Wolfgang Deichsel: Diversitätsorientierte Soziale Arbeit
Rezensiert von Elke Michauk, 09.01.2025
Wolfgang Deichsel: Diversitätsorientierte Soziale Arbeit. Handlungspotenziale in vulnerablen Lebenslagen. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2023. 234 Seiten. ISBN 978-3-17-040800-5. 36,00 EUR.
Thema
Wir leben in einer Migrationsgesellschaft. Diversität durchzieht unseren Alltag und zugleich ist Diversität schwer greifbar. Diversität ist eine vorausgesetzte Querschnittskompetenz. Ihre curriculare Verankerung, insbesondere im grundständigen Studium der Sozialen Arbeit, ist allerdings wenig sichtbar. Wie erlangen demnach angehende Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen Diversitätskompetenz? Vor diesem Hintergrund dieser Kurzanalyse nimmt Deichsel interessierte Lesende mit auf eine Reise. Eine Reise zur Komplexität von Diversität und deren Implikationen für Einzelpersonen, Institutionen und Gesellschaftssysteme. Im Fokus dabei: die Transdisziplin Soziale Arbeit. Eine Profession, deren Zielgruppe vielfach Menschen in vulnerablen Lebenslagen sind. Als Zielgruppen sehen sie sich gesellschaftlichen Normierungen und Bias ausgesetzt. Nur allzu schnell sind sie mit Stereotypen konfrontiert. Eine Auseinandersetzung mit der komplexen und vielschichtigen Lebenswelt der Betroffenen bleibt hingegen vielfach aus.
Vor diesem Hintergrund werden intersektionale Verflechtungen, vielfaltssensible Perspektiven und Mehrfachdiskriminierungen zu blinden Flecken. Sie brechen sich in Schlagzeilen immer wieder Bahnen (z.B. in Bezug auf den Umgang von Polizei und Kriminologie mit psychisch instabilen Persönlichkeiten und Menschen mit Migrationsbiografie). Handlungsansätze sind notwendig und Hürden für eine menschenrechtsbezogene Transdisziplin vorprogrammiert.
Autor
Prof. Dr. jur. Wolfgang Deichsel hat nach seinem 2. Staatsexamen insbesondere als Strafverteidiger am OLG München gearbeitet. Als Wissenschaftlicher Mitarbeiter hat er das Studienfach Kriminologie an der Universität Hamburg mit aufgebaut. Zudem war er Rechtsprofessor und Gründungsprorektor der Evangelischen Hochschule in Dresden. Seit 2015 ist er selbstständiger Rechtsanwalt und ehrenamtlich als Sozialanwalt tätig.
Aufbau
Die vorliegende Publikation ist in die folgenden 10 Kapitel gegliedert:
- Bedarf es einer Neuausrichtung hin zu diversitätsorientierter Sozialer Arbeit? Hypothetische Suchbewegung
- Konzepte, Potenziale, Gestaltung von Diversität – Prozesse der (Ent)Diversifizierung
- Diversitätsorientierte Soziale Arbeit
- Diversitätsorientierte Soziale Arbeit im triangulären Spannungsfeld von Sozialen Problemen, Kriminologie und Strafrecht
- Das Diversitätspotenzial Sozialer Arbeit als Handlungswissenschaft
- Lehrdidaktische und hochschulcurriculare Zugänge zu diversitätsorientierter Sozialer Arbeit
- Top-Down: Theoretisch-Deduktive Zugänge zu Phänomenen/​Gegenständen im Überschneidungsbereich von Sozialen Problemen, Kriminologie und Strafrecht
- Bottom-up: Induktive-praxeologische Zugänge zu Phänomenen/​Gegenständen im Überschneidungsbereich von Sozialen Problemen, Kriminologie und Strafrecht
- Diversitätsebenen – konzeptuelle Kategorien
- Bilanzierungen, Folgerungen, Herausforderungen
Die Kapitel schließen i.d.R. mit einer kurzen Zusammenfassung des Hauptgedankens des jeweiligen Kapitels, mit Übungsaufgaben sowie Hinweisen zu vertiefender Literatur. Die Kapitel 1, 6, 9 und 10 sind hiervon ausgenommen.
Der Gliederung folgt ein Abbildungs-/​Tabellenverzeichnis, ein Literaturverzeichnis sowie ein Abkürzungsverzeichnis.
Inhalt
Deichsel begibt sich in Kapitel 1 und 2 auf eine Suchbewegung nach Forschungs- und Handlungshypothesen. Auf dieser Suche kontextualisiert er diversitätsorientierte Soziale Arbeit, in Abgrenzung zum framing einer normativ geprägten Straffälligenhilfe, als „empirisch-normativ, anerkennend-wertschätzend, systemisch-anschlussfähig, aber auch (heraus)fordernd“. Mit Bretländer/Köttig/Kinz (2025) und Prengel (2007) wird Diversität in einem Bedeutungskontinuum zwischen „Homogenität Pluralität“ auf der einen und „Anderssein Heterogenität verortet. Soziale Arbeit bewegt sich in diesem Spannungsfeld, in einer „Differenzdiskussion (…) nach dem Diversität zur Anerkennung von Verschiedenheit wie zur Festschreibung von Ungleichheiten und Stigmata führen kann.“ (Lamp 2007). Eine Diskussion mit Implikationen für die individuelle, die Beziehungs- sowie die institutionelle und rechtliche Ebene.
In Anlehnung an Aschenbrenner/​Wellmann (2001), mit Blick auf eine inter- und transdisziplinäre Verwobenheit von Diversität, öffnet Deichsel die folgenden vier Bedeutungsdimensionen:
- evaluative
- didaktische und entwicklungsbeeinflussende
- soziale Ungleichheit
- integrative
Aus dem zweidimensionalen Bedeutungskontinuum entsteht folglich ein Deutungsraum mit vier Quadranten, das Kontinuum wird um die Dimension „Empirische Diversität“ und „Normativ-regulatorische Diversität“ erweitert. Mit Mittelstraß (2003) attestiert Deichsel darauf aufbauend ein Zusammenspiel von gesellschaftlich-politischen und wissenschaftlich-analytischen Entscheidungs- und Problemlösungsprozessen. Deren Einfluss wird in den anschließenden Unterkapiteln schlaglichtartig näher beleuchtet:
- Narrativ an Narrativ – Gesellschaftlicher Wandel von der Bürgerlichen Moderne zur Postmoderne (unter Bezugnahme u.a. auf Habermas (1994), Kleve (2003)),
- Individualisierung – Pluralisierung – Globalisierung (unter Bezugnahme u.a. auf Beck (2022), Robertson (1995), Beck-Gernsheim (2020)),
- Vielfalt des Kulturbegriffs – Kulturvielfalt – Vielfalt der Kulturen (unter Bezugnahmen u.a. auf Reckwitz (2020), King (2020), Horkheimer/​Adorno (2003)),
- Digitalisierung – Beziehungen und Kommunikation im digitalen Raum (unter Bezugnahme u.a. auf Hemel (2020), Kruse (2004), Leven/​Utzmann (2020)),
- Die Kontingenz der Diversität (unter Bezugnahme auf Luhmann (2018)),
- Soziale Bewegungen bewegen auch Diversität (unter Bezugnahme u.a. auf Hofmann (2012)).
Bevor die gewonnenen Erkenntnisse in die fachbezogene Auseinandersetzung einfließen, wendet sich Deichsel den „Grundlagen und Perspektiven von Diversität“ in den Dimensionen Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zu.
Seinen Ausführungen folgend befindet wir uns mit unserem aktuell vorherrschenden Gesellschaftsverständnis im Spannungsfeld zwischen humanistischer Gemeinschaft (Natorps) und Multioptionsgesellschaft (Gross 1994, Reckwitz 2021). Identitätspolitiken gewinnen eine immer größere Bedeutung. Auf der Suche nach dem „Ich“ wird Diversität zur erwartbaren Querschnittskompetenz und Anti-Diskriminierungspolitik zur angewandten Verfassungsrechts- und Menschenrechtspolitik.
Identitätsbildung verkommt mit Schilling zu einer „Karriere der Sehnsucht“ (Schilling, 2020). Eine Sehnsucht geprägt durch Ambiguität und Ambivalenz und stets verbunden mit identitätsbedrohenden Momenten, insbesondere für jene in vulnerablen Lebenslagen (vgl. Keupp/Ahde/Gmür/Höfer/Mitzscherlich/​Kraus/​Straus, 2008). Diesen Momenten widmend sich Deichsel mit einer Betrachtung möglicher Entdiversifizierungsentwicklungen in den folgenden Unterkapiteln (Sachzwänge“, „Belastungen – Leistungsgrenzen“, „Umwandlungen – Konvergenzen“ und „Diskursive Ordnung Schließen von Diskursräumen).
Unter anderem mit Aschenbrenner-Wellmann/​Geldner (2021) kommt Deichsel folglich zu dem Schluss, dass sich übergreifende sozialwissenschaftliche Diskursräume überall dort finden lassen, wo „eher nach analytisch reflexiven Modellen konzipiert wird.“ (vgl. Aschenbrenner-Wellmann/​Geldner 2021, Kapitel 3). Für die Potenzialentwicklung diversitätsorientierter Sozialer Arbeit bedient sich Deichsel dem „right to be different“ (Kittrie,1971) als „Menschenrechte-Kompass“ (Eberlei/​Neuhoff/​Riekenbrauk, 2018). Ein Kompass, der zwischen „Abwehr von Diskriminierungen (…) [und der] Gleichstellung von Minderheiten (…)“ (Berger, 2017) lokalisiert werden kann. Dem Einfluss biographisch-sozialisatorischer Identitätsbildung, weißt er, als unmittelbarer Folge der „Akkumulation von handicaps“ (Paugam), eine entscheidende Schlüsselrolle zu. Der Argumentation von Deichsel folgend können mit ihr komplementäre und kooperative Formate Eingang in die Praxis diversitätsorientierter Sozialer Arbeit finden. Konfliktfrei ist diese Praxis jedoch mitnichten. Der Autor plädiert unter Bezug auf Bock (2007), Kawamura-Reindl/​Schneider (2015) und Müller/Otto (1986) für einen solidarischen Schulterschluss mit Angewandter Kriminologie. Das Ziel der Etablierung einer diversitätsorientieren sozialproblembezogen-kriminologischen Sozialer Arbeit fest im Blick.
Und so wendet sich Deichsel im Kapitel 4 Kriminologie zu. Mit Groenemeyer (2017) und Cremer-Schäfer (2002) macht er sogleich eine Leerstelle aus. Kriminalität hat quantitativ und qualitativ einen fundamentalen Einfluss auf die Beziehungsqualität von Diversität und Sozialen Problemen. Dies führt zu einem Spannungsfeld sowohl zwischen Sozialer Arbeit und Kriminologie als auch zwischen Kriminologie und Strafrecht. Diese Leerstelle wird im Diskurs jedoch oft wenig beachtet (vgl. Maurer, 2020). Die durch Deichsel postwendend attestierte Abhängigkeit intersektionaler Reflexionsfähigkeit und vielfaltssensibler Handlungsansätze als Haltungsfrage überraschend in der Folge wenig. Doch das „Triangulär Trennende“ zwischen den Professionen, der Seinswissenschaft, Normwissenschaft und Handlungswissenschaft (Sack/Deichsel, 1993) wird sogleich in Frage gestellt, um mit Millgram gleich darauf für ein „Schnittstellenmanagement“ (Millgram) zu werben. Hierbei im Blick die kritische Kriminologie, die sich phänomenologisch verstehend, der Anerkennung von Differenz und einer kritischen Handlungsebenenanalyse verschreibt (u.a. Habermas, Apel, Seelmeyer, Durkheim, Goffmann, Mercheril/​Melter).
Darauf aufbauend wird das Diversitätspotenzial Sozialer Arbeit als Handlungswissenschaft (Kapitel 5) mit Nussbaum (2001), Neurath, Amann (2000) und Rose (2016) näher betrachtet. Hierfür schlägt Deichsel eine Brücke zwischen der Idee der Identitätsbildung über soziale Anerkennung (Hegel) zur emotionalen Anerkennungsdimension (Honneth, 1992) und zum Solidaritätsprinzip (Deichsel,2014 und 2002). Der Autor ergänzt die Perspektive um eine transversale Diversitätssensibilität, einer Haltung der Dekonstruktion, einer (Selbst)Reflexivität und einer kritischen Haltung (vgl. von Spiegel, 2021). Verdeutlicht werden die Ausführungen in Form eines morphologischen Kastens. Die so kontextualisierte diversitätsorientierte Handlungskompetenz Sozialer Arbeit ist in diesem Zusammenhang beides praxisfeldübergreifend als auch praxisfeldspezifisch und somit bereichernde Grundlage für eine sozialproblembezogen-kriminologische Soziale Arbeit.
Die zuvor identifizierte fachliche Leerstelle in der Kriminologie wird durch Deichsel im Kapitel 6 erneut ins Blickfeld gerückt. Aus dem kontextualisierten Diversitätspotenzial Sozialer Arbeit folgt für den Autor die Notwendigkeit der Erschließung von alternativen Wegen. Gesellschaftliche und fachliche Ambivalenz und Ambiguität müssen Deichsels Argumentation folgend ihren curricularen Niederschlag finden. Im Zentrum der curricularen Neuerungen verortet er neben der dialogisch-diskursiven Themenerschließung, die Öffnung von Diskursräumen sowie die abduktive, deduktive und induktive Erkenntnisgewinnung ausgehend von einem transformativen Dreischritt. Die daraus entstehende differenz- und diversitätsorientierte Rechtsanwendungskompetenz hat, dem Autor folgend, das Ziel der Einführung einer rechtsmethodischen Kategorie „Diversität“. Für die Neuausrichtung können Deichsel folgenden bereits vorliegende Kerncurricula (DGS 2016) weiterentwickelt werden.
Vor dem Hintergrund der analytischen Auseinandersetzungen wird im Kapitel 7 exemplarisch auf vulnerable Lebenslagen eingegangen, die Notwendigkeit einer diversitätsorientierten Sozialen Arbeit aufzuzeigen. Themenfelder wie „Armut“, „Arbeit“, „Wohnen“ und „Gewalt“ werden deduktiv in den Blick genommen. Neben der Eingebundenheit in alltägliche Deutungs- und Zuschreibungsmuster (Groenemeyer/​Ratzka, 2012) sowie Techniken der Governance und Governementalität wird – unter anderem mit Neubacher/Bögelern, 2021; Wacquant, 2013; Kessl, 2020 - das Potenzial einer sich als diversitätsorientierten Handlungswissenschaft verstehenden Sozialen Arbeit und deren Transformationspotenzial herausgearbeitet. Deichsels Ausführungen folgend können Selbstführung und Empowerment durch induktiv-praxeologische Hypothesengenerierung und ethnographische Dichtebeschreibung (vgl. Geertz, Preis, 2009) fruchtbare Anknüpfungspunkte für die Profession sein. Durch sie werden rechtliche Rahmenbedingungen, lebensweltliche Bezüge und die damit einhergehenden individuellen Handlungsspielräumen und -grenzen aufzeigt und in der Folge besprechbar gemacht.
Die vorliegende Publikation schließt mit „simplifizierender Komplexitätsreduktion“, auf Basis des eingeführten Deutungs- und Analysemodells, im Tabellenformat (Kapitel 9) und mit einer Bilanz und abgeleiteten Herausforderungen für die (Weiter)Entwicklung einer diversitätsorientierten sozialproblembezogen-kriminologischen Sozialen Arbeit (Kapitel 10).
Diskussion
Im Zentrum der vorliegenden Publikation steht die Potenzialerschließung Sozialer Arbeit hin zu einer diversitätsorientierten Sozialen Arbeit. Diese wird anhand des triangulären Spannungsfeldes von Sozialen Problemen, Kriminologie und Strafrecht diskutiert. So gesehen können die Ausführungen als eine fokussierte praxisfeldbezogene Ausbuchstabierung und damit Erweiterung u.a. der Einführung von Diversität in der Sozialen Arbeit (u.a. Aschenbrenner-Wellmann, Geldner (2021): „Diversität in der Sozialen Arbeit. Theorien, Konzepte, Praxismodelle“, Kohlhammer-Verlag) verstanden werden. Zugleich arbeitet Deichsel kooperative Schnittstellen und das Potenzial deren Nutzbarmachung auf dem Weg zu einer curricular verankerten diversitätsorientierten Sozialen Arbeit heraus.
Aufbauend auf der Charakterisierung der Transdisziplin Sozialer Arbeit als diversitätsorientierter Sozialer Arbeit mit Menschenrechts-Kompass gelingt es Deichsel die multiplen Facetten und Verflechtungen Sozialer Arbeit in Diversitätsdiskursen allgemein und praxisfeldbezogen darzustellen. Hierbei nimmt der Autor neben der individuellen die institutionellen auch die gesellschaftliche Dimension und deren Schnittflächen kritisch in den Blick. Intersektionale Spannungs- und Konfliktfelder werden herausgearbeitet und eingeordnet. Die Übertragung in morphologische Kästen erscheint ein wenig schwerfällig, kann jedoch als Versuch der Vereinfachung eines schwer greifbaren und hochkomplexen Diversitätskonzepts gewertet werden.
Im Verlauf der vorliegenden Publikation werden der Hochkomplexität der Diversität bekannte, feste Rechtsbegriffe gegenübergestellt. Kriminologie und Strafrecht attestiert Deichsel im Zuge seiner Ausführungen ein unterkomplexes Verständnis der realen Diversität und Intersektionalität. Folglich lassen sich Diversität und in der Folge Intersektionalität nur schwer (be)greifen. Der eindringliche Appell des Autors für einen Schulterschluss zwischen Kritischer Kriminologie und diversitätsorientierter Sozialer Arbeit ist, so gesehen, eine logische Konsequenz für die professionelle Weiterentwicklung. Ein Schritt mit Folgen für das Handlungswissen und die Handlungskompetenz sowie eine vielfaltssensible Haltung an der Schnittstelle zwischen Sozialer Arbeit und Kriminologie bzw. Strafrecht. Das eine solche Haltung nicht selbstverständlich ist, zeigt sich in der attestierten fachlichen Leerstelle (Kriminologie) als auch in der klaren curricularen Zuweisung der Querschnittskompetenz „Diversität“ bei gleichzeitiger mangelnder curricularer Ausbuchstabierung.
Die daraus abgeleiteten Forderungen nach einer curricularen Neuerung durch die Einführung von dialogisch-diskursiver Themenerschließung, der Öffnung von Diskursräumen sowie der mehrdimensionalen (abduktiven, deduktiven und induktiven) Erkenntnisgewinnung sind dabei so einfach und zugleich überraschend. Erinnern sie doch an frühere Zeiten in denen kritische Wissenschaftsdiskussionen gern gesehen, Freiraum im Hochschulalltag selbstverständlich waren. Und so lassen sich die Forderungen „nur“ als (Selbst)Ermächtigung praxisorientierter Lehre und mündiger Studierender, raus aus einem verschulten Studienkonzept, verstehen.
Der Komplexität gesellschaftlicher Realitäten kommt die, an anderer Stelle, vielfach kritisierte, Verschulung insbesondere grundständiger Hochschulbildung nur selten nach. Was Deichsel bei aller Appellfunktion jedoch offen lässt, ist die praktische Umsetzung der Implementierung seiner Forderungen. Denn der Appell trifft auf eine fragmentierte Hochschullandschaft, deren Studienangebot lokal konzipiert und durch Akkreditierungsagenturen qualitativ bewertet wird. Auch wenn der Autor die DGS explizit in seinen Ausführungen anführt, kann eine Umsetzung nur durch ein breite(re)s Bündnis gelingen. Vor diesem Hintergrund kann nur gehofft werden, dass diskurs-freundliche Formate ein breites Echo bei den Fachgesellschaften der Bezugswissenschaften Transdisziplinärer Sozialen Arbeit und Verantwortlichen für die Studiengangsplanung finden. Letztgenanntes ein notwendiger Schulterschluss, der nicht vor der Komplexität von Lebenswelten zurückschreckt und seinen Beitrag zur Geburtshilfe für innovativ-experimenteller Handlungsräume im Sinne der Zielgruppen leistet. Alles mit dem einenden Ziel einer menschenrechts- und diversitätsorientierten Sozialen Arbeit.
Fazit
Eine bereichernde Erweiterung des Blickfeldes hin zu einer diversitätsorienitierten Sozialen Arbeit mit Adressaten/​Adressatinnen nicht nur in vulnerablen Lebenslagen sowohl für Studiengangsleitungen, Fachgesellschaften, Lehrende als auch Studierende. Für die Lektüre ist ein grundlegendes Verständnis des Konzepts „Diversität“, der Profession Soziale Arbeit und ihren Handlungslogiken sowie zu deren potenziellen Interventionsmöglichkeiten sowie den Praxisfeldern Strafrecht und Kriminologie hilfreich.
Rezension von
Elke Michauk
Elke Michauk
Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin (Diplom), Sozialwissenschaftlerin (MA),
selbständig arbeitende zertifizierte Coachin (https://www.linkedin.com/in/elke-michauk/)
Mailformular
Es gibt 10 Rezensionen von Elke Michauk.
Zitiervorschlag
Elke Michauk. Rezension vom 09.01.2025 zu:
Wolfgang Deichsel: Diversitätsorientierte Soziale Arbeit. Handlungspotenziale in vulnerablen Lebenslagen. Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2023.
ISBN 978-3-17-040800-5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31443.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.