Mirjana Zipperle, Katharina Baur (Hrsg.): Empirische Facetten der Schulsozialarbeit
Rezensiert von Dipl. Päd. Martin Zauner, 16.05.2024

Mirjana Zipperle, Katharina Baur (Hrsg.): Empirische Facetten der Schulsozialarbeit. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2023. 387 Seiten. ISBN 978-3-7799-7438-3. D: 42,00 EUR, A: 43,20 EUR.
Thema
Schulsozialarbeit, Soziale Arbeit an Schulen, Jugendsozialarbeit an Schulen, School Social Work [etc.] gibt es auf der ganzen Welt. Fast. Und im Grundsatz herrscht auf der ganzen Welt auch mehr oder weniger Einigkeit darüber, was irgendwie darunter zu verstehen ist. Irgendwie. Bei genauerer Betrachtung diversifiziert sich das Ganze allerdings, etwa hinsichtlich der Adressat*innen, der Aufträge und Aufgaben, der Orientierungen, der Schwerpunktsetzungen oder der Trägerschaft. Und das gilt nicht nur weltweit, sondern ebenso für den deutschsprachigen Raum. Schulsozialarbeit ist ein heterogenes Tätigkeitsfeld an der Schnittstelle von Jugendhilfe und Schule und potenziell auch im Spannungsfeld zwischen Sozial- und Schulpädagogik – das ist der Frame: Schulsozialarbeit als nach außen durchaus abgrenzbarer Oberbegriff für ein buntes Mosaik verschiedenartiger Ausprägungen in der Innensicht.
Die Lektüre des hier zu besprechenden Buches ändert daran nichts, das heißt, es (das Buch) schafft keine Präzisierung. Und das will es auch nicht. Es geht ihm nicht „… um eine normative Version dessen, was Schulsozialarbeit sein soll …“ (16), sondern darum, die genannte Vielfältigkeit des Feldes anhand aktueller, empirischer Forschungsergebnisse irgendwie zu ordnen.
Herausgeberinnen
Die beiden Herausgeberinnen Mirjana Zipperle und Katharina Baur sind noch beziehungsweise waren während der Projektdurchführung Wissenschaftlerinnen am Institut für Erziehungswissenschaft, Abteilung Sozialpädagogik der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.
Aufbau
Insgesamt haben die beiden Herausgeberinnen Mirjana Zipperle und Katharina Baur 26 Beiträge von insgesamt 50 Forscherinnen und Forschern gesammelt, die sie den folgenden fünf Abschnitten zuordnen konnten:
I. Fokus Selbstverständnis und professionelles Handeln in der Schulsozialarbeit (7 Beiträge von 10 Autor*innen)
II. Fokus Adressat*innen: Forschung zur Wahrnehmung und Aneignung von Schulsozialarbeit (4 Beiträge von 8 Autor*innen)
III. Fokus Struktur und Organisationen: Forschung zu Trägern und zur Steuerung (7 Beiträge von 17 Autor*innen)
IV. Fokus Schulsozialarbeit im Kontext gesellschaftlicher Herausforderungen (5 Beiträge von 9 Autor*innen)
V. Fokus Kooperation und Vernetzung: Weiterentwicklungen der Schulsozialarbeit in ihren Außenbezügen (3 Beiträge von 6 Autor*innen)
Inhalt
Bevor nun auf diese fünf Abschnitte etwas differenzierter eingegangen wird, bleibt noch zu erwähnen, dass die beiden Herausgeberinnen ihrerseits mit jeweils eigenen Beiträgen die Leserschaft sehr brauchbar begleiten. Sie bieten anfangs einen Gesamtüberblick, moderieren jeden Abschnitt an und ziehen am Ende ein Resümee.
I Fokus Selbstverständnis und professionelles Handeln in der Schulsozialarbeit
Auf einen sehr einfachen Nenner gebracht, geht es in diesem ersten Abschnitt um die Rolle(n) der Schulsozialarbeit und sich daraus ableitende Aufgaben und Tätigkeiten in und am Ort der Schule.
Anja Reinecke-Terner kommt in ihrem Forschungsprojekt zu der Erkenntnis, dass sich Schulsozialarbeiter*innen auf einer „Zwischenbühne“ zwischen einer formalschulischen Vorder- und der lebensweltlichen Hinterbühne der Schüler*innen bewegen. Sie fungieren dort als Brückenbauer zwischen den Welten und zwischen Personen. Das formuliere Ansprüche an ein sehr komplexes, manchmal auch widerstreitendes Rollenrepertoire.
Johannes Kloha erörtert in seinem Beitrag Möglichkeiten des Konzepts „Arbeitsbogen“ für die Fallarbeit. Dieses rücke in der Funktion einer heuristischen Brille die Vielzahl an Fallperspektiven, zu bewältigender Aufgaben und beteiligter Personen in den Blick und ermögliche so eine profunde Analyse der ablaufenden beziehungsweise zu beschreitenden Prozesse.
Florian Baier stellt sich in seinem Projekt die Frage, wie sich aus einer machttheoretischen Perspektive heraus Kräfteverhältnisse darstellen lassen, die in Beratungsgesprächen der Schulsozialarbeit wirken. Er differenziert sechs Wirkmächte, die es den Beteiligten an Beratungsgesprächen ermöglichen, jeweils mehr oder weniger Einfluss auf den Prozess zu nehmen.
Wie können Schulsozialarbeiter*innen Eltern als Kooperationspartner ansprechen und gewinnen? Dieser Frage geht Stephanie Disler in ihrem Beitrag nach. Sie sieht in der Auflösung der grundliegenden Asymmetrie zwischen Schulsozialarbeit und Eltern eine schlüssige Antwort. Zentral dafür, dass das gelinge, sei die Adressierung der Eltern als Partner in der Problemlösung, zu der sie aufgrund ihrer Kompetenzen wirkungsvoll beitragen können: „Sie kennen ihr Kind am besten …!“
Reflexionsfähigkeiten und -tätigkeiten sind für die Steuerung und Überprüfung des eigenen Tuns wesentlich! Veronika Knoche findet zu dieser paradigmatisch akzeptierten Position keine Empirie, was sie im Rahmen ändert. Sie untersucht, wie Reflexionsprozesse in der Schulsozialarbeit (hier JaS) beispielsweise ausgestaltet werden und welche Rahmenbedingungen für eine professionelle Reflexion nötig sind. Sie stößt auf unterschiedliche Strategien. Bemerkenswert vielleicht am Rande, dass sich in den Reflexionen der beobachteten Fachkräfte immer wieder Abwertungen des eigenen Berufsbildes finden …
Nina Thieme, Eva Marr und Daniela Molnar zitieren in ihrem Beitrag stellvertretend Frau Schmidt, die auf die Frage, woran sie denn merke, dass sie in einer Schule als Schulsozialarbeiterin tätig sei, fast singend antwortet: „Ich gebe keine Noten!“. Die Forscherinnen gehen in ihrem Projekt dem Gegenstand des professionellen Selbstverständnisses von Schulsozialarbeiter*innen in berufsübergreifenden Kooperationen nach. Sie konnten feststellen, dass sich dieses oft wenig proaktiv, sondern gerne reaktiv über eine Distanzierung zu den Aufgaben und Tätigkeiten von Lehrkräften definiert … zumindest in inklusionsorientierten Ganztagsschulen.
Auch Christine Würfl und Barbara Schörner interessieren sich für das berufliche Selbstverständnis in der Schulsozialarbeit, und zwar in Österreich. Sie haben dazu die berufliche Selbstverortung von Berufsträger*innen mit Hilfe von 13 Selbstcharakterisierungen operationalisiert. Im Ergebnis stellten sie fest, dass die Suche nach einem typischen Rollenprofil in relativ unscharfen Konturierungen der Profession mündet. Es zeigt sich eine große Angebotsbreite, die nicht selten mit Abgrenzungsproblematiken und Mandatsunklarheiten einhergeht.
II Fokus Adressat*innen: Forschung zur Wahrnehmung und Aneignung von Schulsozialarbeit
Dieser zweite Abschnitt hinterfragt, wie Nutzerinnen und Nutzer Schulsozialarbeit wahrnehmen und wie und wieso sie sich auf deren Angebote einlassen, oder aber nicht.
Kathrin Aghamiri bezieht sich in ihrem Beitrag auf sozialpädagogische Gruppenangebote in der Schule. Sie erläutert, dass soziales Lernen dabei nicht linear im Sinne eines Trainings geschehe, sondern dass Bildungsprozesse sich grundsätzlich durch Selbsttätigkeit der Schülerinnen und Schüler auszeichnen, durch Aneignungsprozesse. In diesem Zusammenhang beleuchtet sie die Bedeutung von „Spaß“ als zentralem Motivator einer Aneignung.
Katharina Baur, Leah Stange und Andreas Karl Gschwind möchten, vor dem Hintergrund der Vielseitigkeit des Feldes, Kernqualitäten und -kompetenzen der Schulsozialarbeit definieren. Hier interessiert sie die Sicht der Nutzerinnen und Nutzer, die ihrerseits Schulsozialarbeit als allround-kompetent wahrnehmen und schätzen, irgendwie und je nachdem als „eierlegende Wollmilchsau“. Die Autor*innen weisen auf die Notwendigkeit einer deutlicheren Positionierung und Priorisierung hin, allein schon, um sich als Angebot an Schulen zu legitimieren.
Auch Jacqueline Eidemann interessiert sich in ihrem Forschungsprojekt dafür, wie Nutzer*innen die Schulsozialarbeit sehen. Konkret geht es um fördernde und hindernde Bedingungen einer Nutzung, mit dem Ziel, den Gebrauchswert der Dienstleistung Schulsozialarbeit zu erhöhen. Dazu beleuchtet sie die vier Bereiche Erstkontakt, Aufbau von Arbeitsbeziehungen, Nutzen und biografischer Gebrauchswert und Nutzungstypen der Schulsozialarbeit.
Mit ihrem quantitativen Projekt suchen Sebastian Rahn, Katharina Baur und Mirjana Zipperle Antworten auf die Fragen, wie viele ihrer potenziellen Nutzer*innen die Schulsozialarbeit überhaupt erreicht, wie viele Schüler*innen die Fachkräfte kennen und in welcher Form und Häufigkeit sie, wenn, die Angebote nutzen. Im Ergebnis zeigt sich, dass viele Schüler*innen die Schulsozialarbeit kennen und in ihr durchaus eine Nutzungsoption sehen, wenn vielleicht auch nicht immer die priorisierte.
III Fokus Struktur und Organisation: Forschung zu Trägern und zur Steuerung
Im dritten Abschnitt geht es um Rahmen- und Strukturbedingungen, unter denen Schulsozialarbeit stattfindet. Diese reichen (hier) von der Personal- und Raumausstattung über verschiedene Steuerungs- und Trägeroptionen bis hin zu Koordinierungsstellen.
In ihrem Beitrag gehen Thomas Markert und Philipp Blank auf den vermeintlichen oder tatsächlichen „Gap“ zwischen fachwissenschaftlich empfohlener und tatsächlicher Personal- und Raumausstattung in der Schulsozialarbeit ein. Sie analysieren das, stellvertretend, für Mecklenburg-Vorpommern. Im Ergebnis scheint das Glas mindestens halb voll zu sein, bezüglich der räumlichen Bedingungen wie auch personell. Es zeigen sich allerdings deutliche regionale Unterschiede … und nicht jede Fachkraft in Teilzeit möchte dieses Arbeitszeitmodell für sich.
Von Mecklenburg-Vorpommern nach Baden-Württemberg: Es geht um Rahmenbedingungen der Steuerung von Schulsozialarbeit. Der Beitrag von Mirjana Zipperle, Sebastian Rahn und Katharina Baur analysiert dazu, welche Steuerungsvoraussetzungen und -ressourcen (dort) kleinere und größere Träger haben, welche Reflexionsorte diese Träger ihren Fachkräften zur fachlichen Begleitung bieten und welche Austauschorte und -formate Träger nutzen, um sich mit den unterschiedlichen Akteuren im Feld zu vernetzen und abzustimmen.
… in die Deutschschweiz: „Wie evaluieren dort Einrichtungen der Schulsozialarbeit?“ fragen sich Edgar Baumgartner, Aline Kaufmann, Michael Lambertus und Beat Hulliger in ihrem Mixed-Methods-Forschungsprojekt: „Welche Verfahren finden Anwendung? Wie wirken diese und was sind gegebenenfalls die Wirkungsbedingungen? Was geschieht mit den Ergebnissen? Und: Was wird überhaupt evaluiert?“
… nach Nordrhein-Westfalen: Dort gibt es seit etwa 10 Jahren trägerübergreifende Koordinierungsstellen für Schulsozialarbeit. In ihrer Studie erfasst Kathrin Gräßle, wie diese konzipiert sind und natürlich, welche Rolle sie wirklich und wie spielen. Obwohl die jeweilige Kommune den konkreten Auftrag an die Koordinierungsstelle formuliert, ist deren Funktion doch grundsätzlich immer in der Koordination der in NRW recht heterogenen Schulsozialarbeit zu sehen. Die Verfasserin findet sehr unterschiedliche Umsetzungen und Qualitäten, die mehrheitlich noch etwas Luft nach oben zu haben scheinen.
… nach Niedersachsen: Dort befindet sich seit einer Strukturreform Schulsozialarbeit überwiegend in schulischer Trägerschaft. Christine Baur und Franziska Homuth fragen sich vor diesem Hintergrund, wie sich das auf eine Qualitätsentwicklung der Schule auswirkt, wie das aus Sicht von jeweils Schulsozialarbeit und Schulleitung die Kooperationsebene beeinflusst und ob sich der Auftrag der Schulsozialarbeit durch die Verschiebung der Dienst- und Fachaufsicht von der Jugendhilfe hin zur Schule beziehungsweise Schulbehörde verändert?
Was geschehen könnte, wenn Schulsozialarbeit in eine schulische Trägerschaft und damit in schulstrukturelle Logiken überführt wird, stellen Anke Spies, Karsten Speck und Anja Steinbach am Beispiel einer kooperativen offenen Ganztagsgrundschule (?) in Niedersachsen dar. Sie finden Hinweise darauf, dass Schulsozialarbeit (dort) schulkompensatorische Funktionen übernimmt, dass sie sich an schulische Logiken anpasst und gleichzeitig sozialpädagogische Handlungsmaximen vernachlässigt. Einzelfälle?
… in die Schweiz, Kanton Zürich: Dort gibt es seit dem Schuljahr 2022/23 erstmalig auch an acht Gymnasien Schulsozialarbeiter*innen. Simone Ambord und Ueli Hostettler fragen nach spezifischen Anforderungen an Gymnasien und ob sich diese grundlegend von denen anderer Schularten unterscheiden. Dazu vergleichen sie Problemfelder der jeweiligen Schüler*innen und analysieren Kontextmerkmale und Herausforderungen der jeweiligen interdisziplinären Kooperation.
IV Fokus Schulsozialarbeit im Kontext gesellschaftlicher Herausforderungen
Dieser vierte Abschnitt dient als Sammelbecken für ganz unterschiedliche Themen mit mehr oder weniger deutlichem gesellschaftlichen Bezug.
Im Beitrag von Bettina Müller und Regine Morys geht es um diskriminierende Interaktionen an Schulen. Hierfür sieht die Antidiskriminierungsstelle des Bundes potenzielle Ursachen im gegenseitigen Verhalten von Schülerinnen und Schülern, im Verhalten von Lehrkräften Schüler*innen gegenüber und in strukturellen Bedingungen. Der Beitrag stellt Ergebnisse des Forschungsprojekts SalsA vor. Das Forscherteam verdichtet diese zu neun theoretisch und empirisch fundierten Handlungsempfehlungen für die Schulsozialarbeit.
Wenn Schulsozialarbeit mit der Schule beziehungsweise in deren Rahmen Angebote macht, dann entsteht nach Oliver Bokelmann eine Art „fluider Zwischenraum“, der gleichzeitig schulisch wie außerschulisch geprägt ist und so einen Kontrast zum Schulalltag bietet. Der Autor beleuchtet das in seinem Beitrag speziell hinsichtlich der Möglichkeit für Schülerinnen und Schüler, sich im Rahmen von demokratiepädagogischen Projekten demokratische Kompetenzen anzueignen.
Sehr ambitioniert wirkt das Projekt von Maik-Carsten Begemann. Es möchte das grundsätzliche Bildungspotenzial der Schulsozialarbeit empirisch fassen. Dazu wurde 2014 das vierphasige Projekt „Bildungspotenziale von Schulsozialarbeit“ ins Leben gerufen, das zum einen eben diese Forschungslücke schließen und zum anderen nichts weniger als eine Theorie mittlerer Reichweite zu den Bildungsleistungen der Schulsozialarbeit generieren soll.
Leah Stange, Katharina Baur und Sebastian Rahn analysieren in ihrem Beitrag jugendliche Lebenswelten. Im Fokus stehen dabei vor allem die Aspekte Digitalität und Institutionenlosigkeit. Es konnte festgestellt werden, dass, bei aller Vielfältigkeit der Lebenswelten, diese zu weiten Teilen ohne institutionalisierte Freizeitbeschäftigungen auszukommen scheinen, also ohne Musikschule, Schwimmverein und Feuerwehr. Trotzdem sei den Jugendlichen nicht langweilig. Der Beitrag diskutiert, wie eine lebensweltorientierte Schulsozialarbeit dieser (mediatisierten) Heterogenität begegnen kann.
Schulsozialarbeit sitzt zwischen zwölf Stühlen beziehungsweise sechs dichotomen Stuhlpaaren. Das beobachten zumindest Constanze Berndt, Brit Reimann-Bernhardt, Heike Gruhlke, Kathleen Jevlasch und Wolfgang Müller in ihrem Beitrag „Schulsozialarbeit in der Krise“. Auf der Grundlage ihres Forschungsprojekts unternehmen sie eine Standortbestimmung der Schulsozialarbeit, indem sie Spannungsfelder aufzeigen, mit denen sie die Profession aktuell konfrontiert sehen.
V Fokus Kooperation und Vernetzung: Weiterentwicklungen der Schulsozialarbeit in ihren Außenbezügen
Die Beiträge dieses fünften Abschnitts betrachten Schulsozialarbeit als einen Akteur in erweiterten Kontexten, dessen Zuständigkeitsbereich grundsätzlich größer als die Schule ist, der sich sozialräumlich vernetzt und mit anderen Akteuren lebensweltorientiert kooperiert.
Das heterogene Feld der Schulsozialarbeit brauche, so stellen Andreas Karl Gschwind, Katharina Baur und Mirjana Zipperle fest, fachliche Leitplanken, etwa um der Gefahr zu begegnen, beliebig zu sein oder zu wirken. Eine solche Leitplanke sehen die Verfasser in einer explizit sozialräumlichen Ausrichtung. Aus dieser Perspektive heraus stellen sie sich die Frage nach einem konkreten Nutzen für die Adressat*innen und den Bedingungen eines solchen Nutzens. Sie finden und geben Antworten und Anregungen. In ihrem Beitrag beziehen sie sich auf Ergebnisse des Forschungsprojekts Sozialräumliche Schulsozialarbeit an Sekundarschulen in Baden-Württemberg.
Wie können eigentlich Schulsozialarbeit und Offene Kinder- und Jugendarbeit miteinander? Um das festzustellen, schauen Ulrich Deinet und Maria Icking zum einen durch die Brille der Offenen Kinder- und Jugendarbeit auf die Schulsozialarbeit und zum anderen von dieser zurück. Sie sehen, dass es durchaus Kontakte aus unterschiedlichen Anlässen gibt. Allerdings sind inhaltliche Kooperationen, etwa in Gestalt gemeinsamer Projekte, doch eher selten. Schulsozialarbeit, so scheint sich am Rande anzudeuten, verändert die seit Jahren kontrovers geführt Debatte um Für und Wider einer Kooperation von Offener Kinder- und Jugendarbeit und Schule.
Angelika Iser geht der Frage nach, ob Schulsozialarbeit als Jugendhilfeangebot an Schulen ausreicht, oder ob, etwa für intensive Einzelfallhilfe, weitere Angebote sinnvoll wären, die zwischen Schulsozialarbeit und ambulanter Erziehungshilfe anzusiedeln wären. Hintergrund dieser Überlegung sei ein gestiegener Unterstützungsbedarf, aber auch, dass es wegen einer stetigen Verschiebung zum schulischen Ganztag für ambulante Jugendhilfemaßnahmen spürbar weniger Zeitressourcen in den Familien gibt. Anhand des Münchner Modellprojekts SozialeArbeit.intensiv@school, in dessen Rahmen zusätzliche Jugendhilfefachkräfte an Projektschulen eingesetzt waren, erörtert die Verfasserin Vor- und Nachteile gegenüber dem Ausbau einerseits der Schulsozialarbeit und andererseits der ambulanten Erziehungshilfen.
Diskussion
Ist Schulsozialarbeit alles, was ist, wenn Soziale Arbeit auf Schule trifft? Das wäre als Definition sehr beliebig, austauschbar und wenig befriedigend. Und das kann der Anspruch nicht sein. Professionalität beziehungsweise professionelles Handeln benötigt zur Qualifizierung eine Referenz, ein Profil – und natürlich verfügt Schulsozialarbeit inzwischen über so etwas, irgendwie. Es gibt sie ja nicht erst seit gestern.
Allerdings, und das ist nicht zu übersehen, zeigt sich dieses Profil nicht eben präzise. Es markiert keinen Spot, sondern vielmehr ein Areal oder Feld, dessen Grenzen sich durch bestimmte Postulate bestimmen, etwa dem, dass Schulsozialarbeit kontinuierlich am Ort der Schule durch sozialpädagogische Fachkräfte geschieht (vgl. Speck). Das aber lässt erstens einigen Interpretations- und zweitens vielfältigen Handlungsspielraum.
Die Lektüre des hier besprochenen Buches erinnert, wen wundert es daher, beispielsweise an den Gang durch ein Warenhaus, vielleicht für Lebensmittel oder Heimwerkerartikel, einen Elektromarkt oder einen Fachhandel für empirische Facetten der Schulsozialarbeit. Was gibt es hier nicht alles zu betrachten und zu bestaunen, auszuprobieren oder aber irritiert wahrzunehmen. Man geht durch die Regale, sieht auf der einen Seite enorm interessante und faszinierende Dinge und wundert sich gleichzeitig auf der anderen, was es so alles gibt, worüber sich Menschen Köpfe zerbrechen, und man fragt sich vielleicht, wozu man das brauchen kann. Während dessen sieht man andere Menschen ihrerseits durch die Regale streifen, die sich genau für die Dinge interessieren, die man noch eben selbst links liegen gelassen hat. Na sowas!
Die von den beiden Herausgeberinnen akribisch gesammelten Beiträge aus dem deutschsprachigen Raum sind vielfältig wie das Arbeitsfeld. Es sind umfassendere Studien dabei und wiederum welche mit relativ übersichtlicher Trag- und Reichweite. Manche betrachten sich größere Bögen, andere lieber spezifische Aspekte und Details. Die Mehrzahl der Studien – darunter viele Dissertationsprojekte – weist ein qualitatives Design auf. Die meisten fokussieren speziell die Schulsozialarbeit, wenige andere streuen etwas weiter und betrachten diese „nur“ auch. Alle Beiträge haben eine sichtbare Relevanz für das Feld und deuten in der Gesamtheit auf ein zunehmendes forschendes Interesse an Schulsozialarbeit hin. Das ist ganz sicher im Sinne der Professionalisierung, vielleicht aber auch einer Profilierung und Standardisierung.
Wenn gerade festgestellt wurde, dass die aktuelle Vielzahl empirischer Facetten zur Schulsozialarbeit einen Beitrag zu deren Professionalisierung leistet, dann darf gleichsam festgestellt werden, dass dieses Buch selbst ebenso einen Beitrag dazu leistet. Es ist eine sehr gute Idee, die „Schulsozialarbeitsforschung“ in einem Sammelwerk zusammenzuführen, zu ordnen und gut leserlich aufzubereiten. Gut leserlich bedeutet hier, dass umfassende, komplexe Forschungsprojekte von den jeweiligen Autorinnen und Autoren auf ihre (eine) Essenz reduziert und, wenn man so will, als „Destillat“ serviert werden: das Wesentliche auf wenige Seiten verkürzt und auf den Punkt gebracht.
Fazit
Es tut sich viel im Feld der „Schulsozialarbeitsforschung“, wovon Menschen auch mit engem praktischen oder wissenschaftlichen Bezug nur sehr wenig mitbekommen, wenn überhaupt. Wie sollten sie auch? „Empirische Facetten der Schulsozialarbeit“ ändert das nun. Das Buch sammelt 26 recht aktuelle Forschungsprojekte aus dem deutschsprachigen Raum, ordnet diese systematisch und präsentiert sie gut leserlich, gut nachvollziehbar und im Resultat sehr informativ: Daumen hoch!
Rezension von
Dipl. Päd. Martin Zauner
Dipl.Päd.(univ), Dipl.Sozialpäd.(FH), Mediator (BM), AkadOR an der Fakultät Sozial- und Gesundheitswissenschaften an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (Lehrgebiete: Gruppenarbeit, Teamführung /-entwicklung, Mediation, Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, Schulsozialarbeit)
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