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Ulrich Heimlich: Einführung in die Spielpädagogik

Rezensiert von Dr. Richard Hammer, 30.10.2023

Cover Ulrich Heimlich: Einführung in die Spielpädagogik ISBN 978-3-8252-6063-7

Ulrich Heimlich: Einführung in die Spielpädagogik. Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung (Bad Heilbrunn) 2023. 4. aktualisierte Auflage. 304 Seiten. ISBN 978-3-8252-6063-7. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR, CH: 26,90 sFr.
Reihe: UTB - 4199. Pädagogik.

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Thema

Es lohnt sich, die „Einführung in die Spielpädagogik“ in einer 4. Auflage herauszubringen, da sich im Feld der Spielpädagogik zunehmend neue Gebiete entwickeln. Gerade in Zeiten der Pandemie hat das Spiel in der Familie oder im engsten Freundeskreis einen wahren Boom im Bereich Puzzles über einen schier unüberschaubar gewordenen Markt an Brettspielen bis hin zu den immer faszinierenden digitalen Spielwelten erlebt. Angesichts der zunehmenden Attraktivität digitaler Spielangebote gilt es hier als „Gegenprogramm“ sinnlich vielfältige gemeinsame Spiele in der Gruppe und in der Natur zu gestalten um damit durch alle Lebensphasen hindurch einen umfassenden leiblichen Zugang zur Welt zu erschließen.

Wie das gelingen kann, ist Thema dieses Buches.

Autor

Prof. em. Dr. Ulrich Heimlich, Jahrgang 1955, geboren in Nordrhein-Westfalen, studierte Sonderpädagogik in Dortmund und engagierte sich nebenher in praktischer Arbeit für die gemeinsame Erziehung von Behinderten und Nichtbehinderten. Zehn Jahre war er als Lehrer für Lernbehinderte tätig; nach der Promotion 1988 zum Doktor der Erziehungswissenschaften ging er an die Universität Dortmund, an der er 1994 Privatdozent wurde. Im selben Jahr Ernennung zum Universitätsprofessor (C 3) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; 1995 Ernennung zum Universitätsprofessor (C 4) für Lernbehindertenpädagogik an der Universität Leipzig, wo er am Institut für Förderpädagogik tätig war, bis er 2001 an die Ludwig-Maximilians-Universität München auf den Lehrstuhl für Lernbehindertenpädagogik berufen wurde. Er ist jetzt im Ruhestand, aber immer noch aktiv tätig. Auf seiner Homepage finden wir mehr als 300 Veröffentlichungen, in den letzten Jahren vor allem zum Thema Inklusion und Förderschwerpunkt Lernen.

Aufbau und Inhalt

Nach Vorwort und Einleitung mit Verweisen zur Bedeutung des Spieles für pädagogisches Sehen und Verstehen bietet dieses Buch neun Kapitel, welche einen Bogen spannen von der Spielentwicklung des Kindes über soziologische, pädagogische und therapeutische Fragestellungen, bis hin zur Methodik und Didaktik der Spielgestaltung. Die einzelnen Kapitel enden jeweils mit kommentierten Literaturempfehlungen und Spielaufgaben der Aktivierung im Sinne einer spielerischen Schulung des pädagogischen Denkens von, über und mit Spiel. Im Text selbst sind immer wieder „Merksätze“ eingestreut, welche die wesentlichen Aussagen zusammenfassen. Die mehr als 500 Literaturhinweise verweisen auf eine sorgfältige und fundierte Bearbeitung des Themas. Abgerundet wird das Buch durch ein Sachregister, ausgewählten Kontaktadressen von Organisationen, Verlagen und Institutionen, welche Angebote und Informationen zum Thema Spiel bereithalten, einem Glossar und einem Anhang mit einer „Spielentwicklungsskala“, einer „Spielkooperationsskala“ und einer „Spielintensitätsskala“.

Das erste Kapitel „Spiel und Entwicklung – eine multidimensionale Perspektive“ richtet den Blick auf „Spiel als Tätigkeit“, wobei auf klassische Spieltheorien von Vygotskij und Dewey zurückgegriffen wird. Die „Entwicklung der Spielformen“ sowie die „Theorien des Spiels“ stellen die gängigen Theorien und Modelle dar. Die Aussagen zur „Multidimensionalität des Spiels“ fassen das weite Feld der Spieltheorie zusammen.

Das zweite Kapitel „Spiel und Lebenswelt – eine ökologische Orientierung“ befasst sich mit der personalen, interaktionalen und ökologischen Perspektive

Das dritte Kapitel „Spiel und Erziehung – ein historischer Rückblick“ startet mit den Anfängen der Spielpädagogik in der Antike und macht einen Streifzug bis in die Moderne, wobei Fröbel, Montessori und Steiner besonders hervorgehoben werden.

Im vierten Kapitel, „Pädagogik der Spielsituation – eine arbeitsfeldübergreifende Konzeption“, geht der Autor differenziert auf unterschiedliche Gestaltungsfaktoren des Spiels ein: „Pädagogik der Spielmittel“, „Pädagogik des Interaktionsspiels“, „Pädagogik des Spielraums“ „Pädagogik der Spielzeit“ und „Spielen in der Schule“.

Ab dem fünften Kapitel wird es praktischer, deshalb hier auch etwas ausführlicher.

Der Text zu „Spiel und Methodik – pädagogische Handlungsmöglichkeiten“ geht ein auf die Wirkungen, Prinzipien und Formen spielpädagogischen Handelns. Entlang von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen zur Wirksamkeit der Spielförderung thematisiert er sehr ausführlich das Dilemma der Spielpädagogik zwischen „Führen“ und „Wachsenlassen“. Die meisten Ergebnisse verweisen auf die Notwendigkeit des Ausbalancierens zwischen diesen Polen. Für die beteiligten Erwachsenen empfiehlt er ein „Spieltutoring“, wobei er drei verschieden Formen unterscheidet: die „Intervention von außen“ (1), bei der der Erwachsene von außen durch Kommentare und Vorschläge das Spiel begleitet. Bei der „Intervention von innen“ (2) spielt der Erwachsene mit und handelt auch spielbezogen. Beim „Modellieren“ (3) greift der Erwachsene aktiv ein und macht bestimmte Spieltätigkeiten vor. Eindeutige, allgemeine Untersuchungsergebnisse können nicht formuliert werden, da es letztlich auf die spezifische Situation und den Kontext ankommt.

Der Autor hält es aber für erforderlich „spielpädagogisch“ zu handeln und entfaltet im Folgenden „Prinzipien des spielpädagogischen Handelns“: Multidimensionalität, Akzeptanz, und Situationsgestaltung.

Mit Multidimensionalität betont der Autor, dass Spielen sich immer unter Beteiligung aller Sinne vollzieht und dass dabei soziale, emotionale, kognitive, sensomotorische und biologische Aspekte zu beachten sind. Mit Akzeptanz erfordert er eine akzeptierende Haltung des Erwachsenen dem gegenüber, was die Kinder in den Spielprozess einbringen und mit dem Prinzip der Situationsgestaltung fordert er „nicht eine für Kinder gestaltete, möglichst perfekte Spielsituation, sondern vielmehr eine von Kindern gestaltbare, möglichst unfertige Spielsituation“ (S. 206).

Am Beispiel der Spielaktion „Pappkarton“ zeigt der Autor konkrete Handlungsmuster mit denen die Erwachsenen aktiv auf kindliche Spieltätigkeiten und die Gestaltung von Spielsituationen Einfluss nehmen können. Dazu gehören nachfolgende Aspekte.

Die Gestaltung von Spielsituationen:

  • die Auswahl von bestimmten Spielmitteln
  • die Art und Weise der Zugänglichkeit dieser Spielmittel
  • die Platzierung des Mobiliars
  • verbindliche Raumnutzungsregeln
  • Tagesablaufplanung

Die Gestaltung von Spieltätigkeiten:

  • Vorspielen
  • Mitspielen

Die Spielförderung:

  • ein ausgewähltes Angebot an Spielmitteln
  • Kleingruppenförderung innerhalb einer überschaubaren Gruppengröße
  • ein separierter Raum
  • vorgegebene Zeitspannen

Spielerische Einkleidungen:

  • thematische Spieleketten
  • Pantomimespiele
  • Lernspiele

Das sechste Kapitel, „Spiel und Didaktik – Hilfen zur Planung und Reflexion“, bietet Hilfen zur lang-, mittel- und kurzfristigen Planung und Reflexion von Spielsituationen, wobei differenziert auf die Frage eingegangen wird, ob Spiel überhaupt planbar ist.

Ja, es ist planbar und dies ist auch erforderlich. Didaktisches Handeln innerhalb der Spielpädagogik dient der Vorbereitung und Auswertung von Spielprozessen – ohne die Kinder und Jugendlichen dabei zu bevormunden. Dabei geht es bei der langfristigen Planung um die Entwicklung von pädagogischen Konzeptionen für ausgewählte Spielorte, um die Zusammenstellung von Spielgruppen innerhalb bestimmter Spielinstitutionen (z.B. Abenteuerspielplatz, Eltern-Kind-Spielgruppe, Spielothek). Bei der mittelfristigen Planung geht es um die Organisation von Spielaktionen, Spielfesten und die Planung von Spielförderung bei Lern- und Entwicklungsschwierigkeiten. Kurzfristig muss geplant werden bei der Organisation von Spielprojekten und spezifischen Spielsituationen.

Die didaktische Planung basiert stets auf einer Reflexion des Spielgeschehens und auf der genauen Beobachtung der spielerischen Aktivitäten. Darauf geht der Autor im siebten Kapitel „Spiel und Beobachtung – Wege zur Spielforschung“ ein, wobei er die „Spielbeobachtung im erziehungswissenschaftlichen Sinn“ darstellt und die methodischen Probleme sowie die Instrumente der Spielbeobachtung diskutiert.

Das achte Kapitel beschäftigt sich mit der „Spielförderung und Spieltherapie“ im heil- und sonderpädagogischen Arbeitsfeld. Es stellt besondere Formen der Spielförderung und des Spieltrainings dar, geht ein auf die Spieltherapie und wirft einen Blick auf das Spiel als möglichen Weg zur Inklusion.

Das neunte Kapitel, „Spielpädagogik und Qualifikation – vom Spielen-Lernen zum Spielen-Lehren“ geht ein auf die Bedeutung des Spiels im erziehungswissenschaftlichen Studium und in der Erzieherinnenausbildung.

Diskussion

Dem Autor gelingt es in vorbildlicher Weise in seiner 4. Auflage der „Einführung in die Spielpädagogik“ den Spagat zu überwinden zwischen der Möglichkeit des „Spielen-Lassens“ und dem „Spielen-Anregen“ – eine notwendige Aufgabe für eine Pädagogik des Spiels. Dies gelingt durch eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Spiel an sich und der empirischen Spielforschung einerseits und der spielpädagogischen Praxis, die auf der Basis zahlreicher Praxisprojekte aus verschiedenen pädagogischen Handlungsfeldern (Kinderkrippe, Hort, Sonderkindergarten, Regelkindergarten, Grundschule, Förderschule) dargestellt wird. Belegt wird diese Vorgehensweise durch ausgewählte Forschungsergebnisse hinsichtlich ihrer Praxiswirkung und deren Übertragung in konkrete spielpädagogische Handreichungen, wobei der Zusammenhang von Spielsituationen und Lebenssituationen von Kindern besonders herausgestellt wird.

Durch die Auseinandersetzung mit den gängigen Spieltheorien und den Spielformen, die sich in der kindlichen Spielentwicklung abzeichnen, gelingt es das Spiel in seiner Vielfalt darzustellen und die sensomotorischen, emotionalen, kognitiven und sozialen Dimensionen des Spiels deutlich zu machen.

Mit den Kapiteln zur Spielbeobachtung, Methodik und Didaktik bietet der Autor eine gute Grundlage für den pädagogischen und therapeutischen Einsatz des Spiels, insbesondere für das Arbeitsfeld der Heil- und Sonderpädagogik. Vielfältige Anregungen und Orientierungshilfen können dazu beitragen, dass die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf an Bildungs- und Erziehungsprozessen möglich wird.

Sehr hilfreich sind auch die Definitionen oder Zusammenfassungen in der Rubrik „Auf den Punkt gebracht“, sowie die Praxisbeispiele aus Beobachtungen oder spielpädagogischen Projekten des Autors. Wird dadurch doch deutlich, dass hier jemand weiß, wovon er spricht.

Fazit

Dieses Studienbuch ist allen pädagogisch Tätigen und Studierenden zu empfehlen, die sich mit der pädagogischen Begleitung des Spiels von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen beschäftigen. Es bietet umfangreiche und fundierte Anregungen, sich mit der Geschichte und der Theorie der Spielpädagogik in all ihren Facetten zu beschäftigen und die Kernelemente in die pädagogische Praxis einzubringen.

Rezension von
Dr. Richard Hammer
Dipl. Motologe
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Es gibt 32 Rezensionen von Richard Hammer.

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Zitiervorschlag
Richard Hammer. Rezension vom 30.10.2023 zu: Ulrich Heimlich: Einführung in die Spielpädagogik. Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung (Bad Heilbrunn) 2023. 4. aktualisierte Auflage. ISBN 978-3-8252-6063-7. Reihe: UTB - 4199. Pädagogik. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31424.php, Datum des Zugriffs 10.11.2024.


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