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Max Fuchs: Posthumanismus, Subjekt und Bildung

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 30.10.2023

Cover Max Fuchs: Posthumanismus, Subjekt und Bildung ISBN 978-3-96848-072-5

Max Fuchs: Posthumanismus, Subjekt und Bildung. Zur Debatte über die Dezentrierung des Subjekts. kopaed verlagsgmbh (München) 2022. 261 Seiten. ISBN 978-3-96848-072-5. D: 19,80 EUR, A: 20,40 EUR.

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Der Mensch soll und darf nicht mehr im Mittelpunkt stehen

Anthropozän! Eine neue geologische Epoche ist angebrochen: Der moderne Mensch ist in der Lage, seine Umwelt zu verändern – technisch, biologisch, planetarisch. Er nimmt Einfluss auf Natur, Klima, Ordnung. Die kritische Frage stellt sich: Darf der Mensch alles machen, was er kann? Bietet Bioengineering Konzepte und Methoden, das Alleinstellungs- und Herrschaftsmerkmal des anthrôpos zu bestätigen? Oder gilt es, „Degrowthing“, Wachstumsbeschränkungen und einen „Green New Deal“ einzuüben? Wie kann das gelingen? Vielleicht wenn sich ein neues Tor der Menschheits- und Weltentwicklung öffnet? Der Kultur- und Bildungswissenschaftler Max Fuchs sieht im „Posthumanismus“ einen Lichtblick. Der wissenschaftlich und publizistisch rege Denker äußert sich zu zahlreichen Fragen nach der gegenwärtigen und zukünftigen Existenz der Menschen (Das gute Leben in einer wohlgeordneten Gesellschaft, 2019, www.socialnet.de/rezensionen/​26614.php), und danach, wie es gelingen kann, dass der Mensch ein erdbewusstes Bewusstsein entwickelt, dass er nicht Herrscher und Besitzer der Erde, sondern er Glied der Erde und Natur ist (Bildung und kulturelle Entwicklung des Menschen. Zur Genese und Transformation von Welt- und Selbstverhältnissen in pädagogischer Perspektive, 2017, www.socialnet.de/rezensionen/​22681.php).

Aufbau und Inhalt

Mit der Studie „Posthumanismus“ wendet er sich an einen breiteren Leser/​innenkreis, der nicht automatisch und selbstverständlich Zugang zum fach- und sozialwissenschaftlichen und Diskurs hat. Er übernimmt deshalb längere Passagen aus Arbeiten von poststrukturalistischen Theoretikern und ordnet sie in seine Gedankengänge ein. Neben der Einleitung gliedert der Autor seine Analyse in vier Teile. Im ersten Teil setzt er sich mit dem „Humanismus in der Geschichte“ auseinander; im zweiten thematisiert er die „Moderne und die liberalen Prinzipien politischer Gestaltung“; im dritten diskutiert er das „autonome Subjekt im Fokus der Humanismus-Kritik“; und im vierten Teil reflektiert er die Zusammenhänge von „Subjekt, Bildung und Humanismus“.

Die historische Betrachtung führt Max Fuchs über das römische „humanitas“, dem Humanismus der Renaissance, der Reinhard Koselleckschen „Sattelzeit“ zwischen 1770 und 1830, bis hin zum aktuellen Gebrauch des Humanismusbegriffs. Bei allen Denk- und Praxisphasen entstanden und wirkten positive und negative, humane und inhumane Entwicklungen, die in den Zeiten der Aufklärung scheinbar etabliert oder korrigiert wurden. Es sind die aufkommenden kritischen Fragen nach den Prinzipien des Humanismus, die sich im Widerstreit von Liberalismus und Demokratie mit hierarchischen, diktatorischen und fundamentalistischen Strukturen befinden. Würde, Anerkennung Toleranz und Solidarität sind Werte, die das erdbewusste Dasein der Menschen bestimmen, ohne die es nur Hauen und Stechen gibt. Der Mensch ist ein starkes und gleichzeitig vulnerables Subjekt. In seinem humanen Dasein bedarf es dieses Bewusstseins und der Anerkennung der Menschen- und Naturrechte.

Diskussion

Die Humanismuskritik bewegt sich, historisch, ethisch und aktuell, in der Spannweite des philosophischen Liberalismus einerseits, und dem Kommunitarismus andererseits. Ist es das autonome Individuum oder die kollektive Gesellschaft, die objektives und subjektives Bewusstsein schafft?

Eine humane Bildung kann Wirklichkeit werden, wenn der Mensch sich aufmacht, die in der UNESCO-Denkschrift „Bildung überdenken“ (2016) ausgewiesene Vision zu verwirklichen: „Die Würde, Fähigkeit und Wohlfahrt des Menschen in seinem Verhältnis zu anderen Menschen und zur Natur sicherzustellen und zu verbessern, das sollte der fundamentale Zweck von Bildung im 21. Jahrhundert sein“.

Konstruktive Kritik ist das Salz in der Suppe. Sie schafft Ordnung im Denken und verhilft, zu sich und zur Umwelt zu finden. Sie ist auch angebracht, wo tatsächliche und scheinbare Selbstverständlichkeiten vorherrschen. Und sie ist notwendig, über die Entstehung und Entwicklung der menschlichen Individuen und Gemeinschaften kritisch nachzudenken. Hilfreich könnte dabei sein, wenn die Menschheit beginnt, sein individuelles Bewusstsein und kollektives, momentanistisches Höherwertigkeits-Denken ablegt und zu einer langfristigen, nachhaltigen Zukunftswahrnehmung zu gelangen (siehe dazu auch: William McAskill, Was wir der Zukunft schulden. Warum wir jetzt darüber entscheiden, ob wir die nächste Million Jahre positiv beeinflussen, Siedler-Verlag, München 2023, 445 S.).

Poststrukturalistisches, posthumanistisches Bewusstsein basiert darauf, dass Vielfalt Einheit ist. Der anthrôpos gehört zur Erde, aber sie gehört ihm nicht. Die beim traditionellen Anthropozentrismus entstandenen Denk- und Handlungsprozesse, dass der Mensch Mittelpunkt und Beherrscher der Welt ist, erfordern ein Umdenken dahin gehend, dass der entsprechend gebildete, „dezentrierte“ Mensch fähig und in der Lage ist, einen Paradigmenwechsel zu vollziehen, um eine humane, natur- und kulturbedingte EINE WELT möglich zu machen.

Fazit

Die Studie „Posthumanismus, Subjekt und Bildung“ ist geeignet, den notwendigen Perspektivenwechsel zu vollziehen. Besonders hilfreich und zielführend ist, dass es dem Autor gelingt, den vielfältigen wissenschaftlichen Diskurs darzustellen, was sich auch in den 10-seitigen Literaturnachweisen zeigt. Mit Skizzen und Tabellen veranschaulicht der Autor seine Hinweise und Quellenbezüge und macht so seine Arbeit zu einem nützlichen Handbuch für die Theorie und Praxis des Lernens.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1665 Rezensionen von Jos Schnurer.

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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 30.10.2023 zu: Max Fuchs: Posthumanismus, Subjekt und Bildung. Zur Debatte über die Dezentrierung des Subjekts. kopaed verlagsgmbh (München) 2022. ISBN 978-3-96848-072-5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31415.php, Datum des Zugriffs 11.09.2024.


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