "Beratung in Teams". Die Überschrift eines Abschnitts lautet:
"Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Beratung, Supervision und Coaching".
In systemischer Sicht sind Supervision und Coaching Beratungen zweiter Ordnung. Denn Supervisor und Coach arbeiten nicht direkt mit der Klientel. Allerdings ist sich die Fachwelt mehrheitlich einig, dass man den Begriff Coaching für Leitungsberatung reservieren sollte.
Im Buch wird aber keine Differenzierung zwischen Coaching als Leitungsberatung sowie Coaching als Allerweltshilfe vorgenommen. Mehr dazu weiter unten in der Rezension.
Die Verfasser beschreiben Coaching im wie folgt: "Unterstützung zu einer konkreten (Lebens-) Herausforderung, professionell oder privat" (S. 44).
Das dritte Kapitel nennt sich "Ein kleiner Methodenkoffer für die Arbeit mit Teams". Darin befinden sich praktische methodische Hilfsmittel, um Gespräche zu starten oder bestimmte Themen genauer zu untersuchen. Beispielsweise: Murmelgruppen, also Zweier- oder Dreiergruppen, wechselnde Gruppen zum Informationsaustausch, Team- oder Organisationsaufstellungen, Fishbowl (Gruppe beobachtet Gruppe). Ähnliches wurde in den vielen Methodenbücher auch ausführlich und praktisch dargestellt.
Das vierte Kapitel lautet: "Wege zum Ziel - von der Auftragsklärung zum Moderationsdesign" (S. 59-80). Bekanntlich ist eine gründliche Auftragsklärung der erste Schritt zu einer erfolgreichen Beratung. Hilfreich sind dabei vier Kernpunkte: Anlass, Anliegen, Auftrag, Abmachung (S. 61f.). "Eine wesentliche Komponente der Salutogenese ist der sogenannte ´Kohärenzsinn’" (S. 77).
Das nächste Kapitel hat die Überschrift: "Wie werden und bleiben wir ein Team? - vier Kerndimensionen der Zusammenarbeit". Mit Bezug auf Beckhard (1972) unterscheiden die Autoren folgende Aspekte der Teamarbeit: Ziele, Rollen, Prozesse und Werte. In diesem Teil finde ich wieder Beispiele und graphische Darstellungen.
Das Kapitel VI nennen die Verfasser "Die Kommunikationsmuster im Fokus - (Wie) Reden wir miteinander?" (S. 95-104). Wenn man Teams als Kommunikationssysteme sieht (was ich manchmal für zu kurz gedacht halte), dann ist es wichtig, zu untersuchen, wie miteinander gesprochen wird. Dabei ist den Autoren zuzustimmen wenn sie schreiben. "Wir reden selten vom Gleichen, auch wenn wir meinen, vom Selben zu reden" (S. 96). Wenn man Kommunikation kritisch untersucht, stellt man mit den Verfassern fest, dass alle sprechen können, doch sich "aber keiner bezieht" (S. 97) oder keiner wirklich etwas sagt (S. 101).
Kapitel VII: "Restriktionen versus Probleme - vom Umgang mit dem nicht Änderbaren" (S. 105-112). In der Teamberatung kann gelernt werden, zu unterscheiden zwischen Problemen, die lösbar sein können und solchen, die unlösbar sind (Restriktionen). Den Beratungspersonen stehen verschiedene Rollenangebote zur Verfügung: Optimismus, gemeinsam mit dem Team abzustürzen oder fröhliches Relativieren. Auch kann am Beratungsbeginn Vieles verborgen sein, was sich eventuell später in der Kommunikation als Schwierigkeit aber auch für weiterführende Gedanken nützlich erweisen könnte.
Das Kapitel VIII lautet: "Wenn es hoch hergeht oder gar nichts mehr geht - Konflikte in Teams". Bekanntlich sind Konflikte in Teams ein häufiger Anlass, eine externe Beratung aufzusuchen. Folgende Fragen können dabei eine Rolle spielen: Worüber wird gesprochen oder auch nicht? Was muss gelöst werden oder kann ungelöst bleiben? Destruktive Kommunikationsmuster können unterbrochen werden. "Das schwächste Glied bestimmt die Stärke der Kette - Leistungsunterschiede in Teams" (S. 127-134) nennt sich das nächste Kapitel. Mitglieder von Teams unterscheiden sich hinsichtlich Grundausbildung, beruflicher Erfahrung sowie Macht in der Kommunikation.
Das Kapitel X heisst: "´Powered by emotions’ - zum Umgang mit Gefühlen in der Begleitung von Teams". Es gibt einen Unterschied zwischen Gefühlen, die man nur erlebt hat oder jetzt erlebt und solchen, über die auch gesprochen wird. In helfenden Berufen wird das Ausdrücken von Gefühlen meistens positiv bewertet. Doch was ist, wenn diese übermächtig werden?
Im nächsten Kapitel beschäftigen sich die Autoren mit dem Thema "Erschöpfte Teams" (S. 147-153). Wie öfters im Buch wird hier ein Forschungsergebnis, das "Samariter-Experiment", dem Text vorangestellt, um dann ein Thema zu entfalten: Wenn Menschen viel Zeit haben und nicht unter Stress stehen, sind sie eher bereit, einem Hilfsbedüftigen zu helfen (S. 147f.). Wenn man das auf Teams überträgt, kann das bedeuten, dass es darum geht, solidarisch zu sein, um bessere Arbeitsbedingungen herstellen zu können.
Das abschliessend Kapitel XII lautet. "Die Person des Beraters - Teamberatung als persönliche Entwicklungsarena". Darin wird vor allem auf die Biografie von Beraterinnen und Beratern abgezielt.
Diskussion
Gerade in diesem letzten Kapitel fehlen für mich einige Gedanken. Wie ist das Verhältnis von Berufsideologie zur Realität der Menschen in den helfenden Berufen? Wie steht es um deren Kränkbarkeit in der Arbeit mit anderen Menschen? Über Beraterinnen und Berater gibt es seit der Helferdiskussion von Schmidbauer (1977) eine Fülle von Literatur.
Leider sind die Autor:innen nicht auf bekannte Selbstzuschreibungen in den helfenden Berufen eingegangen: Wer es gut meint, handelt richtig. Alleine über die Analyse von Fehlern in der Beratung könnte man Bücher schreiben: Wie kommen Handlungsfehler zustande? Was haben Fehler mit Persönlichkeit, Erfahrungen, Arbeitsweise sowie vorgeblich angewendeter Theorie der Beratungspersonen zu tun?
Ein weiterer Kritikpunkt: Wie schon erwähnt wird sich meiner Meinung nach zu wenig mit der Realität des Coaching auseinandergesetzt. Leider hat sich in der Praxis auch eine Art Allerweltscoaching eingebürgert. Der Begriff Coaching wird inzwischen auch für nahezu jede Form der direkten Unterstützung angewendet. Coach kann man schon für viel Geld an einigen Wochenenden werden. Viele Absolventen müssen sich dann ihre Klientel suchen, um wenigstens die Ausbildungskosten wieder hereinzuholen. Teilweise handelt es sich um unseriöse Kettenbrief- oder Pyramidenysteme. So entsteht oft eine berufliche Situation, in der sich am Teich mehr Angler als Fische im Wasser befinden.
Gut gefallen hat mir das Beispiel auf der Seite 130. In einer Einrichtung konnten nur wenige Pflegekräfte eine Zusatzausbildung nachweisen. Deshalb dürfen nur diese eine schwierige und damit arbeitsaufwändige Patientengruppe im Isolierzimmer betreuen. Weshalb hatten die anderen diese Weiterbildung nicht absolviert? Was bedeutet das für das Arbeitsklima im Team?
Auch in der Teamberatung kennen wir seit Jahrzehnten einen Theorien- und Methodenpluralismus. Dazu ist die im Buch von Zwack/Zwack verwendete Literatur bescheiden. Sie beziehen sich meistens auf Texte aus "der" Systemtheorie, weiteren Organisationstheorien sowie der Psychologie. Leider fehlen konkurrierende Arbeiten über Teamsupervision. Das gilt auch für andere Veröffentlichungen aus den systemischen Richtungen. Hier wären beispielhaft Titel der Kersting-Schule aus dem ibs-Verlag in Aachen zu nennen. Diese sind leserfreundlich.
Im Literaturverzeichnis fehlen mir methodenübergreifende Ansätze. Dazu gehört das schon 1990 publizierte Buch von Rappe-Giesecke. Dieses beruhte auf der Systemtheorie, der Psychoanalyse (Gruppenanalyse, Gruppendynamik) sowie dem Balintgruppenkonzept.
Ich vermisse in der hier besprochenen Arbeit auch etwas aus der empirischen Forschung über Wirkfaktoren in Beratung bzw. Supervision sowie den freiberuflichen Markt von Supervision.
Viele Begriffe im Buch finde ich leserunfreundlich und machtbetont. Man könnte das auch auch in deutscher Sprache darstellen und die Fachausdrücke in Klammer dahinter setzen. Dabei stellte ich mir die Frage, an wen sich das Buch wendet. Zu Beginn ihres Buches äussern sich die Autoren ähnlich: "Wozu noch ein Buch über Teamberatung?" (S. 9). Angesichts vieler Bücher über Teamberatung oder Teamsupervision, auch mit systemischem Schwerpunkt, ist das berechtigt. Aber die selbstgestellte Frage wurde von den Autoren im Buch nicht beantwortet.
Fazit
Wer noch nie etwas von systemischer Teamberatung gehört hatte und diese Sprache mag, kann Gefallen an diesem Buch finden. Vor allem Menschen, die von der Systemtheorie kommen und als Lernende in die Teamberatung einsteigen möchten, kann das Buch weiterhelfen.
Rezension von
Prof. Dr. phil. habil. Nando Belardi
Bergisch Gladbach bei Köln, em. Universitäts-Professor und Lehrstuhlinhaber für Sozialpädagogik an der TU Chemnitz. Tätigkeit als Gastprofessor in Hongkong, Wolgograd, Bozen und Chengdu
Supervisor (DGSv), Psychotherapie (HPG)
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