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Beatrice Kümin, Christian Mathis et al. (Hrsg.): Philosophieren und Ethik

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 29.01.2024

Cover Beatrice Kümin, Christian Mathis et al. (Hrsg.): Philosophieren und Ethik ISBN 978-3-96848-085-5

Beatrice Kümin, Christian Mathis, Urs Schellenberg (Hrsg.): Philosophieren und Ethik. Aktuelle Perspektiven zum Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen. kopaed verlagsgmbh (München) 2023. 284 Seiten. ISBN 978-3-96848-085-5. D: 19,80 EUR, A: 20,40 EUR.
Reihe: Philosophieren mit Kindern - Band 4.

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Philosophieren heißt, ein gutes, gelingendes Leben lernen

Der Münchner kopaed-Verlag legt mit der Reihe „Philosophieren mit Kindern“ pädagogische, didaktische und methodische Anregungen vor, damit es individuell und institutionell, lokal und global frühzeitig gelingen kann, Wissen, Einstellungen und Verhaltensweisen als lebensweltliches, intellektuelles, nachhaltiges, menschenwürdiges Existieren einzuüben. Mit den vierten Band der Reihe werden die Diskussionen und Ergebnisse der Internationalen Tagung an der Pädagogischen Hochschule in Zürich vom 10. – 11. 9. 2021vorgestellt. Der immense Anspruch, ganzheitliches, ökosophisches Bewusstsein als Bildungs- und Aufklärungsziel (in der Schule) zu vermitteln, stellt Lehrkräfte, Eltern, Bildungspolitik und Curriculum-Entwicklung vor große Herausforderungen. Die Kultur- und Religionswissenschaftlerin Beatrice Kümin, der Geschichtsdidaktiker Christian Mathis und der Pädagoge Urs Schellenberg, alle an der PH in Zürich tätig, geben den Tagungsband heraus.

Aufbau und Inhalt

Der Sammelband wird in vier Kapitel gegliedert: „Philosophieren und Bildung“ – „Methodische Aspekte“ – „Empirische Beiträge“ – „Positionen“. Der Abschluss bildet die Skizzierung von Gesprächen, die die ehemalige Dozentin und Leiterin der Dokumentationsstelle für Kinder- und Alltagsphilosophie „s’Käuzli“, Eva Morf Zoller, mit Autorinnen und Autoren (in englischer Sprache) führt.

Mit „Bildung und Diskursivität“ thematisiert der Gießener Erziehungswissenschaftler Ludwig Dunker (em) die historischen und aktuellen Entwicklungen und Anforderungen, Wissen als Verhaltenseinstellung und -veränderung in schulischen Lernprozessen zu vermitteln: „Die Schule muss Lernprozesse organisieren…, sie muss aber auch ein Ort des Gesprächs und der ergebnisoffenen Auseinandersetzungen sein“.

Die Hamburger Erziehungswissenschaftlerin Kerstin Michalik fragt mit ihrem Beitrag „Philosophieren mit Kindern und Inklusion“ nach den curricularen und canonischen, gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine „Schule der Vielfalt“.

Die Gießener Didaktikerin für Sachunterricht, Anja Seifert, diskutiert mit dem Beitrag „Die Bedeutung des Leibes und der Gefühle beim Philosophieren mit Kindern im Grundschulunterricht“. Pädagogische, emotionale und indifferente Situationen und Verhaltensweisen bedürfen der Achtsamkeit und Aufmerksamkeit.

Der Pädagoge Christoph Buchs von der Fachhochschule Nordwestschweiz konfrontiert mit dem Beitrag „Das pädagogische Spannungsfeld von Fremd- versus Selbstbestimmung im Kontext des Philosophierens mit Kindern“ die differenzierten, individuellen Einstellungen und Erwartungshaltungen der Lernenden und Lehrenden, und legt Exempel aus der Unterrichtsarbeit vor.

Die Sozialwissenschaftlerin von der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, Bettina Blank, und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Lena Maria Möhring verweisen mit dem Beitrag „Entscheidungen unter dem ODER-Lupenblick“ auf Fallstricke und Irrwege beim philosophischen Gespräch und Umgang miteinander und legen erprobte Unterrichtsbeispiele vor.

Der Innsbrucker Philosoph Jonas Pfister stellt mit dem Beitrag „Kritisches Denken und Argumentieren in der Sekundarschule“ Argumentationsmuster vor, wie sie sich in der „epistemischen Kognition“ artikulieren und als „Obacht“ beim Lernen zeigen und der Herausforderung stellen, „den Übergang von einem Begriff von Wissen als Gewissheit hin zu einem Begriff von Wissen als wahre begründete Meinung“ zu vollziehen.

Die Berufsbildnerin von der Pädagogischen Hochschule Steiermark, Anja Tielmann, präsentiert mit dem Beitrag „Philosopher in Residence (PIR)“ Ergebnisse aus ihrer Pilotstudie. Es sind Vorschläge für die lokale, regionale, nationale und internationale Lehrer*innen-Aus- und Fortbildung: „Die Wiederentdeckung der Philosophie (auch bei institutionalisierten Bildungs- und Lernprozessen, JS), als didaktische Aktivität in der Klasse (kann) als eine wertvolle Ergänzung zur pädagogischen Praxis angesehen werden“.

Hubert Schnüriger von der Fachhochschule Nordwestschweiz will das „Anliegen der Philosophie prägnant charakterisieren“, indem er dazu Vorschläge in den Diskurs bringt: „Sich im Denken orientieren“ – „Sinn- und Bedeutungsfragen stellen“ – „Selbstverständigung über die Grundsätze des Denkens und Handelns herstellen“.

Die Dozentin von der Pädagogischen Hochschule Bern, Sarah-Jane Conrad, und die Kunstschaffende und Wissenschaftlerin Claire Cassidy von der University of Strathelyde, informieren mit dem Beitrag „Philosophieren – eine kinderorientierte Forschungsmethode“ über ihre Studien. Es sind die Herausforderungen und Fakten, scheinbar festgemauerte, abhängige Kind-Erwachsenpositionen in Frage zu stellen und Autonomieforderungen gerecht zu werden.

Das Herausgeberteam thematisiert mit dem Beitrag „Ethikunterricht aus Sicht der Lehrpersonen“ die Entwicklungen (in der Schweiz) zur Einführung des „Fachanliegens Ethik in der Volksschule“. Es ist die Spannweite – „Philosophieren kann jeder (lehren und lernen“, bis hin zur Professionalisierung, die im pädagogischen Diskurs (natürlich auch über die Schweiz hinaus) neue, konstruktive Anforderungen bringt.

Die Grundschulpädagogin Julia Dötsch von der Universität Koblenz-Landau informiert mit „‘Doing gender‘ in der kollektiven Bedeutungsaushandlung im philosophischen Gespräch“ über ihre Forschungsergebnisse. Es sind hergebrachte, erworbene und erdachte „joint meaning making(s)“, die in der Interaktionsanalyse deutlich werden.

 Anton Hörburger von der Münchner Akademie für Philosophische Bildung und WerteDialog plädiert für „Empathieförderung durch Philosophieren mit Kindern“. Er stellt die „Softskills“ heraus, die in schulischen Bildungs- und Lernprozessen oftmals vernachlässigt werden.

Eva Marsal, Psychologin und Philosophin von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und der Universität Warschau, diskutiert mit „Sinn-Vakuum versus Sinnhaftigkeit“ vorfindbare und nutzbare Aspekte, wie sie sich in Viktor Frankls (1905 – 1997) existenzphilosophischem Konzept verdeutlichen. Autonomie- und Selbstbewusstseins-Denken von heutigen Kindern und Jugendlichen wird in erforschten, narrativen Plakaten und Collagen deutlich.

Die Promotionsstipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung, Alexandria Krug berichtet mit dem Beitrag „Klimaethische Ansätze als Diskurspunkte einer zu ver-mittelnden Ungewissheit im Philosophieren mit Kindern“ über Reflexionen zu erd- und verantwortungsbewussten Daseinsbewältigungen.

Christine Mok-Wendt zeigt mit den Beitrag „Ökosophie“ die Herausforderungen für eine philosophisch-ökologischen Lebenskunst auf. Es sind die existentiellen, notwendigen Fragen: „Wie wollen wir leben – wie müssen wir unsere Zukunft gestalten?“. Es sind die Anforderungen, im Gleichgewicht und in der Ebenbürdigkeit mit der Natur zu leben: „Es ist eine Praxis, die hoffen lässt, sich eher suffizient als ausbeutend durch unsere Welt zu bewegen“.

Diskussion

Zu allen Zeiten und immerwährend fordern Philosophinnen und Philosophen auf, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und selbst zu denken. Es sind Fragen wie: „Wer bin ich?“ – „Was kann ich wissen?“ – „Was soll ich tun?“ – „Was darf ich hoffen?“ (Immanuel Kant). Der Philosoph Jörg Bernardy hat soeben in der Kinderseite „leo“ der Wochenzeitung DIE ZEIT (Nr. 3 vom 11. 1. 2024, S. 1) Kinder aufgefordert, „die Gedanken weit hinausfliegen zu lassen“ und zum einen jeweils neu gestellten „Gedanken-Domino“ individuell oder auch gemeinschaftlich Ideen und Illusionen zu entwickeln und öffentlich zur Diskussion zu stellen. Die erste Frage: „Wem gehört die Welt?“. Denken, das Gedachte aussprechen und zu dialogisieren, ist legitim und hilfreich bei der Suche nach der eigenen Identität. Grenzen und Gift zeigt sich nur dann, wenn die Globale Ethik missachtet wird, wie sie sich in der allgemeingültigen, nicht relativierbaren Menschenrechtsdeklaration proklamiert: „Die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte bildet die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt“. Menschliches Denken und Handeln ist eingebunden in das, was sich in der Vergangenheit an Gutem und Bösem ereignet hat, was sich in der Gegenwart vollzieht, ob und welchen Einfluss der Mensch ausüben kann, wie sich die Zukunft der erdhaften und kosmischen Entwicklung gestaltet (William McAskill, Was wir der Zukunft schulden. Warum wir jetzt darüber entscheiden, ob wir die nächste Million Jahre positiv beeinflussen, 2023, www.socialnet.de/rezensionen/​31423.php; Jörg Noller, Ethik des Anthropozäns. Überlegungen zur dritten Natur, 2023, www.socialnet.de/rezensionen/​31291.php).

Fazit

Mit dem Titelzitat „Schöner war der Südpol nie“ wird auf die Diskrepanz verwiesen, dass touristische Werbesprüche den prekären Zustand der Welt nur bedingt und unzulä(ss)nlich übertünchen können, und dass die Menschen, Jung und Alt, aufgefordert sind, selbst zu denken und nicht andere für sich denken zu lassen. Philosophieren ist Lebensweisheit und -kunst. Damit ganz früh anzufangen ist humanes Denken!

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1702 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245