Sabine Gembalczyk: Externe Ombudschaften in der Kinder- und Jugendhilfe
Rezensiert von Prof. Dr. Andrea Warnke, 13.03.2024
Sabine Gembalczyk: Externe Ombudschaften in der Kinder- und Jugendhilfe. Ein Beitrag zur Sicherung der Kinderrechte? Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2023. 193 Seiten. ISBN 978-3-7799-7491-8. D: 38,00 EUR, A: 39,10 EUR.
Thema
Die Einrichtung von unabhängigen, externen Ombudstellen wird in der Fachöffentlichkeit der Kinder- und Jugendhilfe seit vielen Jahren diskutiert. Eine entsprechende gesetzliche Regelung findet sich inzwischen im Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (§ 9a SGB VIII). Sabine Gembalczy, die selbst in einer Ombudsstelle aktiv ist und den Prozess der Implementierung seit ihren Anfängen begleitet, hat sich in ihrer Dissertation diesem Thema gewidmet. Die Untersuchung hat das Ziel, den Spannungsfeldern „Machtausgleich zwischen jungen Menschen und Erwachsenen“, „Parteilichkeit für junge Menschen“ sowie „Rechte für junge Menschen im Kontext der UN-Kinderrechtskonventionen“ nachzugehen.
Autorin
Dr.in Sabine Gembalczy ist Diplom-Sozialarbeiterin und hat einen Master of Social Work inne. Ihre Promotion erfolge an der Universität Hildesheim, Institut für Sozial- und Organisationspädagogik. Sie ist seit mehr als 10 Jahren als Fachreferentin der Ombudschaft Jugendhilfe NRW tätig und besitzt langjährige Erfahrung in der Kinder- und Jugendhilfe.
Aufbau
Das rund 200-seitige Buch umfasst zwei Hauptkapitel und beginnt mit einer Einleitung, in der die Forschungsfragen und Thesen der Dissertation dargestellt werden sowie eine erste Einführung in das Thema Ombudschaften erfolgt.
Kapitel I bietet die theoretische Fundierung, Kapitel II stellt die empirische Untersuchung dar. Das Buch schließt mit einem Gesamtresümee und Ausblick.
Inhalt
Kapitel I Ombudschaften als praxisbezogene Antwort der Kinder- und Jugendhilfe
1. Die Idee „Ombudschaft“ – Was ist das?
In diesem einleitenden Abschnitt erfolgt eine Annäherung an den Begriff und das Konzept der Ombudschaft. Verschiedene Ausprägungen des Konzepts werden dargestellt.
Der Begriff entstammt dem schwedischen Begriff „Ombudman“ (om= um/bud= Angebot/man= Mann). Gemeint sind Personen, die ein Angebot zur Lösung von Auseinandersetzungen erarbeiten und unterbreiten. Eine entsprechende Institution wurde 1809 erstmals in Schweden geschaffen. 1978 wurde das International Ombudsman Institute gegründet, eine Organisation von knapp 200 unabhängigen Institutionen aus über 100 Ländern (S. 21f).
Das Konzept des „Ombudsman“ weist verschiedene (Misch-)Formen auf. Drei Grundformen können ausgemacht werden.
I Klassische Ombudschaft: Dies umfasst Ombudschaften, die öffentlich-rechtlichen Charakter haben, und der schwedischen Grundidee nahe sind (außergerichtliche Instanz zur unbürokratischen Unterstützung von Bürgern, die ihre Rechte gegenüber staatlichen Instanzen geltend machen (S. 23).
II Organisationsbezogene Ombudschaft: Ombudschaften die im privat-rechtlichen Bereich angesiedelt sind und auch als „interne“ Ombudschaften bezeichnet werden. Es besteht eine begrenzte Unabhängigkeit, da z.B. keine Akteneinsicht möglich ist. „Die Relevanz von informellen Formen der Konfliktlösung bzw. Beschwerdebearbeitung gewinnt an Bedeutung“ (S. 24).
III Intern-institutionelle Ombudschaft: Basieren auf dem Wirken der Europäischen Union und streben eine Verbesserung der Finanzdienstleistungen im Binnenmarkt an; z.B. „fehlende Regressmöglichkeiten von Verbrauchern bei grenzüberschreitenden Finanzdienstleistungen“ (S. 25).
Im weiteren Verlauf des Unterkapitels werden Ombudschaften und Menschenrechte sowie Kinderrechte thematisch zusammengebracht.
Fünf Grundsätze für eine erfolgreiche ombudschaftliche Arbeit zur Sicherung der Kinderrechte werden benannt (S. 30): 1. Unabhängigkeit; 2. Klare, umfassende und adäquate Befugnisse; 3. Erreichbarkeit; 4. Kooperation; 5. Rechenschaftspflicht.
2. Ombudschaften in der deutschen Kinder- und Jugendhilfe
Der zweite Abschnitt gibt Hintergrundinformationen zu Beschwerde- respektive Ombudsstellen in der Kinder- und Jugendhilfe. Es haben sich eine Vielzahl unterschiedlicher Formen beziehungsweise Initiativen entwickelt. „Dabei reichen die Variationen von internen organisationsbezogenen Ombudspersonen bis hin zu externen Ombudschaften, welche zu meist länderbezogen arbeiten“ (S. 34f).
„Der im Jahr 2015 veröffentlichte Evaluationsbericht zum Bundeskinderschutzgesetz (2012) zeigt, dass in Einrichtungen Beschwerde- und Beteiligungsverfahren weitestgehend implementiert sind. Darüber hinaus macht der Bericht (…) auch deutlich, dass unabhängig von einrichtungsinternen Strukturen die Notwendigkeit der Schaffung von externen Stellen besteht, an die sich junge Menschen wenden können“ (S. 37).
„Externe, zumeist länderbezogene und sich als unabhängig verstehende Ombudsschaften sind außerhalb von Einrichtungen angesiedelt. Sie unterstützen Personen, die sich ratsuchend bei Konflikten mit dem öffentlichen und/oder privaten Träger von Jugendhilfeleistung an die externe Ombudschaft richten“ (S. 39).
3. Spannungsfelder externer Ombudschaften in der Kinder- und Jugendhilfe
Der dritte Abschnitt widmet sich den Thesen/Forschungsfragen der Dissertation, indem die definierten bzw. vermuteten Spannungsfelder dargestellt, dabei wird insb. auf die Perspektive junger Menschen geachtet.
3.1 Machtausgleich
Als Machtquellen von Fachkräften sind insb. Fachwissen, Definitionsmacht, Positionsmacht sowie Entscheidungsmacht zu benennen. Gleichzeitig existiert eine „generationale Ordnung“; in den zentralen Lebensbereichen sind Kinder und Jugendliche aufgrund ihres Alters in der gesellschaftlichen Positionierung Erwachsenen untergeordnet. Anknüpfend an den agency-Ansatz wird betrachtet, wie eine aktive Beteiligung von Kindern und Jugendlichen zu einem Machtausgleich zwischen den jungen Menschen und den Erwachsenen beitragen kann, d.h. die strukturelle Machtasymmetrie reduziert wird.
3.2 Parteilichkeit
In diesem Unterkapitel wird die Verankerung des Begriffs Parteilichkeit in der Tradition der Sozialen Arbeit diskutiert. Die Ombudsperson verfügt über eine fachlich fundierte Parteilichkeit, damit die jungen Menschen ihre individuellen Rechte in Anspruch nehmen können (S. 50f). Verbunden damit ist auch die Anwaltschaft (advocacy), damit der „strukturell unterlegenden Partei rechtlich Gehör verschafft [wird]“ (S. 52).
3.3 Rechte der jungen Menschen: Begründungslinien und Rechtsbezug von Ombudschaften in der Jugendhilfe
Aufgrundlage der UN-Kinderrechtskonventionen sowie der nationalen Gesetzgebung (Grundgesetz, Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) wird das Hauptaugenmerk auf den individuellen Leistungen als zentrales Betätigungsfeld von Ombudschaften in der Kinder- und Jugendhilfe gerichtet. Entsprechende Rechtsansprüche werden herausgearbeitet. Dabei wird auch auf die Reform des SGB VIII sowie das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz eingegangen.
Kapitel II Empirische Untersuchung
Das zweite Kapitel umfasst die empirische Erhebung und stellt zunächst die konzeptionellen Grundlagen dar. Es folgt die Darstellung und Interpretation der Ergebnisse.
„Mit dem Schwerpunkt auf die Fallbegleitung durch Mitarbeiter*innen werden die Stellung und die Beteiligung von jungen Menschen in der ombudschaftlichen Fallbegleitung untersucht“ (S. 82). Bezug genommen wird dabei auf die drei Spannungsfelder (siehe Kapitel 1, Unterkapitel 3).
Forschungsdesign und Basisdaten
Untersuchungsgruppe: fallbegleitende Mitarbeiter*innen aller Organisationen des Bundesnetzwerks Ombudschaft in der Kinder- und Jugendhilfe (N=14).
Stichprobe: n= 26 Mitarbeitende
Erhebungsmethode: schriftliche Onlinebefragung mit stimulierenden Ausgangssituationen (Fallvignetten).
Ergebnisse
- I Machtausgleich
Es wird zusammenfassend von Sabine Gembalczy konstatiert, dass eine „Mitbestimmung und Einbeziehung bei Entscheidungen als Strategie des Machtausgleichs in der ombudschaftlichen Begleitung von Kindern und Jugendlichen unterschiedlichen Alters durchaus erfolgt, wenngleich eine Selbstbestimmung eher Jugendlichen zuteilwird“ (S. 165).
- II Parteilichkeit
Es wird zusammenfassend von Sabine Gembalczy konstatiert, dass „[d ie Orientierung am beschwerdeführenden jungen Menschen und dessen Anliegen an die Ombudschaft auch entgegen den Bestrebungen der Leistungsberechtigten, durchaus als Parteilichkeit für Kinder bzw. Jugendliche gelten [kann]“ (S. 168).
- III Rechte
Sabine Gembalczy fasst zusammen: „Die Ergebnisse (…) zeigen, dass für die deutliche Mehrheit der Teilnehmer*innen die Anfrage durch den jungen Menschen entscheidend ist. Damit belegen die Ergebnisse, dass Kinder/Jugendliche zwischen zehn und 17 Jahren die Ombudschaften ebenso mandatieren können wie die leistungsberechtigten Erwachsenen des SGB VIII“ (S. 172).
Die Dissertation von Sabine Gembalczy schließt mit einem Gesamtresümee und Ausblick.
Sie fasst die zukünftigen Herausforderungen wie folgt zusammen:
- „[E]nggeführte leistungsrechtliche Ausrichtung von externen Ombudschaften in der Jugendhilfe reichen nicht aus, da sie weitestgehend den Rechtsansprüchen von Erwachsenen entspricht“ (S. 182).
- „Ombudschaftliche Arbeit, bei der die strukturell unterlegende Partei besonders Beachtung finden soll, muss Kinder und Jugendliche vor dem Hintergrund der bestehenden generationalen Machthierarchie besonders sowie parteilich beachten“ (S. 182f).
- „Die rechtbasierte Perspektive auf das SGB VIII und somit auf junge Menschen in Jugendhilfeverfahren und insbesondere in der ombudschaftlichen Arbeit ist eine notwendige Voraussetzung, wenn es darum geht, eine Machtbalance herzustellen und Aushandlungsprozesse zu fördern“ (S. 183).
Diskussion
Das Buch wird seiner Zielsetzung gerecht – es bietet eine umfassende thematische Einordnung und man merkt, dass die Autorin jahrzehntelange praktische Erfahrung hat. Dies wird kombiniert mit dem „Wissenschaftsblick“. Die empirische Herangehensweise einer Befragung mit Fallvignetten ist interessant und bietet m.E. auch Personen, die nicht „statistikafin“ sind interessante Einblicke und Inspirationen durch die Fallvignetten.
Sowohl für erfahrene Fachkräfte der Sozialen Arbeit als auch für Berufsanfänger*innen und Studierende halte ich dieses Buch für sehr lesenswert und die inhaltlichen Ausführungen sehr relevant und reflexionswürdig.
Fazit
Die Dissertation bereitet das Themengebiet „Externe Ombudschaften in der Kinder- und Jugendhilfe“ hervorragend und vollumfänglich auf. Insbesondere das erste Kapitel bietet eine umfassende thematische Aufarbeitung respektive Grundlage für alle, die sich mit diesem Thema beschäftigen (wollen). Es eignet sich sowohl für Fachkräfte als auch für Studierende der Sozialen Arbeit.
Rezension von
Prof. Dr. Andrea Warnke
Professorin für Soziale Arbeit, IU Duales Studium, Campus Bremen
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Zitiervorschlag
Andrea Warnke. Rezension vom 13.03.2024 zu:
Sabine Gembalczyk: Externe Ombudschaften in der Kinder- und Jugendhilfe. Ein Beitrag zur Sicherung der Kinderrechte? Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2023.
ISBN 978-3-7799-7491-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/31456.php, Datum des Zugriffs 06.11.2024.
Urheberrecht
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