Kay Lütgens, Annette Loer: Handbuch Gesundheitssorge
Rezensiert von Prof. Dr. Ines Dernedde, 03.11.2025
Kay Lütgens, Annette Loer: Handbuch Gesundheitssorge. In der betreuungsrechtlichen Praxis. Reguvis Fachmedien GmbH (Köln) 2023. 396 Seiten. ISBN 978-3-8462-0942-4. D: 44,00 EUR, A: 45,30 EUR.
Thema
Das vorliegende Buch behandelt einen Ausschnitt aus dem Rechtsgebiet der rechtlichen Betreuung. Rechtliche Betreuung ist eine Unterstützung für Erwachsene, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht (mehr) in der Lage sind, ihre eigenen rechtlichen Angelegenheiten zu regeln. Ein rechtlicher Betreuer wird vom Gericht für die klar definierten Aufgabenbereiche bestellt, die die betreute Person aufgrund ihrer Krankheit oder Behinderung nicht selbst wahrnehmen kann, z.B. übernimmt er die Vermögenssorge mit Abschluss von Verträgen, regelt Wohnungs- oder Behördenangelegenheiten z.B. mit Antragstellung und Überprüfung von Sozialleistungen oder organisiert die Gesundheitssorge von der Regelung der Krankenversicherung bis hin zur Ersetzung von Einwilligungen in Krankenbehandlung von einwilligungsunfähigen Klient_innen oder sogar deren Unterbringung in geschlossene Einrichtungen. Dabei hat der rechtliche Betreuer die Wünsche der betreuten Person so weit wie möglich zu respektieren. Er hat Berichtspflichten gegenüber dem Betreuungsgericht und für bestimmte Entscheidungen muss er die Genehmigung des Betreuungsgerichts einholen.
Autor:innen
Die Autor_innen sind erfahrene Richter_innen in Betreuungssachen, während Michael Seidel ehemaliger Ärztlicher Direktor in den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel war.
Entstehungshintergrund
Rechtliche Betreuer_innen sind häufig Sozialarbeiter_innen oder Sozialpädagog_innen oder auch Volljurist_innen. Eine spezielle Ausbildung ist nicht gefordert, allerding ist seit der letzten Reform des Betreuungsrechts für andere als die oben genannten Berufsgruppen ein Sachkundenachweis erforderlich. Im besprochenen Band geht es um einen Teilbereich der rechtlichen Betreuung, dem Aufgabenkreis der Gesundheitssorge, einschließlich der Unterbringung und ärztlichen Zwangsmaßnahmen. Zudem werden verschiedene psychische Störungen vorgestellt und es wird auf ihre Behandlungsmöglichkeiten und Auswirkungen für die rechtliche Betreuung eingegangen. Damit umfasst das vorliegende Handbuch den Inhalt des Moduls 3 des Sachkundenachweises und zumindest teilweise den der Module 4 und 5.
Das Buch wurde verfasst, um rechtlichen Betreuer_innen für den Aufgabenbereich der Gesundheitssorge umfassende Informationen an die Hand zu geben. Betreuer_innen haben in diesem Aufgabenkeis die betreute Person soweit möglich dabei zu unterstützen, selbstbestimmt eigene Entscheidungen im Zusammenhang mit ihrer Gesundheit und medizinischen Versorgung zu treffen.
Die Autor_innen wenden sich mit dem Handbuch an Betreuerinnen, Mitarbeitende von Betreuungsstellen und Betreuungsvereinen, am Betreuungsgericht Tätige, medizinische Sachverständige, Verfahrenspflegerinnen, Angehörige und sonstige Interessierte – und nicht zuletzt an betreute Menschen selbst (Handbuch, S. 5). Die zum 1. Januar 2023 in Kraft getretene Betreuungsrechtsreform wurde eingearbeitet. Sie brachte erhebliche Änderungen mit sich, so hat sich insbesondere auch der Regelungsort im BGB verschoben. Damit haben alle Vorschriften andere Nummern bekommen. Zudem wurden die Anforderungen, die die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) an rechtliche Betreuungen stellt, bei der letzten Gesetzesnovelle berücksichtigt. Die UN-BRK wurde 2009 von Deutschland ratifiziert und damit in unmittelbar geltendes Recht überführt wurde.
Aufbau
Das Handbuch gliedert sich in drei Teile:
Teil 1: Aufgabenbereich der Gesundheitssorge
Teil 2: Unterbringung und ärztliche Zwangsmaßnahmen
Teil 3: Psychische Störungen
Das Handbuch Gesundheitssorge in der betreuungsrechtlichen Praxis behandelt die betreuungsrechtliche Gesundheitssorge in einer systematischen Reihenfolge. Ähnlich wie bei einem Kommentar sind die behandelten Rechtsvorschriften den Erläuterungen vorangestellt, aber nicht in der Reihenfolge des Gesetzes, sondern der Aufbau des Handbuchs folgt didaktischen Erwägungen. Der Gesetzestext wurde fett gedruckt, so dass sich die Vorschriften leicht finden lassen, wenn man in dem Handbuch blättert. Nicht nur Vorschriften des BGB werden behandelt, sondern alle relevanten Vorschriften, wenn sie in dem Zusammenhang benötigt werden, wie z.B. solche aus dem FamFG. Somit kann man mit dem Buch arbeiten, ohne einen Gesetzestext zusätzlich auf dem Tisch zu haben. Das ist insbesondere für Nichtjuristen hilfreich. Der Leser hat die rechtlichen Vorschriften immer vor Augen und kann den Zusammenhang zwischen den Rechtsvorschriften und den Ausführungen verstehen. Wie in allen Rechtsgebieten gilt: ohne Kenntnis der gesetzlichen Vorschriften können rechtliche Angelegenheiten nicht hinreichend verstanden und schon gar nicht besorgt werden.
Der Text wird ergänzt durch einige Fallbeispiele, welche grau hinterlegt eingestreut sind. Zudem gibt es gelegentlich Arbeitshilfen wie Checklisten oder Formulierungshilfen, die ebenso hervorgehoben sind.
Inhalt
In meiner weiteren Besprechung werde ich beispielhaft einige bedeutend erscheinende Ausführungen exemplarisch vorstellen:
Teil 1 Gesundheitssorge
In der Einführung wird zunächst das Rechtsinstrument der rechtlichen Betreuung vorgestellt. Dabei wird betont, dass volljährige Personen, die ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise rechtlich nicht besorgen können, so unterstützt werden sollen, dass sie ihre Angelegenheiten möglichst selbst besorgen können. Es dürfen keine anderweitigen Instrumente zur hinreichenden Besorgung des Handlungsbedarfs zur Verfügung stehen. Die Bestellung eines Betreuers ist gegenüber anderen Unterstützungsmöglichkeiten nachrangig (§ 1814 Abs. 3)
Dabei gehen beispielsweise folgende Hilfen der Betreuerbestellung vor (Handbuch, S. 41 f.):
- Gesamtplan im Rahmen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen § 121 SGB IX
- Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung nach Teil 2 SGB IX
- Individuelle Beratung und Hilfestellung bei notwendig werdender Pflege, z.B. durch einen Pflegeberater sowie Fall-Management, Pflegestützpunkt usw.
- Hilfen für junge Volljährige, § 41 SGB VIII
- Entlassmanagement insbesondere der Krankenhäuser
- Häusliche Krankenpflege, insbesondere häusliche psychiatrische Krankenpflege, § 37 SGB V
- Soziotherapie, § 37a SGB V
- Aber auch sozialpsychiatrischer Dienst oder die Hilfe eines allgemeinen kommunalen Sozialdienstes.
Den Betreuer trifft zunächst die Pflicht, die Wünsche der betreuten Person festzustellen und sie sodann bei deren Umsetzung zu unterstützen, § 1821 Abs. 2 S. 2 bis 4 BGB (S. 43). Dabei muss er mit den Betreuten persönlich und adressatengerecht kommunizieren. Auch nonverbale Willensbekundungen sind zu berücksichtigen (Handbuch S. 43). Er muss oder darf nur dann den Wünschen der Betreuten nicht entsprechen, wenn dies tatsächlich gar nicht möglich ist oder sich die betreute Person in erheblichem Maße selbst gefährdet, ohne dass ihr Wunsch Ausdruck ihrer Selbstbestimmung ist. Äußert die betreute Person also einen freien Wunsch, ist diesem auch dann zu entsprechen, wenn dies zu einer Gefährdung führen kann. Zur Vermeidung von Haftungsfolgen empfiehlt es sich für den Betreuer, die der Wunschbefolgung zugrunde liegenden Tatsachen zu dokumentieren. Eine Grenze der Entsprechungspflicht stellt es aber auch dar, wenn die Wunschbefolgung für den Betreuer unzumutbar ist (Handbuch, S. 44).
Lässt sich der Wille der betreuten Person nicht feststellen, ist auf den mutmaßlichen Willen abzustellen. Dieser ist aufgrund aller bekannten oder zugänglichen Anhaltspunkte zu ermitteln (Handbuch, S. 45). Das Selbstbestimmungsrecht ist also unbedingt zu beachten.
Zu den Betreueraufgaben gehören im Bereich der Gesundheitssorge dann insbesondere:
- Sicherstellung der Medizinischen Versorgung
- ausreichender Krankenversicherungsschutz
- Behandlungsverträge
- Einwilligung in medizinische Maßnahmen
Bei allen Handlungen des Betreuers gilt der Respekt vor der Selbstbestimmung des Patienten als zentrales medizinethisches Prinzip (Handbuch, S. 83). Die betreute Person darf nicht Objekt einer medizinischen Behandlung sein, sie muss als eigenverantwortliches Subjekt über die Durchführung jeder Behandlung entscheiden können. Dabei ist zu beachten, dass die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung zunächst keinen Einfluss auf die Einwilligungsfähigkeit der betreuten Person hat. Entscheidend ist die natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit. Die betreute Person ist als einwilligungsfähig anzusehen, wenn sie Art, Bedeutung, Tragweite und Risiken der medizinischen Maßnahme erfassen und ihren Willen hiernach bestimmen kann. Weiterhin ist einer Patientenverfügung Geltung zu verschaffen. Nur für den Fall der fehlenden Einwilligungsfähigkeit der betreuten Person ist der Betreuer zu einer vertretenden Entscheidung im konkreten Fall befugt (Handbuch, S. 86).
Teil 2 Unterbringung
Im zweiten Teil des Handbuchs, der sich mit der freiheitsentziehenden Unterbringung beschäftigt, problematisieren die Autoren zunächst die „fürsorgliche“ Anwendung für Zwang. Sie stellen heraus, dass das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Fürsorge zu den schwierigsten Themenfeldern der rechtlichen Betreuung gehört. Die rechtliche Betreuung habe zwei wesentliche Funktionen (Handbuch, S. 147):
- die Herstellung von rechtlicher Handlungsfähigkeit von Menschen mit Unterstützungsbedarf und
- den Schutz der Unterstützungsbedürftigen vor erheblicher Selbstschädigung aufgrund fehlender Eigenverantwortung
Das Recht auf Selbstbestimmung geht aber nur dann der Schutzpflicht vor, wenn die Entscheidung zur Selbstschädigung auch auf einer freien Willensbildung beruht und diese nicht durch eine Erkrankung oder Behinderung aufgehoben ist. (Handbuch, S. 152). Zudem ist eine Unterbringung immer vom Gericht zu genehmigen. Die Autoren betonen, dass die formale Antragstellung auf Genehmigung erst das Ergebnis eines eigenen Prüfungsverfahrens sein kann. Der Betreuer hat eine eigene Entscheidung zu treffen, ob und in welcher Form er von seiner Vertretungsbefugnis Gebrauch macht. Dabei sollte er andere Personen zu Rate ziehen und Kontakt mit ambulanten Versorgern, mit Ärzten, dem sozialpsychiatrischen Dienst, Angehörigen und Bekannten suchen. Erst dann kann er entscheiden, ob die Voraussetzungen einer Unterbringung auch gegen oder ohne den natürlichen Willen der betreuten Person notwendig ist (Handbuch, S. 155). Auch hier ist auf den mutmaßlichen Willen abzustellen. Das heißt, der Betreuer muss sich fragen, was würde die betreute Person wünschen und wollen, wenn sie entscheidungsfähig wäre (Handbuch, S. 157).
Nach der Unterbringung wird auch die ärztliche Zwangsbehandlung gem. § 1832 BGB ausführlich behandelt und die Voraussetzungen aufgezeigt.
Teil 3 Psychische Störungen
In aller Regel werden rechtliche Betreuer_innen eingesetzt, weil die betreute Person unter einer psychischen Störung leidet. Das Handbuch widmet diesen seinen dritten Teil. Dabei konzentriert sich die Darstellung auf Fragestellungen, die erfahrungsgemäß im Rahmen der rechtlichen Betreuung eine Rolle spielen (Handbuch, S. 235 ff.). In diesem Teil werden verschiedene psychische Störungen vorgestellt und ihre Auswirkungen auf die rechtliche Betreuung erläutert. Mit diesem Hintergrundwissen können Betreuer sich auf die von Krankheit betroffenen Menschen einstellen, ihre Potentiale erkennen und Hilfen für sie installieren.
Diskussion
In den Text eingestreute Checklisten sind nützlich, um sich auf Gespräche vorzubereiten oder um sicherzustellen, dass alle notwendigen Punkte durchdacht und erledigt wurden. Ergänzend gibt es Formulierungshilfen für Anträge ans Gericht. Insgesamt eine gute Arbeitshilfe für rechtliche Betreuer auf dem Gebiet der Gesundheitssorge.
Das Handbuch Gesundheitssorge in der betreuungsrechtlichen Praxis gibt einen gut verständlichen und ausführlichen Überblick über den entsprechenden Aufgabenkreis der rechtlichen Betreuung. Alle wichtigen Themenfelder werden angesprochen wie Genehmigungserfordernisse, Krankenversicherung, Behandlungsverträge, Unterbringung und Zwangsbehandlung. Zudem werden Grundlagen der medizinischen Diagnosen erläutert und ihre Bedeutung für die betreuungsrechtliche Praxis veranschaulicht.
Fazit
Das Handbuch bietet eine fundierte und praxisnahe Einführung in die gesundheitliche Betreuung. Es verbindet rechtliche und medizinische Perspektiven und unterstützt Betreuer_innen mit klaren Erläuterungen, Fallbeispielen und Arbeitshilfen.
Rezension von
Prof. Dr. Ines Dernedde
Alice-Salomon-Hochschule
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