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Achim Blackstein: Digitale Seelsorge

Rezensiert von Matthias Jacob, 13.02.2024

Cover Achim Blackstein: Digitale Seelsorge ISBN 978-3-525-60018-4

Achim Blackstein: Digitale Seelsorge. Impulse für die Praxis. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2023. 188 Seiten. ISBN 978-3-525-60018-4. D: 23,00 EUR, A: 24,00 EUR.

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Thema

Digitale Medien für seelsorgerische Kontakte zu nutzen ist nicht neu, gewinnen jedoch weiter an Bedeutung. Solche Settings erfuhren seit 2020 durch die Pandemie eine erhöhte Nachfrage und entsprechend wurden vermehrt Angebote generiert. Der Autor geht auf Grundlagen seelsorgerischen/​beraterischen Handelns ein und beleuchtet Besonderheiten verschiedener Kontaktformen und Anlässe. Die Unterschiede zwischen geschriebenem und gesprochenem Wort werden ebenso betrachtet, wie Facetten des menschlichen Verhaltens im digitalen Raum.

Autor

Achim Blackstein ist Theologe und seit 2019 als Landeskirchlicher Beauftragter für Digitale Seelsorge und Beratung in Hannover tätig. Der Autor verfügt über das Spektrum der Seelsorge hinaus über Beratungs- und Coaching-Kompetenz und ist als Kursleiter aktiv. Er wurde 1972 geboren, ist verheiratet und hat mehrere Kinder.

Entstehungshintergrund

Das Buch auf die zeitliche Nähe zur Covid-19-Pandemie zu reduzieren, wäre ein Fehler, denn der Wandel in den Kirchen und die Einzugsgebiete von Seelsorgenden bilden auch in Zukunft einen Handlungsdruck, über größere Distanzen mit Menschen in Kontakt zu bleiben. Eine ergänzende Facette dürfte ressourcenorientiertes Arbeiten sein, bei dem sich ordinierte und ehrenamtliche Menschen entsprechend ihrer jeweiligen Begabungen in größeren Regionen gut ergänzen.

Aufbau

Etwa ein Drittel des Buches steht unter der Überschrift „Zur Haltung in der digitalen Seelsorge“, wobei auch diese Abschnitte stets den Bezug zum Gegenüber der Seelsorge im Blick haben und sich auf das geschriebene Wort konzentrieren. Im dann folgenden Viertel werden die vorrangig als digital verstandenen Kommunikationswege „Videogespräch“ und „Messenger“ beschrieben. Schließlich folgen Hinweise zu besonderen Situationen, zum Datenschutz und auf Arbeitshilfen.

Inhalt

Nach der Einleitung folgt unter der Überschrift „Log-in – eine Annäherung“ die einen Bogen vom Seelsorgebedarf bis zum Nutzungsverhalten digitaler Medien spannt, um dann auch kompatibel zu schriftlichen Kontakten auf die Haltung der Seelsorgerinnen und Seelsorger einzugehen.

Den nächsten größeren Abschnitt kennzeichnet das Video-Setting. Es wird auf Verhalten und Motivation der Menschen eingegangen, die sich für eben dieses Format entscheiden. Daran schließen Aspekte der Nutzung von Messenger-Funktionen an.

Mit Bezug zum Seelsorgebegriff werden besondere Situationen im Kontext digitaler Kommunikation betrachtet und teilweise auch Grenzen dieser Settings aufgezeigt.

Schließlich finden Grundsatzthemen wie Datenschutz und Schweigepflicht auf einigen Seiten Beachtung. Dies geht in verschiedene Fokusbildung über, da sind die Kirchgemeinde neben Klima-Aspekten und Social Media benannt.

Vor einem Ausblick wird noch auf verschiedene Apps und Tools verwiesen, was nach inhaltlichen Praxisbezügen auch manche technischen Facetten in den Blick nimmt.

Diskussion

„Zur Haltung in der digitalen Seelsorge“ changiert der Autor zwischen den Haltungen an der Kommunikation beteiligter Personen. Es finden sich Beispiele für das in Kontakt-Kommen, für hilfreiche Fragestellungen und zur Analyse von Geschriebenen. Der Verweis auf Datenschutzrichtlinien im Erstkontakt wird als selbstverständlich und einfach benannt. Das mag als Thema einfach sein, gleichwohl ist an dieser Stelle die Handlungssicherheit für Seelsorgende im Ehrenamt nicht beachtet, was auch später im Buch etwas vernachlässigt bleibt. Einen guten Raum nehmen immer wieder die schriftbasierte Kommunikation und die damit verbundenen Möglichkeiten ein. Impulse für eigene Fragestellungen werden ebenso praxistauglich integriert, wie A. Brunners „Dimensionen des Lesens“ und verschiedenste Textbeispiele, teilweise mit einfachen Analyseaufgaben für Lesende.

Die als Netiquette überschriebenen „Verhaltensregeln“ zielen auf Toleranz der Hilfesuchenden und zugleich auf Grenzen, was toleriert werden kann. An dieser Stelle finden sich leider keine praktischen Beispiele für Interventionen bei Grenzüberschreitungen im Einzel- und Gruppensetting. Der spontane Umgang mit Sprache im Mündlichen und die vergleichsweise wenig bedächtige Wortwahl im Chat bieten Chancen und so wird (im Rahmen zuvor benannter Regeln) zu Toleranz eingeladen und auch zur Gelassenheit mit Blick auch auf eigene Schreibfehler. Nach einem vom Autor überarbeiteten Arbeitsblatt eines „Integrativen Qualitätssicherungsmodells“ folgen wieder praktische Beispiele. Die Chancen und Nachteile des von E. Ploil entwickelten „14-Schritte-Programms“ werden gut benannt und machen dieses Buch auch für jene Menschen sinnvoll, die am Anfang ihrer Entwicklung von schriftlicher Beratungskompetenz stehen, was ebenso auf den später folgenden Fragekatalog zur Nachbereitung schriftbasierter Prozesse zutrifft. Kurz wird auf Fragetechniken eingegangen, obwohl damit methodisch wesentliche Momente des Prozesses beeinflusst werden. Der unmittelbar folgende Abschnitt „Zwischen den Zeilen lesen“ bleibt mit dem Blick auf die Gefühlsebene hinter den Möglichkeiten zurück, das „Thema hinter dem Thema“ zu erschließen.

Nachdem mehr das geschriebene Wort im Fokus war, folgt der Blick auf das Videogespräch und jüngere Formen der Kommunikation im digitalen Raum. Eine gute Aufzählung der Vor- und Nachteile mündet in Hinweise zu technischen Voraussetzungen, zu Prävention bzw. Verhalten bei Störungen und zur eigenen „Beziehung zur Kamera“. Gerade hier wird gut eine Leichtigkeit im Umgang angeregt, welche Seelsorgende im besten Fall auf Hilfesuchende übertragen können. Sorgfältig ist der Hinweis zur Selbstfürsorge. Gleichwohl wird auch hier am Verweis auf die Abgrenzung von Arbeits- und Privatleben deutlich, dass ehrenamtliche Arbeit phasenweise unterrepräsentiert bleibt. Wie in vorangegangenen Abschnitten werden Reflexionsfragen zur Nachbereitung eines Videogesprächs angeboten. Gerade bei Folgeterminen dürfte hier für die Seelsorgenden mit der Verantwortung für den Rahmen und Prozess eine wertvolle Chance liegen um Korrekturen und Feinjustage im Prozess zu integrieren.

Unter dem Hybrid-Aspekt wird unmittelbar deutlich, dass der Autor den Seelsorgebegriff und den Beratungsbegriff teilweise pseudonym gebraucht. Im Sinne jeglicher Beratung wird, ganz praktisch auf Chancen und Voraussetzungen eingegangen.

Das Thema „Messenger“ wird mit den bekannten praktischen Vorteilen und zugleich datenschutzbezogener Untauglichkeit (EKD) eingeführt. Die kurze Abhandlung wirbt für eine achtsame Nutzung bzgl. eigener Aktionen und zeigt zugleich die Chance der Wahrnehmung von Hilfesuchenden. Es werden Möglichkeiten gezeigt unter minimalistischer Eingabe personenbezogener Aspekte in Kontakt zu kommen oder zu bleiben.

„Besondere Situationen, Krisen, Suizidales“ ist ein Abschnitt überschrieben, in dem Umgangsweisen beschrieben werden, die zumeist in Ausbildungen zu Krisenintervention, Seelsorge u. dgl. etwas mehr Raum einnehmen. Das beschriebene „Zwei-Tassen-Tee-Modell“ für einen angesprochenen Suizid erscheint ebenso praxistauglich, wie auf andere Situationen übertragbar. Fakes und Inszenierungen als Phänomen im digitalen Raum sind bekannt. Als wesentlicher Hinweis wird auch hier Achtsamkeit für Auffälligkeiten benannt, leider ohne einen praktischen Hinweis zu geben, sich aus solcher Situation zu distanzieren oder mit eigenen Wahrnehmungen umzugehen.

Die Grenzen der digitalen Seelsorge werden in vielen Facetten benannt, technische Voraussetzungen, räumliche (rsp. persönliche) Entfernung, ggf. Enthemmung und verbale Grenzüberschreitungen. Dem werden zum Schluss die Chancen in Form von (institutionellen) Leitlinien gegenübergestellt.

Wie oben erwähnt wird noch auf Datenschutz und Schweigepflicht eingegangen. Die Fokusbildung auf die Gemeinde bzw. Social Media schließt mit Fragen, wie: Welche Apps sind verbreitet, wer könnte eine Art „Kümmerer:in“ werden, welche Fortbildungen wären wünschenswert. Fragen wo für mein Lesen vorgenannte Warnungen zum Datenschutz oder das phasenweise vernachlässigte Ehrenamt zum Teil von Antworten werden.

Was mich irritierte ist, ich las ein Buch, dass „Seelsorge“ im Titel hat, gleichwohl der Frage nach Christus als möglichen Tröster/Helfer praktisch kaum Raum gibt. Auch die besondere Form von geistlicher Begleitung bzw. Exerzitien im Alltag, die zunehmend online angeboten werden, finden keine Nennung. Neulich zitierte ein Kollege frei aus einer Fachzeitschrift: „Der Kirche von heute geht neben vielen anderen die Beziehung zu Jesus Christus verloren. Und vielleicht geht ihr genau deswegen auch so vieles andere verloren…“ …daran wurde ich unmittelbar erinnert. Gleichwohl zieht sich durch das ganze Buch ein fachlich hoher Anspruch, um Menschen mit ihrem individuellen Hilfebedarf gut wahrzunehmen und einen dienlichen Rahmen für Beratung und Seelsorge zu gewährleisten.

„Digitale Seelsorge“ ist ein Buch, das gut beschreibt wie zwischenmenschliche Seelsorge mit digitalen Mitteln gelingen kann und warum eben solche Angebote notwendig sind. Die verschiedenen Medien für individuelle Kontakte und Anlässe werden realistisch als Spektrum dargestellt.

Fazit

Grundsätzlich empfehle ich dieses Buch allen aktiven und angehenden, haupt- und ehrenamtlichen Seelsorgenden – weniger als Lehrbuch, sondern gemäß Untertitel als „Impulse für die Praxis“. So gesehen könnten auch Beschäftigte in Beratungsstellen manche Anregungen dankbar aufnehmen. Gern empfehle ich diese Impulse für übergemeindliche Seelsorge, für geistliche Begleitung, aber auch für die soziale Arbeit.

Rezension von
Matthias Jacob
Meditationsleiter (EMB); staatl. geprüfter Betriebswirt; Supervisor (DGSv)
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Es gibt 3 Rezensionen von Matthias Jacob.

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Zitiervorschlag
Matthias Jacob. Rezension vom 13.02.2024 zu: Achim Blackstein: Digitale Seelsorge. Impulse für die Praxis. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2023. ISBN 978-3-525-60018-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31340.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.


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