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Wolfgang Beywl, Monika Wyss et al.: Lernen sichtbar machen. Das Praxisbuch

Rezensiert von Dr. Monika Wilkening, 11.12.2023

Cover Wolfgang Beywl, Monika Wyss et al.: Lernen sichtbar machen. Das Praxisbuch ISBN 978-3-8340-2244-8

Wolfgang Beywl, Monika Wyss, John Hattie, Kathrin Pirani, Michael Mittag: Lernen sichtbar machen. Das Praxisbuch. Erfolgreich unterrichten mit dem Luuise-Verfahren. Luuise: Lehrpersonen unterrichten und untersuchen integriert, sichtbar und effektiv. Schneider Verlag Hohengehren (Baltmannsweiler) 2023. 240 Seiten. ISBN 978-3-8340-2244-8. D: 25,00 EUR, A: 25,70 EUR.

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Thema

Zur Unterstützung von Lehrpersonen bei einer Veränderung ihres routinierten unterrichtlichen Handelns dient das Verfahren LUUISE. LUUISE steht für: Lehrpersonen unterrrichten und untersuchen integriert, sichtbar und effektiv und ist mit einem besonderen Wahrheits- und Wissensanspruch verbunden.

LUUISE ist ein Modell der Selbstevaluation, welches spezifisch auf Unterricht und Lernen zugeschnitten wurde. Grundlage sind die empirisch gestützten, evidenzbasierten Erkenntnisse aus den Meta-Analysen des australischen Erziehungswissenschaftlers John Hattie in den Publikationen 2009, 2017, 2023. Er stellt fest, dass drei Elemente im Handeln von Lehrpersonen von großer Wirkung sind:

  • angemessen herausfordernde Lernziele, die von Lehrenden und Lernenden gemeinsam konstruiert wurden und beobachtbar und messbar sind
  • die Bewertung des Unterrichtsprozessen (genannt: formative Evaluation durch Visualisierung, Überprüfung, Reflexion für gezielte Planung und Realisation künftiger Handlungen) und
  • Lernfeedback, welches Lehrenden und Lernenden hilft, das eigene Handeln zu regulieren und es gezielt auf das Erreichen der angestrebten Ziele auszurichten.

Das zur Unterstützung dieser drei Elemente leicht implementierbare und kostengünstige Verfahren LUUISE arbeitet mit ständiger Visualisierung des Lernprozesses und enger Kooperation zwischen Lehrenden und Lernenden. Es wird seit über 10 Jahren in Schulen durchgeführt; es gibt über 1000 Projekte dazu, zumeist in der Schweiz.

Das Buch verspricht bewährte, leicht nachahmbare Praxisbeispiele mit theoretischer Untermauerung, dabei schrittweises und „nebenbei“ auf- und ausbaubares evaluatives Denken, denn Untersuchung und Datenerhebung wird in das Unterrichtsgeschehen integriert. Ziel ist, belastende unterrichtliche Probleme durch Definition des erwünschten Zustandes und Planung einer Intervention zu lösen und Daten zu erheben zur Bewertung des Erfolgs. Ein weiteres Ziel ist Reflexion in der Handlung: Lehrende und Lernende üben sich darin, datenbasiert über Unterricht zu reflektieren und seine Weiterentwicklung mitzugestalten.

Es richtet sich an Lehrpersonen, Schulleitende, Weiterbildende, Beratende und Forschende.

Autor:innen

Wolfgang Beywl ist deutscher Evaluationswissenschaftler, seit 2003 an Universitäten der Schweiz tätig.

Kathrin Pirani ist Schweizer Gymnasiallehrerin und Hochschuldozentin mit Schwerpunkt datengestützte Schul- und Unterrichtsentwicklung. Sie leitet maßgeblich das LUUISE-Programm.

Monika Wyss ist Schweizer Hochschuldidaktikerin mit Schwerpunkt nachhaltiges Lernen.

Michael Mittag ist Schweizer Psychologe, Cartoonzeichner und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität

John Hattie ist neuseeländischer Erziehungswissenschaftler, zuletzt tätig an der Universität Melbourne. Er hat 2009 in seinen Büchern Visible Learning (2009), Visible Learning for Teachers (2012), Visible Learning and the Science of How We Learn (2014) weltweite Megastudien zu Einflüssen auf die Lernleistungen zusammengefasst und daraus über 350 Faktoren aufgelistet, die Lernleistungen beeinflussen. Wolfgang Beywl hat seine Bücher ins Deutsche übersetzt. - 2023 publizierte Hattie sein Visible Learning: The Sequel mit einer Synthese weiterer Metaanalysen zu erfolgreichem Lernen.

In der Einleitung wird die Gemeinschaftsleistung von über 1000 Personen an diesem Buch erwähnt, zumeist Lehrpersonen.

Entstehungshintergrundlage

Das LUUISE-Konzept wurde seit den 1990er-Jahren erarbeitet, zunächst mit dem Ansatz der Selbstevaluation in der Sozialen Arbeit, dann auf Hochschuldidaktik und schließlich auf Schulunterricht und -lernen angepasst. Zahlreiche LUUISE-Fortbildungen haben stattgefunden, LUUISE-Coachs begleiten Unterricht an den Schulen, Forschungsberichte und Tagungen werten Planung, Durchführung und Ergebnisse aus und verbreiten das Projekt in der Schweiz und auch schon in Baden-Württemberg. – Französisch-, italienisch- und englischsprachige Adaptationen von LUUISE wurden konzipiert.

Alle Praxisbeispiele wurden seit 2013 während LUUISE-Fortbildungen konzipiert; ihre Umsetzung wurde von LUUISE-Coachs begleitet.

Aufbau

Zunächst erfahren Lesende die Bedeutung von spezifischem „LUUISE“-Vokabular. So ist der erste Punkt des durchgehend angewandten Planungsrasters in den Praxisbeispielen „Knacknuss“, eine Herausforderung, die Lehrkräfte wiederholt als hemmende bzw. belastende Beeinträchtigung für Lernen/​Unterrichten erleben.

In sieben Kapiteln werden dann Folgendes beschrieben:

  • Kapitel 1: Evaluatives Denken als Bindeglied zwischen Visible Learning (Hattie) und LUUISE
  • Kapitel 2: Verbindungen von Praxisbelegen mit Forschungsergebnissen, insbesondere zu Hattie
  • Kapitel 3: 36 Praxisbeispiele von LUUISE-Projekten (von Kindergartengruppen bis hoch zu Oberstufenklassen und Gruppen in der Erwachsenenbildung Wirtschaft) auf 84 Seiten, d.h. ein gutes Drittel des gesamten Buches
  • Kapitel 4: Hatties Faktoren, die Unterrichtserfolg beeinflussen
  • Kapitel 5: Beschreibung der fünf Schritte des LUUISE-Verfahrens
  • Kapitel 6: Planung und Durchführung von LUUISE-Projekten
  • Kapitel 7: weitere Planungshilfen für Problematisierungen, Zielformulierungen, Planungsraster, Erhebungsinstrumente.

Inhalt

Zu Kapitel 1: Hier wird der evaluationswissenschaftliche Hintergrund dargelegt: Visible Learning (Hattie) und das LUUISE-Verfahren haben beide ein fünfschrittiges Design. LUUISE unterstützt Lehrkräfte bei

  • Identifikation eines dringenden Bedarfs (Identifizieren der „Knacknuss“ und Formulieren von Annahmen)
  • Konzeption von geeigneten evidenzbasierten Interventionen und Anpassung auf die Klassensituation, d.h. Formulierung der Smart-Ziele (specific, measurable, attainable, relevant, timed) durch partizipatives Handeln von Lehrkraft und Lernenden (cartoonmäßig dargestellt)
  • Intervention: Umsetzung dieser Handlungsentwürfe im Unterricht, kombiniert mit formativen empirischen Erhebungen; dazu werden Erhebungsinstrumente eng mit Unterrichtsmethoden verbunden. Strukturpunkte sind Hattie-Erfolgsfaktoren für gelingenden Unterricht, blau unterlegt
  • Konzeption des Erhebungsinstruments (z.B. Bilder oder Fotos, Plakate, Zettel mit Smileys, Schilder, Karten, Listen/​Tabellen/​Protokolle digital oder in Papierform, Objekte aus verschiedenen Materialien/​Farben/​Formen, Klebepunkte, Magnete, Haftzettel, Handyapp als Uhr oder für Aufnahmen oder digitale Ablagen), Datenerhebung, Untersuchung und Bewertung der Zielerreichung. Auch in diesem und dem nächsten Punkt sind Hatties Erfolgsfaktoren für gelingenden Unterricht an den entsprechenden Stellen aufgeführt, blau unterlegt.
  • Datennutzung: Verstärkung der Unterrichtsinterventionen zur Festigung und Erweiterung durch Lehrkraftfeedback zum Lernen und Feedback an die Lehrkraft

Zu Kapitel 2 und 3: Auf S. 58–59 werden in einer Matrix alle 36 Praxisbeispiele aufgeführt und zu Hatties Faktoren mit hoher Effektstärke zugeordnet. Auf S. 60–61 befindet sich ein Inhaltsverzeichnis aller Praxisbeispiele, geordnet unter vier Hauptüberschriften: Lernstart sicherstellen, Überfachliches Lernhandeln intensivieren, Fachliches Lernhandeln intensivieren, Lernresultate stärken. Ebenfalls befindet sich dort eine Zuordnung der Praxisbeispiele auf die Fächer/Fachbereiche.

Die nun folgenden Praxisbeispiele sind meist doppelseitig angeordnet. In den Fließtexten erscheinen durch blaue Pfeile hervorgehoben wiederum Hatties Faktoren mit hoher Effektstärke. Nach Erklärung des Beispiels im fünfschrittigen LUUISE-Verfahren (s.o.) werden Lesenden mehrere Varianten für die Durchführung angeboten. Dann erfährt man Fach und Schuljahr, in dem das LUUISE-Projekt durchgeführt wurde. Am Seitenende erscheint blau hinterlegt, was die durchführende Lehrkraft hierzu sagen möchte.

Zu Kapitel 4: Zunächst werden 35 Einflussfaktoren auf Unterrichtserfolg (nach Hattie) aufgelistet, dann auf den folgenden 30 Seiten detailliert beschrieben. Auf die jeweiligen Praxisbeispiele, die diese Faktoren enthalten, wird zurückverwiesen.

Zu Kapitel 5: Nochmals werden die fünf LUUISE-Schritte detailliert vorgestellt. Zum Ende des Kapitels unterhalten sich vier Lehrpersonen in einem fiktiven Dialog über LUUISE.

Zu Kapitel 6: Hier werden drei Anwendungsfelder beschrieben, wie mit dem LUUISE-Verfahren gearbeitet werden kann: in Selbstorganisation, Fortbildungen oder als Schulentwicklungsprojekt.

Zu Kapitel 7: Dieses Kapitel enthält Hilfsdokumente für die Planung von LUUISE-Projekten, z.B. ein Planungsraster (S. 236–237).

Diskussion

Hier zunächst einige durchgängige und hilfreiche Strukturelemente:

Erleichterung der Lesbarkeit

Zu Beginn jedes Kapitels wird dessen folgender Inhalt zusammengefasst, Unterkapitel werden mit Seitenzahlen aufgeführt. In den Praxisbeispielen werden die jeweiligen Zielsetzungen mit Hilfsmitteln für die formative Datenerhebung visualisiert.

Breite Verteilung der Praxisbeispiele

Lehrkräfte aller Schularten (von Kindergartengruppen bis hoch zu Oberstufenklassen und Gruppen der Erwachsenenbildung Wirtschaft, mit Schwerpunkt auf Grundschule und Sekundarstufe I) sollen in Kapitel 3 unterstützt werden durch 36 Praxisbeispiele von LUUISE-Projekten auf 84 Seiten, d.h. ein gutes Drittel des gesamten Buches.

Klare Matrix

Die Durchführung der LUUISE-Projekte ist klar durch die 5-Schrittige LUUISE-Matrix.

Zur Diskussion

Das Buch ist eng angelehnt an evaluationswissenschaftliche Erkenntnisse, insbesondere die aus Hatties Megastudien in Visible Learning 2023.Im Mittelpunkt steht evaluativer Unterricht als professionelles Lehrkrafthandeln mit evaluativem Denken, Unterrichten, Untersuchen. Als eine Besonderheit wird hervorgehoben, dass die empirische formative Evaluation (Planung, Durchführung, Auswertung im Rahmen des Evaluationszyklus) schon während des Unterrichtshandelns, nicht erst danach, stattfindet; insofern ist hier bereits Verbesserung möglich (=Alleinstellungsmerkmal von LUUISE).

Zur Kritik

(Ich betone nochmals, dass ich aus 42-jähriger Erfahrung einer Lehrkraft am Gymnasium, darunter 25-jähriger Forschungs-, Referentinnen- und Publikationstätigkeit in speziellen Bereichen der Fachdidaktik und Allgemeinpädagogik schreibe.)

Die „Knacknüsse“ erscheinen häufig als Selbstverständlichkeiten (wie: PB 13 Lernstandtests zur Messung der grammatikalischen Lücken für Englisch Klasse 13), welche für die Lernenden als „motivierend“ bezeichnet werden, mit späterer Selbsteinschätzung des Fortschritts nach Übungen. Das Projektbeispiel ist insofern auch erstaunlich, da schon selbstverständlich jede Lehrkraft seit der Mittelstufe die eigene Fehleranalyse anleitet und immer wieder damit übt. Oder Vorgehensweisen, die die „Knacknüsse“ beheben sollen, werden nicht ausreichend erklärt. So soll in PB 15 die Steigerung des eigenen Fragenstellens in Biologie Klasse 11 geübt werden. Die beschriebenen Maßnahmen sind aber die der Lehrkraft, ihren Stoff kleinschrittiger zu portionieren. Wie die Lernenden üben, die erwähnten 2 Fragearten (Fragen zum Verstehen und Fragen zum Rückmelden an die Lehrkraft) zu stellen, welches scaffolding die Lehrkraft dazu bietet, wird nicht beschrieben, lediglich die quantitative Erfassung der Fragen durch die Lernenden mit Wäscheklammern an einem Bambusstab.

Zu einem Feedback-Dialog zwischen Lernenden oder mit der Lehrkraft kommt es kaum. Auch Eltern und ggf. außerschulische Institutionen, sofern sie unterrichtsrelevant sind, werden in keiner Weise einbezogen. Auch Lerneinstellungen und Entwicklungspsychologie werden nicht thematisiert.

LUUISE ist nach evaluationswissenschaftlichen Erkenntnissen solide konzipiert, verständlich dargestellt und orientiert sich eng an den Erkenntnissen von Hattie. So ist der umfangreiche theoretische Rahmen des Projekts mit großem Gewinn zu lesen.

In seiner notwendigerweise rein quantitativen Konzeption ist LUUISE zur Unterstützung von Lehrenden (und Lernenden!) jedoch sehr eingeengt und muss von den Lehrenden durch andere (qualitative) Verfahren ergänzt werden, um der Komplexität von Lehren und Lernen gerecht zu werden, Verfahren, die auch manchmal informellen, spontanen Charakter haben, um flexibel auf wechselnde Situationen einzugehen, Verfahren, die nicht die Kriterien eines klassischen Evaluationszyklus erfüllen, schließlich Verfahren, die für komplexe Prozesse individueller Menschen und Gruppen nicht alle messbar sind.

Fazit

Das Projekt LUUISE ist gemäß einem wissenschaftlich fundierten, an Hattie orientierten, qualitativen Evaluationszyklus solide konzipiert, wobei formative Evaluation während des Unterrichtshandelns stattfindet. Zur Unterstützung von Lernen und Lehren ist es jedoch nur mit Ergänzung durch qualitative Methoden hilfreich, um der Komplexität unterrichtlicher Prozesse gerecht zu werden.

Rezension von
Dr. Monika Wilkening
Gymnasiallehrerin, Autorin von Aufsätzen zur Fremdsprachendidaktik, zur Pädagogik, zu Entwicklungen von Feedback im Unterricht und Autorin von Fachbüchern zu Lernhaltungen und Lernprozessen im Unterricht.
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Es gibt 16 Rezensionen von Monika Wilkening.

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Zitiervorschlag
Monika Wilkening. Rezension vom 11.12.2023 zu: Wolfgang Beywl, Monika Wyss, John Hattie, Kathrin Pirani, Michael Mittag: Lernen sichtbar machen. Das Praxisbuch. Erfolgreich unterrichten mit dem Luuise-Verfahren. Luuise: Lehrpersonen unterrichten und untersuchen integriert, sichtbar und effektiv. Schneider Verlag Hohengehren (Baltmannsweiler) 2023. ISBN 978-3-8340-2244-8. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31444.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.


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