Tina In-Albon (Hrsg.): Emotionsregulation und psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter
Rezensiert von Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner, 15.03.2024
Tina In-Albon (Hrsg.): Emotionsregulation und psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter. Grundlagen, Forschung und Behandlungsansätze. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2023. 2., erweiterte und aktualisierte Auflage. 309 Seiten. ISBN 978-3-17-040334-5. 44,00 EUR.
Thema
Eine dysfunktionale Emotionsregulation begünstigt die Entstehung und Aufrechterhaltung vieler psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter. Dies wird für verschiedene Störungen erläutert und dargestellt (u.a. theoretischer Hintergrund, Entwicklung, diagnostische Verfahren und Trainings zur Emotionsregulation). Für die 2. Auflage wurde das Buch aktualisiert und um neue Themen wie Neurobiologie und Geschlechtsidentität erweitert.
Die Herausgeberin
Prof. Dr. phil. Tina In-Albon ist Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau.
Aufbau und Inhalt
Das Buch umfasst 17 Kapitel.
In Kapitel 1 führt die Herausgeberin in theoretische Modelle von Emotion und Emotionsregulation ein. Ausführlicher stellt sie das Prozessmodell der Emotionsregulation von Gross vor. Emotionsregulation ist ein sehr komplexer Prozess. Sie ist relevant für die Entstehung, Aufrechterhaltung und Behandlung einer Vielzahl von psychischen Auffälligkeiten.
In Kapitel 2 beschäftigen sich Zimmermann, Lichtenstein und Iwanski mit der Entwicklung der Emotionsregulation in Kindheit und Jugend. Sie beschreiben zuerst ein allgemeines Modell der Veränderungen der Emotionsregulierung von der frühen Kindheit bis ins Jugendalter mit 5 Basismodulen (Ereignismodul, Bewertungsmodul, Emotionsmodul, Emotionsregulationsstrategiemodul sowie Übergeordnetes Modul der zielkorrigierten Selbststeuerung) und stellen dann umfangreich und differenziert die altersspezifischen Veränderungen in der Regulation von Ärger, Trauer und Angst dar. Die Entwicklung ist ein transaktionaler Prozess; sie verläuft emotionsspezifisch unterschiedlich.
In Kapitel 3 stellen Maxwill, Kathmann und Heinrichs diagnostische Verfahren tabellarisch vor und diskutieren jeweils Vor- und Nachteile (Selbst- und Fremdberichtmethoden, altersspezifisch differenzierte Beobachtungsverfahren, physiologische Methoden und computergestützte Verfahren).
Basten und Armbruster-Genç diskutieren die Neurobiologie der Emotionsregulierung im Kindes- und Jugendalter und zeigen, wie die Reifung des Gehirns zur Emotionsregulierung beiträgt (Kapitel 4). Sie gehen kurz auf die Methoden zur Untersuchung neuronaler Mechanismen ein, diskutieren Befunde zu Erwachsenen und beschreiben, wie sie sich über Kindheit und Jugend verändern.
Im fünften Kapitel geben Gutzweiler, In-Albon und Pfeiffer einen Überblick über Emotionsregulationstrainings zu Prävention und Intervention. Sie führen in die Grundbegriffe der Prävention ein. Prävention dient u.a. der Stärkung von Schutzfaktoren und dem Abpuffern von Risikofaktoren. Nach einem tabellarischen Überblick unterscheiden sie elternzentrierte Präventionsprogramme (z.B. Triple P) und Interventionsprogramme zur Förderung emotionaler Kompetenzen.
In allen folgenden Kapiteln wird die Rolle der Emotionsregulation bei verschiedenen Störungen des Kindes- und Jugendalters besprochen. Diese störungsspezifischen Kapitel folgen einem einheitlichen Schema: Erscheinungsbild, aktueller Forschungsstand der Emotionsregulation bei der jeweiligen Störung, Klinische Implikationen und Schlussfolgerungen.
Es beginnt mit Emotionsregulationsstörungen im Säuglings- und Kleinkindalter (Bolten), wobei exzessives Schreien, Schlafstörungen und Ess- und Fütterstörungen besprochen werden. Die elterliche Feinfühligkeit wird als wichtige Variable in der Coregulation identifiziert.
In Kapitel 7 geht es um Autismusspektrumstörungen (Altgassen und Kretschmer-Trendowicz). Ausführlich werden Emotionserkennung, Emotionsexpression und Emotionsregulation besprochen, bevor ein Exkurs zu Theory of Mind erfolgt und Interventions- und Trainingsprogramme vorgestellt werden.
Im achten Kapitel (Hyperaktivität, ADHS von Christiansen, Chavanon und Albrecht) werden u.a. auch Theorien zum Zusammenhang von ADHS und dysfunktionaler Emotionsregulation erläutert.
Kapitel 9: Störungen des Sozialverhaltens (Stadler und Steinlin-Danielsson). Für die Entwicklung von sozialer Kompetenz haben Emotionsregulation und Emotionsverarbeitung eine herausragende Bedeutung. Nach aktueller Studienlage sind Störungen des Sozialverhaltens im Zusammenwirken ungünstiger psychosozialer und neurobiologischer Faktoren begründet, die zu Schwierigkeiten in der Emotionsverarbeitung und der Emotionsregulation führen. Vor allem bei aggressivem Verhalten sind Intervention so früh wie möglich wichtig sowie der Schutz vor Gewalt und Vernachlässigung, denn gute Emotionsregulierung kann nur in einem gesunden Umfeld erworben werden.
Angststörungen sind die häufigsten psychischen Störungen des Kindes- und Jugendalters (Kapitel 10; Lippert, Mohr und Schneider). Es besteht eine hohe Komorbidität mit anderen psychischen Störungen; sie haben Schrittmacherfunktion für psychische Störungen im Erwachsenenalter. Die Emotionsregulation hat eine wichtige Funktion bei Entstehung und Aufrechterhaltung sowie für die Therapie.
Schmid und Pfeiffer (Traumafolgestörungen) betonen die gravierenden Auswirkungen von Gewalterfahrung und Kindesmisshandlung und beleuchten auch transgenerationale Aspekte. Bindungssicherheit wird als wichtigen Resilienzfaktor benannt. Deshalb ist u.a. Psychoedukation der Bezugspersonen und der Aufbau eines sicheren Beziehungsnetzes wichtig.
Das nächste Kapitel befasst sich mit Essstörungen im Kindes- und Jugendalter (Munsch und Müller). Es erfolgt eine Einteilung in Anorexia Nervosa, Bulimie, Binge-Eating-Störung und Loss of Control Eating. Die Beschreibung der Bedeutung der Emotionsregulation und der klinischen Implikationen erfolgt jeweils getrennt.
Im Mittelpunkt des Kapitels zur Depression (Horn und Pössel) stehen die Emotionsregulationsstrategien, die als Risikofaktoren der Depression gelten.
In-Albon beschäftigt sich mit nichtsuizidalen Selbstverletzungen (NSSV), stellt den Zusammenhang mit Suizidalität her und bespricht Störungsmodelle sowie klinische Implikationen.
Lindenberg berichtet über den starken Anstieg der täglichen und wöchentlichen Computerspielzeit während des Lockdowns während der Covid19-Pandemie, die später nicht auf das Vorpandemieniveau sank. Online-Verhaltenssüchte wurden als neue Diagnose in der ICD-11 in neuer Kategorie aufgenommen. Auch hier spielen maladaptive Emotionsregulationsstrategien eine wichtige Rolle als Entstehungs- und aufrechterhaltende Faktoren.
Ebenso wichtig sind Emotionsregulationsstrategien beim Umgang mit Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie in Kindes- und Jugendalter (Gallei und Kraus). Stressoren und Belastungen können unterschiedliche negative Emotionen auslösen. Wichtig ist auch eine Entpathologisierung bzw. Neuverortung in ICD-11.
Das Buch schließt ab mit einem Kapitel von Luczejko und Schwenk, indem sie die Zusammenhänge zwischen elterlicher und kindlicher Emotionsregulation für die transgenerationale Transmission psychischer Erkrankungen näher beleuchten.
Diskussion
In diesem Buch werden zuerst störungsübergreifende Aspekte, u.a. Theorie, Diagnostik, Mechanismen, Trainings herausgearbeitet und anschließend die Bedeutung Emotionsregulation bei den psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter herausgearbeitet. Es wird deutlich aufgezeigt, welche bedeutsame Rolle die Form der Emotionsregulation bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Störungen spielen sowie welche Interventionsansätze in die Therapie einbezogen werden können.
Die systematische Gliederung der Kapitel zu den Störungen erweist sich als sehr hilfreich.
Zielgruppen
Zielgruppen sind Studierende, Fachkräfte in Forschung, Lehre und Praxis, Fachkräfte in der Frühförderung und Kinder- und Jugendtherapeut*innen.
Fazit
In diesem Buch werden die Grundlagen der Emotionsregulation im Kindes- und Jugendalter dargestellt und deren wichtige Rolle für die Prävention und Behandlung relevanter Störungen herausgearbeitet. Das Buch ist hilfreich für alle in der Zielgruppe genannten Personen.
Rezension von
Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner
ehem. Leiter der Interdisziplinären Frühförderstellen in Dorfen, Erding und Markt Schwaben im Einrichtungsverbund Steinhöring
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Es gibt 197 Rezensionen von Lothar Unzner.
Zitiervorschlag
Lothar Unzner. Rezension vom 15.03.2024 zu:
Tina In-Albon (Hrsg.): Emotionsregulation und psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter. Grundlagen, Forschung und Behandlungsansätze. Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2023. 2., erweiterte und aktualisierte Auflage.
ISBN 978-3-17-040334-5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31434.php, Datum des Zugriffs 14.01.2025.
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