Caroline Tost: Ein Kind mit geistiger Behinderung begleiten
Rezensiert von Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner, 18.12.2023
Caroline Tost: Ein Kind mit geistiger Behinderung begleiten. Praktische Tipps für Eltern und Familien.
Ernst Reinhardt Verlag
(München) 2023.
177 Seiten.
ISBN 978-3-497-03215-0.
D: 24,90 EUR,
A: 25,60 EUR.
Reihe: Kinder sind Kinder - 45.
Die Autorin
Caroline Tost, M.Sc., arbeitet als Psychologin in einem Sozialpädiatrischen Zentrum. Sie berät und begleitet dort Kinder mit geistiger Behinderung sowie deren Familien.
Thema
Wenn bei einem Kind eine geistige Behinderung diagnostiziert wird, bedeutet das für viele Eltern eine tiefgreifende Verunsicherung. Eltern erhalten Informationen zu Themen wie Therapieplanung, Schulwahl, Strukturierungshilfen, Erziehung, sexuelle Aufklärung und Selbstständigkeitsentwicklung für ihr Kind mit geistiger Behinderung in verschiedenen Lebensphasen.
Aufbau und Inhalt
Das erste inhaltliche Kapitel des Buches vermittelt einschlägiges Fachwissen. Caroline Tost erklärt Intelligenz und Intelligenzminderung und geistige Behinderung als sozialrechtlichen Begriff. Sie bespricht den Weg von ersten Anzeichen bis zur gesicherten Diagnose, erläutert Intelligenzmessung (Testdiagnostik), klärt über mögliche Ursachen auf, diskutiert Sinn und Unsinn einer Diagnose und stellt klar, was eine Intelligenzminderung nicht bedeutet.
Im nächsten umfangreichen Kapitel geht es um Hilfen für das Kind. Wichtig von Beginn an ist der Aufbau einer sicheren Bindung. Es gibt Anregungen und Informationen für die Planung und Durchführung individueller Förderung und Therapie, für Hilfen bei der Strukturierung des Alltags und dem Ermöglichen von sozialer Teilhabe. Die Förderung von Sprache und Kommunikation bis hin zu Hilfsmitteln wird angesprochen ebenso wie zustehende Sozialleistungen (z.B. bei welchem Pflegegrad). Aber auch schwierigere Themen werden nicht ausgespart, der Umgang mit herausforderndem Verhalten oder die sexuelle Aufklärung. Den Abschluss dieses Kapitels bilden Überlegungen zum Weg ins Erwachsenenleben und der Ablösung des Kindes mit geistiger Behinderung.
Im nächsten Kapitel werden Hilfen für die ganze Familie besprochen. Es beginnt mit hilfreichen Ideen zur Verarbeitung der Diagnose und dem Umgang mit Wut, Trauer und Schuldgefühlen. Wichtig und hilfreich ist es, für Selbstfürsorge zu sorgen, die Partnerschaft zu pflegen und hilfreiche Kontakte aufzubauen. Auch die Belastungen der Geschwisterkinder werden thematisiert.
Das Buch schließt ab mit einem umfangreichen Serviceteil (hilfreiche und interessante Literatur, Internetadressen).
Das Buch enthält viele Fallbeispiele, hilfreiche Tipps sind farblich markiert und in einem Kasten herausgestellt.
Diskussion
Caroline Tost vermittelt viel bedeutsames Wissen. Sie spricht emotionale, auch heikle Themen offen und einfühlsam an. So bespricht sie einfühlsam, wie wichtig eine frühe Diagnose sein kann und den Umgang mit Wut und Trauer, aber auch die sexuelle Entwicklung eines Kindes mit geistiger Behinderung.
Sehr hilfreich können die Tipps sein, z.B. Anregungen zur Visulisierung des Tagesablaufs, des Alltags oder auch die tabellarische Gegenüberstellung von Vor- und Nachteilen sonderpädagogischer Fördereinrichtungen und integrativer bzw. inklusiver Betreuung in Kindergärten und Schulen, sodass Eltern sorgfältig und verantwortungsvoll die Für und Wider abwägen können. Wichtig finde ich auch, dass die Belange der Geschwisterkinder deutlich angesprochen werden.
Ich habe aber eine wichtige kritische Anmerkung. Die in den ersten Lebensjahren eines Kindes wichtige Interdisziplinäre Frühförderstelle kommt nur im Absatz über heilpädagogische Frühförderung vor, wobei nur noch erwähnt wird, dass bei Bedarf an medizinisch-therapeutischen Leistungen dies als Komplexleistung durchgeführt wird. Schon im ersten Fallbeispiel zur Verunsicherung von Bezugspersonen wäre es hilfreich, wenn darauf hingewiesen würde, dass die Frühförderstelle ein offenes, niederschwelliges Beratungsangebot für Eltern, die ein Entwicklungsrisiko vermuten, vorhält. Danach kann eine interdisziplinäre Diagnostik eingeleitet werden. Neben der Förderung und Behandlung des Kindes werden u.a. Hilfen bei der Verarbeitung, bei der Förderplanung im Rahmen eines interdisziplinär entwickelten Förder- und Behandlungsplans und in der Vernetzung erbracht (siehe zu all diesen Leistungen einer Interdisziplinären Frühförderstelle auch die Frühförderverordnung vom 23.12.2016). Leider fehlt im Serviceteil auch ein Hinweis auf die Interdisziplinäre Frühförderung und Hilfe bei der Suche nach einer geeigneten Stelle. Hier wäre es hilfreich, z.B. auf die Vereinigung für interdisziplinäre Frühförderung hinzuweisen, auf deren Homepage viele Informationen auch für Eltern und alle deutschen Frühförderstellen zu finden sind.
Zielgruppen
Eltern und Angehörige eines Kindes mit geistiger Behinderung
Fazit
In diesem Buch wird viel Hilfreiches für Eltern mit einem geistig behinderten Kind vermittelt, es gibt Fachinformationen, Information über Hilfen für das Kind und für die gesamte Familie (siehe aber auch Diskussion), die einfühlsam besprochen werden. Insgesamt stellt das Buch eine wichtige Hilfe für alle Eltern mit einem Kind mit geistiger Behinderung dar.
Rezension von
Dr. Dipl.-Psych. Lothar Unzner
ehem. Leiter der Interdisziplinären Frühförderstellen in Dorfen, Erding und Markt Schwaben im Einrichtungsverbund Steinhöring
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Zitiervorschlag
Lothar Unzner. Rezension vom 18.12.2023 zu:
Caroline Tost: Ein Kind mit geistiger Behinderung begleiten. Praktische Tipps für Eltern und Familien. Ernst Reinhardt Verlag
(München) 2023.
ISBN 978-3-497-03215-0.
Reihe: Kinder sind Kinder - 45.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31439.php, Datum des Zugriffs 04.10.2024.
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