Michelle Falk: Trauer von Menschen mit geistiger Behinderung begleiten
Rezensiert von Mareike Menthe, 27.02.2024
Michelle Falk: Trauer von Menschen mit geistiger Behinderung begleiten. Eine Methodensammlung. Stiftung Rehabilitationszentrum Berlin-Ost 2023. ISBN 978-3-9822419-2-0.
Thema
Die Entstigmatisierung von Abschied und Trauer erfordert eine inklusive Perspektive, die auch Menschen mit geistiger Behinderung einbezieht. Es ist entscheidend, ihre Trauer zu erkennen, zu verstehen und sie auf eine aufgeklärte und empathische Weise zu begleiten. Obwohl sich ihre Trauer grundsätzlich nicht von der von Menschen ohne geistige Behinderung unterscheidet, erfordern die spezifischen Herausforderungen in ihrer Trauerbewältigung ein individuell angepasstes „Handwerkzeug“.
Autor:in oder Herausgeber:in
Michelle Falk ist Sozialarbeiterin und seit einigen Jahren in der Behindertenhilfe tätig. Das Buch stellt die über die Stiftung Rehabilitationszentrum Berlin-Ost verlegte Version ihrer Masterthesis dar.
Aufbau
Das Buch ist neben Widmung, Vorwort, Anhang so wie Quellenangaben wie folgt aufgebaut:
- Einleitung
- Klärung zentraler Begriffe
- Der besondere Raum: Trauer von Menschen mit geistiger Behinderung
- Trauer begleiten
- Zugänge zur Trauer gewinnen
- Methodensammlung
Inhalt
Nach der Einleitung widmet sich Kapitel 2 der Begriffsklärung von Behinderung und Trauer, vertieft die Thematik und setzt geistige Behinderung in den Kontext des ICF-Modells. M.Falk skizziert den Umfang möglicher Trauer und grenzt ihn auf die vielschichtige Reaktion auf einen subjektiv bedeutsamen Verlust ein. Dabei nutzt sie das Aufgabenmodell von Alan D. Wolfelt, um die verschiedenen Facetten und Ebenen von Trauer zu beleuchten. Das Kapitel gibt Einblick in die „Notwendigkeiten“ und Elemente dieses Modells.
- die Realität des Todes anerkennen
- den Schmerz des Verlustes annehmen
- sich des Verstorbenen erinnern
- eine neue Identität entwickeln
- die Suche nach dem Sinn
- Unterstützung von anderen erhalten
- in Beziehung bleiben (ergänzt durch Pfeiffer)
Das erste Kapitel schließt mit der Definition von Trauerarbeit und Methoden als Basis der erstellten Methodensammlung ab.
Kapitel 3 nimmt den von M. Falk als solchen bezeichneten „besonderen Raum, in dem sich Menschen mit geistiger Behinderung in ihrer Trauer bewegen“, in den Fokus und greift dabei vordergründig auf die Aspekte „Aberkannter Trauer“ zurück. Trauer und Behinderung werden im ICF-Modell dargestellt und damit mögliche Wechselwirkungen, sowie förderliche als auch hinderliche Kontextfaktoren verdeutlicht. Das Kapitel schließt mit einem offenen fiktiven Fallbeispiel ab, das in Kapitel 4 aufgegriffen wird.
Kapitel 4 fokussiert die Rolle der Begleitperson. Dabei widmet es sich folgenden Aspekten:
- Wissen als Basis
- Menschenbild und Haltung
- Personenzentrierung, Selbstbestimmung und das Recht auf Teilhabe
- Empowerment und Ressourcenorientierung
- Gesellschaftlicher Auftrag
- Kommunikation in Beziehung
- Selbstreflektion
- Austausch in Kooperation
Das vierte Kapitel endet mit einer ausführlichen Variation des fiktiven Fallbeispiels aus Kapitel drei, in der die trauernde Person durch Kontextfaktoren bzw. das Umfeld in ihrer Trauer nicht behindert, sondern unterstützt wird.
Kapitel 5 gibt einen Einblick in unterschiedliche Zugänge in der Trauerarbeit:
- Die Arbeit mit Fotos
- Biografiearbeit
- Rituale schaffen
- Kreative und künstlerische Zugänge zur Trauer
- Verbundenheit durch die Natur
- Filme, Videos und Bücher
Das Buch schließt mit der in Kapitel 6 enthaltenen Methodensammlung ab. Diese ist im Sinne des Trauermodells von Wolfelt in dessen unterschiedlichen Elemente unterteilt. Zu jedem Element werden vor der Methodenvorstellung die Rolle und Aufgaben der Belgleitperson dem Trauerelement entsprechend beleuchtet. Die im Anschluss aufgeführten Methoden basieren auf unterschiedlichen, vordergründig kreativen Zugängen, darunter beispielsweise eine Mutmachplaylist, eine Trauerreise, Trostsalben oder Erinnerungsschmuckstücke.
Diskussion
Zwar bezieht sich das Buch von Michelle Falk zu Teilen auf den Kontext sozialarbeiterischer oder heilpädagogischer Arbeit, doch beschreibt die Autor:in in ihrer Einleitung bereits zutreffend, dass ihre Arbeit sich nicht explizit an ausgebildete Trauerbegleiter:innen richtet, sondern an alle Personen, die Menschen mit geistiger Behinderung in ihrer Trauer unterstützen und begleiten möchten.
M.Falk vermittelt den Leser:innen nötiges theoretisches Basiswissen rund um die Trauer von Menschen mit geistiger Behinderung. Im Verlauf des Buches verbindet sie dieses Wissen mit der Notwendigkeit einer einfühlsamen, persönlichen und professionellen Haltung.
Dabei greift die Autorin auf ein weniger klassisches, umfängliches und zugleich leicht verständliches Aufgaben-Modell von Trauer zurück. M. Falk fügt schrittweise Inhalte zu den Elementen des Trauermodells hinzu, wobei der Schwerpunkt und Blick auf der Trauer von Menschen mit geistiger Behinderung liegt. Dies soll dazu beitragen, einen besseren Zugang zu ihrer Trauer zu schaffen sowie ein tieferes Verständnis zu ermöglichen.
Die beiden im Buch präsentierten Fallbeispiele bieten konkrete Einblicke in die Trauer und Begleitung von Menschen mit geistiger Behinderung. Die abschließende Methodensammlung verbindet Theorie und Praxis, indem sie alle vorherigen Kapitel zusammenfasst und konkrete Werkzeuge für die tägliche Trauerbegleitung bietet, die flexibel an die individuellen Bedürfnisse der Trauernden angepasst werden können.
Michelle Falk führt einfühlsam und tiefgründig durch das hochsensible Thema von Tod und Trauer im Kontext geistiger Behinderung, ohne ihren fachlichen Blick zu verlieren. Das Buch bietet einen wertvollen Beitrag, um die Trauer von Menschen mit geistiger Behinderung besser zu verstehen. Besonders hervorzuheben ist die klare, farbenfrohe Methodensammlung am Ende des Buchs. Diese wurde bereits im Vorwort von Herrn Burtscher als „Fundgrube an Ideen und kreativen Methoden“ bezeichnet. M. Falk präsentiert bekannte Methoden der Trauerarbeit, passt sie an die Bedürfnisse von Menschen mit geistiger Behinderung an und entwickelt innovative Ansätze. Diese Sammlung ist eine vielseitige, praxisnahe Unterstützung für Begleiter:innen mit dem Potenzial, Trauernden etwas Individuelles und ihren Bedürfnissen Angepasstes zu bieten.
Fazit
Mit einem theoriebasierten und zugleich besonders zugewandten Blick auf die Zielgruppe wie Thematik erschafft die Autorineinen bunten Blumenstrauß an Methoden der Trauerbegleitung, der eine wertvolle Bereicherung für die Trauerarbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung darstellt.
Rezension von
Mareike Menthe
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