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Karin Wetschanow, Birgit Huemer et al. (Hrsg.): Neue Perspektiven auf Schreibberatung

Rezensiert von David Kreitz, 19.01.2024

Cover Karin Wetschanow, Birgit Huemer et al. (Hrsg.): Neue Perspektiven auf Schreibberatung ISBN 978-3-205-21714-5

Karin Wetschanow, Birgit Huemer, Eva Kuntschner, Erika Unterpertinger (Hrsg.): Neue Perspektiven auf Schreibberatung. Böhlau Verlag (Wien Köln Weimar) 2023. 20 Seiten. ISBN 978-3-205-21714-5. D: 60,00 EUR, A: 62,00 EUR.
Reihe: Schreibwissenschaft - Band 003.

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Thema

Schreibberatung ist als Angebot an vielen Hochschulen mittlerweile etabliert. Auch die Forschung über und für die Schreibberatung hat im Zuge einer sich dynamisch entwickelnden Schreibwissenschaft zusätzlich Fahrt aufgenommen – man schaue exemplarisch nur auf die Bände der Buchreihen „Theorie und Praxis der Schreibwissenschaft“ bei wbv media und „Schreibwissenschaft“ im Böhlau Verlag. In letzterer erscheint auch der vorliegende Sammelband, dessen Ziel eine Verbindung von theoretischen, abstrakten Reflexionen zur praktischen Schreibberatung ist. Damit knüpft der Band an vielfältige Bemühungen der Professionalisierung von Schreibberatung und -diaktik an. Die Beiträge sind dabei bewusst als Anregungen zu verstehen, weiter über die Themen nachzudenken und zu diskutieren.

Aufbau & Inhalt

Der Sammelband umfasst neun Aufsätze, wobei der erste eine einleitende Funktion hat. Diese Aufsätze werden im Folgenden inhaltlich kurz umrissen:

Erika Unterpertinger, Eva Kuntschner & Karin Wetschanow eröffnen den Band mit dem Beitrag Wie nennen wir eigentlich, was wir tun? Zwischen Schreibberatung, Schreibcoaching und Schreibtraining. Eine Umfrage zur Einleitung. Deutlich wird, dass Schreibberater*innen sich in ihrer Tätigkeit vielfältig positionieren, womit der Beitrag vorhergehende Erkenntnisse aus Umfragen innerhalb der Profession bestätigt. Diese Vielfalt und die wachsende Bedeutung der Schreibberatung als Praxis-, aber auch Forschungsfeld motivierte erst dazu, im vorliegenden Buch neue Perspektiven auf die Schreibberatung zu präsentieren.

Karin Wetschanow untersucht in ihrem Beitrag Wie können wir schreibberatendes Handeln professionell reflektieren? Differenzierungsachsen im Verständnis von Schreibberatung die zunehmende Differenzierung der Schreibberatung und die Spannungen, die durch (teilweise sehr) unterschiedliche Konzepte entstehen. Sie schlägt vor, dass diese „Differenzierungsachsen“ als Orientierung für eine professionelle Reflexion des eigenen Handelns dienen können. Sie entwickelt ein Reflexionsmodell, das als Orientierungsraster für die theoretische Positionierung von Schreibberatung dienen kann.

In ihrem Beitrag Was leistet Nicht-Direktivität? Eine institutionelle Verortung von Schreibberatung an Hochschulen analysiert Doris Pany-Habsa das Prinzip der Nicht-Direktivität in der Schreibberatung an Hochschulen. Dieses Prinzip, das auf dem personenzentrierten Ansatz von Carl Rogers basiert, erlangt laut Pany-Habsa im Kontext der Schreibberatung an Hochschulen einen quasi-axiomatischen Status. Die Autorin reflektiert die Bedeutung und Funktion dieses Prinzips im Zusammenhang mit den institutionellen Rahmenbedingungen an Hochschulen und trägt damit zu einer neuen Perspektive auf die Nicht-Direktivität als Grundprinzip der Schreibberatung bei.

In Augenhöhe gibt es das? Warum auch Peer-to-Peer-Schreibberatung Machtverhältnisse berücksichtigen muss untersuchen Corinna Widhahn, Doris Pokitsch und Eva Kuntschner aus einer machtkritischen Perspektive, ob das Prinzip des „Arbeitens auf Augenhöhe“ in der (Peer-) Schreibberatung gelebt wird. Sie analysieren eine „gescheiterte“ Beratungssituation im Kontext studentischer Peer-Schreibberatung und zeigen, wie Machtverhältnisse die Beratung beeinflussen. Die Autorinnen leiten daraus Prämissen für eine Schreibberatung ab, die Machtverhältnisse aktiv thematisiert, und betonen die Bedeutung dieses Ansatzes für jegliche Form der Schreibberatung.

Bisherige Studien zeigen, dass Schreibberatungen mit Studierenden, die nicht in ihrer Erstsprache schreiben, oft von einem nicht-direktiven und kollaborativen Gesprächsideal abweichen. Birgit Huemer und Irina Rehberger untersuchen in ihrem Beitrag Wie passt sich die Schreibberaterin an den mehrsprachigen Kontext an? die Rolle von Schreibtutorinnen in mehrsprachigen Kontexten. Sie präsentieren Ergebnisse aus einer Untersuchung von Textfeedbackgesprächen an der mehrsprachigen Universität Luxemburg, bei denen eine erfahrene studentische Schreibtutorin mit fünf verschiedenen Studierenden, die Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache sprechen, Gespräche geführt hat. Die Analyse zeigt, dass die Tutorin ihre Beratungsrolle je nach Sprachniveau der Studierenden flexibel gestaltet und sich dabei anpasst. Die Ergebnisse legen nahe, dass sprachsensible Schreibberatungsmodelle in der Ausbildung von Schreibtutor*innen berücksichtigt werden sollten.

In ihrem Beitrag Gemeinsames Sinnstiften? Überlegungen zur Möglichkeit von participatory sense-making in der Schreibberatung zeigen Frano P. Rismondo und Erika Unterpertinger, dass eine Komponente der Schreibberatung oft implizit bleibt und i.E. bisher wenig in den Blick genommen wurde: überfachliche und nicht-direktive Schreibberatung fördert durch ihre Gesprächstechniken die inhaltliche Weiterentwicklung von Themen. Im Text führen sie Konzepte des „felt sense“ und des „participatory sense-making“ ein, um dieser impliziten Komponente der Schreibberatung einen theoretischen Rahmen zu geben und Schreibberater*innen zu ermöglichen, darüber zu sprechen.

Andrea Karsten beschäftigt sich in ihrem Beitrag Wie hängen Schreiben und Identität zusammen? Schreibberatung als Raum für die Thematisierung und Entwicklung eines Dialogical Self mit der Konstruktion und Entwicklung von Identitäten und Selbstpositionen in Schreibprozessen und Texten. Sie stellt verschiedene konzeptuelle Zugänge zu diesen Prozessen vor, um eine integrierte Perspektive von Schreiben und Identität bzw. Schreiben und Selbst anzubieten, in der das Konzept der Vielstimmigkeit und der Adressivität zentral ist. Karsten leitet daraus Implikationen für ein Verständnis von Schreibberatung als Raum für die (Weiter-)Entwicklung des 'Dialogical Self' von Schreibenden ab, wobei sie besonders darauf eingeht, welche Stimmen Ratsuchende mitbringen und welche Rolle die Stimmen von Schreibberater*innen bei der Entwicklung des 'Dialogical Self' spielen können.

In ihrem Beitrag Was für Einsichten bringt die Analyse von Schreibsituationen? Zu Potentialen des PROSIMS-Schreibprozessmodells in der Schreibberatung skizziert und reflektiert Sabine Dengscherz das PROSIMS-Schreibprozessmodell. Dieses Modell fokussiert auf die komplexen Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Einflussfaktoren und dem individuellen Handeln in Schreibsituationen. Es soll helfen zu verstehen, warum Schreibende tun, was sie tun, und was sie noch tun könnten, um in spezifischen Schreibsituationen besser zurechtzukommen. Der Beitrag diskutiert konkrete Einsatzmöglichkeiten des Modells in der Schreibberatung.

Im letzten Beitrag des Bands Darf es auch lustig sein? Humor in der Schreibberatung widmen sich Eva C. Hammani-Freisleben und Eva Karel dem Humor als wertvoller Komponente in Schreibberatungen. Sie diskutieren, wie wohlwollender und „authentischer“ Humor in der Schreibberatung eingesetzt werden kann, von einfacher Auflockerung bis hin zur paradoxen Intervention bei prokrastinierenden oder blockierten Schreibenden. Die Autorinnen betonen, dass Humor nicht nur durch beraterische Interventionen, sondern auch durch Schreibmethoden aus dem Bereich des Humor Writing in die akademische Schreibberatung integriert werden kann. Sie plädieren dafür, Humor als Element der anthropologischen Grundausstattung verstärkt in der Schreibberatung einzusetzen, da er eine förderliche Zutat zum Lern- oder Schreiberfolg, beim Erkenntnisgewinn, der Wissenschaftsvermittlung und -kommunikation bis hin zur Methodologie sei.

Diskussion

Der Band hält, was der Titel verspricht, und liefert neue Perspektiven auf die Schreibberatung. Diese neuen Perspektiven sind v.a. für Personen interessant, die sich in Praxis oder Forschung mit Schreibberatung auseinandersetzen (wollen). Vornehmlich bieten die Texte ein Reflexionsangebot für Personen, die bereits in der Schreibberatung tätig sind. Die Artikel tragen dazu bei, das Verständnis für die komplexen Prozesse innerhalb der Schreibberatung zu vertiefen und bieten praktische Anregungen, die Schreibberater*innen in ihrer täglichen Arbeit nutzen können, um Ratsuchende bestmöglich zu unterstützen.

Die Lektüre des Bandes verdeutlicht, wie vielfältig und facettenreich Schreibberatungen sind, bietet Reflexionsanlässe für diejenigen, die bereits in diesem Arbeitsfeld tätig sind, und zeigt, inwiefern Schreibberatung zum Gegenstand schreibwissenschaftlicher Forschung gemacht werden kann.

Kritisch ließe sich einwenden, dass einige wichtige Themen fehlen, die ebenfalls von aktueller Bedeutung sind. Zum Beispiel wird nicht ausführlich auf fachbezogene Schreibberatung eingegangen. Auch wird die Rolle von KI-gestützten Schreibwerkzeugen nicht behandelt, obwohl diese Technologien zunehmend in der Schreibpraxis eingesetzt werden. Online-Beratung wird oft genannt, aber in keinem Artikel weitergehend untersucht.

Forschungsmethodisch sind die Texte einer qualitativen Schreibforschung verschrieben – die auch ich als äußerst gewinnbringend für den Aspekt professioneller Reflexion erachte. Angesichts des wachsenden Interesses an evidenzbasierten Ansätzen und der Bedeutung von Datenanalyse in der Bildungs- und Beratungsforschung ließe sich jedoch argumentieren, dass wichtig wäre, quantitative Methoden zur Erforschung von Schreibberatungen zu berücksichtigen – soweit diese bisher überhaupt eingesetzt werden.

Neue Perspektiven heißt aber schließlich nicht erschöpfende Perspektiven, so dass es nicht wundernimmt, dass diese Diskussion mit dem Statement endet: sehr lesenswert, aber erweiterbar.

Wobei noch ein Hinweis erlaubt sei: Das Buch ist mit 60 € recht hochpreisig und wird daher sicherlich eher in Universitätsbibliotheken als im heimischen Regal zu finden sein. Einerseits ist das bei der schönen Ausstattung mit Hardcover und Lesebändchen verständlich – ähnliche Publikationen anderer wissenschaftlicher Verlage bieten dies nicht – andererseits ist dies auch schade, da dem Buch weite Verbreitung zu wünschen ist.

Fazit

Wer in Schreibwissenschaft, -didaktik und -beratung tätig ist, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Professionelles Handeln setzt neben allen erlernbaren Techniken und Methoden vor allem die beständige Reflexion von Erfahrung voraus. Dabei unterstützt dieser Band – auch wenn es vornehmlich darum geht, Schreibberatung als Forschungsgegenstand mit neuen Perspektiven zu fassen und weniger darum, neue Herausforderungen der Schreibberatung wie den Umgang mit KI-gestützten Schreibwerkzeugen im Schreibprozess zu thematisieren.

Rezension von
David Kreitz
M.A., pädagogischer Mitarbeiter für politische Erwachsenenbildung bei der HVHS Mariaspring und freiberuflicher Trainer für wissenschaftliches Schreiben.
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Es gibt 29 Rezensionen von David Kreitz.

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Zitiervorschlag
David Kreitz. Rezension vom 19.01.2024 zu: Karin Wetschanow, Birgit Huemer, Eva Kuntschner, Erika Unterpertinger (Hrsg.): Neue Perspektiven auf Schreibberatung. Böhlau Verlag (Wien Köln Weimar) 2023. ISBN 978-3-205-21714-5. Reihe: Schreibwissenschaft - Band 003. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31356.php, Datum des Zugriffs 07.11.2024.


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