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Tobias Bernasconi: Pädagogik und Rehabilitation bei geistiger Behinderung

Rezensiert von Marina Lenk, 12.07.2024

Cover Tobias Bernasconi: Pädagogik und Rehabilitation bei geistiger Behinderung ISBN 978-3-8252-6215-0

Tobias Bernasconi: Pädagogik und Rehabilitation bei geistiger Behinderung. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2024. 212 Seiten. ISBN 978-3-8252-6215-0. D: 39,90 EUR, A: 41,10 EUR, CH: 48,70 sFr.

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Thema

Der Autor beschreibt sein Buch mit dem Satz „Wie leben, lernen und arbeiten Menschen mit geistiger Behinderung“. Der Satz stellt das Thema des Buches bereits als roter Faden, welcher sich durch das Buch zieht, dar. Das Buch dient als interdisziplinäres Einführungswerk.

Autor

Autor des Buches ist Prof. Dr. Tobias Bernasconi, er ist Professor für Pädagogik und Rehabilitation bei Menschen mit geistiger und komplexer Behinderung an der Universität Köln, Förderschullehrer und Kommunikationspädagoge. Vom Autor im Ernst Reinhardt Verlag als UTB lieferbar ist außerdem folgendes Fachbuch: Diagnostik und Interventionsplanung in der Unterstützten Kommunikation

Entstehungshintergrund

Die Intention des Bandes „Pädagogik und Rehabilitation bei geistiger Behinderung“ ist es historische, aktuelle bildungspolitische und gesamtgesellschaftliche Entwicklungen aufzuzeigen und im historischen Hintergrund einzuordnen. Die Lebenssituation von Menschen mit geistiger Behinderung unterliegt durch gesellschaftliche sowie sozialrechtliche Veränderungen einem Wandel, welcher in dem vorliegenden Buch gut aufgriffen wird.

Aufbau und Inhalt

Das Taschenbuch beinhaltet folgenden Aufbau mit jeweils 2 bis 8 Unterpunkten.

  1. Kapitel: Grundfragen und Positionen
  2. Kapitel: Begriff und Personenkreis
  3. Kapitel: Historische Determinanten
  4. Kapitel: Leitideen und -prinzipien
  5. Kapitel: Entwicklungsbedingungen und Entwicklungsbereiche
  6. Kapitel: Zur Situation der Familien von Menschen mit geistiger Behinderung
  7. Kapitel: Lebenssituation und Handlungsfelder/​Institutionen

In Kapitel 1 geht der Autor Tobias Bernasconi auf die Grundfragen und die Positionen ein. Hierzu wird zuerst der Begriff „geistige Behinderung“ mit Blick auf die historischen und gesellschaftlichen Wurzeln definiert. Weiter geht es im Kapitel mit Anthropologischen Grundlagen der Heil- und Sonderpädagogik, hier wird die Entwicklung der Behindertenpädagogik, vom einseitigen Entwicklungsgedanken, hin zur pädagogischen Sichtweise, aufgezeigt. Ethische Überlegungen aus der Sonder- und Heilpädagogik, wie z.B. das Lebensrecht, werden im Kapitel 1 auch mit aufgenommen. Die Wissenschaftliche Verortung inklusive Erläuterungen des theoretischen Hintergrundes der Pädagogik und Rehabilitation bei geistiger Behinderung bilden den Abschluss des 1. Kapitels.

Im 2. Kapitel geht Bernasconi auf verschiedene Begriffe und den zugrunde gelegten Personenkreis ein. Hierzu wird neben der Klassifikation, der Abgrenzung verschiedener Begrifflichkeiten auch auf verschiedene Sichtweisen aus Medizin, Psychologie, Sozialwissenschaft und Pädagogik eingegangen. Neben der Gegenüberstellung von verschiedenen Definitionen zur geistigen Behinderung, z.B. „intellektuelle Beeinträchtigung“ anstelle von „Menschen mit geistiger Behinderung“, geht Tobias Bernasconi im Kapitel 2 noch auf die medizinisch-psychologische Sichtweise mit Prävalenzbetrachtungen (Anzahl der Krankheitsfälle), je Geburtenjahrgang und Epidemiologie (Angaben über die Häufigkeit) ein. Eine Einteilung der Geistigen Behinderung, inkl. Schweregraden, erfolgt nach dem ICD-Schlüssel (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems). In der Sozialwissenschaftlichen Sichtweise geht der Autor vertiefend auf die „Materialistische Behindertenpädagogik (hier wird die soziale Isolation als zentraler Kern der Behindertenpädagogik verstanden)“ ein. Die Pädagogische Sichtweise wird vertieft dargestellt als Grundpfeiler der Pädagogik und Rehabilitation bei geistiger Behinderung. Abschließend werden im Kapitel 2 noch die Bio-psycho-sozialen Perspektiven betrachtet mit der ICF-Perspektive (International of Functioning, Disability and Health) und auf 2 weitere Modelle zur Betrachtung eingegangen, dem AAIDD-Modell und das ABCD-Modell. Das AAIDD- Modell (American Association on Intellectual and Development Disabilities), beschreibt die Unterstützungsfaktoren im Bezug zur geistigen Behinderung. Das ABCD-Modell, beschreibt die geistige Behinderung in Abhängigkeit von sich wechselseitig bedingenden und verstärkenden Faktoren. Den Abschluss des 2. Kapitels bilden die Disability Studies, welche das Verhältnis von Normalität und Abweichungen und deren Faktoren für Kultur und Gesellschaft untersuchen.

Tobias Bernasconi geht im 3. Kapitel ausführlich auf die Historie im Themenbereich von Menschen mit geistiger Behinderung ein, beginnende bei der Frühgeschichte und dem Mittelalter, über Aufklärung bis zur Neuzeit. Er skizziert hier die historischen Wurzeln und den Umgang bzw. die Entwicklung zum Umgang in der Gesellschaft mit Menschen mit geistiger Behinderung. Der Autor geht auch auf die Gründung von sogenannten Hilfsschulen, die Zeit des Nationalsozialismus und die Zeit nach 1945 ein. Den Abschluss des Kapitels bildet ein Zeitstrahl vom Altertum bis zum 21.Jahrhundert, mit den wichtigsten Meilensteinen.

Im Kapitel 4 wird auf die Leitideen und -prinzipien näher eingegangen. Zu Beginn des Kapitels werden die folgenden Leitideen graphisch vorgestellt und in Beziehung zueinander gesetzt:

  • Normalisierung
  • Teilhabe
  • Selbstbestimmung
  • Integration/​Inklusion
  • Empowerment

Im Folgenden betrachtet der Autor einzelnen Leitideen näher und untergliedert noch weiter. Zahlreiche graphische Darstellung z.B. Ebenen des Normalisierungsprinzips veranschaulichen das Kapitel. Normalisierung wird hier erklärt als „normale Lebensbedingungen“. Im Bereich der Selbstbestimmung, geht der Autor z.B. auf die Aspekte des sogenannten „Krüppeltribunals“ ein und auf die Ideen und historischen Protestbewegungen hinter der Thematik Selbstbestimmung bei geistiger Behinderung. Ebenen und Ziele des Empowerment-Konzepts, Stufen der Partizipation sowie Kernbereiche der Lebensqualität lockern die theoretischen Erklärungen graphisch auf. Den Bereichen Integration und Inklusion, sowie Teilhabe wird ein jeweils einzelnes Unterkapitel gewidmet. Bernasconi geht hier auch auf die historischen Wurzeln dieser Begriffe und der Entwicklung dieser Bereiche, bis in die heutige Zeit ein.

Der Autor beschreibt im Kapitel 5 die Entwicklungsbedingungen und Entwicklungsbereiche von Menschen mit geistiger Behinderung. Bei den Entwicklungsbereichen werden einige Bereiche ausgewählt und näher beschrieben:

  • Kognition
  • Adaptives Verhalten/​Handlungskompetenz
  • Kommunikation und Interaktion

Kapitel 6 bildet das kürzeste Kapitel im Buch und beschreibt die Situation und damit bedingten Herausforderungen von Familien von Menschen mit geistiger Behinderung. Hierbei wird auf die Situation der Eltern und unmittelbaren Bezugspersonen sowie der Familiensysteme eingegangen, wenn die Diagnose geistige Behinderung bei einem Familienangehörigen gestellt wird. Im Kapitel werden auch Kompetenzebenen der Eltern betrachtet sowie Aspekte aufgezeigt, welche die Lebensqualität der Familien positiv beeinflussen können.

Tobias Bernasconi beschreibt im Kapitel 7 verschiedene Handlungsfelder die von Bedeutung sind für die Pädagogik und Rehabilitation bei geistiger Behinderung. Die Handlungsfelder werden dazu untergliedert in:

  • Vorschulalter mit dem Handlungsfeld Frühförderung
  • Kindheit und Jugend mit dem Handlungsfeld Schule
  • Erwachsenenalter mit dem Handlungsfeld Wohnen und Handlungsfeld Arbeit

Den Abschluss des Kapitels bildet der Bereich Bildung im Alter. Durch die Veränderung der Altersstruktur in der Gesellschaft, auch bei Menschen mit geistiger Behinderung, wird dieser Punkt hier zum Schluss noch einmal genauer ausdifferenziert.

Diskussion

Prof. Dr. Tobias Bernasconi gibt in seinem Buch einen guten Überblick, beginnend bei den historischen Wurzeln, bis zur Neuzeit, über die gesellschaftlichen und pädagogischen Entwicklungen im Bereich „Menschen mit geistiger Behinderung“. Auch mit wenig fachlichem Hintergrundwissen ist dieses Buch leicht verständlich und anschaulich aufgebaut, aber auch wissenschaftlich untermauert. Dieses Werk dient als gut verständliches Einführungswerk für Personen aus den Bereichen Sonderpädagogik und Erziehungswissenschaften, aber auch für andere Berufsgruppen im Sozial- bzw. Gesundheitswesen, welche interdisziplinär den Blick über den Tellerrand wagen um ein vernetztes Verständnis für Betreuung, Pflege und Erziehung zu entwickeln.

Fazit

Das Buch gibt einen kompakten, aber dabei umfassenden Überblick über die verschiedenen Bereiche, Begrifflichkeiten und Handlungsfelder welche Menschen mit geistiger Behinderung betreffen und welche Ansätze es hierzu aus dem Bereich Pädagogik und Rehabilitation dazu gibt.

Quelle

Bernasconi, T. (2024). Pädagogik und Rehabilitation bei geistiger Behinderung. München: Ernst Reinhardt Verlag

Rezension von
Marina Lenk
Gesundheits- und Pflegemanagerin (B.A.), Fachkrankenschwester für Anästhesie- und Intensivpflege, Palliative-Care-Fachkraft, freiberufliche Fachautorin und Dozentin
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Es gibt 4 Rezensionen von Marina Lenk.

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Zitiervorschlag
Marina Lenk. Rezension vom 12.07.2024 zu: Tobias Bernasconi: Pädagogik und Rehabilitation bei geistiger Behinderung. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2024. ISBN 978-3-8252-6215-0. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31404.php, Datum des Zugriffs 13.01.2025.


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